„Murder by Misadventure“ von Edward Taylor

Die neue Premiere im English Theatre of Hamburg.

Hereinspaziert!

Endlich – die Theaterferien sind vorbei! Am 12. September eröffnete The English Theatre of Hamburg die neue Saison mit einem Straßenfeger aus der Feder des weit über die Grenzen Großbritanniens hinaus bekannten Autors Edward Taylor, der bereits mit Erfolgsstücken wie „No Dinner for Sinners“ and „Pardon me, Prime Minister“ Erfolge auf internationalen Bühnen feierte. Mit dem Thriller „Murder by Misadventure“ hat Taylor ein Meisterstück des Genres geschaffen, das die Nerven der Zuschauer auf eine harte Probe stellt und zwei Stunden lang für eine fast unerträgliche Spannung sorgt. Das Faszinierende an diesem „Mord durch Missgeschick“ ist die gekonnte Mischung aus hochdramatischen Spannungsbögen und tiefschwarzem Humor. Und wie gewohnt, stehen vier brillante handverlesene Mimen auf der Bühne. Große Klasse!

Partners in Crime

Bereits die erste Szene ist ein Schocker! Ein großer kräftiger Kerl, stürzt hinter einem Vorhang hervor und versucht einen wesentlich kleineren Mann mit einem Schal umzubringen. Ungläubiges Raunen im Zuschauerraum. Hörbare Erleichterung, als der Würger von seinem Opfer ablässt.

Wir befinden uns im obersten Stock einer Luxusimmobilie über dem Ärmelkanal, in dem zwei TV-Krimiautoren die Ideale Tötungsart des Opfers ihres neuesten Thrillers proben. Harold Kent und Paul Riggs arbeiten seit Jahren erfolgreich zusammen. Doch die zur Schau gestellte Harmonie täuscht. Von gleich berechtigter Partnerschaft kann keine Rede sein. Denn Paul ist der kreative Kopf des Duos, während Harold sich vornehmlich mit der Recherche beschäftigt und Pauls Ideen niederschreibt. Pauls massives Alkoholproblem nutzt Harold indes schamlos aus.

Ein Drehbuch für den neuen Fernsehthriller

Da bin ich ratlos

Harold und Paul planen ein neues Projekt. Wie wäre es mit einem Stück, in welchem ein Geschäftsmann seinen Partner aus dem Weg räumt, indem er ihm einen gemeinsamen Abenteuerurlaub im Gebirge vorschlägt. Nachdem beide einen hohen Berg erklommen haben, führt der Täter sein Opfer an einen unzugänglichen Ort, lässt es allein und wartet ab, bis es qualvoll an Unterkühlung stirbt. Ein genialer Plot, dessen Handlung Paul weiterspinnen soll, bis das Ehepaar Kent von einem sechswöchigen Urlaub in Amerika zurückkehrt. Paul ist mit dieser Regelung nicht einverstanden. Er fühlt sich von Harold vereinnahmt und spürt intuitiv, dass dieser in Kürze die Zusammenarbeit mit ihm aufzukündigen gedenkt.

Das Ass im Ärmel

Bald muss Harold einsehen, dass er seinem Buddy nicht über den Weg trauen kann. Paul ist nämlich einem schwerwiegenden Finanzskandal auf der Spur, in den Harold verwickelt ist. Kommt der ans Licht, steht der Staatsanwalt vor der Tür. Mit diesem Ass im Ärmel setzt Paul Harold unter Druck. Kommt dessen Schuld ans Licht, ist er für den Rest seines Lebens ruiniert. Zurzeit steht es eins zu null für Paul. Was also tun? Bevor das Ehepaar Kent seinen Urlaub in den Vereinigten Staaten antritt, reinigt Harold seinen Revolver und schließt ihn in seinen Schreibtisch ein. Als das Telefon klingelt, raunt er seiner heimlichen Geliebten ein zärtliches „Darling“ zu, legt aber den Hörer hastig auf, als Ehefrau Emma auf der Bildfläche erscheint.

Ein perfider Plan

Wie wird man einen unbequemen Menschen los? Ganz einfach. Man lädt ihn zu sich ein und bittet ihn, während seiner Abwesenheit in der Wohnung einzuhüten. Paul fällt prompt auf Harolds Trick herein und trinkt brav den mit einer gehörigen Dosis an Schlaftabletten versetzten Whisky aus. Harold führt den total sedierten Paul auf den Balkon, schließt dir Tür und zieht die Vorhänge zu. Fall erledigt.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder

Sechs Wochen später. Die Kents sind wieder im Land. Emma benötigt einen steifen Drink, bevor sie einen Blick auf den Balkon riskiert, auf dem sie zwar eine große Blutlache entdeckt, aber keine Leiche. Auch in der Tiefe gähnende Leere. Das Blut stammt eindeutig von einer Möwe, die von einem großen Seevogel getötet wurde. Wie konnte das Opfer entkommen? Die Balkontür war blockiert und niemand in der Nähe, der sie hätte öffnen können. Im Apartment geschehen indessen mysteriöse Dinge. Verschiedene Gegenstände sind nicht mehr an ihrem angestammten Platz, und verstörende Geräusche irritieren die Bewohner. Harold vermutet einen „Poltergeist“, der sich während Emmas und seiner Abwesenheit hier eingenistet hat.

Ein Inspektor meldet sich an

Was wissen Sie über Valerie Knight, Mrs. Kent?

Auch das noch. Die Polizei hat offenbar Wind vom Verschwinden des bekannten TV-Autors Paul Riggs bekommen. Ein großer schlanker Mann namens Inspektor Egan betritt die Wohnung und stellt dem Ehepaar Kent gezielt Fragen. Er macht sich Notizen, verabschiedet sich mehrmals höflich, besinnt sich dann aber auf weitere Fragen. Er weiß vieles über Harold, zum Beispiel, dass sein Partner Paul ihn wegen eines Betrugsdeliktes „drankriegen“ wollte. Harold wurde also von Paul erpresst. Hat er ihn deshalb erschossen? Dieser Verdacht erhärtet sich, als Harolds Pistole unauffindbar bleibt. Da er diese so sicher eingeschlossen hatte, musste auch hier ein „Poltergeist“ sein Unwesen getrieben und ihn verlegt haben, wie eine Reihe anderer Gegenstände.

Trau, schau wem

Wer steigt hier noch durch? Welchem der Protagonisten ist zu trauen? Was ist während der Abwesenheit der Kents in England passiert? Inspektor Egan taucht zu Harolds Ärger immer wieder auf und stellt Fragen über Fragen, die er nicht beantworten kann. Da ist auf einmal von einer jungen ermordeten Frau die Rede, die Harold nicht zu kennen vorgibt. Ist Valerie Knight, Harolds heimliche Geliebte, wirklich tot? Und wenn ja, wer brachte sie um?

Paukenschlag

Du bist ein übler Erpresser, Paul

Harold gerät zunehmend unter Druck. Während die Schlinge um seinen Hals sich immer enger zuzieht, überschlagen sich die Ereignisse. Als Emma einen Schrank öffnet, fällt ihr eine von zwei Kugeln getroffene Leiche entgegen. Doch – oh Wunder – Paul ist gar nicht tot, sondern quicklebendig und voller Rachegelüste. Zu allem Überfluss entpuppt sich der höfliche Inspektor Egan als falscher Polizist, der als gelernter Schauspieler in jede Rolle schlüpft und die Camouflage sichtlich genießt. Das Rätsel lautet: Wer zum Teufel hat die Tür zu Pauls eisigem Freiluftgefängnis geöffnet? Die spannendste Frage aber bleibt: Welcher von den beiden Rivalen wird als Sieger aus diesem tödlichen Duell hervorgehen? Finden Sie es selbst heraus, lieber Zuschauer. Lehnen Sie sich in ihrem Theatersessel entspannt zurück und genießen Sie diesen außergewöhnlich fesselnden Thriller in vollen Zügen. Viel Vergnügen!

Ich werde den Mörder schon finden

Edward Taylor erweist sich mit diesem temporeichen Kammerspiel als Meister des Psychothrillers. Er spinnt ein feines Netz aus Lügen und Intrigen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Nichts ist, wie es scheint. Wer kann wem trauen? Ist Emma Kent, Harolds Ehefrau (Joanne Hildon) wirklich das brave Heimchen am Herd, das jedem Gast freudig Tee und Kaffee serviert? Im Laufe der Handlung entpuppt sie sich zusehends als Intrigantin, die von der Affäre ihres Ehemanns seit langem wusste, ohne darüber zu reden. Stille Wasser sind tief. Auch der arrogante Harold (glänzend verkörpert von Johnny Magnanti) ist bei Weitem nicht so clever, wie er eingangs erscheint. Seiner Überlegenheit über den Rest der Welt allzu sicher, bemerkt er gar nicht, dass die von ihm Unterschätzten bereits ein Spinnennetz um ihn herum gewoben haben, aus dem er sich nicht befreien kann. Hochmut kommt vor dem Fall. Paul ( Richard Ings) ist seinem Kontrahenten Harold auf die Spur gekommen und führt ihn jetzt aufs Glatteis. Einer wie er lässt sich nicht einfach ausbooten, ohne mit gleicher Münze heimzuzahlen. Denn Merke: Rache ist süß und wird am besten kalt genossen. Bleibt noch die Doppelrolle des vermeintlichen Inspektors Egan, wunderbar schlitzohrig gespielt von Ciaran Lonsdale, der sich im Handumdrehen vom seriösen Krawattenträger aus dem Hause Scotland Yard in einen jungen Mann in Turnschuhen mit Baseballkappe verwandelt. Dieser Part erinnert lebhaft an Inspektor Columbo aus der legendären US-Serie gleichen Namens mit Peter Falk in der Hauptrolle.

Dieser 12. September bescherte den Zuschauern der Mundsburger Bühne einen fulminanten Theaterabend. Das war Spannung pur, gewürzt mit einer gehörigen Prise schwarzen Humors. Very British, indeed.

„Murder by Misadventure“ läuft bis einschließlich 9. November 2024

Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de

Nächste Premiere „Jeeves & Wooster in Perfect Nonsense“ von den Goodale Brothers, am 25. November 2024

Author: Uta Buhr

Ehrenpräsidentin Die Auswärtige Presse e.V., freie Journalistin, Reise, Wellness, Kultur (Theater, Ausstellungen)