Karl Kraus – Magier der Sprache

Kalligraphie: Ralf Plenz

Eine Annäherung an einen linguistischen Genius.

Dies vorab: Mein Dank geht an Ralf Plenz, den Herausgeber der Reihe „Perlen der Literatur,“ in welcher jüngst „Die Sprache, der Eros der Logik“, erschienen ist. Die hierin enthaltenen Aufsätze aus der im Jahre 1899 von Karl Kraus gegründeten satirischen Zeitschrift „Die Fackel“ sind ein intellektueller Hochgenuss, der seinesgleichen sucht.

Altes Werk in neuem Glanz

Wer dieses elegant gestaltete Buch aufschlägt, legt es so schnell nicht wieder aus der Hand. Allerdings muss der Leser starke Nerven besitzen und sich seiner sprachlichen Defizite bewusst sein. Denn der Scharfrichter Karl Kraus kennt keine Gnade mit grammatikalischen Fehlern oder – noch schlimmer – sprachlichen Schlampereien. Einer der erbittertsten Feinde heutiger deutscher Literaten – von den Zeitungsschreibern ganz zu schweigen – ist offenbar der Genitiv. Nur wenige scheinen ihn noch zu beherrschen. Und auch die korrekte Anwendung von Pronomen ist ins Hintertreffen geraten. Weilte Karl Kraus noch unter uns, würde er so manchem selbsternannten Linguisten eine gnadenlose Lehrstunde erteilen.

Mein ganz persönlicher Karl Kraus

Karl Kraus saß, um es salopp auszudrücken, in meiner Familie mit am Tisch. Mein Bruder und ich liebten seine geistreichen Essays und geschliffenen Wortspiele, die unseren Wortschatz bereicherten. „Was zutrifft, trifft“ und „Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben. Man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken“ waren unsere Lieblings-Aphorismen aus der Feder des Karl Kraus. Leuten, die ihn nicht mochten, schrieb er folgendes ins Stammbuch: „Manche wollen nur mit mir reden. Andere mir den Kopf einschlagen. Vor jenen schützt mich das Gesetz.“ Wer „seinen“ Karl Kraus kennt, kommt mit einer Sammlung geistreicher Zitate gut durch das Jahr.

Fast hätte ich mich – horribile dictu – als Kraus Fan „geoutet.“ Auf der Stelle nehme ich diese Wortwahl zurück. Denn Kraus hätte ein derartiges Kauderwelsch mit Sicherheit gegeißelt. Oder mit Verachtung gestraft.

König der Satire

Karl Kraus‘ Weg auf den Olymp der großen Geister der Weimarer Republik war nicht vorgezeichnet. Als Sohn eines jüdischen Fabrikanten im Böhmen der k&k-Monarchie kam er in seiner Jugend eher mit Bilanzen und Produktpaletten in Kontakt. Dies erschien dem Genius des geschliffenen Dialogs offenbar zu banal. Und so entschloss er sich stattdessen zum Studium der Germanistik und Philosophie. Allerdings ohne einen universitären Abschluss. Sein literarisches Oeuvre und zahlreiche Auftritte im Theater verhalfen ihm zu frühem Ruhm in den einschlägigen intellektuellen Zirkeln Wiens. Das Diktum „Viel Feind, viel Ehr‘“ war ihm auf den Leib geschrieben. Denn nicht jeder goutierte Kraus‘ beißenden Spott. Berühmte Zeitgenossen wie Sigmund Freud und Arthur Schnitzler, um nur zwei zu benennen, sollen Kraus gar nicht geschätzt haben. Sein Kollege Stefan Zweig bezeichnete ihn gar als den „Schriftsteller des giftigen Spotts.“ Ein unabhängiger Geist wie Kraus hat vermutlich nur mit der Schulter gezuckt und gesagt: „Ach geh. Warum seids ihr nur so empfindlich. Satire darf halt alles.“

„Die Fackel“ Über den Gebrauch der Sprache

Foto: Input-Verlag

Es versteht sich, dass ein Sprachpurist wie Karl Kraus mit den meisten seinerzeit populären Presseprodukten nichts anfangen konnte. Wohl deshalb gründete er im Jahr 1899 „Die Fackel“, seine eigene satirische Zeitschrift, die sich vehement gegen die Verwahrlosung der deutschen Sprache positionierte. Die hierin enthaltenen Beiträge wurden in den intellektuellen Kreisen jener Epoche mit großem Interesse gelesen und kontrovers diskutiert. Um eine Vielfalt der Beiträge zu garantieren, lud Kraus zahlreiche namhafte Autoren ein, Gastbeiträge in der „Fackel“ zu veröffentlichen. Dazu gehörten unter anderen Detlev von Liliencron, Peter Altenberg, Egon Friedell und Else Lasker-Schüler.

Springen wir mitten hinein in das Opus Magnum des Karl Kraus, das seine sprachliche Meisterschaft in all ihren Facetten ausleuchtet.

Lieber Leser, lassen Sie jedes Kapitel des Buches auf sich wirken und stellen Sie fest, wie auch Sie als aus Ihrer eigenen Sicht der deutschen Sprache Mächtiger in Ihren Formulierungen nur allzu oft daneben liegen. Greifen wir nur das winzige Wörtchen „bis“ heraus, das laut Kraus kaum ein Österreicher jemals richtig einsetzt. Wer die Abhandlung gelesen hat, wird feststellen, dass auch wir Deutschen hier nicht besser abschneiden als unsere Nachbarn. Denn der Winzling „bis“ bezeichnet nicht den Weg, sondern das Ziel. Kraus erklärt dies ebenso wortreich wie logisch. Mit „nur noch“ und „nur mehr“ sieht es ähnlich aus. Wer beide Kapitel sorgsam gelesen und verinnerlicht hat, wird hoffentlich in Zukunft ein ebenso druckreifes Deutsch sprechen und schreiben wie der Verfasser. Zugegeben, das Studium der einzelnen Kapitel erfordert höchste Konzentration, denn hier zählt jedes Wort, ja sogar jeder Beistrich – vulgo Komma – dem Kraus viele Worte widmete.

Finde den oder die Fehler!

Wer sich durch den ambitionierten Sprachkurs des Karl Kraus durcharbeitet, erkennt schnell, dass er nichts von Haupt- aber noch weniger von Relativsätzen versteht. Asche auf unser Haupt. Hier eine Kostprobe: „Der schlechteste Sprachlehrer, den ich gekannt habe.“ Falscher geht’s nimmer. Denn Kraus korrigiert diesen einfachen Satz stante pede: „Das ist nicht der schlechteste Sprachlehrer überhaupt, sondern der schlechteste von denen, die ich gekannt habe.“ Noch Fragen?

Kein Zweifel, Kraus kann jeden, der meint, die deutsche Sprache zu beherrschen, zur Verzweiflung bringen. Denn, egal wie sorgsam er seine Worte wählt, irgendein Haar findet der Mann immer in der Suppe. Sei es nun die Syntax, ein falsch gesetztes Zeichen oder ein Casus. Nahezu brutal verfährt er mit der Journaille im Kapitel „Die Neue Freie Presse erteilt Sprachlehre“ aus dem Jahr 1929. Da werden die Schreiberlinge geradezu standrechtlich hingerichtet, denn so argumentiert Kraus unerbittlich: „Es ist nicht notwendig, dass der deutschen Sprache zu dem Schaden, den sie durch die Journalistik erleidet, noch deren Spott zugefügt wird.“ Selbst vor Ikonen deutscher Formulierkunst wie Friedrich Nietzsche und Dichterfürst Goethe macht Kraus nicht halt. Während er bei ersterem einen falsch gesetzten „Beistrich“ moniert, wird Johann-Wolfgang wegen eines Adjektivs gerügt.

Und so wird in diesem Werk jeder sprachliche Lapsus unter die Lupe genommen und vom Autor genüsslich seziert. Häme ist derweil nicht angebracht, sondern die Einsicht, dass auch der Gebildete nie auslernt.

Ein streitbarer Geist

Kraus hat es seinen Zeitgenossen nicht leicht gemacht. Viele haben ihn dennoch wegen seiner sprachlichen Virtuosität und politischen Hellsichtigkeit verehrt, andere ihn heißen Herzens gehasst. Dass er Stefan Zweig, einen der populärsten Schriftsteller seiner Zeit, abfällig einen „Schmuser“ nannte, wird dieser ihm kaum verziehen haben. Da aber nur wenige Weggenossen des großen Karl ohne verbale Blessuren davongekommen sind, ist dies nur eine Randnotiz. Keine Randnotiz hingegen ist Kraus‘ lapidare Bemerkung über den „Führer“, der in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts das politische Parkett Europas betrat: „Zu Hitler fällt mir nichts ein.“ Unverständlich, dass ein kritischer Geist wie er zu diesem Schluss kommen konnte. Vielleicht war ihm „Mein Kampf“ in die Hände gefallen, und nicht nur Hitlers abstruse Ideen, sondern auch der grottenschlechte Stil des Machwerks hatten dem Sprachästheten Kraus schlicht die Sprache verschlagen. Das wäre die einzige plausible Erklärung.

Fazit: Dieses Werk ist jedem empfohlen, dem der korrekte Umgang mit der deutschen Sprache am Herzen liegt. Der Sprachwitz sowie die
Wortklaubereien eines Karl Kraus sind dazu angetan, dieses amüsante „Libretto“ (Büchlein) zu einem ständigen Begleiter zu machen. Viel Spaß bei der Lektüre.

Epilog: Viele unserer heutigen selbsternannten Satiriker müssten angesichts ihrer flachen Witzchen und primitiven Diktion vor Scham im Boden versinken. Sie wissen nicht, dass Satire mit der feinen Klinge des Floretts ausgefochten wird und nicht mit der Brechstange. Es ist sicherlich müßig, diesen vulgären Sprachpantschern Karl Kraus‘ Meisterwerk zu empfehlen. Sie würden es wohl kaum verstehen. Im Volksmund nennt man dies „Perlen vor die Säue werfen.“ Diese Perle aus dem Input-Verlag hat in der Tat etwas Besseres verdient.

 

Karl Kraus: „Die Sprache – Der Eros der Logik“, 192 Seiten, erschienen im Input-Verlag, ISBN 978-3-941905-62-7 zum Preis von 20 Euro

Chicago – viel mehr als Al Capone

Navy Pier. Foto: Choose Chicago.

Auch nach den Präsidentschaftswahlen bleibt Amerika als Reiseziel spannend. Mehr als andere Metropolen ist die US-Stadt am Michigansee aus dem Stand-by-Modus zu inspirierendem Leben erwacht. Frank Sinatra hat New York, Los Angeles und San Francisco besungen. „New York, New York”, „L.A. is my kind of Town “ und “I left my heart in San Francisco” verkauften sich millionenfach und haben nebenbei tüchtig für die Großstädte geworben. Miami, Dallas, Denver haben die Fernsehserien weltweit bekannt gemacht. New Orleans lockt mit Jazz und französischem Erbe, Las Vegas mit Spielcasinos und Showstars. Und was ist mit Chicago? Ja, Chicago ist auch bekannt für ihre Blues-, Jazz- und House Music, die man in vielen Clubs und Bars live erleben kann. Aber wer hat die Stadt am südwestlichen Ufer des Michigansees besungen?

Musik, Kultur und Architektur

One Illinois Tower. Foto: Choose Chicago.

Viel mehr als der Reggae-Hit über den berühmten Chicago Gangster „Al Capone“ aus der Ära der 60er Jahre, der vor den Präsidentschaftswahlen, in Anspielung auf Donald Trump als Satire in angesagten Comedy Clubs ein Revival erlebt, fallen einem da nicht ein? Dabei ist Chicago im Nordosten von Illinois die drittgrößte Stadt der USA. Mit seinen 2,7 Millionen Einwohnern braucht sich die City am Michigan See keineswegs hinter den bekannten Metropolen der Vereinigten Staaten zu verstecken. Seine Zentren für Finanz-, Handel, Industrie, Bildung und Technologie sind bedeutend und können durchaus mit New York mithalten. Chicago hat auch eine reiche kulturelle Szene, mit renommierten Institutionen wie dem Art Institute of Chicago, dem Museum of Science and Industry und dem Field Museum.
Was erwartet den Touristen, der zum ersten Mal nach Chicago reist? Vor allem gilt Chicago als Hauptstadt der Architektur. Es ist die Stadt der Wolkenkratzer. Sie sind weltberühmt und spiegeln die Geschichte und den Geist der Stadt wider. Das 1885 fertiggestellte Home Insurance Building wird oft als die Geburtsstätte der Wolkenkratzer bezeichnet, es gilt als der erste Skyscraper der Welt. Obwohl es nicht mehr steht, hat es einen bleibenden Einfluss auf die Entwicklung der Hochhausarchitektur gehabt. Zu den heutigen Highlights der imponierenden Skyline zählt der ikonische Willis Tower und das John Hancock Center sowie der Vista Tower mit seiner wellenförmigen Struktur und einer Höhe von 363 Metern. Klassiker wie das Chicago-Tribune-Building mit seiner „Woolworth Gotik“ oder das IBM-Building sind ein Muss für jeden Besucher. Viele Größen, von Frank Lloyd Wright über deutsche Flüchtlinge, wie dem ehemaligen Bauhaus-Architekten Mies van der Rohe bis zum ausgewanderten Nürnberger Helmut Jahn, haben in Chicago ihre dauerhaften Spuren hinterlassen. Heute ist die Architektur Chicagos eine Mischung aus historischen und modernen Gebäuden, die die Skyline prägen. Architekturführungen, insbesondere die Flusskreuzfahrten, bieten Einblicke in die Entwicklung der Stadt und die Geschichten hinter den berühmten Gebäuden.

Natur und Freizeit am Lake Michigan

Die Metropole Chicago präsentiert sich nicht nur in von Menschen geschaffener Schönheit. Die Lage am Lake Michigan bietet alles, was zu einer idyllischen Küstenstadt mit Wassersport aller Art dazugehört: Strände zum Relaxen und Schwimmen im glasklaren See, dazu jede Menge Motor-und Segelboote. Ein Besuch des berühmten Navy Pier oder eine Bootstour auf dem Chicago River zählen zu den Highlights. Der Millennium Park mit der berühmten „Cloud Gate“ Skulptur lädt zum Relaxen, die drumherum liegende lebendige Restaurant-Szene macht Appetit auf kulinarische Leckerbissen von der berühmten Chicago-Style Pizza bis hin zu köstlichen Rooftop-Gourmetmenüs. Das Nachtleben in Chicago spiegelt die Diversität und Energie der Stadt wider und bietet für jeden etwas: Theater, Comedy-Clubs, Shows, ruhige Bars zum Entspannen oder wilde Nightclubs zum Abhängen bis in die frühen Morgenstunden.

Ein neues Hotel-Highlight: RIU Plaza Chicago

Die Aussichtsplattform von unten – Riu Plaza Chicago.

Wer jetzt einen Amerika-Urlaub plant, sollte in dem schönsten architektonischen Neuzugang der Internationalen RIU Hotels & Resorts in Chicago logieren: Für amerikanische Verhältnisse ist das RIU Plaza Chicago preiswert (DZ ab 133 Euro über booking.com). Der spanische Ferienanbieter aus Mallorca ist vor allem bei deutschen Urlaubern beliebt durch seinen exzellenten Service und die erstklassige Gourmetküche. Gegenwärtig steht das familiengeführte Unternehmen auf dem 32. Rang der „best Hotels oft the World“ – 96 Ferienhotels & Resorts in 20 Ländern gehören dazu. Allein auf eine „cup of coffee“ in der Lobby lohnt der Besuch im RIU Plaza Chicago – die imposante Wandgestaltung aus Marmor, Holz und Fries im art déco Stil ist sehenswert. Das Highlight des Hauses befindet sich im 27. Stock. In der „The Rooftop“-Bar genießt man neben Cocktails und exquisiten Speisen einen atemberaubenden Panoramablick auf die Skyline von Chicago. Das stylische Vier-Sterne-Hotel mit 390 Zimmern liegt verkehrsgünstig inmitten der „Magnificent Mile“, dem Shopping-Stadtzentrum von Chicago. Der Standort in der Ontario Street Nr. 150 ist für Urlauber eine Toplage – die Anbindung an die öffentlichen Verkehrssysteme zur Besichtigung aller Sehenswürdigkeiten ist erstklassig.
Weitere Informationen: www.riu.com/official-site

 

 

Altonaer Museum: Deutschland um 1980 – Fotografien aus einem fernen Land

Werbekampagne für Lee Cooper Jeans um 1982. Foto: Ingolf Thiel.

Die gerade eröffnete Ausstellung im Altonaer Museum in Hamburg zeigt Fotografien, die zwischen 1975 und 1985 ‚hüben und drüben‘ im geteilten Deutschland entstanden sind. Einige auch hier in Hamburg. Es sind fotografische Dokumente, die vielen Besuchern sehr vertraut vorkommen werden, die zeitlich gesehen dennoch weit weg und fast wie aus einer anderen Welt zu sein scheinen.

Doch halt! Ist das, was wir da sehen, wirklich so weit entfernt? Entdecken wir da nicht Menschen auf Bäumen bei dem Versuch, das Roden eines Waldes zu verhindern, so wie wir es auch heute von Berichten aus dem Hambacher Forst kennen? Damals ging es um AKWs, heute darum, RWE daran zu hindern, noch mehr Wald und Land für den Kohleabbau zu vereinnahmen. Wir finden auch Bilder von rechtsextremen Horden in aufgeheizter Stimmung, massive Polizeieinsätze bei Demonstrationen und – hatten wir das bereits vergessen? – offene Ablehnung gegenüber Migranten. Schon damals wurden Viele von der Angst umgetrieben, die ‚Fremden‘ könnten ihnen etwas wegnehmen von dem sie glaubten, dass es nur ihnen zustehe: Arbeit, Geld, Wohnraum.

Chaostage, Hannover 1984. Foto: Martin Langer.

Ursprünglich als dringend benötigte Arbeitskräfte ins Land geholt, steigerte sich sukzessive der Fremdenhass gegenüber den sogenannten Gastarbeitern. Es kam zunehmend zu tätlichen Angriffen bis hin zum Mord. Integration: schwierig. Das Fremdsein thematisierte die türkische Lyrikerin Semra Ertan, die 1971 ihren Eltern nach Deutschland folgte, in ihren Gedichten. Mein Name ist Ausländer / Benim adım yabancı, stammt aus 1981. Mehr über sie, ihre Gedichte und ihre Selbstverbrennung 1982 aus Protest, erfährt man in der Ausstellung.

DEUTSCHLAND UM 1980 – Fotografien aus einem fernen Land zeigt Bilder zehn deutscher Fotografen und deren sehr unterschiedliche Blickwinkel auf die 80iger. Die Ausstellung erinnert nicht nur an die politische Seite dieser Epoche. Vielmehr ist sie ein ausgewogenes und sehr sehenswertes Nebeneinander von Ernst und Schmunzeln. Viele werden sich an Frisuren und Mode dieser Zeit erinnern und an die ersten Pilates Videos mit hautengen Glanztrikots und Stirnband. Die Punks erschienen auf der Bildfläche, hier wie auch in der DDR und die Neue Deutsche Welle eroberte sich einen Platz in der Musikwelt der Jugend. Feminismus und der Beginn homosexueller Emanzipation nahmen zunehmend Raum ein.

Gleich zu Beginn des Rundgangs wird man von einem sehr farbenfrohen Medley aus Werbespots, Haushaltstipps und Musikclips empfangen. Serien à la ‚Denver-Clan‘ oder Samstagabend-Shows wie ‚Wetten, dass…?‘ wurden die neuen Renner in der damals noch überschaubaren Menge der Fernsehsender. Und wie war das noch mit den Menschenmengen vor den Kaufhaustüren kurz vor dem Sturm auf die Grabbeltische beim Schlussverkauf? Der erste Macintosh-Computer, noch riesengroß und raumgreifend, kam auf den Markt und mit ihm die Bildung zweier Lager, die bis heute bestehen: Apple-User versus Windows-Nutzer.

Und natürlich fehlt in der Riege der Bilder auch nicht der berühmte ‚Bruderkuss‘ zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker, den die Fotografin Barbara Klemm am 7. Oktober 1979 anlässlich des 30. Jahrestages der DDR ablichtete. Ein Foto, das um die Welt ging.
Auch Teil der Ausstellung ist die Variante der künstlerisch performativen Fotografie als Teil der künstlerischen Avantgarde, wie die Bilder von Ingolf Thiel.

Kemal-Altun-Platz, Hamburg 1982. Foto: Asmus Henkel.

Die Ausstellung wurde konzipiert in Kooperation des LVR-Landesmuseums Bonn mit der Deutschen Fotothek Dresden und der Stiftung F.C. Gundlach Hamburg und 2022 in Bonn erstmals öffentlich präsentiert. Auf ihrer Reise ist sie nun in Hamburg angekommen, im Gepäck zehn sehr individuelle fotografische Positionen, darunter auch die dreier Hamburger Fotografen, die Kurator Fabian Ludovico in die Ausstellung integriert hat: Christian von Alversleben, Wilfried Bauer und Asmus Henkel. Weiterhin die Arbeiten von Angela Neuke, Barbara Klemm, Martin Langer, Ingolf Thiel, Mahmoud Dabdoub, Gerd Danigel, Hans-Martin Küsters. Die fotografische Vielfalt wird ergänzt durch Fernsehbilder und Filme um 1980, von Toneinspielungen und Objekten.

Das Altonaer Museum zeigt die Ausstellung bis zum 03.03.2025.
Museumsstraße 23
22765 Hamburg

Montag, Mittwoch – Freitag: 10 -17 Uhr
Samstag, Sonntag: 10-19 Uhr
Dienstags geschlossen

Wann ist Draußen Drinnen? Oder: Eine fürsorgliche Belagerung. Neun Haiku von Tomas Tranströmer 1959

In jeder Rezension dieser neun Haiku aus dem Gefängnis (aus: Tomas Tranströmer, „Das große Rätsel“, Carl Hanser Verlag, Münschen, 2005) ist es wichtig, zwei externe Betrachtungsweisen auf ein Leben in einer zweckgemäß verschlossenen Anstalt – in diesem spezifischen Falle im Jugendgefängnis Hällby, Schweden – zu beachten:
erstens, die des Bericht erstattenden personalen Erzählers;
zweitens, die sich entwickelnde Betrachtungsweise der Lesenden, insofern sie sich mit der Anstaltsroutine und den dortigen Vorkommnissen beschäftigen, wobei sie möglicherweise die unausgesprochenen Voraussetzungen von Freiheit in der Gesellschaft und wer diese genießt, infrage zu stellen beginnen.Den Lesenden fällt es vielleicht allmählich auf, in welchem Grad diese Freiheiten in Wirklichkeit von angewöhnter Einwilligung in den Status quo abhängig sind.

Acht der neun Haiku beschreiben Vorkommnisse im Gefängnis und deren Folgen: ein Fußball, über die Gefängnismauer getreten, bereitet „plötzliche Verwirrung“, d.h. wird zu einem unlösbaren Problem für die „Insassen“, die keine Möglichkeit haben, den Fußball zurückzuholen. Etwas, das „draußen“ selbstverständlich wäre. Spiel und Spaß vorbei!

Inwiefern die Lesenden ein Gefühl des Unbehagens beim Lesen verspüren, wird davon abhängen, ob sie sich im Voraus bewusst waren oder mittlerweile gemerkt haben, ob oder in welchem Grad ihr eigener Status und ihr Selbstbewusstsein in Akzeptanz von eben diesem Status quo eingebettet sind.

Eine zweite Befassung mit den Haiku belohnt – oder bestraft – die Lesenden mit Stoff zum Nachdenken über die Definition von habeus corpus. In allen neun Haiku wird die Annahme, dass Freiheit nichts anderes bedeute als Bewegungsfreiheit, durch den Ton des personalen Erzählers als falsch angedeutet. Anfänglich mögen sich die Lesenden wohl im Gegensatz zu den „Insassen“ als frei, unschuldig und daher per se diesen überlegen empfinden. Die Gefängnismauer ist ausschließlich für die „Insassen“ die erste und letzte Barriere gegen körperliche Freiheit.

Beim im zweiten Haiku vorkommenden Aktivismus – „Sie toben …/um die Zeit in rascheren/Trab zu scheuchen“- könnte es sich um den Verlust der Entscheidungsfreiheit der „Insassen“ darüber, wie sie ihre Zeit zwischen Pflicht und Erholung strukturieren, handeln. Doch könnte es nicht auch die Oberflächlichkeit und Leere der Anstrengung, nur Materielles zu erwerben, als Selbstzweck symbolisieren? Im Gegensatz zu Paulus’ Aussage 1 Kor. 13, 1 „ … hätte (ich) aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.“ (Bibelserver EU Einheitsübersetzung 2016)

Was beschwören die „Tätowierungen“ und „Falsch buchstabierte Leben“ des dritten Haiku? Versinnbildlichen sie individuellen Protest gegen die Armseligkeit der Gesellschaft und den oft unverschuldeten sozial unzulänglichen Hintergrund der „Insassen“? Waren Bildung, soziale Korrekturmaßnahmen hier nicht die eigentlichen Versager? Tätowierungen können allerdings zweierlei demonstrieren: entweder Aussteigerprotest, Mitgliedschaft einer (manchmal kriminellen) Gruppe, – oder, wie bei manchen indigenen Völkern, soziales und kulturelles Ansehen. Wie sehen die „Tätowierungen“ der Lesenden aus und wie „buchstabieren“ sie ihr Leben?
Gefängnis ist oft ein künstliches, steriles und manisches Umfeld, sodass „der Ausreißer“ in Haiku vier, unter Zwangsentzug von der Natur leidend, einen zum Scheitern verdammten Ausbruch versucht hat. Sein paranoides Sammeln von „Pfifferlingen“ ist Überkompensation, typisch für Menschen, denen das, was für deren psychisches Gleichgewicht und Wohlergehen unentbehrlich ist, vorenthalten wird.
Vielleicht spiegelt die Zwangslage des „Ausreißers“ den Verlust an moralischem Gleichgewicht in der Gesellschaft, das Ergebnis der Zwangsaneignung von einem unerbittlichen Erwerbs- und Erfolgsdrang wider, der uns der natürlichen und ethischen Instinkte beraubt, uns sogar in die Regeln der Plünderung für die Jagd nach Staus einweiht. Wir können nur auch zu „Ausreißern“ werden, wenn wir unreflektierte, giftige Gier, der so viele Kulturen als Erfolg applaudieren, bewusst ablehnen und es uns klar wird, dass unser „Gefängniswärter“ uns innewohnt. Das heißt Treue zu einem System, das unsere menschliche Natur wiederholt degradiert und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Wieder spiegelt das sterile Umfeld der „Insassen“ drinnen die menschliche „Freiheit“ draußen.

Haiku fünf, sieben und acht versinnbildlichen den Mechanismus der Internierung: Werkstätten, Wachttürme, Lampen an der Gefängnismauer vereiteln die Natur. Nacht wird für die „Insassen“ künstlich zum Tag gemacht. Jedoch weckt die personale Erzählerperspektive auch vielleicht die Erkenntnis, dass „die Welt da draußen“ oft zu wenig Zeit für ungestörte Ruhe und Reflexion übrig lässt, sondern immer gegenwärtig ist und die Psyche beschäftigt. Aufdringlich selbst im unbewussten Zustand des Schlafs.

In Haiku neun ist Internierung: „eine Mutter aus Stein“, die gegen Unabhängigkeit und die Einwilligung in eine Art „fürsorgliche Belagerung“ (Dank an Heinrich Böll) bietet. Hat das nicht eine Besorgnis erregende Ähnlichkeit mit Tendenzen in modernen Demokratien?
Ein einziges Mal, in Haiku sechs, bedient sich der Erzähler des „Wir“. Die „Insassen“ und andere stehen auf dem „Anstaltshof“ und die Jahreszeit ist neu, doch nicht anders! Den Lesenden ist bis hierhin vielleicht der Gedanke gekommen, dass der Sinn und Zweck eines Gefängnisses auch darin besteht, den „Unschuldigen“ den Zugang zu den „Schuldigen“ zu verwehren. Die meisten „Unschuldigen“ auf der Welt wollen sich nicht von ihrer „Freiheit“ befreien! Sich von der Freiheit befreien? Unkritische Akzeptanz von nicht zu bändigendem Materialismus und „Wachstum“, religiösen und politischen Ideologien und institutionalisierten Ungerechtigkeiten bildet die oft unsichtbaren „Backsteine“ der Gefängnismauer. Und was ich nicht sehe bzw. nicht weiß, macht mich bekanntlich nicht heiß. Es ist oft vorteilhafter, selber „ein zusätzlicher Backstein in der Mauer“ (Dank an Pink Floyd) zu werden als aus diesem „fürsorglichen“ Gefängnis auszureißen.

Zur Person:
Der schwedische Lyriker Tomas Gösta Tranströmer wurde am 15. April 1931 in Stockholm geboren und starb dort am 26. März 2015. Im Jahr 2011 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Sein Gesamtwerk, das zwölf Gedichtbände umfasst, wurde in über 50 Sprachen übersetzt.

Selbstverbesserung oder Wie ein Bücherstapel zwischen zwei Buchdeckel passt

Meisterplan-Panda Huan

Mit seinem neu erschienenen Buch „Der Meisterplan“ hat der Unternehmer, Coach, Sportler und Autor Boris Simon einen Navigator durch fernöstliche Weisheiten vorgelegt und sie mit westlichem Denken und Handeln in Beziehung gesetzt. Boris Simon möchte Menschen zu einem besseren Leben verhelfen, indem er ihnen viele kleine Bausteine verständlich und nachvollziehbar vorstellt, mit denen sich durch kleine Veränderungen spürbare Gewinne an Lebensqualität erzielen lassen. Die Leser erwartet in 17 Kapiteln eine komprimierte, eingängige und anregende Zusammenfassung diverser Themen, deren einzelne, tiefergehende Erschließung ihnen selbst überlassen bleibt.

Auf der Suche nach dem eigenen Weg, der für jeden Menschen individuell ist, bietet Boris Simons Progatonist Meister Taigen allerlei kurze Parabeln an. An der Seite der jungen Schüler des Meisters lauscht die Leserin mit und erhält anschließend eine sachlich-kurze Zusammenfassung mit Impulsen zum Ausprobieren. Da geht es um Karate und die dahinterstehenden Werte, um Lebensführung mit Zielen und Leichtigkeit, Gesundheit, Bewegung, Morgenroutine, die Kraft des inneren Dialogs, um emotionale Selbstregulierung, die Kunst des Schweigens und die Kunst, jeden Tag Sinn und Freude zu finden, in Japan Ikigai genannt, um nur einige Inhalte zu erwähnen. Dabei schwingt der Autor nicht die Keule der Selbstoptimierung und instrumentalisiert die positive Psychologie nicht zur garantierten Erfolgsformel für alles und jeden, sondern er stellt ein Thema und eine Möglichkeit vor, bietet etwas an, ohne dem Leser die Entscheidung aufzunötigen, ob dieser sich denn mit ebenjenem Ansatz befassen möchte oder nicht.

Dabei schafft Boris Simon es, dass man im schnellen Durchlesen des knapp gefassten Buchs gleichzeitig in immer tieferes und langsameres Reflektieren versinkt. Denn das nimmt der Verfasser der Leserin glücklicherweise nicht ab. So wird das Buch erst lebendig, wenn man für sich etwas daraus herleiten und es zu seinem eigenen Arbeitsbuch machen kann.

Wenn du viel wissen willst, lies langsam

Meisterplan-Meister Taigen

Fast möchte ich empfehlen, nur ein Kapitel pro Woche zu lesen, damit genug Zeit für die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema bleibt. Ich habe zu einigen Begriffen recherchiert, zu anderen Tagebuch geschrieben oder einfach eine Weile nachgedacht. Für diese Rezension habe ich es recht schnell zweimal hintereinander gelesen und mich dabei fast selbst überholt, weil ich in meinen Reflexionen nicht nachkam. Andererseits ist das Gute am schnellen Durchlesen, dass „Der Meisterplan“ mir nun als Navigator und komprimiertes Nachschlagewerk dienen kann und ich weiß, wo ich welche Themen finde. Wenn ich dieses Buch als junge Frau schon gehabt hätte, wäre ich in einigen Lebensphasen schneller gewesen und hätte es leichter gehabt – insofern geht die Leseempfehlung auf jeden Fall an Personen in jungen Jahren. Aber auch, wenn man schon ein Dutzend beratender Bücher von Dale Carnegie über Melody Beattie bis Alexandra Bischoff gelesen hat, holt „Der Meisterplan“ diese Erkenntnisse aus den Tiefen der Erinnerungen wieder hervor.

Ein kleiner Wermutstropfen war für mich die Begeisterung des Autors für die japanische Sprache, mit der immer wieder japanische Schriftzeichen aufgeführt wurden – im Verhältnis zum Gesamtumfang des Buches für meinen Geschmack etwas zu viel, wenn man nicht nebenbei die japanische Schriftsprache erlernen möchte; auch, weil die Informationen ohnehin schon sehr verdichtet sind. Mir hätte ein Glossar am Ende des Buchs besser gefallen. Dort wäre auch ein Register angenehm, um im Text Stichworte schneller wiederzufinden.

Kleine Schritte führen auch zum Ziel

Insgesamt zeigt das Buch, dass man keine tiefgreifenden 180-Grad-Wendungen vollführen muss, um sich in seinem eigenen Leben wohler zu fühlen, sondern im Gegenteil sogar eher mit kleinen, langsamen Schritten nachhaltig zu einer besseren Lebensqualität kommen kann. Auf dem Nachttisch oder am Frühstücksplatz deponiert, bietet es eine kleine tägliche Sequenz, die schnell gelesen ist, aber für eine ganze Weile still bewegt werden kann.

Ergänzend zum Buch „Der Meisterplan“ ist nun der gleichnamige Aufsteller mit dem Panda Huan und Meister Taigen erschienen. Darin finden sich „Wegweiser“ mit dazugehörigen „Aufgaben“, um sich in kleinen Übungen den einzelnen Themen zu widmen, die man wiederum im Buch findet.

Auf den ersten Blick mag einiges vielleicht zu stark verkürzt oder simplifiziert wirken; der Autor möchte aber, wie er in einem Gespräch mit der Rezensentin betonte, dazu anregen, sich weiter mit den Themen zu beschäftigen, die einen bei der Lektüre besonders ansprechen. Boris Simon hat nicht den Anspruch, in seinen Veröffentlichungen die gesamte Welt der Weisheit darzustellen, denn darüber findet sich eine Fülle von Medien. Seinem Anspruch, die für ihn prägenden und wichtigen Thesen und Themen komprimiert, verständlich und motivierend zusammenzufassen, ist er gerecht geworden. Dieses Buch eignet sich auch für Personen, die einen ersten Einblick in fernöstliche Weisheiten bekommen möchten.

Mehr über den Autor: Boris Simon

Mehr über den Meisterplan: Der Meisterplan

 

Neuerscheinung: „ChilehausStory: 100 Jahre einer Hamburger Legende

S 272 Eingang Portal C mit Schiffskeramik ©Foto_Michael Batz

Von Hartmut Höhne (Gastautor)  und Maren Schönfeld

Seit es 2015 zum UNESCO-Welterbe erklärt wurde, ist das „Herzstück des Kontorhausviertels“[i] immer wieder Gegenstand neuer Publikationen, sei es in Form von Artikeln oder Büchern. Die außergewöhnliche Bauweise fasziniert Hamburger und Touristen gleichermaßen. Ein Hauch vergangener Zeiten weht einen beim Betreten eines der alten Treppenhäuser an. Das „Manufactum“-Geschäft hat hier einen adäquaten Standort. Ein umtriebiger Geschäftsmann hatte allerdings bereits 1920 hier sein „Bandagen und Gummiwaren“-Geschäft: Iwan Budnikowski.

Vor 100 Jahren wurde das Chilehaus seiner Bestimmung als Kontorhaus-Domizil der Hamburger Kaufmannschaft übergeben. Am 1. April 1924 bezogen die ersten Firmenmieter ihre Büros. Noch heute lässt sich in den Foyers der Aufgänge an dekorativ gestalteten keramikgerahmten Adresstafeln ablesen, welche Unternehmen hier einst ansässig waren. Architektonisch ist das Chilehaus sicher das markanteste Beispiel für den norddeutschen Backsteinexpressionismus. Durch seine bloßen Abmessungen und die beeindruckende Formensprache galt das Gebäude überdies als Symbol des Aufbauwillens nach dem Krieg, entstanden mitten zur Zeit der übelsten Inflation.

S 134 Iwan Budnikowsky 1920er Jahre ©Iwan Budnikowsky GmbH & Co. KG

Pünktlich zum Jubiläum erschien Michael Batz´ imposantes Buch „ChilehausStory 100 Jahre einer Hamburger Legende“, welches er am 1. Juni im Hamburger Hafenmuseum einer interessierten Öffentlichkeit vorgestellt hat.

Während die Literatur zur Baugeschichte des Gebäudes Bibliotheken füllt, schließt der vorliegende Band eine Lücke: Es geht primär um die Nutzungsgeschichte des Kontorhauses, also um Geschichten rund um die einst dort ansässigen Firmen und um die Menschen, die für sie arbeiteten. Der Autor erzählte unter anderem über die Schwierigkeiten bei der Firmenrecherche, da Archivmaterial, etwa Fotos, mitunter kaum mehr vorhanden ist.

Gert Kählers kenntnisreicher architekturhistorischer Beitrag zum zeitgeschichtlichen Hintergrund sorgen für die Einordnung dieser Geschichte(n) in eine Chronologie der Ereignisse bis in unsere heutigen Tage hinein.

So erfahren Leserinnen und Leser nicht nur, wie der betagte Bauherr Henry Brarens Sloman – er war zum Zeitpunkt des Baubeginns am 14. Mai 1922 bereits 73 Jahre alt – zu dem Grundstück in der südlichen Altstadt gekommen war, sondern auch zu seinem Reichtum. Im Jahr zuvor hatte er das zweigeteilte Grundstück für 1.922.000 RM erworben. Er galt als reichster Bürger der Stadt, sein Vermögen hatte er inflationssicher im Ausland angelegt.

Mit dem Abbau von Salpeter in der chilenischen Atacama-Wüste hatte er ein Riesenvermögen gemacht. Die Schnellsegler der Reederei Laeisz, auch als „Flying P-Liner“ bekannt, transportierten das als Grundstoff sowohl für Düngemittel als auch für Sprengstoffe benötigte Kaliumnitrat in gefährlicher Fahrt um Kap Hoorn nach Hamburg. Hier befand sich der größte Importhafen für Salpeter. Im Hafenmuseum lässt sich mit der „Peking“ eine der legendären und eindrucksvollen Viermastbarken bewundern.

Um die Arbeiterschaft in der trocken-heißen und lebensfeindlichen Wüstenregion mit ihren Hochplateaus, den Pampas, an sich zu binden, führte Sloman eine eigene Währung ein. Die „Fichas“, es waren Bezugsmarken aus Hartgummi, konnten nur in den betriebseigenen Konsumstätten eingelöst werden, die sämtliche Waren importieren mussten, und die zu stark überteuerten Preisen angeboten wurden. Kam es zu Streiks, wurden diese durch chilenisches Militär niedergeschlagen.

Salpeterkönig und Klinkerfürst

Zurück zum Chilehaus, das seine Benennung der Referenz an das Land verdankte, das dem Bauherrn zu seinem Reichtum und zu seinem Beinamen „Salpeterkönig“ verholfen hatte.

Architekt Fritz Höger, der es mehr und mehr vorzog, sich als Baumeister zu bezeichnen, wurde mit diesem stilprägenden Gebäude weithin bekannt, berühmt, gerühmt und gefeiert. Hauptsächlich mit dem Chilehaus wurde sein Name verbunden. Es war Högers Opus magnum. Wegen seiner Formensprache nannte man ihn scherzhaft „Klinkerfürst“.

S 072 Ikonenfoto Spitze 1924©Foto_Gebr Dransfeld Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

Es schien, als wäre dieses „Schiff aus Stein“ aus Superlativen errichtet worden. Ein paar Daten verdeutlichen es:

Zwischen dem Baubeginn im Mai 1922 und dem Einzug der ersten Mieter im April 1924 lagen keine zwei Jahre

Die beiden Grundstücke hatten eine Fläche von knapp 6.000 qm², die nutzbare Fläche lag bei 30.000 qm², verteilt auf 10 Stockwerke. Bei den oberen Stockwerken handelt es sich um Staffelgeschosse. Eines der ersten Hochhäuser in Deutschland.

750 Güterwagen Zement, 30.000 cbm Kies, 1.600 t Rundeisen, 900.000 Stück Deckenhohlsteine, 18.000 lfd. Meter Rammpfähle, 4,8 Millionen Backsteine, Bockhorner Klinker, Ausschussware und 2.900 Fenster wurden verbaut.

Dass das Chilehaus auch ganz anders hätte aussehen können, belegen Entwurfspläne, Skizzen und Zeichnungen, die der Umsicht des Hausmeisters Werner Rose zu verdanken sind, der den historischen Wert der jahrelang unbeachteten Rollen und Pappen erkannte und diese vor der Entsorgung bewahrte. „Neben Högers konzeptionellen Etappen ist auch der Wettbewerbsbeitrag des Architekturbüros Puls und Richter, Hamburg, im Konvolut enthalten, ebenso wie Zeichnungen des Malers und Illustrators Hermann de Bruycker, deren Ausführung als Bauschmuck nicht realisiert wurde“, berichtet Michael Batz. Offenbar sind die visuellen Vorlagen der Fassadenpläne und Grundrisse noch unbekannt und könnten nun architekturhistorisch ausgewertet werden.

Ein gutes Stück Hamburg-Literatur

S 268 Treppenhaus Portal C 2024©Foto_Heinz-Joachum Hettchen

Michael Batz´ „ChilehausStory“ bereichert die Hamburg-Literatur mit einem konzeptionell gut durchdachten, aufwendig und sorgfältig recherchierten, reich bebilderten Band, der die menschlichen Akteure hinter all den bekannten Superlativen in den Vordergrund stellt. Er gewährt kenntnisreiche Blicke hinter die Klinkerfassade des singulären Prachtbaus, in die Büros der Firmen, deren Exponenten und einfachen Mitarbeitern durch all die Jahrzehnte, der Weimarer Republik, der Zeit des Nationalsozialismus, der Kriegs- und Nachkriegszeit bis in unsere Gegenwart. Das Buch gibt ebenso Einblicke in die politischen Verstrickungen des Baumeisters Fritz Höger, der bereits 1932 in die NSDAP eintrat, sich Hitler allerdings vergebens andiente. Und: Von Beginn an wurde das Chilehaus zum Mythos stilisiert, zu einem Symbolträger der mächtigen Hamburger Kaufmannschaft.

Heute beherbergt das Chilehaus 79 Firmen und weitere Geschäfte im Erdgeschoss. Das kleine Café im Innenhof  mit Blick auf das gegenüberliegende Treppenhaus ist für einen Besuch zu empfehlen.

 

Michael Batz: ChilehausStory · 100 Jahre einer Hamburger Legende, Dölling & Galitz, Hamburg 2024, Gebunden, 232 S.

[i] aus: Hamburg History live-Magazin, Ausgabe 14, S. 62

 

Unser Gastautor Hartmut Höhne, geboren 1958, lebt seit 1984 in seiner Wahlheimat Hamburg, der er sich in kritischer Sympathie verbunden fühlt. Als Erzieher und Diplom-Soziologe übte er Tätigkeiten in diversen Branchen wie der Kinder- und Jugendarbeit, im Gesundheitswesen, in Umfrageinstituten und in der Erwachsenenbildung aus, aber auch im gewerblichen Bereich (Brauerei, Hafen). Er schreibt Romane, Erzählungen und Kurzprosa. »Mord am Thalia« ist sein zweiter Krimi im Gmeiner-Verlag.
(Text: Gmeiner-Verlag)

Einst im Land Gaza … Eine Kurzgeschichte

Der Autor, unterwegs im Land Gaza. Foto: privat

Ich heiße Mosche Landau. Traurig bin ich, und da es so ist, gehe ich mittags oft an diese Mole und schaue über das Meer. Denn das Meer beruhigt. Trübe Gedanken verweht der Wind.

Einst bin ich über das Meer ins Heilige Land gekommen. Meine Eltern flüchteten aus der Heimat nach Amerika. Ich verließ New York, um mich in das Land meiner Urahnen zu begeben. Nun darf ich auch hier nicht sein, wo ich sein möchte … was bin ich, frage ich mich? Ein Migrant? Ein Vertriebener? Ein Heimatloser? Ein Produkt kultureller Gegensätze?

Seit ein paar Tagen bemerke ich einen weißhaarigen Mann. Er sitzt immer allein an eine Mauer gelehnt, und aus den Lumpen zu schließen, die ihn umhüllen, ist er ein Bettler. Sein dunkles Gesicht ist zerfurcht, eingefallen, aber von gütigem Ausdruck. Heute beobachte ich wie er ein Stück Brot und eine Orange aus seiner Burnusfalte zieht. An beidem nagt er, als treibe ihn großer Hunger. Nach einer Weile stemmt er sich hoch und schlurft den nahen Häusern der Stadt zu. Auf dem Weg in mein Büro sehe ich den Landstreicher wieder. Er durchsucht einen Abfalleimer nach Essbarem. Seltsam: Der Mann beschäftigt mich.

Am nächsten Morgen hockt er erneut an der Mole. Ich spreche ihn an. Er zuckt zusammen als habe ich ihm ins Ohr gebrüllt. Ängstlich schlägt er schwarze, wässrige Augen auf. „Shalom, ist das Ihr Stammplatz?“, frage ich. „Dilwati (jetzt) – ajwa (ja),“ antwortet er arabisch. „Dann wissen Sie, was am Hafen so passiert?“ Er schaut dem Verkehr nach und meint: „Alles zieht dahin, nichts bleibt!“

Einem Drang, oder einer sozialen Regung folgend, schlage ich vor: „Werfen Sie das verschimmelte Brot weg, wir gehen etwas essen.“ Der Bettler glotzt, als traue er seinen Ohren nicht. „Was?“ – „Ich spendiere ein Essen!“ – „Und? Ihr Juden macht nichts umsonst!“ – „Vielleicht gibt’s Ausnahmen.“ – „Ich bin Flüchtling“, weht der Alte ab. „Sind wir das nicht alle?“, meine ich versöhnlich. „Meinetwegen, wenn Sie sich Läuse holen wollen!“

Gaza-Stadt vor 2023. Foto: Archiv Cropp

Wir gehen Jaffas Elyashiv Street entlang. In den Shaul’s Inn, der um diese Zeit rappelvoll ist. Schieben uns vor, an einen Tisch, den wir im nächsten Moment für uns alleine haben. Erst jetzt merke ich, dass seine Ausdünstungen ungeheuerlich sind. Bei dem Anblick der Auslagen hinter der Vitrine bildet sich Speichel um seine Lippen. Die Kellnerin kommt widerwillig an unseren Tisch. „Lamm mit Reis,“ sagt er leise.

Als das Essen gebracht wird, würde ich ihn gern mit tausend Fragen bedrängen. Er säbelt das Lammfleisch in kleine Stücke. Mit beachtlicher Geräuschkulisse leert er seinen Teller, führt ihn zum Mund und leckt den Soßenrest heraus. Ein saurer Rülpser zeigt an: Es hat ihm geschmeckt. „Satt?, frage ich. „Nein,“ sagt er kaum hörbar. Ich bestelle das gleiche noch einmal. „Allah ist mit den Barmherzigen!“, grunzt er.

Wir schweigen uns an. Der Alte blickt auf die Straße, meint endlich: „Ich bin heimatlos und zwischen alle Fronten geraten. Der Abfalleimer ist meine Speisekammer, der Himmel mein Dach.“ – „Gott schützt die Standhaften,“ versuche ich zu trösten. Er schüttelt den Kopf. „Ich, Jusuf, wurde verstoßen!“, sagt er mit traurigen Augen … und dann, ganz unerwartet, lässt er seine Geschichte heraus. Sein Leben interessiert mich. Einem plötzlichen Impuls folgend bin ich begierig, etwas über den Palästinenser zu erfahren.

Vor Jahren, der Rücken Jusufs war von harter, schlecht bezahlter Arbeit schmerzhaft geworden, stieg er doch regelmäßig auf den Dorfhügel, bis er die Stadt und das Meer in der Ferne, so grausam lockend, nicht mehr sehen konnte. Der Blick bereitete Pein, wie Sirenen, wie Drogen einem Süchtigen.

Jaffa, die Stadt in der Nachbarschaft, lag in der Hand eines verlängerten Arms vor ihm. Und doch fern in einer anderen, fremden Welt. Einer Welt so leicht und schön und zwanglos. Im Dorf erzählte man sich Geschichten über die Stadt, die ihm nachts den Schlaf raubten. Dort gäbe es das wahre Leben. Mit Geld sei dieses echte Leben herrlich auszukosten. Jusuf, der Landarbeiter, wollte von diesem Leben auch gern etwas probieren. Fünfundvierzig Jahre alt war er geworden, hatte sieben Kinder gezeugt. Diese und seine Frau zu ernähren war mühsam. Überhaupt waren die Dinge in seinem Dorf kompliziert und verworren. Am meisten bedrückte ihn das Verhalten seiner Frau, die ihn seit der Heirat für einen Trottel hielt. Er musste ihr endlich das Gegenteil beweisen!

All die schwere Arbeit als Erntehelfer galt nichts in ihren Augen. Er rackerte sich auf entlegenen Plantagen ab, um im Akkord Oliven zu pflücken. Und sie kassiert danklos seinen Lohn. Der Grund für dieses Verhalten lag in einem Stück Land. Als Mitgift hatte sie ein steiniges Feld bekommen. Jusuf bitter: „Das schielende Mädchen wäre der Vater ohne die Aussteuer nicht losgeworden!“ Aber der verdammte Acker mit achtzig krüppeligen Granatapfelbäumen war ihr stilles Pfand, und der Stachel, den Fatma, sein Weib, kräftig in sein Fleisch bohrte. Zum Glück war da der irre Traum vom prallen Leben im Land des Nachbarn.

Bis Mustafa, der Geschäftsmann, aus Gaza Stadt erschien. Er war es, der Jusufs Sehnsucht mit zwanzigtausend Dollar erfüllte. Er brauchte nur unterschreiben und sich der Illusion des anderen Lebens hinzugeben. Sauber gebündelte grüne Dollarnoten glitten aus dem Lederköfferchen Mustafas in die Tasche Jusufs. Verhasstes Land war zur Größe einer Zigarrenkiste geschrumpft und bestens zu transportieren.

Jusuf besorgte sich ein Auto mit Chauffeur und fuhr dem Meer entgegen, das so verheißungsvoll glitzerte. Und am Meer hielt er auf die Stadt zu, wo ihm ein schickes Hotel empfohlen wurde. Dort stellte sich rasch die passende Frau ein. Sie hieß Natascha, hatte Haare, gelb wie der Wüstensand, Augen, blau wie das Meer, und eine Haut, weiß wie Ziegenmilch. Wenn sie ihm ganz nah war, duftete sie wie frischer Jasmin. Sie kam aus der Ukraine.

Jaffa hatte sie auf illegalem Weg erreicht, war hier einfach untergetaucht. Auch sie hatte einem Traum. Den Traum von einem Haufen Dollarscheinen in einer neuen Heimat. Während Jusufs Geldbündel schmolz wie Butter in mediterraner Sonne, mehrte sich das Bündel Nataschas … bis Jusuf mit nur noch fünftausend der grünen Scheine erwachte und in sein Bergdorf zurückkehrte. Wo er sich jetzt einem Orkan der Entrüstung zu stellen hatte.

„Oh schändlicher Verräter!“, hieß es. Mustafa, der Geschäftsmann, hatte den Granatapfelbaum-Acker weiterveräußert – trotz heiliger Eide dies nie zu tun. Die weihevolle Erde erwarb eine jüdische Baufirma.

Der Bettler seufzt und schlürft Tee. „Ich bin der Verräter. Für das Dorf hatte ich Heimatland an Juden verschachert und mich mit dem Geld in Sünde gesuhlt!“ – „Das Hanggrundstück bei Jabaliyah?“, will ich wissen. „So ist es – warum?“, fragt er, fährt aber fort: „Meine Schandtat hing zwischen mir und meinem Weib, und ich sah eine zweite Frau als einzigen Ausweg aus dem Dilemma.“

Fünftausend Dollar ist ein beachtlicher Brautpreis. Doch er bekam nur eine aus einem heruntergekommenen Clan, dem es egal war, dass er Land an Juden verkauft hatte. Die Frauen, doch grundverschieden, verschworen sich gegen ihren Mann an dem Tag, an dem jüdische Sägen die alten ehrwürdigen Granatapfelbäume fällten, um an deren Stelle jüdische Häuser mit bunten Dächern zu errichten. Als die ersten Israelis die neuen, schönen Häuser beziehen wollten, rebellierten seine Frauen. Jusuf durfte weder klagen, lamentieren, noch züchtigen. Wer Heimaterde an Juden verkauft, hat zu dulden, zu schweigen, und zu leiden. Er wurde aus dem Haus, dann aus dem Dorf gejagt. Flüchten konnte er nur ins verhasste Israel. Kein Moslem aus Gaza hätte ihm Obdach gewährt.

Das war vor zwei Jahren. Hätte er das Land doch nur nicht verkauft! Er könnte Granatäpfel ernten, bescheiden, aber ehrbar leben. „Ich bin am Ende. Die Schmach ist groß. Ich büße meine Tat, in dem ich in der Fremde unter Ungläubigen lebe wie ein räudiger Hund,“ flüstert der Alte und über sein zerfurchtes, gütiges  Gesicht rinnt eine Träne …

Nun umarme ich Jusuf und drücke ihn lange. Schließlich blicke ich in seine wässrigen Augen und sage: „Ach Jusuf, wie sich Lebenswege gleichen, ich bin …“ – „Unsere Lebenswege gleichen sich?“, unterbricht er, „was meinst du damit, Jude?“. Ich antworte: „Gehe in dein Dorf zurück, gewiss wird man dich jetzt aufnehmen. Unsere Regierung …“ *)

„Oh ja, ich begreife,“ sagt der Palästinenser. Und über sein Gesicht huscht ein sanftes Lächeln. Er trinkt vom Tee. Dann steht er unsicher auf, beugt sich zu mir, haucht: „Schukran, danke. Allah weist mir den Weg .“ Damit wankt er zielstrebig aus dem Lokal, als gelte es einen wichtigen Termin wahrzunehmen.

Der Wirt atmet auf, die Gäste entkrampfen sich. „Ich habe zu danken!“, rufe ich ihm nach und zahle. Meine Traurigkeit ist verflogen. Merkwürdig, ich hänge ihm nicht mehr nach, dem zerplatzen Traum vom neuen Heim in der Siedlung, am Hang in Meeresnähe …

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*) Ab 2005 verbot die israelische Regierung ihren Bürgern die Besiedlung des Gaza-Streifens. Und was ist heute, 2024, daraus geworden?

 

Das Glitzerimperium: Die Swarowski Kristallwelten in Wattens strahlen auch bei Regen

Es ist früher Morgen. Die Tautropfen auf den Wiesen glitzern mit den Kristallen um die Wette, welche in die aus grauem Drahtgeflecht bestehende Wolke eingewebt sind. Das Kunstwerk schwebt oberhalb der Swarowski Kristallwelten, die sich über eine Fläche von insgesamt 7,5 Hektar erstrecken.
Der Magie des 1995 vom genialen Künstler und Schöngeist André Heller anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Kristallmanufaktur im idyllischen Inntal geschaffenen Traumwelt kann sich kaum jemand entziehen. Rund 560.000 Besucher aus aller Welt zählt das Glitzerimperium jährlich. Tendenz steigend.

Gegen Mittag strahlt die Sonne von einem azurblauen Himmel.
Zwei Jungen fühlen sich von dem grünen Riesen angezogen, der gleich einem Berggott über dem Areal thront und einen breiten Wasserstrahl in ein Becken speit. Selbst bei trübem Wetter funkeln seine Kristallaugen wie Brillanten. Die Szene hat etwas Mythisches und erinnert an Adalbert Stifters Novelle „Bergkristall“, in der ein Geschwisterpaar sich in die geheimnisvolle Bergwelt Tirols verirrt und dort sein „blaues Wunder“ erlebt.

Kobaltblau ist die Wand der in geheimnisvolles Halbdunkel getauchten blauen Wunderkammer – Kammer Nummer eins – wo Exponate weltberühmter Künstler wie Keith Haring, Niki de Saint Phalle und Andy Warhols ausgestellt sind. Ahs und Ohs entlockt den Besuchern der Hengst Chetak mit seinem prächtigen glitzernden Zaumzeug. Gleichermaßen fasziniert der Anblick des Centenar, des größten von Hand geschliffenen Kristalls der Welt mit hundert Facetten. Umgerechnet dürfte diese Pracht etwa 310 Karat entsprechen.

Nicht minder beeindrucken das „Mechanical Theater“ mit seinen bizarren Figuren sowie das „Silent Light.“ Letzteres entführt uns in eine Welt kristalliner Schneeflocken.Die „Eisgasse“ wiederum ist ein von Computern animierter Weg. Setzt man einen Fuß an den Boden, entstehen kristalline Spuren. Leises Knistern und Knacken vermitteln dem Besucher das Gefühl, sich auf einer spiegelnden Eisfläche zu bewegen.

Der Rundgang durch die achtzehn Wunderkammern raubt manchem schier die Sinne. Die Vielfalt der in allen Facetten des Regenbogens blitzenden Kristalle versetzt den Besucher in einen Rausch. Da scheinen prachtvolle diamantene Kronen aus der Schatzkammer eines orientalischen Herrschers auf den Besucher zuzufliegen, bevor sie in einer Wolke wieder verschwinden.
Eine Kammer ist Hollywood gewidmet. „The Art of Performance“ feiert die Zusammenarbeit zwischen Swarowski und der Traumfabrik. Ein Highlight für Besucher, die das Kino lieben und einige von Hollywoods Superstars in glitzernden Galaroben bewundern möchten.

Die Swarowski Kristallwelten sind ein bis ins letzte Detail durchkomponiertes Kunstobjekt. An einem derart illustren Ort darf auch die Kulinarik nicht zu kurz kommen.
In „Daniels Kristallwelten“, einem lichtdurchfluteten Café und Restaurant, laben die Besucher sich nach dem Rundgang an allen Köstlichkeiten der Tiroler Küche.

Doch damit ist der Besuch der magischen Kristallwelten keineswegs beendet. Denn der „Shop“ – welch banale Bezeichnung für eine weitere Wunderkammer mit unzähligen betörenden Preziosen – lässt das Herz einer jeden Frau höher schlagen. Die hier zum Kauf angebotenen Armbänder, Ringe, Colliers, Ohrringe und Broschen sowie filigrane Nippes sind zwar „nur“ aus „Kristall.“ Aber von erlesenem Design… und bezahlbar.

Infos und Tickets unter: www.swarowski.com/kristallwelten

Fotos: Birgit Romann-Pontow

 

„Murder by Misadventure“ by Edward Taylor

The New Premiere at the English Theatre of Hamburg.

Dear Spectator, rejoice, rejoice!

Welcome!

Welcome to the new theatre season which has just opened with a blockbuster written by one of Britain’s finest playwrights. Edward Taylor is a well-known author of brilliant stage productions that after being premiered in London’s Westend quickly find their way into the big cities in Europe and the United States. Just remember Taylor’s comedies “No Dinner for Sinners” or “Pardon me, Prime Minister,” which proved great box office hits.

Thank you, director Dean, for finally producing Edward Taylor`s masterpiece “Murder by Misadventure” on the Mundsburg stage. This highly amusing crime comedy was first produced in London in 1992 and enjoyed a long run on one of the Westend stages before being presented to the aficionados of the English Theatre. Better late than never.

Welcome to a murder committed by sheer “misadventure.” Off we go.

Partners in Crime in splendid isolation

I don’t know what to say / Da bin ich ratlos

We meet Harold Kent (Johnny Magnanti) and Paul Riggs (Richard Ings), in Harold’s luxurious apartment overlooking the English Channel. Both men have been successfully writing for television for years. Their relationship seems quite harmonious – at least at first sight. Paul being the creative brain of the duo leaves the research and lesser work to his partner. Harold in turn uses Paul’s addiction to alcohol to his advantage. No doubt, there is tension in the air. At the moment Harold and Paul are concocting a new thriller for tv. When Harold wants to demonstrate how he intends to kill the victim in “Murder by Misadventure”, he puts a scarf around Paul’s neck. What about strangling the victim. Paul is not amused and so is Harold’s wife Emma (Joanne Hildon) who emerges from the kitchen. She is shocked and shouts at Harold to stop that nonsense.

The Art of Killing

Harold suggests that Paul profit from the Kents‘ six weeks’ holiday in the States and complete their common work by inventing the most thrilling moments in their screenplay. Before leaving he lets Paul know which kind of death he would prefer for the victim in the play. What about climbing a high mountain with the man, finding an isolated place and leaving him to himself during an icy night. Sure, the victim would not survive and nobody could blame the killer who disappeared without leaving any traces. A brilliant idea – what do you think?

The Art of Blackmail

Sure that you’ve never heard of Valerie Knight, Mrs. Kent / Was wissen Sie über Valerie Knight, Mrs. Kent?

After a while it dawns on Harold that he has greatly underestimated his partner who has an ace up his sleeve since he found out that Harold is involved in a financial scandal that would ruin him if it came out. Harold is completely in Paul’s hands. A letter in his possession proves Harold’s guilt. Blackmail is in the air. Wait and see.

Paul has accepted Harold’s generous offer to stay in his and Emma’s apartment for six weeks. He comes up to make himself at home on the tenth floor of the building.

Meanwhile Harold has been busy cleaning his pistol and saying secretly good bye to his young mistress on the telephone. Guess what he is planning…

Locking out a rival

While a taxi is waiting for the Kents Harold asks his partner in crime to join him on the balcony of his apartment. Paul is not only completely drunk but in addition sedated with sleeping pills that Emma had put into his whisky. He doesn’t even react when Harold pushes him against the railing, locks the door by key and pulls the curtains. Mission accomplished.

 Wonders will never seize

You’re blackmailing me, Paul. / Du bist ein übler Erpresser, Paul

Six weeks later Emma and Harold are back home. Emma dare not open the curtains for fear of finding a dead body on the balcony. When Harold later opens the door to the balcony he nearly collapses when realizing that there is no corpse on the floor. By god, the victim has disappeared. There is also no sign of a dead body lying on the rock below. Instead, a sea gull’s blood is dripping on the floor. It has obviously been killed by a big bird. Mysterious things happen in the apartment. Several objects have disappeared and are later found in drawers where they do not belong. Harold is sure that a “poltergeist” must have been here during their absence to frighten him and Emma.

An Inspector calls

To make matters even worse, an inspector calls and wants to know what has happened to Paul Riggs, the tv star writer. What do the Kents know about his disappearance. Inspector Egan (Ciaran Lonsdale), a tall policeman with excellent manners, jots down some notes after having told the couple that he has been informed about Harold’s involvement in a financial scandal. Did Mr. Riggs blackmail Harold? And did Mr. Kent shoot him out of revenge? By the way, where is his pistol? Gosh, also the weapon has disappeared. The “poltergeist” must have taken it away. Inspector. Egan has further bad news for Harold. A young woman named Valerie Knight has recently been found dead. Who killed Harold’s young mistress? The inspector has to admit that Mr. Kent is involved in a most mysterious case.

Truth or Fake – that’s the question

You can be sure that i’ll find the killer / Ich werde den Mörder schon finden

Arrogant cocksure Harold Kent is under pressure. While he ls trying to pull his neck of the noose, events happen rapidly. When Emma opens the door of a wardrobe, she discovers a riddled corpse. How shocking! But – oh wonder – Paul is not dead at all but fit as a sneaker and extremely aggressive at that. All he wants is revenge. And – surprise, surprise – Inspector Egan is by no means a policeman but an actor who adores camouflage. By the way, the part of Egan reminds us of the legendary Inspector Columbo. This American tv series starring the late Peter Falk was a blockbuster in the ninety-seventies of the last century. Unforgettable.

Have you been able to follow this rather intricate plot all the time, dear spectator? If so, you will certainly have an idea who of the two rivals will eventually emerge as the winner in this deadly duel. Harold or Paul – that’s the question. We are not going to tell you. Our lips are sealed. Just this much; the end of the play will shock you down to your bones, to say the least. Dear spectator, lean back and enjoy this nailbiting play. Have fun!

A great performance thanks to director Clifford Dean and his cast of four brilliant actors! A thrilling masterpiece entertaining the audience through the evening. In this plot nobody seems to be what he or she is pretending. Watch out, dear spectator, there are so many twists and turns in the play that you easily lose track. The ending is entirely unexpected. We call it suspense at its best. No doubt, a must see production! Were William Shakespeare still alive, he would certainly enjoy this gripping mystery thriller with these words: “ A faint cold fear thrills through my veins.”

Last performance of “Murder by Misadventure” on November 9, 2024

Tickets under phone number 040 – 227 70 89 or online under www.englishtheatre.de

Next premiere: “Jeeves & Wooster in Perfect Nonsense” by The Goodale Brothers, on November 25, 2024

„Murder by Misadventure“ von Edward Taylor

Die neue Premiere im English Theatre of Hamburg.

Hereinspaziert!

Endlich – die Theaterferien sind vorbei! Am 12. September eröffnete The English Theatre of Hamburg die neue Saison mit einem Straßenfeger aus der Feder des weit über die Grenzen Großbritanniens hinaus bekannten Autors Edward Taylor, der bereits mit Erfolgsstücken wie „No Dinner for Sinners“ and „Pardon me, Prime Minister“ Erfolge auf internationalen Bühnen feierte. Mit dem Thriller „Murder by Misadventure“ hat Taylor ein Meisterstück des Genres geschaffen, das die Nerven der Zuschauer auf eine harte Probe stellt und zwei Stunden lang für eine fast unerträgliche Spannung sorgt. Das Faszinierende an diesem „Mord durch Missgeschick“ ist die gekonnte Mischung aus hochdramatischen Spannungsbögen und tiefschwarzem Humor. Und wie gewohnt, stehen vier brillante handverlesene Mimen auf der Bühne. Große Klasse!

Partners in Crime

Bereits die erste Szene ist ein Schocker! Ein großer kräftiger Kerl, stürzt hinter einem Vorhang hervor und versucht einen wesentlich kleineren Mann mit einem Schal umzubringen. Ungläubiges Raunen im Zuschauerraum. Hörbare Erleichterung, als der Würger von seinem Opfer ablässt.

Wir befinden uns im obersten Stock einer Luxusimmobilie über dem Ärmelkanal, in dem zwei TV-Krimiautoren die Ideale Tötungsart des Opfers ihres neuesten Thrillers proben. Harold Kent und Paul Riggs arbeiten seit Jahren erfolgreich zusammen. Doch die zur Schau gestellte Harmonie täuscht. Von gleich berechtigter Partnerschaft kann keine Rede sein. Denn Paul ist der kreative Kopf des Duos, während Harold sich vornehmlich mit der Recherche beschäftigt und Pauls Ideen niederschreibt. Pauls massives Alkoholproblem nutzt Harold indes schamlos aus.

Ein Drehbuch für den neuen Fernsehthriller

Da bin ich ratlos

Harold und Paul planen ein neues Projekt. Wie wäre es mit einem Stück, in welchem ein Geschäftsmann seinen Partner aus dem Weg räumt, indem er ihm einen gemeinsamen Abenteuerurlaub im Gebirge vorschlägt. Nachdem beide einen hohen Berg erklommen haben, führt der Täter sein Opfer an einen unzugänglichen Ort, lässt es allein und wartet ab, bis es qualvoll an Unterkühlung stirbt. Ein genialer Plot, dessen Handlung Paul weiterspinnen soll, bis das Ehepaar Kent von einem sechswöchigen Urlaub in Amerika zurückkehrt. Paul ist mit dieser Regelung nicht einverstanden. Er fühlt sich von Harold vereinnahmt und spürt intuitiv, dass dieser in Kürze die Zusammenarbeit mit ihm aufzukündigen gedenkt.

Das Ass im Ärmel

Bald muss Harold einsehen, dass er seinem Buddy nicht über den Weg trauen kann. Paul ist nämlich einem schwerwiegenden Finanzskandal auf der Spur, in den Harold verwickelt ist. Kommt der ans Licht, steht der Staatsanwalt vor der Tür. Mit diesem Ass im Ärmel setzt Paul Harold unter Druck. Kommt dessen Schuld ans Licht, ist er für den Rest seines Lebens ruiniert. Zurzeit steht es eins zu null für Paul. Was also tun? Bevor das Ehepaar Kent seinen Urlaub in den Vereinigten Staaten antritt, reinigt Harold seinen Revolver und schließt ihn in seinen Schreibtisch ein. Als das Telefon klingelt, raunt er seiner heimlichen Geliebten ein zärtliches „Darling“ zu, legt aber den Hörer hastig auf, als Ehefrau Emma auf der Bildfläche erscheint.

Ein perfider Plan

Wie wird man einen unbequemen Menschen los? Ganz einfach. Man lädt ihn zu sich ein und bittet ihn, während seiner Abwesenheit in der Wohnung einzuhüten. Paul fällt prompt auf Harolds Trick herein und trinkt brav den mit einer gehörigen Dosis an Schlaftabletten versetzten Whisky aus. Harold führt den total sedierten Paul auf den Balkon, schließt dir Tür und zieht die Vorhänge zu. Fall erledigt.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder

Sechs Wochen später. Die Kents sind wieder im Land. Emma benötigt einen steifen Drink, bevor sie einen Blick auf den Balkon riskiert, auf dem sie zwar eine große Blutlache entdeckt, aber keine Leiche. Auch in der Tiefe gähnende Leere. Das Blut stammt eindeutig von einer Möwe, die von einem großen Seevogel getötet wurde. Wie konnte das Opfer entkommen? Die Balkontür war blockiert und niemand in der Nähe, der sie hätte öffnen können. Im Apartment geschehen indessen mysteriöse Dinge. Verschiedene Gegenstände sind nicht mehr an ihrem angestammten Platz, und verstörende Geräusche irritieren die Bewohner. Harold vermutet einen „Poltergeist“, der sich während Emmas und seiner Abwesenheit hier eingenistet hat.

Ein Inspektor meldet sich an

Was wissen Sie über Valerie Knight, Mrs. Kent?

Auch das noch. Die Polizei hat offenbar Wind vom Verschwinden des bekannten TV-Autors Paul Riggs bekommen. Ein großer schlanker Mann namens Inspektor Egan betritt die Wohnung und stellt dem Ehepaar Kent gezielt Fragen. Er macht sich Notizen, verabschiedet sich mehrmals höflich, besinnt sich dann aber auf weitere Fragen. Er weiß vieles über Harold, zum Beispiel, dass sein Partner Paul ihn wegen eines Betrugsdeliktes „drankriegen“ wollte. Harold wurde also von Paul erpresst. Hat er ihn deshalb erschossen? Dieser Verdacht erhärtet sich, als Harolds Pistole unauffindbar bleibt. Da er diese so sicher eingeschlossen hatte, musste auch hier ein „Poltergeist“ sein Unwesen getrieben und ihn verlegt haben, wie eine Reihe anderer Gegenstände.

Trau, schau wem

Wer steigt hier noch durch? Welchem der Protagonisten ist zu trauen? Was ist während der Abwesenheit der Kents in England passiert? Inspektor Egan taucht zu Harolds Ärger immer wieder auf und stellt Fragen über Fragen, die er nicht beantworten kann. Da ist auf einmal von einer jungen ermordeten Frau die Rede, die Harold nicht zu kennen vorgibt. Ist Valerie Knight, Harolds heimliche Geliebte, wirklich tot? Und wenn ja, wer brachte sie um?

Paukenschlag

Du bist ein übler Erpresser, Paul

Harold gerät zunehmend unter Druck. Während die Schlinge um seinen Hals sich immer enger zuzieht, überschlagen sich die Ereignisse. Als Emma einen Schrank öffnet, fällt ihr eine von zwei Kugeln getroffene Leiche entgegen. Doch – oh Wunder – Paul ist gar nicht tot, sondern quicklebendig und voller Rachegelüste. Zu allem Überfluss entpuppt sich der höfliche Inspektor Egan als falscher Polizist, der als gelernter Schauspieler in jede Rolle schlüpft und die Camouflage sichtlich genießt. Das Rätsel lautet: Wer zum Teufel hat die Tür zu Pauls eisigem Freiluftgefängnis geöffnet? Die spannendste Frage aber bleibt: Welcher von den beiden Rivalen wird als Sieger aus diesem tödlichen Duell hervorgehen? Finden Sie es selbst heraus, lieber Zuschauer. Lehnen Sie sich in ihrem Theatersessel entspannt zurück und genießen Sie diesen außergewöhnlich fesselnden Thriller in vollen Zügen. Viel Vergnügen!

Ich werde den Mörder schon finden

Edward Taylor erweist sich mit diesem temporeichen Kammerspiel als Meister des Psychothrillers. Er spinnt ein feines Netz aus Lügen und Intrigen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Nichts ist, wie es scheint. Wer kann wem trauen? Ist Emma Kent, Harolds Ehefrau (Joanne Hildon) wirklich das brave Heimchen am Herd, das jedem Gast freudig Tee und Kaffee serviert? Im Laufe der Handlung entpuppt sie sich zusehends als Intrigantin, die von der Affäre ihres Ehemanns seit langem wusste, ohne darüber zu reden. Stille Wasser sind tief. Auch der arrogante Harold (glänzend verkörpert von Johnny Magnanti) ist bei Weitem nicht so clever, wie er eingangs erscheint. Seiner Überlegenheit über den Rest der Welt allzu sicher, bemerkt er gar nicht, dass die von ihm Unterschätzten bereits ein Spinnennetz um ihn herum gewoben haben, aus dem er sich nicht befreien kann. Hochmut kommt vor dem Fall. Paul ( Richard Ings) ist seinem Kontrahenten Harold auf die Spur gekommen und führt ihn jetzt aufs Glatteis. Einer wie er lässt sich nicht einfach ausbooten, ohne mit gleicher Münze heimzuzahlen. Denn Merke: Rache ist süß und wird am besten kalt genossen. Bleibt noch die Doppelrolle des vermeintlichen Inspektors Egan, wunderbar schlitzohrig gespielt von Ciaran Lonsdale, der sich im Handumdrehen vom seriösen Krawattenträger aus dem Hause Scotland Yard in einen jungen Mann in Turnschuhen mit Baseballkappe verwandelt. Dieser Part erinnert lebhaft an Inspektor Columbo aus der legendären US-Serie gleichen Namens mit Peter Falk in der Hauptrolle.

Dieser 12. September bescherte den Zuschauern der Mundsburger Bühne einen fulminanten Theaterabend. Das war Spannung pur, gewürzt mit einer gehörigen Prise schwarzen Humors. Very British, indeed.

„Murder by Misadventure“ läuft bis einschließlich 9. November 2024

Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de

Nächste Premiere „Jeeves & Wooster in Perfect Nonsense“ von den Goodale Brothers, am 25. November 2024

Gedichte in neuem Gewand: Das lyrische Foyer

Fritz Sebastian Konka. Foto: Markus Schwochert

Die Zeiten, in denen Gäste ehrfürchtig und still einer Literaturlesung folgen und anschließend schüchtern eine Frage an die Schriftstellerin richten, scheinen vorbei zu sein. Während die Besucherzahlen bei klassischen Lesungen immer mehr zurückgehen, können andere Arten der Buchvorstellung wachsende Publikumszahlen verzeichnen. Beim Konzept „Das lyrische Foyer“ sind Schriftsteller und Gäste gleichermaßen gestaltende Elemente, denn die Reflexion der Texte durch die Leserschaft, in diesem Fall Zuhörerschaft, hilft nicht nur beim Erschließen der Inhalte, sondern ermöglicht einen für beide Seiten bereichernden Austausch. Für die schreibende Zunft ist es eine wertvolle Gelegenheit, die Wirkung ihrer Lyrik kennenzulernen.

Das Konzept hat der Autor Fritz Sebastian Konka, eine „prägende Person der Hamburger Literaturszene“ („Die Zeit“ v. 30.03.23), entwickelt. Wir haben ihn zum Interview eingeladen.

DAP: Fritz, wie bist du darauf gekommen, „Das lyrische Foyer“ zu veranstalten?

Fritz Sebastian Konka: Im Frühjahr 2022, anlässlich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, war die Anthologie „Antikriegslyrik“ des Trabanten Verlags erschienen. Ich bin dort auch mit einem Gedicht vertreten. Durch Lesungen mit dem Buch wollte ich Spendengelder für die Ukraine sammeln. Ich fragte bei der Kunstklinik an, ob sie eine solche Spendenlesung veranstalten wolle. Leider hatte das Team um die Geschäftsführerin Rika Tjakea keine Kapazitäten. Rika schlug mir aber vor, die Lesung in Eigenregie in der Kunstklinik durchzuführen. Das tat ich und holte mir den Schlüssel, baute alles auf, inklusive Ton und Beleuchtung, moderierte und las selbst. Mein Tatendrang beeindruckte Rika. Kurze Zeit später fragte sie mich, ob ich nicht regelmäßig Lesungen in der Kunstklinik veranstalten wolle. Wollte ich und entwickelte das Konzept für das lyrische Foyer. Wir erhielten Förderungen für das Konzept und seitdem, September 2022, gibt es diese Reihe.

DAP: Bei der Programmgestaltung gehst du nach einem besonderes Verfahren vor, indem sich Tandempartner zu einem Thema bilden, bitte erläutere das doch einmal näher.

FSK: Ich mag den Austausch, das Miteinander-in-Kontakt-Gehen. Daher stehen die Abende des lyrischen Foyers jeweils unter einem Thema. Dieses wählen regelmäßig die beiden Lyriker:innen, die auf dem Sofa der Kunstklinik Platz nehmen, zusammen aus. Zu diesem Thema kann jede:r, der/die mag, Gedichte auf Instagram beisteuern. Drei Autor:innen dieser Gedichte werden eingeladen, ihr eigenes Gedicht und das einer anderen Autor:in, die/der ebenfalls auf der Bühne steht,  vorzutragen. Dies erleichtert und fördert den Austausch untereinander und schafft unterschiedlichste Blicke auf ein- und dasselbe Thema. Mir gefällt das.

Paulina Behrendt beim Das lyrische Foyer Festival. Foto: DAP

Neben der regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungsreihe an einem Freitagabend gibt es nun auch die Wochenendveranstaltung „Das lyrische Foyer Festival“. Mit einer Mischung aus Workshops von Yoga über Schreibwerkstätten bis zu PR-Maßnahmen für Autoren, Lesungen und Konzerten werden auch Menschen angesprochen, die mit dem Schreiben gerade beginnen oder noch gar nicht angefangen haben, sich aber einen Einstieg wünschen. Das Festival vom 5. bis 7. Juli bot beispielsweise einen Workshop namens „Schreiben im Schwarm“ unter der Leitung von Marta Marx an. Die Verfasserin dieser Zeilen hat an dem Workshop teilgenommen. Marta Marx beeindruckte durch eine sehr einfühlsame Herangehensweise und das Eingehen auf die individuelle Situation und Schreiberfahrung der Teilnehmerinnen. Nach einer kurzen Einführung ging die Gruppe in den Eppendorfer Park und verfasste, jede für sich, ein Minutenprotokoll über einen Zeitraum von 20 Minuten. Alle Sinneseindrücke waren gefragt, Geräusche, Gerüche, Gefühle und natürlich alles, was sich im Blickfeld tat. Die Teilnehmerinnen saßen dicht nebeneinander, tauschten sich während des Schreibens jedoch nicht aus. Das anschließende reihenweise Vorlesen, strukturiert nach den jeweiligen Minuten, in denen geschrieben wurde, offenbarte ein Kaleidoskop aus Beobachtungen desselben Schauplatzes. Abgesehen davon, dass dies eine großartige Übung zum Thema Beschreiben in der Literatur ist, hatten die Teilnehmerinnen auch die Möglichkeit, am Projekt „Parallelprotokolle“ der Kunsthalle Below in Mecklenburg-Vorpommern teilzunehmen, die aus den Minutenprotokollen thematisch sortierte Hefte erstellt und herausgibt.

Beeindruckend ist auch, dass die Mitwirkenden anlässlich des Festival-Wochenendes nicht nur aus dem Hamburger Raum, sondern aus der gesamten Bundesrepublik angereist waren.

Nach jedem Tandem-Lesepaar antwortete der Singer-Songwriter Max Prosa mit einem eigenen Gedicht auf die Texte des Lesepaars und sang einige seiner berührenden Lieder, setzte sich dazu ans Klavier oder spielte Gitarre. Diese Präsentationen sorgten für eine nahezu magische Verbindung der ganz unterschiedlichen Beiträge über den ganzen Abend hinweg.

DAP: Fritz, du verfügst offensichtlich über ein sehr großes Netzwerk. Wie hast du es aufgebaut?

FSK: Über Instagram. Es ging los in der Corona-Zeit mit dem Projekt „Lockdownlyrik“, das Fabian Leonhard, der Gründer des Trabanten Verlags, ins Leben gerufen hatte. Ich lernte nach und nach, mehr und mehr lyrikaffine Menschen kennen und lud sie nach Hamburg zu einem persönlichen Austausch beim sogenannten „Instalyrik-Treff“ ein. Kurze Zeit später entstand das lyrische Foyer und das Netzwerk wuchs weiter.

Das Festival ist nicht nur zur Präsentation eigener Werke gedacht, sondern hat gleichzeitig den Charakter einer Fachtagung und Fortbildungsveranstaltung. Interessierte werden an das kreative Schreiben herangeführt und bekommen neue Impulse. Zeit zum Austausch untereinander ist gegeben und es werden vielleicht neue Literaturfreundschaften geschlossen. So ist das Festival nicht nur ein Anlass der Begegnung der Autorinnen mit dem Publikum, sondern auch eine Zusammenkunft Kreativer, was für die Schriftsteller eine bereichernde Unterbrechung der ansonsten recht einsamen Tätigkeit bedeutet.

DAP: Du bist von Haus aus Jurist. Wann hast Du begonnen zu schreiben? Schreibst Du ausschließlich Lyrik?

FSK: Meine ersten Gedichte, natürlich Liebesgedichte, habe ich mit 18 geschrieben. Ich habe auch Prosa und Kurzgeschichten sowie zwei Romane verfasst. Alles aber unveröffentlicht und schon ein Weilchen her. Momentan schreibe ich, wenn überhaupt, Gedichte. Für längere Texte fehlt mir momentan die Zeit, vor allem aber die Muße. Denn würde ich wirklich wollen, würde ich die Zeit finden. Da muss ich mir nichts vormachen.

Max Prosa. Foto: DAP

Beim Festival Das lyrische Foyer sind viel mehr Altersgruppen vertreten als bei Lesungen in der klassischen Form. Es scheint, dass diese Form der Veranstaltung, die nicht nur einen Frontalvortrag darstellt, sondern die Zuschauer einbezieht, viel mehr Menschen interessiert als das pure Zuhören. Besonders beeindruckt hat mich das sehr junge Tandempaar, das sich literarisch mit der Generationenproblematik zwischen Großeltern und Enkelkindern befasst.

DAP: Fritz, glaubst Du, dass die klassische Art und Weise der Autorenlesung sich als Veranstaltungsform überlebt hat?

FSK: Nein, bestimmt nicht. Sie scheint mir nach wie vor das dominierende Format zu sein und ein schönes dazu.

DAP: Möchte das Publikum stärker auch in die Rolle der Akteure gehen und sich als Teil der Performance begreifen?

FSK: Das eine Publikum gibt es nicht. Manche hören gerne (nur) zu, andere beteiligen sich (auch) gerne. Bei uns sind alle willkommen.

Bewerbt euch für Das lyrische Foyer:

Das lyrische Foyer findet wieder am 4. Oktober 2024 statt. Es ist auf Instagram unter @das_lyrische_foyer sowie auf der Homepage von Fritz Sebastian Konka zu finden, man kann sich noch für die Teilnahme bewerben.

 

Ein spannender Abend im historischen Hamburg

Am 20. September 2024 stellte der Krimiautor Hartmut Höhne sein neues Buch „Mord im Thalia“ in den atmosphärischen Räumen des Speicherstadtmuseums vor. Dr. Ralf Lange, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums und Verfasser zahlreicher Bücher im Themenbereich Hamburger Hafen-, Schifffahrts- und Baugeschichte sowie zur deutschen Nachkriegsarchitektur, moderierte die Veranstaltung.

Die Götzenpauke und die wilden Zwanziger

Inmitten historischer Ausstellungsstücke lauschten rund 40 Gäste den spannenden Ausführungen und Leseabschnitten. Zunächst stimmte Hartmut Höhne die Zuschauer auf die Epoche um 1921 ein, in der sein Roman spielt. Zu jener Zeit gab es in Hamburg jedes Jahr ein großes Künstlerfest, das unter einem bestimmten Motto stand und von der „Hamburger Sezession“ organisiert wurde. 1921 lautete das Motto „Die Götzenpauke“. Das ausschweifende Fest fand im heutigen Curio-Haus statt; Hartmut Höhne verlegt es in seiner fiktiven Geschichte ins Thalia-Theater, weil dieses auch über Hamburgs Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Die Vorrede des Autors mit einer Vielzahl historischer Fakten und Anekdoten einschließlich früherer Straßennamen ist schon unglaublich spannend. Man hat das Gefühl, in dem liebevoll hergerichteten Ausstellungsraum unter dem Eindruck der Erzählung langsam in eine andere Zeit versetzt zu werden.

Kommissar Jakob Mortensen, der schon aus dem Vorgängerbuch „Mord im Gängeviertel“ bekannt ist, hat den Mord an dem Maler und Bildhauer Max Schwartau aufzuklären. Dabei gerät er in den Bann der verdächtigen Alina Krylow und verliert den Fall aus den Augen, riskiert seine berufliche Stellung und Beziehung. Bei dem einen Mord wird es jedoch nicht bleiben…

Eine Reise ins historische Hamburg

In der detailreich erzählten Vorbereitung für das Götzenpauke-Fest tauchen die Zuschauer tief in das Jahr 1921 ein. Erst langsam erholt sich, wie Hartmut Höhne erläutert, die Kulturszene von den Kriegsfolgen. Mit der Protagonistin Carla Mortensen, Kommissar Mortensens Schwester und die heimliche Flamme seines Kollegen Ove, die als Verantwortliche für das Bühnenbild hinter den Kulissen nachsieht, ob alles gut befestigt ist, gehen die Zuschauer in Gedanken durch das Thalia-Theater, winden sich an fummelnden und knutschenden Menschen vorbei, erleben die sagenumwobene, wilde Zeit – bis Carla auf eine männliche Hand tritt. Geschickt verwebt Hartmut Höhne Wahrheit und Fiktion, historische Personen mit erfundenen Protagonisten. Die Szene des Auffindens der Leiche kommt ohne reißerische Beschreibungen aus. Die atmosphärische Dichte sei ihm wichtiger als Kommissare, die „knietief im Blut stehen“, sagt der Autor. Das Zusammenspiel eloquenter Erzählung, die auch Humor zeigt, mit historischen Fakten und Persönlichkeiten macht die Faszination des Schreibstils aus.

Lesung vor Ausstellungsstücken. Foto: DAP

Nach der Pause, in der das Speicherstadtmuseum Schmalzbrote serviert, widmet sich der Autor seinem Buch „Mord im Gängeviertel“, das in der Hamburger Neustadt spielt. Die Gäste erfahren zunächst wieder einige Details über die Schauplätze wie dem Paradieshof nahe dem heutigen Großneumarkt. Seinerzeit wurde ein Hektar Fläche von rund 1.400 Menschen bewohnt – eine heutzutage kaum vorstellbare Enge. 1919 gab es strenge Lebensmittelzuteilungen und Hungerunruhen, von denen die sog. Sülzeunruhen noch recht bekannt sind, als der Verzehr verdorbenen Sülzfleischs viele Menschen das Leben kostete. Vor diesem Hintergrund entwickelt Höhne die Handlung um Kommissar Mortensen und gibt sowohl im Buchtext als auch im Gespräch mit den Zuschauern der Lesung viele geschichtliche Informationen.

Krimi und geschichtliche Fakten

So bekommt man nicht nur zwei spannende Krimis, sondern auch und einen tiefen, bildhaften Einblick in das Hamburg der Weimarer Republik; eine Bezeichnung, so Hartmut Höhne, die damals jedoch noch gar nicht verwendet wurde. Zu jener Zeit sprach man noch vom „Deutschen Reich“, obwohl es keinen Kaiser mehr gab.

Dr. Ralf Lange im Gespräch mit dem Autor. Foto: DAP

Man hat an diesem Abend im schönen Speicherstadtmuseum nicht nur eine kurzweilige, auf beide Bücher Lust machende Lesung gehört; man hat auch gelernt, was es mit der Hutkrempenregel auf sich hat (das steht im „Mord im Thalia“), hat viel über die Geschichte der Stadt erfahren und konnte sich in der Pause im Museum umsehen, das detailreich und liebevoll ausgestattet ist und über einen kleinen Shop mit zum Ort passenden Artikeln wie Tee in stilecht nachgebauten Kisten und einem gut sortierten Buchangebot verfügt. Die rundum gelungene Buchvorstellung weckt Lust auf weitere Lesungen, die man im Speicherstadtmuseum regelmäßig einmal im Monat besuchen kann. Weitere Infos dazu gibt es hier:

Krimilesungen im Speicherstadtmuseum

Über den Autor

Hartmut Höhne schreibt Romane, Erzählungen, Kurzprosa und Szenisches. Für seine Krimis, die im Gmeiner Verlag erschienen sind, recherchiert er in Archiven, der Staatsbibliothek und beim Verein für Hamburgische Geschichte. Die Zeit der Weimarer Republik fasziniert ihn wegen der großen Veränderungen in Politik, Kunst und Gesellschaft. Er lebt seit 1984 in seiner Wahlheimat Hamburg.

Zur Autorenseite beim Gmeiner Verlag geht es hier: Hartmut Höhne im Gmeiner Verlag

Fotos: DAP

Denn sie lieben, was sie tun

Unter dem Motto … fair geht vor fand Ende April die von Manuela und Uwe Kowald veranstaltete alternative Buchmesse in Himmelpforten bei Stade statt. Rund 25 Aussteller teilten sich die Eulsete-Halle mit einem Bücherflohmarkt. Die Bezeichnung „alternative Buchmesse“ weckt in den älteren Semestern von uns eher Assoziationen zur alternativen Szene der 1980er Jahre; aber weit gefehlt: In diesem Fall ging es um alternative Publikationsmöglichkeiten für Schriftsteller, die im so genannten ersten Buchmarkt kaum eine Chance bekommen. In einem Markt, der hauptsächlich von Übersetzungen lebt und fast keinen Raum für Neuerscheinungen hat, sind neue Schriftstellerinnen harten Bedingungen ausgesetzt. Als das Selfpublishing aufkam, damals noch verachtet und verpönt von denen, die „es geschafft“ hatten, in einem größeren Verlag unterzukommen, kämpften die schreibenden Pioniere um einen Platz in der Welt der zu Papier gebrachten Gedichte und Geschichten, die ihren Weg zu Lesefreudigen finden sollten. Und was soll man sagen: Gut 20 Jahre später ist es kein Platz, sondern ein eigener Markt, der sich still und leise neben dem etablierten Buchmarkt, beherrscht von großen Verlagen, aufgestellt hat. Und der so viel Druck auf den „ersten Buchmarkt“ ausgeübt hat, dass es jetzt in Leipzig und Frankfurt am Main Selfpublisher-Areas auf den Buchmessen gibt. Sicherlich hängt die Qualität der Texte nicht zuletzt davon ab, ob sich die Verfasser ein Lektorat geleistet haben; Leser sind trotzdem zu finden. Und wer es als Selfpublisher schafft, sich einen Leserkreis zu erarbeiten, hat sich tief ins Marketing eingearbeitet. Denn die besten Texte kommen nur dann unter Leute, wenn die richtigen Werbemaßnahmen sie in die Welt bringen.

Präsentationen, mit Liebe gemacht

Zunächst beeindruckt, mit welcher Liebe zum Detail und mit welch großer Sorgfalt die kleinen Verlage und Selfpublisher ihre Stände ausgerichtet haben. Fast alle haben nicht nur Bücher, sondern auch Lesezeichen, Flyer, Leseproben und sogar bedruckte kleine Leinenbeutel mit dem entsprechenden Buchcover dabei und ansprechend aufgebaut. Für einen Titel, bei dem es um Schokoladentaler geht, sind goldglänzende Schokotaler auf schwarzem Samt ausgestreut; Farben, die sich im Buchcover widerspiegeln.

Auf den ersten Blick scheint es, als ob fast alles Fantasy und New Romance wäre. Beide Genres fallen durch eine besondere Farbgestaltung ins Auge sowie durch malerische oder Tattoo-ähnliche Coverbilder. Die meisten dieser Titel haben ein größeres Format als man es von traditionellen Verlagspublikationen her kennt, allerdings oft auch größere Schrift und einen großzügigen Buchsatz, der das Lesen erleichtert. Einige Bücher sind fast zu dick und schwer, um sie beispielsweise abends im Liegen zu lesen. Das schreckt die Fantasy-Fangemeinde offenbar nicht ab.

Der zweite Blick zeigt, dass sich andere Themen und Titel dazwischen befinden, die einen außergewöhnlichen Hintergrund haben. So hat die Heimatforscherin Debbie Bülau (s. Foto rechts, mit Landrat Kai Seefried) eine reich bebilderte Dokumentation von 696 Seiten über die „Heimatgeschichte von der NS-Zeit bis heute“ für den Ort Kutenholz und dessen Umgebung veröffentlicht. Für dieses Buch hat sie mehrere Jahre über die Opfer des Nationalsozialismus recherchiert und akribisch die Schicksale von Zwangsarbeiterinnen, KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen, Opfern der NS-Psychiatrie und kurz vor Kriegsende in der Samtgemeinde Fredenbeck verstorbenen britischen Soldaten sowie Wehrmachtssoldaten zusammengetragen.

Cosplayer und das wahre Leben

Besucher jeden Alters und sogar einige Cosplayer, wie man sie sonst eher in Leipzig antrifft, drängen in die Festhalle und inspizieren die ausgestellten Bücher und Lesezeichen. Und wie in Leipzig werden die Goodies freudig eingesammelt, diverse junge Mädchen stecken die Köpfe zusammen und bestaunen ihre ergatterten kleinen Schätze.

Wie einige der ausstellenden Autorinnen hat auch Rita Feinkohl ihren Stand liebevoll mit ihrem bislang einzigen Titel „Ich dank dir och schön“ dekoriert, dazu Schmuck und Tücher ausgestellt. In ihrer biografischen Geschichte verarbeitet sie ihre Erfahrungen mit einem behinderten Angehörigen, der sie lehrte, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Mit dem Thema „Depression“ befasst sich die Autorin Jessica Düster alias Jessica Noir in ihrem Buch „Projekt Lea – Arbeitsnotizen der Depression RS21/4687/13“. Das Thema ist seit einiger Zeit nicht unbedingt mehr etwas Neues, jedoch hat Jessica Düster die Depression personifiziert und schreibt aus deren Perspektive statt aus derjenigen des Menschen, der an der Erkrankung leidet.

Haiku und Gruselgeschichten

Der Poet und Schriftsteller Manuel Bianchi hat Haiku-Dichtung und Gruselgeschichten in seinem Repertoire und erfindet für seine Gedichtbände Titel wie „poetricity“ (urbane Lyrik) oder „#commutiny“, dem neuesten Band mit Gedichten und Polaroids. „Die Gedichte entstanden in einem Zeitraum von dreieinhalb Jahren, eine Zeit der großen Umwälzungen. Die Pandemie hat ebenso wie andere persönliche Erlebnisse des Dichters ihre Spuren hinterlassen“, heißt es auf dem Klappentext.

Hat man früher strikt die Genres voneinander getrennt und darüber nachgedacht, ob Texte oder Projekte ausreichend „literarisch“ seien oder man sein Gesicht verlöre, wenn man dies oder jenes veröffentlichen würde, steht die jüngere Generation selbstbewusst zu den verschiedenen Facetten ihres Schreibens und färbt offenbar auch auf einige ältere Semester ab. Das gibt Hoffnung, dass die hierzulande sehr beliebte Be- oder Abwertung irgendwann weniger schnell erfolgen mag, als man es bislang gewohnt war. Und es kann allen Schriftstellern Mut machen, zu den verschiedenen Genres zu stehen, in denen sie unterwegs sind.

Melanie Amélie Opalka schreibt „Romane für starke Frauen mit Entwicklungspotenzial“ und unter dem Namen Marley Alexis Owen Thriller mit der Hauptfigur Sara Konrad. So hat sie bereits zwei Romanreihen angelegt und feiert in diesem Jahr ihren zehnten veröffentlichten Roman.

Die Frage, inwieweit die Selfpublisher und Kleinverlage sich Lektorinnen und Covergestalter leisten, wäre höchstens durch die Befragung aller Autoren zu beantworten, die auf der Himmelpfortener Messe anwesend waren. Stattdessen erfahre ich am Stand von „Mostly Premade“, dass sich die von der Inhaberin Nadine Most gestalteten Cover sehr gut verkaufen. Sie zeigt einige ihrer Arbeiten am Tablet und schlägt mir eine Gestaltung für einen Lyrikband vor, ein wenig verschnörkelt, aber irgendwie auch ansprechend.

Auch meine zweite Messerunde endet beim „Lovemoon“ Verlag für „Romance, New Adult & Romantasy“ mit seinen farbprächtigen und großformatigen Büchern. Früher hatte man Goldschnitt, heute wird mit Farbschnitt gearbeitet, was dem zugeklappten Buch das Aussehen einer Schatulle verleiht.

Das Fazit ist positiv

Die alternative Buchmesse gewährte mir einen Blick in eine andere Lese- und Schreibwelt. Als ich Kind war, sagte man uns, dass Comics unsere Lesefähigkeit verdürben. Unsere Eltern hatten Sorge, dass wir keine „richtigen Bücher“ mehr würden lesen können. Dabei lasen sie selbst Utta Danella und Marie Louise Fischer. Waren das denn „richtige Bücher“? Noch früher hatte man Barbara Cartland, eine Weile später Rosamunde Pilcher, jetzt hat man New Romance, Cosy Crime, New Adult und Insta-Love. Lesen war und ist immer auch eine Leidenschaft, die ein Wohlgefühl hervorruft – entweder, weil man schwere und anspruchsvolle Lektüre bezwungen hat oder weil man sich in leichte und von den irrwitzigen Zeiten ablenkende Geschichten flüchten kann; oftmals auch, weil man Erkenntnisse aus der Lektüre gewonnen hat. Und seien wir ehrlich: Nicht jeder Spiegel-Bestseller ist ein literarisches Meisterwerk. Was wir Schriftsteller möchten, ist doch, gelesen zu werden. Den Ausstellerinnen in Himmelpforten ist es offensichtlich gelungen, ihre Fans zu finden und ihren Geschichten Flügel zu verleihen.

Die nächste „Fair geht vor“-Buchmesse ist für den 12./13. April 2025 geplant. Der Veranstalter informiert auf seiner Website über die Details: https://www.fairgehtvor.org/Aktivitaeten/Buchmessen/

 

Dies ist eine gekürzte Version des unter dem gleichen Titel bereits auf www.schoenfeld.blog veröffentlichten Artikels; darin sind weitere Infos über die Aussteller und Links zu deren Websites zu finden.

Fotos: Maren Schönfeld / Manuela Kowald

Lesung zum 125. Geburtstag von Ernest Hemingway (geb. 21. Juli 1899)

Lesung vom 20. Juli, 14 Uhr im Rahmen der HAV Veranstaltung Blätterrauschen.
Gino Leineweber las Auszüge aus Kapitel 7 der Teilbiografie.

Hemingway – wie alles begann,
Kindheit und Jugend in Michigan

Michigan war der Ort der Erholung vom Krieg und gescheiterter Beziehung. Unter der Trennung von Agnes hatte Hemingway außerordentlich gelitten. Seine erste große Liebe. Seine erste große Enttäuschung. Womöglich der Grund dafür, dass Hemingway später versuchte, weiteren Zurückweisungen dadurch aus dem Weg zu gehen, indem er selbst es war, der Beziehungen beendete. Das allerdings erst, jedenfalls trifft es für seine Ehefrauen zu, wenn er eine neue Liebe gefunden hatte. 1919, in Horton Bay und später in Petoskey, tröstete er sich mit Marjorie. Zunächst zog er in das Haus der Dilworths, zu Liz und Jim, dem Schmied, wo er später seine Hochzeit mit Hadley feiern würde.

Der erste veröffentlichte Roman

Im Winter 1919/1920 zog er nach Petoskey in eine Pension, das Potter’s Rooming House, 602 State Street, und schrieb weiter an seinen Geschichten. Sein Aufenthalt in dieser Stadt ist aus einem besonderen Grund erwähnenswert, denn Hemingway nutzte den Ort 1925 als Schauplatz seines ersten veröffentlichten Romans Die Springfluten des Frühlings (The Torrents of Spring).
Der Roman ist grotesk, sowohl vom Inhalt als auch von der Form. Es ist das ungewöhnlichste Buch Hemingways und entspricht einer Parodie auf Sherwood Andersons 1925 erschienen Bestseller Dark Laughter. Das Besondere an dem Buch ist allerdings nicht nur sein literarischer Gehalt, den ich ausgesprochen schätze, sondern noch etwas anderes: Es stellt den Beginn der lebenslangen Zusammenarbeit zwischen Hemingway und dem Verlagshaus Charles Scribner’s Sons dar. Hemingway hatte das Buch ursprünglich Boni and Liveright, seinem ersten amerikanischen Verlag, angeboten. Da der jedoch auch die Bücher von Sherwood Anderson herausgegeben hat, wurde die Veröffentlichung abgelehnt.
Es wird vermutet, dass Hemingway das Buch nur aus dem Grund geschrieben hat, um aus seiner Verpflichtung mit Boni and Liveright herauszukommen. Seine Frau Hadley erinnert sich: „Hemingway hat mit Scott (F. Scott Fitzgerald) über Scribner gesprochen und wollte gern zu ihm. Er war aber Liveright gegenüber verpflichtet, und um aus dieser Verpflichtung herauszukommen, schrieb er The Torrents of Spring, womit er dessen Top-Autor Anderson parodierte. Ich weiß, dass Ernest es, nur um den Verleger zu wechseln, nicht wirklich wollte. Aber Pauline wollte es, und er tat es.“ Pauline, die zuvor mit dem Ehepaar Ernest und Hadley befreundet war, wurde Hemingways zweite Ehefrau.

Die kleine Ortschaft Petoskey

In Petoskey erinnert viel an Hemingway. Nicht nur das in einer alten Bahnstation seit den 1970er-Jahren befindliche Little Traverse History Museum, in dem es drei Sektionen gibt, von denen eine Hemingway und seiner Zeit in Michigan gewidmet ist. In dem Ort kann ich mir Hemingway gut vorstellen, wie er Potters Haus an der State Street verlässt und zur öffentlichen Bibliothek geht, wo er die Zeitungen und Magazine liest, die in Die Springfluten des Frühlings erwähnt sind. Oder wie er zum Bahnhof gehen würde, um auf dem Fahrplan nachzuschauen, was die besten Abfahrtszeiten für zukünftige Angelausflüge wären oder sich die Chicago Tribune zu kaufen. Ich kann ihn mir vorstellen, wie er im Braun’s Diner sein Mittagessen einnimmt oder von der Bear River Bridge in den Fluss schaut, wie es jeder heute noch machen kann und auch ich es getan habe.
Aber wie wirkte er damals auf die Menschen, die in dieser kleinen Ortschaft lebten? Ein junger Mann, der seine Zeit mit Schreiben verbrachte und mehr trank, als es üblich war? Der kein Geld hatte, sich beim Friseur herumtrieb und dort Geschichten erzählte? Auf Schulmädchen wartete, um sie nach Hause zu begleiten und bei zwei von ihnen – Grace Quinlan und Marjorie Bump – die Abende in der Küche verbrachte. Dort Popcorn aß und auch seine Geschichten zum Besten gab? Was mögen die Bewohner, die sich daran erinnerten, später gedacht haben? Später, als er weltberühmt war? Ich weiß es nicht.

Aller Anfang ist schwer

Während seines Aufenthaltes in Petoskey gab er nicht das Bild eines Mannes ab, der eine besondere Begabung zum Schreiben besaß. Eher das eines Mannes, der nach seiner Identität suchte, sich seiner Lebensaufgabe unsicher war, und der schon zu viel erlebt hatte, um noch unschuldig-liebenswert zu sein. Wenn er überhaupt Beachtung gefunden haben mag, damals, dann kaum für sein Talent.
Er selbst berichtete später über seine Zeit dort, als er den Umfang seiner Vorbereitungen beschrieb, dass er den ganzen Herbst und den halben Winter in Petoskey arbeitete und schrieb und nichts verkaufen konnte. Es war eine Zeit entmutigender Zurückweisungen, und tatsächlich wurde seine erste Publikation, das kleine Büchlein, Three Stories and Ten Poems, im Jahre 1923 von ihm teilweise selbst finanziert. Es erschien in einer Auflage von 300 Stück. Noch weniger, nämlich 174 Stück, wurden im darauffolgenden Jahr, 1924, vom Kurzgeschichtenband in our time gedruckt. Es war ein weiter Weg bis zum Nobelpreis, den er 1954 für Der alte Mann und das Meer (The Old Man and the Sea) bekam. Oder zum zwanzig Jahre zuvor erschienenen Buch Wem die Stunde schlägt (For Whom the Bell Tolls), einem Roman über Menschen im spanischen Bürgerkrieg, der in einer Startauflage von 75.000 Stück veröffentlicht wurde und bereits ein paar Tage später ausverkauft war. Die New York Times betrachtete es damals als Hemingways „bestes, tiefgründigstes und wahrhaftigstes Buch”.
Über die Entstehung des Buches hatte Martha Gellhorn, seine dritte Ehefrau, einmal gesagt, es sei alles erfunden und trotzdem scheint es wahrhaftiger zu sein, als das Leben selbst.

Man muss erzählen können

Dass alles erfunden wäre, ist nicht ganz richtig, denn Hemingway sagt selbst, ein Schriftsteller kann nur darüber gut schreiben, was auf seinen Erfahrungen beruht. Er kannte den Krieg aus eigener Anschauung, wurde im Ersten Weltkrieg schwer verletzt, und den Bürgerkrieg in Spanien hat er als Kriegsberichterstatter erlebt. Was Martha meint, ist die Handlung. Hier zeigt sich, dass es nicht reicht, viel zu erleben, man muss Fantasie haben und Geschichten daraus machen können, man muss, wie Hemingway es von frühester Kindheit tat, erzählen können. Gerade auch das, was man erfunden hat, und Hemingway ist dafür bekannt, viel fantasiert zu haben. Nicht nur in seinen Texten.
Wie sehr Martha Gellhorn Hemingway damals bei dem Buch geholfen und es bewundert hat, geht noch aus einem anderen Brief von ihr hervor: „Inzwischen ist Scroobys Buch fast fertig. Richtig fertig ist es erst, wenn Scribner, der Verleger, es in Händen hat und zu drucken beginnt. Wir haben ungefähr 200.000 Worte korrekturgelesen, was für niemanden ein Spaß war.
Aber es ist sehr, sehr gut. Was für ein Buch! Es ist lebendig, spannend, wahrhaftig. Es handelt vom Leben und wie man lebt und vom Sterben und wie man stirbt, was schließlich alles ist, worüber man schreiben kann. Ich bin stolz auf das Buch, genau wie Scrooby und vielleicht können wir uns jetzt ein bisschen erholen.“

Leben und Sterben

Diese Themen, das Leben und das Sterben, finden sich bereits in Hemingways allerersten überlieferten Geschichten, lange vor seinen Kriegserlebnissen noch zu Collegezeiten, beeinflusst durch die Natur Michigans und die Erzählungen vom Leben dort.
Das Leben in Chicago spiegelt sich dagegen in Hemingways Geschichten selten wider. Im Roman Wem die Stunde schlägt gibt es allerdings eine Passage, die auf ein Erlebnis zurückgeht, das Ernest hatte, als er 17-jährig von seinem Vater zum Bahnhof gebracht wurde, um nach Kansas zu fahren.
Der Protagonist Robert Jordan hatte sich lange nicht mehr so unsicher gefühlt wie zu dem Zeitpunkt, als er den Zug am Red Lodge zur Schule nach Billings besteigen sollte. Hemingway beschreibt die Szene wie folgt:
Er hatte Angst zu gehen, und wollte nicht, dass jemand es bemerken würde. Auf dem Bahnhof, kurz bevor er den Zug besteigen wollte, küsste sein Vater ihn zum Abschied und sagte: „Möge der Herr dich und mich beschützen, während wir getrennt voneinander sind.“ Sein Vater war ein sehr religiöser Mensch, und er meinte es einfach und aufrichtig. Aber Robert Jordan war das so etwas von peinlich, dass er plötzlich glaubte viel älter als sein Vater zu sein und er empfand ein so tiefes Mitgefühl für ihn, dass er es kaum ertragen konnte.
Ernest wird sich also nicht sonderlich wohlgefühlt haben, damals, als sein Vater ihn zum Zug nach Kansas brachte, um seinen ersten Job anzutreten.

Kansas Star

Der Kansas Star war seinerzeit eine wichtige Zeitung und galt als eine der besten im Mittleren Westen. Es war ein guter Ort für den Anfang, zumal die Zeitung die Ausbildung junger Reporter förderte.
Es war der stellvertretende Chefredakteur des Lokalteils, Pete Wellington, der maßgeblichen Einfluss auf den Schreibstil Hemingways hatte. Er war es, der ihn anleitete, in einem „kurzen, knackigen Stil“ zu schreiben. Wellingtons Regeln, die er jungen Journalisten mit auf den Weg gab, waren: „Verwenden Sie kurze Sätze. Verwenden Sie kurze erste Absätze. Verwenden Sie kräftiges Englisch. Seien Sie positiv, nicht negativ. Eliminieren Sie jedes überflüssige Wort. Spalten Sie keine Verben. Vermeiden Sie die Verwendung von Adjektiven, besonders solche extravaganten wie herrlich, wunderschön, groß, prächtig etc.“
Hemingway hat später dazu gesagt: „Das waren die besten Regeln, die ich je für das Geschäft des Schreibens gelernt habe. Kein talentierter Mensch, der es mit seinen Gefühlen und dem Schreiben ehrlich meint und die Dinge versucht, richtig auszudrücken, kann versagen, wenn er sich daran hält.“

Die Eisberg-Theorie

Hemingway hat nicht nur von ihm gelernt, sondern beispielsweise auch von Gertrude Stein. Er hat alle guten Ratschläge befolgt und war selbst ein ausgezeichneter Lehrmeister. Was er über das Schreiben gesagt und geschrieben hat, sollte jeder wissen, der auch schreiben möchte. Und ich meine nicht nur, aber natürlich auch, die „Eisberg-Theorie“. Hemingway propagiert damit eine Art des Schreibens: die Form des Auslassens. Er vergleicht es mit einem Eisberg, von dem nur ein kleiner Teil sichtbar ist. Er vertritt die Auffassung, alles könne weggelassen werden, sogar ein Schluss. Die Geschichte würde stärker dadurch. Vielleicht, aber das meine ich nicht ganz ernst, hat mich die Erzählung The Last Good Country (eigentlich ja wie erwähnt ein unvollendeter Roman) deshalb beeindruckt, weil so viel fehlt. Aber grundsätzlich halte ich viel von der Theorie, was bei mir als Poet nicht verwunderlich sein mag.
Geschichten werden stärker, wenn sie kürzer sind. Als ich Texte aus Platzgründen oder sonstigen Vorgaben reduzieren musste, hatte ich anfangs damit Probleme. Ich meinte, von meinem Text könne nichts weggelassen werden. Damit war allerdings nur meine Vorstellung verbunden, er wäre dann unverständlich. Ich glaubte, alles erklären zu müssen. Aber das muss ich nicht. Im Gegenteil. Vieles, was ich weiß, gehört nicht in den Text, sondern ist als Teil seiner Exposition für mich notwendig. Ich muss nicht die Schulzeit eines Protagonisten beschreiben. Ich muss aber wissen, wenn ich über sein Leben schreibe, welche Schulbildung er hat. Aus dem Text ergibt sich für den Leser dann eine Vorstellung darüber, was ‚in der Schule los’ war, ohne dass ich auch nur einmal beispielsweise das Wort Schule erwähne. Dies ist keine Erfindung von Hemingway, sondern für die fiktionale Erzählung ein literarisches Gebot. Was die „Eisberg-Theorie“ besonders macht, ist, dass sie das Weglassen per se propagiert. Wie ich schon andeutete, verstehe ich als Poet die Theorie problemlos.

„Ein paar Dinge, habe ich herausgefunden, sind wahr,“ sagt Hemingway. „Wenn du wichtige Dinge oder Ereignisse, die du kennst, weglässt, verstärkt das die Geschichte. Wenn du etwas weglässt oder überspringst, weil du es nicht weißt, wird die Geschichte wertlos. Der Test für jede Geschichte ist der, wie ausgezeichnet das Zeug ist, das du, nicht dein Verleger, ausgelassen hast.“
Ich habe kürzlich einen Roman gelesen, den ich als einen der besten aller Zeiten ansehe (unter meinen Top-Five). Er war von Anfang bis Ende in jeder Beziehung ausgezeichnet. Erst als ich ihn noch einmal in Gedanken durchging, fiel mir auf: Die Autorin hätte den Schluss weglassen können. Sie erklärt da noch etwas.
Das kann man machen, und es hat beim Lesen nicht gestört, weshalb der Verlag ihn auch nicht weggelassen hat. Aber ich glaube er war völlig überflüssig. Das Buch wäre ohne den Schluss noch stärker.

Einsatz für Menschen in Not

Nachdem Hemingway in Kansas zuerst bei seinem Onkel Tyler gewohnt hatte, zog er nach einem Monat zu seinem alten Freud Carl Edgar, den er von seinen Sommeraufenthalten in Michigan kannte. Der sagte über den beginnenden Reporter: „Hemingway ergab sich vollständig dem Charme und der Romantik, für eine Zeitung zu arbeiten. Er konnte stundenlang über seine Arbeit sprechen, besonders dann, wenn es besser gewesen wäre, ins Bett zu gehen.“ Hemingway lieferte kurze Texte. Er schrieb über das, was er in Kansas City gesehen hatte. Wie einmal, als er in eine Menschenmenge an der Union Station lief, die sich um einen kranken Mann versammelt, aber nichts getan hatte, um zu helfen. Er sah, dass der Mann dringend Hilfe benötigte, hob ihn hoch und trug ihn zu einem Taxi, um ihn in das Krankenhaus zu fahren.
Man sieht die Hilfsbereitschaft, die ihn auszeichnete und für die er später die Tapferkeitsmedaille bekam, weil er, selbst schwer verletzt, noch ernster verwundeten Kameraden half. Hemingway setzte sich für Menschen ein, die in Not waren. Wenn er konnte, kümmerte er sich. Seine Geschichten reichten von einem Kampf der Zeitungsboten über eine traurige Geschichte einer Prostituierten oder Schießereien zwischen Gangstern bis zu einem Artikel, in dem er die üblichen Tragödien der Notaufnahme eines Hospitals thematisierte.

Weitere Stationen

Die Tätigkeit bei der Zeitung gab er auf, weil er in den Krieg zog. Nach seiner Rückkehr versuchte er sich dann zur Missbilligung der Eltern, besonders der Mutter, in Michigan als Schriftsteller. Unverständnis der Umwelt, insbesondere der Familie, ist nicht unüblich und in Lebensläufen von Schriftstellern, auch bei berühmten, immer wieder anzutreffen. Aber Hemingway wusste selbst, dass er sich nicht nur mit Schreiben beschäftigen konnte, sondern seinen Lebensunterhalt verdienen musste.
Im Oktober 1919 war er kurz nach Chicago zurückgekehrt, hielt es dort aber nicht aus und zog wieder nach Petoskey. Er käme zu Hause nicht zum Schreiben, sagte er. In Petoskey verbrachte er die Tage neben seinen Schreibversuchen mit Aushilfsarbeiten für die Bezirksverwaltung, um Geld zu verdienen, das er nicht nur für seinen Unterhalt benötigte, sondern auch, um Marjorie auszuführen oder sich mit Freunden zum Dinner zu treffen.
Aber es reichte nicht, und er nahm dankend das Angebot an, nach Toronto zu gehen. Er bekam dort bei einer reichen Familie ein großes Zimmer mit einem Schreibtisch zum Arbeiten und musste dafür den behinderten Sohn, der nicht allein ausgehen konnte, ins Theater, zu Konzerten und Sportveranstaltungen begleiten. Durch die Vermittlung des Hausherrn bekam er einen Job beim Toronto Star, der ihn später wieder nach Europa zurückführen sollte, kurz nach seiner Hochzeit mit Hadley.

Seine Mutter war ein bisschen zufrieden über seinen „beruflichen Erfolg” und schrieb es ihm. Allerdings störte sie nach wie vor, dass ihre Erwartungen an eine Collegeausbildung sich nicht mehr erfüllen würden, die ihrer Meinung nach für einen Arztsohn aus einer Familie, in der Bildung einen Wert hatte, angemessen gewesen wäre. Erleichtert haben mag sie, dass der Sohn in der Lage war, mit Schreiben Geld zu verdienen. Aber das ging vorüber, und das gespannte Verhältnis zwischen beiden wurde nicht besser. Ernest kehrte im Mai 1920 zwar erneut nach Chicago zurück, verließ sein Elternhaus aber bald wieder Richtung Horton Bay.

Erst im Juli, an seinem 21. Geburtstag, besuchte er, begleitet von zwei Freunden, die Familie in Windemere. Er blieb einige Tage, bis die Spannungen eskalierten und er, wie erwähnt, von seiner Mutter hinausgeworfen wurde. Sie konnte es einfach nicht verstehen, dass Ernest das Schreiben zu seinem Beruf gemacht hatte und warf ihm Arbeitslosigkeit vor. Außerdem erwartete sie von ihm, dass er in Abwesenheit seines Vaters im Sommer auf Windemere dessen Stelle einnehmen sollte. Der Schriftverkehr, den seine Eltern in der Zeit hatten, zeigt, dass Grace sich ständig über ihn beschwerte. Schließlich führte ein Ereignis, das man nur als vorgeschoben bezeichnen kann, denn es war eine Lappalie, die eher Ernests Schwestern betraf, zum Rauswurf aus Windemere.

„Oben in Michigan“

Es wird berichtet, dass Hemingway in dieser Zeit sein erstes sexuelles Zusammensein mit einer Frau hatte, und dass dies in der Kurzgeschichte „Oben in Michigan“ nachzulesen wäre. Die Geschichte hat allerdings aus ganz anderen Gründen Wellen geschlagen, und bei Marcelline, der von der Mutter auserkorenen „Zwillingsschwester” von Ernest, hätte sich bei der Lektüre „fast der Magen umgedreht”.
Dies allerdings nicht, weil sie glaubte, ihr Bruder berichte von seiner ersten sexuellen Erfahrung, sondern weil er die Vornamen beliebter Freunde der Familie und auch besonders von Ernest für die beiden Hauptpersonen ausgesucht hatte: jene der beiden Dilworths, Liz und Jim – noch dazu für eine ziemlich rabiate Sexszene. Zu erinnern sei nur daran, dass Ernest, nachdem die Mutter ihm die Tür gewiesen hatte, bis Anfang Oktober ausgerechnet bei Liz und Jim wohnte.
Weshalb die Sexszene in der Geschichte mit ihm selbst verbunden wurde, liegt wohl daran, dass Hemingway den Text zuerst in der Ich-Form geschrieben, später aber die handelnden Personen ausgewechselt hat. Womöglich deswegen, weil er zum Zeitpunkt der Überarbeitung bereits verheiratet war. Die erste Fassung – die Spekulationen auslösende autobiografisch anmutende – hatte er im Sommer 1921 in Chicago kurz vor der Hochzeit geschrieben.

Dass er die Namen der Freunde verwendete, ist schwer zu begreifen. Ernest fühlte sich ihnen eng verbunden. Außer ihren Namen übernahm er teilweise auch ihr Aussehen und Auftreten. Da es die beiden – heute zumindest – nicht länger stören kann, da sie wie Hemingway nicht mehr leben, bleibt bei der Lektüre „Oben in Michigan“ für viele nur die Frage: Hat er oder hat er nicht?
Die Kurzgeschichte „Oben in Michigan“ ist nicht in der Sammlung The Nick Adams Stories enthalten. Die Erstveröffentlichung in Paris (in Three Stories and Ten Poems, 1923), hatte den Vorteil, dass Liz und Jim Dilworth sie nicht zu Gesicht bekamen. Am 12. Januar 1936 schreibt Hemingway allerdings in einem Brief, die Geschichte sei noch unveröffentlicht. Er wird dabei die kleine Publikation aus Paris schon vergessen haben. Aber davon abgesehen erschien „Oben in Michigan“ in Hemingways Verlag Scribner in der Tat erst in 1938.
Die Geschichte war zuvor vom Verlag aus dem Kurzgeschichtenband In Our Time, der in 1925 in den USA veröffentlicht wurde, herausgenommen worden. Hemingway entrüstet sich darüber in einem Brief an John Dos Passos: „Sie haben mich die Geschichte ‚Oben in Michigan’ herausnehmen lassen, weil das Mädchen da zum ersten Mal einen verpasst kriegt, und ich habe ihnen eine prima Nick-Geschichte geschickt über einen kaputten Boxer und einen Nigger … Diese Kämpfer-Geschichte ist verteufelt gut und besser als Oben in Mich., obwohl mir Oben in Mich. immer gefallen hat, wenn auch anderen nicht.“

Die Story ist simpel, fast ohne Handlung. Jim, ein Schmied, kommt nach Horton Bay und kauft die dortige Schmiede. Die junge Frau, die im Restaurant der Smiths arbeitet, verliebt sich in Jim, der sie jedoch kaum beachtet. Jim, der Restaurantbesitzer Smith und ein dritter Mann gehen auf einen Jagdausflug. Liz sehnt sich nach Jim. Als die Jagdgesellschaft zurückkehrt, nimmt man zur Feier des Tages einige Drinks. Nach dem Abendessen und noch mehr Drinks geht Jim in die Küche, in der Liz auf einem Stuhl sitzt. Er umarmt und küsst sie, berührt ihre Brüste und flüstert: „Lass uns woanders hingehen.“ Sie gehen zur Bay hinunter, wo Jims Hände den Körper von Liz erkunden. Sie ist verängstigt, sagt ihm immer wieder, nein, sie will nicht, lässt ihn aber schließlich gewähren. Hier der Schluss der Geschichte:
Die Planken des Stegs waren hart und kalt und splittrig und Jim lag schwer auf ihr und er hatte ihr wehgetan. Liz stieß ihn an, sie lag so unbequem und verkrampft. Jim war eingeschlafen. Er würde sich nicht bewegen. Sie arbeitete sich unter ihm hervor und setzte sich auf und richtete ihren Rock und Mantel und versuchte, etwas mit ihren Haaren zu tun. Jim schlief, sein Mund war ein wenig geöffnet. Liz beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. Er schlief noch. Sie hob seinen Kopf ein wenig und schüttelte ihn. Er drehte ihn zur Seite und schluckte. Liz fing an zu weinen. Sie ging näher an den Rand des Stegs und blickte hinunter zum Wasser. Nebel stieg aus der Bucht. Ihr war kalt und elend zumute und sie fühlte, alles war vorbei. Sie ging zurück, wo Jim lag und schüttelte ihn noch einmal, um sich zu vergewissern. Sie weinte.
„Jim“, sagte sie. „Jim. Bitte, Jim.“
Jim rührte sich und rollte sich ein wenig enger zusammen. Liz zog ihren Mantel aus und beugte sich vor und deckte ihn damit zu. Sie stopfte ihn ordentlich und sorgfältig um ihn herum fest. Dann ging sie über den Steg und den steilen sandigen Weg hoch, um ins Bett zu gehen. Ein kalter Nebel kam durch die Wälder über die Bucht.

Die Geschichte ist harsch und gefühllos mit Ausnahme der Figur der Liz. Eine schwärmerische Liebe einer jungen, unerfahrenen Frau zu dem älteren Jim, die weder romantisch noch erotisch erfüllt wird. Mit dem Kuss auf die Wange, den sie ihm nach seinem rücksichtlosen Eindringen in ihren Körper und dem lieblosen Verhalten danach gibt, drückt sie ihre fortdauernde Liebe aus und versucht, eine Reaktion von ihm zu erhalten. Als dies nicht geschieht, fühlt sie, dass alles vorbei ist, und weint.
Das eigentlich Faszinierende an der Geschichte ist, dass Hemingway die Fantasien einer unerfahrenen Frau versteht und sensibel ihre widerstreitenden Gefühle beschreibt, selbst als es zum brutalen Ende kommt. Wie er es schafft, mit knappen Worten die verletzte Seele dieser jungen Frau aufzuzeigen, wie er Liz’ Erkenntnis darüber andeutet, dass Jim einfach nur seine körperlichen Gelüste befriedigen wollte, und wie er Zärtlichkeit erst beschreibt, als alles vorbei ist, die Sehnsucht erloschen und die Hoffnung vergangen ist, dies alles zeigt bereits den großen Schriftsteller, der er einmal werden sollte.

Sehr viel später, 1936, gibt es eine Meinungsäußerung von Hemingway über die Story, die gerade aufgrund des Endes bemerkenswert ist: „Diese Geschichte nimmt in meinem Werk eine wichtige Rolle ein und hat viele Leute beeinflusst. Callaghan usw. Sie ist nicht schmutzig, sondern traurig. Damals habe ich noch nicht so gut geschrieben, besonders Dialoge. Ein großer Teil der Dialoge in der Geschichte ist sehr hölzern. Aber da an der Anlegestelle, wurde sie auf einmal vollkommen echt, das ist der Clou der ganzen Geschichte, und für mich war es der Anfang all der Natürlichkeit, die ich dann hatte.”

 

Hemingway – aus der Zeit gefallen?

Der Großschriftsteller wurde vor 125 Jahren, am 21. Juli 1899, geboren.

„Ich will als Schriftsteller gelten, nicht als ein Mann, der an Kriegen teilgenommen hat; oder als einer, der sich in Kneipen prügelt; oder als Schütze; oder als Pferdewetter; oder als Trinker. Ich will nichts als ein Schriftsteller sein und als solcher beurteilt werden.“

Wer das einst von sich gab, war einer, der seine Berühmtheit gerade auch diesen Attributen zu verdanken hat: Ernest Miller Hemingway (21. 7. 1899 – 2. 7. 1961). Seine mediale Selbstdarstellung, gepaart mit einem exzessiven Lebenswandel ließ ihn, nach vier Ehen, früh erkrankt, ausgelaugt und im Wahn aus dem Leben scheiden …

Key West

Eine „Bekanntschaft“ mit dem Ausnahmeautor machte ich, dem Zufall sei‘s geschuldet, in Key West, Florida. Als mir im Sloppy Joe’s, der Lieblingsbar „Papas“, ein handtuchgroßer Flyer von ihm mit Rahmen, um die Ohren flog. Recht derbe, denn Hurrikan Dorian war im Heranrauschen. In der Kneipe traf ich William Crown. Natürlich kam im Sloppy Joe’s das Gespräch auf Ernest, das später im Haus der Crowns bei seiner deutschstämmigen Frau Anne hitzig fortgesetzt wurde. Anne war eine glühende Verehrerin Hemingways. „William informierte mich, dass Sie schreiben – Bücher meine ich. Interessiert Sie Literatur?“, empfing mich Anne. Nun, mir blieb nichts anderes übrig, als ihre Frage zu bestätigen. Sie griff rückwärts auf den Beistelltisch, dann hielt sie The Old Man and the Sea in den Händen. „Ich liebe Hemingway und lese dieses Buch immer wieder. Besonders, wenn Naturgewalten außer Kontrolle geraten – wie bald.“

Ich war perplex, dass diese distinguierte Lady den Macho, Weiberhelden, Alkoholiker, von Publicitysucht getriebenen, verehrte, geradezu schwärmte: „Das Mannsbild, wie aus einer Eiche gemeißelt, finde ich einfach toll. Ich fühle sein Herz mit den Sehnsüchten und seinen Körper mit Verlangen und Ringen um literarische Anerkennung und Vollkommenheit. – Erzählen Sie, was lesen Sie?“ Ich warf die Hände hoch. Gewiss, eine Geste des Protestes und der Provokation. „Um Gottes willen, Hemingway! Der Langweiler mit seinen primitiven Sätzen und nichtssagenden Dialogen. Weltgeltung hat ihm allein sein Lebenswandel verschafft. Seine Figuren sind farblos. Der Plot seiner Geschichten zäh wie Melasse. Nein, ich mag Joseph Conrad, Somerset Maugham, Fredric Prokosch, Robert Ruark. Literaten, aus deren Federn gekonnte Diktion fließt.“

Anne, anfangs erschrocken über meine Reaktion, lachte jetzt und konterte ebenso emotional: „Conrad, dieser geschwätzige Pole. Ein Maulheld. Am Ende bediente er triviale Gemeinplätze, wie Maugham. Nach der zweiten Seite weißt du, wie die Geschichte ausgeht. Puh, wie ermüdend! Und Prokosch, der beschwor dunkles, archaisches Afrika, Sturm und Echo, eine Mixtur aus Klischees …“. Ich fühlte mich herausgefordert und fiel ihr ins Wort: „Herrje, sind The Green Hills of Africa, oder The Snows of Kilimanjaro große Literatur? Bei letzterem schlief ich beim Lesen und während des Films ein. Nein, zu Ernest habe ich keinen Zugang. Da wurde sein Mythos, nicht seine Kunst verlegt!“ Anne: „Ganz und gar nicht! Ihnen fehlt der Zugang, um zu erkennen, welche Kunst im Weglassen, welche Genialität im vermeintlich Banalen und der Einfachheit der Dialoge liegt. Hemingway schuf einen nie dagewesenen, vollkommen neuen Stil, der starke Bilder erzeugt. Einzigartig! Du musst dich seiner Forderung stellen, dich auf ihn einlassen.“ William hatte uns amüsiert gelauscht, meinte nun: „In Sachen Papa Hemingway ist meine Frau Expertin. Sie kann dir den Schriftsteller näherbringen.“

Hemingways Lieblingsplatz im Restaurant La Terraza in Cojimar, Kuba

Dazu kam es auch, trotz meiner Bedenken: In der Whitehead Street 907 besuchten wir das stattliche Anwesen Ernest Hemingway Home & Museum. Der Schriftsteller lebte dort mit seiner Frau Pauline von 1931 bis zu seiner Scheidung 1940. Allerdings von regen Reiseaktivitäten unterbrochen. Nach dem eindrucksvollen Rundgang durch das zweistöckige Gebäude, angefüllt mit allerlei Exponaten, umschlichen von einer Vielzahl schnurrender Sechs-Zehen-Katzen – Hemingway züchtete und liebte diese Vierbeiner –, informierte Anne: „Hier entstanden Titel wie A Farewell to Arms, The Green Hills of Africa, oder To Have and Have Not.“ Dann erhielt ich von Ihr auf einmal lose Seiten einer neu entdeckten Kurzgeschichte des Meisters der Short Stories: Hunt as Luck. Ich überflog den Text. Ein echter Ernest. Es ging ums Fischen, Kräftemessen und ´ner Schlägerei … dabei kam mir der Gedanke: Papa H. taumelte hier in Key West, wie vielleicht auch in Kuba, Afrika, oder anderswo tropensüchtig zwischen Lethargie und Spannung. Thrill und Einsamkeit, führte das zu seiner eigentümlichen Erzählweise? Einigermaßen gelangweilt stecke ich die Seiten ein.

Tags drauf fragte Anne: „Ich hoffe, du hast Hunt as Luck gelesen?“ – „Eine typische Hemingway-Story mit dem eingeschobenen Hinweis des Anglers Carlos, der erzählt, dass im Donovan‘s ein betrunkener Cop aus Jux eine Gallego zusammenschlägt – kann damit nichts anfangen.“ – „Aber, aber, das ist doch gerade der Kern. Die Tragik der Geschichte! Ein selbstherrlicher Polizist, will einem Gringo gegenüber seine Macht demonstrieren, in dem er einen unbeteiligten Kubaner, einen Mitbürger, grundlos niederschlägt. Eine glänzend, lässig eingestreute Parabel bezüglich der Absicht, die die Angler im Schilde führen. Und gleichzeitig gibt Ernest die Zwiespältig seines Charakters preis.“ – „Verflixt, du hast recht, Anne! Ich muss Hemingway aufmerksamer lesen. Es ist an der Zeit, mich intensiver mit ihm zu befassen.“

Havanna

Die Möglichkeit bot sich 145 Kilometer südlich, in Kuba. Dort lebte Ernest, ebenfalls mit Unterbrechungen, 20 Jahre in seinem Domizil Finca Vigía. Ich war gekommen, um Havanna, Kuba und den Schriftsteller für mich zu entdecken und seinen Spuren im Inselstaat der Nach-Castro-Ära zu folgen. Dabei stieß ich auf seinen Brief von 1928 an Pauline: Ich habe mich oft gefragt, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen soll, und jetzt weiß ich es – ich werde versuchen Kuba zu erreichen. Doch es mussten noch Jahre vergehen bis er sich auf der Insel häuslich niederließ. Zuvor bezog er in Havanna ein Zimmer als Schreibstube und Liebesnest im Hotel Ambos Mundos. Ecke Calle Obispo fand er sein späteres Stammlokal La Floridita, den schönsten Ankerplatz in der Karibik. Ich trank an der Bar, auf „seinem“ Barhocker, einen Daiquiri. Hemingway brachte es auf selten weniger als zehn pro Abend. Und zwar von der Sorte „Papa Doble“ mit doppelter Menge Rum. Ich klapperte sie alle ab, die vielen Stationen seines Wirkens.

Cojimar

Schließlich begab ich mich nach Cojimar. Dort lag einst Papas Motorjacht, die PILAR. Dort lebte auch sein Skipper Gregorio Fuentes und die vielen Fischer, deren Gesellschaft Ernest so genoss. Von Cojimar aus startete er, um möglichst die kapitalsten Marline, Schwertfische, Thunfische oder Haie zu angeln. Im Ort ist Papa noch heute präsent, als großer Fischer, Gönner, Autor und einer der ihren. Hat er den Fischern doch mit Der alte Mann und das Meer ein Denkmal geschrieben. Nach einem gediegenen Essen im La Terraza auf Papas Lieblingsplatz, unter einem Foto, das ihn im Gespräch mit Fidel Gastro zeigt – es gab Schalentiere, die der Schriftsteller auch gern aß – stach ich mit Enzo Hermandez und seinem Fischkutter in See.

Golfstrom

Wir cruisten auf dem Golfstrom im Kielwasser Hemingways auf Fangfahrt. Kurs: Ost-Süd-Ost. Ich saß im Kampfstuhl und hatte einen mords Fisch am Haken. Kämpfte mit dem Burschen. Herrje, war das aufregend und anstrengend – caramba, so musste sich Ernest gefühlt haben! Als Herr über ein wehrhaftes Tier, das es zu besiegen galt. Es war ein Thunfisch, fast zwei Meter lang … und plötzlich war er weg, hatte sich losgerissen. Auch gut!

Später tuckerten wir durch ein Gebiet, in dem Ernest Jagd auf deutsche U-Boote unternommen hatte. Dafür wurde seine PILAR eigens umbaut. Sein Drang an Kriegsgeschehen teilzunehmen war einfach unstillbar! Ich fragte Enzo: „Hatte Papa Erfolg mit der U-Boot-Jagd?“ Der Kubaner lachte. „Er hatte nicht eines gesehen! Die Abende nach erfolgloser Suche endeten bisweilen an Bord mit Saufgelagen, Kartenspielen und Prügeleien. Hemingway aber fühlte sich wohl, konnte er doch wieder mal Mut und Verwegenheit unter Beweis stellen.“ Sein Spätwerk Insel im Sturm erzählt von der Begebenheit als dramatisches Spiegelbild seiner selbst, das er 1945 entwarf, es ist aber erst 1971 überarbeitet, erschienen.

Zurück in Havanna

Am Ende einer langen Reise kreuz und quer durch Kuba verabredete ich mich mit Professor Juan Utiva, einst Dozent für amerikanische und kubanische Literatur. Zur Zeit schlug er sich in Havanna als Fremdenführer durch. Wir trafen uns im Ambos Mundos. Dort, wo wir uns Wochen zuvor kennengelernt hatten.

Hotel Ambos Mundos, Foyer. Hemingways erste Bleibe in Havanna

Bei einer Cohiba und Cuba Libre fragte er neugierig: „Na, und wie resümierst du deine Spurensuche? Hat sich die Sichtweise auf den Schriftsteller verändert?“ In Erwartung der Frage schloss ich meine Augen, versetzte mich auf den Kampfstuhl Ernest‘s PILAR und den des Fischkutters und antwortete: „Hmm – genetische Disposition, die merkwürdige Erziehung – Mutter Grace steckte ihr Knäblein für Jahre in Mädchenkleidung, Vater Clarence machte ihn in der Natur zum Raubein – und traumatische Erlebnisse, darunter der Selbstmord seines Vaters, haben ihn zu einer extremen, ja tragischen Person werden lassen. Einer Person, die in ihrer Besonderheit Regeln sprengte. Schon richtig, den Ruhm als Schriftsteller erwarb er durch neuartige Erzählweise des Weglassens und Minimierens. Und das erklärte er mit seiner Eisbergtheorie: entscheidende Situationen nicht detailliert auszubreiten, sondern Löcher zuzulassen, die der Leser durch Fantasie selbst schließen soll. Also, Hemingway wollte nicht nur einen erheblichen Teil seiner Story unter der Wasserlinie lassen, sondern zusätzlich schmucklos, mit wenig Adjektiven, präsentieren. Mir ist die karge Sprache zu wenig!“

„Das heißt, dein kritischer Blick auf den Autor ist geblieben?“ – „Das will ich so nicht sagen, Juan. Es ist mir jedoch klarer geworden, dass Ernest trotz seiner Verdienste um Sprache und Ausdruckskraft seine Weltgeltung nicht ohne die Vermarktung seines Lebensstils errungen hat. Er trieb ein exorbitant gutes Marketing: mied Journalisten, bepöbelte, oder verjagte sie – bis auf wenige Ausnahmen – einerseits, fütterte sie andererseits ständig mit spektakulären Abenteuern. Hauptsache El Papá blieb im Gespräch. Die Männerwelt, die einst Hemingway, den Hochseefischer, Großwildjäger, Schlachtenbummler, Verführer, Boxer, Macho, Stierkampf-Fan, Abenteuer und weiß Gott was noch alles ‚verschlang‘, ist als sein Konsument so gut wie ausgestorben, und seine bisweilen vulgären Beschreibungen übers Kräftemessen, Tieretöten, zu Kampfhandlungen, finden bei Frauen im Allgemeinen wenig Anklang. Ein bekannter Verleger ließ einmal verlauten: Ein Hemingway würde heute nicht verlegt werden. Nach heutiger Betrachtung sei er aus der Zeit gefallen. Fürwahr, Statements wie dieses von ihm mag man nicht hören: Ich schieße gern mit der Büchse, und ich töte gern, und Afrika ist genau der Ort, wo man das tut.“

„Begnadete Künstler bergen doch häufig Gegensätzliches in ihren Charakterzügen: Geniales, Soziales und Asoziales!“, meinte der Professor. – „Das stimmt. Bei Hemingway irritiert mich seine Philosophie, damit ist er eben nicht als überzeugender Repräsentant des Humanismus zu nennen!“ – „Dennoch, für die allermeisten Kritiker ist er der Pionier und Meister der Short Story und Reformer des amerikanischen Romans. Er warf Erlebtes auf den Amboss, um es neu zu schmieden – das ist ihm gelungen! Und nicht von ungefähr erhielt er 1953 den Pulitzer-Preis, ein Jahr später den Literaturnobelpreis.“ – „Schon richtig. Auch mich fasziniert der Autor. Aber muss ich ihn mögen? Schade, dass sein Lebenswandel über sein Schreibtalent dominierte. Der Mythos über seine Literatur, das bedaure ich.“

Der Professor vehement: „Nein, nein, zu seiner Literatur gehört nicht nur die Schreibkunst, sondern vor allem was er war, um authentisch zu sein, den Leser zu überzeugen. Litt er doch bald unsäglich an seiner Unfähigkeit zu formulieren; Erlebtes in richtige Worte zu fassen.“ – „Keine Frage“, bestätigte ich, „im frühen körperlichen und geistigen Verfall sah er nur noch den Freitod als Erlösung …“ Mich unterbrechend, ergänzte Juan Utiva: „ … indem er in der Diele seines Hauses in Ketchum, am 2. Juli 1961, einem Sonntag, morgens, um sieben Uhr mit einer doppelläufigen Schrotflinte der Qual, seiner von Widersprüchen und Selbstzweifeln gemarterten Seele ein Ende setzte.“

Utiva seufzte hörbar. Wir schwiegen nachdenklich. Nach einer Weile stand er auf und ging. Ich rief ihm nach: „Danke und salud y adiós!“ Dabei fielen mir Worte des Schriftstellers David Herbert Lawrence ein: Mr. Hemingways Skizzen sind exzellent: Kurz, wie das Anzünden eines Streichholzes, das Anzünden einer intensiven Zigarette, und dann ist es vorbei. Seine junge Liebesaffäre endet, als wenn man eine abgebrannte Zigarette wegwirft. Es macht keinen Spaß mehr – Alles ist zum Teufel gegangen. Und – was Ernest einst seinem Freund Aaron Edward Hotchner anvertraute: Hotch, wenn ich nicht unter meinen eigenen Bedingungen leben kann, dann ist für mich das Leben unmöglich. Verstehst du das? So habe ich immer gelebt, so muss ich leben – oder nicht mehr leben.

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Buchcover: Der Autor auf Hemingways Barhocker trinkt einen „Papa Doble“ (Daiquiri) in seiner einstigen Stammkneipe Floridita, Havanna

Wer mehr über Hemingways Leben und Wirken in Key West und auf Kuba erfahren möchte, dem sei das Buch „Kuba, Hemingway, eine Cohiba + ich“, genannt. Es ist im Buchhandel, oder unter cropp1@web.de direkt vom Autor zu beziehen. Verlag Expeditionen, 302 Seiten, gebunden mit Lesebändchen, illustriert mit Farbfotos, ISBN 978-3-947911-55-4; € 22,- (D)

Panel de discusión “ Cien años de olvido – A dónde vas, Latinoamérica?

Foto: José Napoleón Mariona

Poetas-Ensayistas-Novelistas-Pen-Alemania. Pen Centrum Alemania –
100 Aniversario.
Asamblea anual 2024 en Hamburgo.

Gabriel García Márquez al agradecer el Premio Nóbel de Literatura dijo por primera vez la frase “ Cien años de olvido para Latinoamérica“ , y el CLUB PEN DE ALEMANIA lo vuelve a utilizar en ocasión de este panel de discusión acerca de la situación de los periodistas latinoamericanos acosados en sus propios países. Los participantes al foro de discusión dieron testimonio del rescate que el CLUB PEN realizó para sacarlos con vida desde una situación de exilio domiciliar en sus propios hogares y darles protección en Europa.

María Teresa Montaño, de México

María Teresa Montaño Delgado, periodista investigativa de México, relató los detalles de la persecución y acoso de toda su familia, como reacción refleja de las mafias investigadas y la posible conexión con las agencias de gobierno adictas a proteger más a este crimen organizado que a los ciudadanos.

María Teresa fue secuestrada durante 6 horas en el año 2021, los mafiosos la amarraron de pies y manos, le vendaron los ojos y sacaron de su casa sus archivos investigativos.
En ese episodio le robaron el automóvil y dejaron mensajes de amenaza de muerte para sus hijos. Algunas organizaciones de rescate a periodistas perseguidos, como Reporteros sin fronteras y la organización Forbidden Histories le ayudaron a regresar a México, después de cuatro meses de exilio en España. Después del asilo en España continuaron las amenazas y se volvió a exilar otros cuatro meses más. Su campo de investigación periodística son las Mafias Políticas y en el año 2023 pudo editar el trabajo que antes le habían robado durante el secuestro. PEN le confirmó en diciembre del año 2023 su apoyo y ahora está en preparación un libro que narra todo este episodio. Un reportaje aparecido en el periódico madrileño EL PAÍS fue el que despertó la atención del CLUB PEN.

Acoso contra las mujeres periodistas en Latinoamérica

María Teresa opina que en toda Latinoamérica existe el derecho a la libre opinión, aunque hay agresiones nacidas de la naturaleza machista de esa sociedad, con el resultado de que se registra un mayor impacto en contra de las mujeres periodistas investigativas.

Existe esperanza en la elección de una presidenta de la República mexicana para detener la violencia estructural en contra de las mujeres.

Las tres  profundas crisis más urgentes en México

La crisis profunda de los Derechos Humanos, con los miles de casos de desaparecidos y de feminicidios se manifiesta cruelmente con la ausencia de atención para las víctimas. Muchas familias de las víctimas se han organizado para solicitar el apoyo y la protección.

La crisis profunda de poder, crea la pregunta fundamental de ¿Quién es el que gobierna de verdad en México? Es el Presidente, o es el Parlamento, o es el conjunto de Mafias Políticas?

La profunda crisis humanitaria está pendiente de solución sobre todo por la incertidumbre de la magnitud de la intervención del propio presidente saliente, para lograr entendidos con esas Mafias Políticas, lo cual le deja una herencia política a la nueva presidenta electa.

Situación general latinoamericana de la represión literaria

El plano general latinoamericano muestra una represión literaria y el estudio de la organización Reporteros sin Fronteras en su Clasificación anual mundial 2024 muestra la situación precaria de la Libertad de Prensa sobre todo en Argentina, Perú, El Salvador, con un franco deterioro de la Libertad de prensa en todos los contextos políticos.

En resumen, en Latinoamérica es delito escribir desde el lado de la oposición sobre todo en los siguientes países tales como Cuba, Guatemala y Venezuela. Hay leyes y decretos explícitos que castigan el trabajo del escritor crítico.

Ariel Macedo Téllez, de Cuba

Ariel Macedo Téllez, actor, fotógrafo, investigador, es el coordinador en Cuba de la Plataforma “Demonios y Ángeles”. Algunas actividades de denuncia trajeron la atención del gobierno y desataron la represión en su contra.

Ha sido rescatado por PEN de Alemania, para salir de esa situación de incertidumbre y se encuentra a salvo en Alemania. El acoso contra Ariel Macedo Téllez es la continuación de una larga historia de represión política contra los escritores y poetas descontentos con la política del gobierno. En el caso de Ariel, la represión policíaca comenzó en el año 2018, bajo el manto de amenazas y de interrogatorios de parte de la policía política.

El Decreto 349 del Ministerio de Cultura en Cuba

El decreto 349, del año 2018, del Ministerio de Cultura es un instrumento de represión en contra de los autores y artistas que no se incluyan en los registros autorizados por el Ministerio de Cultura.

La Policía Política tiene el monopolio de la represión contra Ariel en particular y contra las asociaciones de artistas independientes. El gobierno cubano ha arrestado varias veces a Ariel, desde 2019 al 2022 , hasta imponer la pena de prohibición para salir del país-. Interesante es la percepción de Ariel, cuando encuentra un paralelo entre la represión en contra de los escritores independientes, tanto por del estado de la República Democrática Alemana (DDR) como en Cuba. El acoso del gobierno en contra de Ariel motivó un movimiento de protesta de parte del grupo de artistas independientes en contra de la política del Ministerio de Cultura. El acoso del gobierno asume diferentes formas que van desde las amenazas, los atentados y el arresto domiciliar. Ariel pudo obtener una autorización para viajar a Nicaragua y desde allí decidió viajar durante   tres días en diferentes buses hasta llegar a México.

Los viajes clandestinos en Centroamérica

Habiendo contratado los servicios de un mafioso dedicado a la migración informal, al llegar a Guatemala le confiscó el equipo profesional como periodista , bajo la sospecha de que Ariel se había colado como refugiado para redactar un reportaje , enviado por las autoridades cubanas , a fin de desprestigiar a las naciones que tienen migrantes informales en la zona centroamericana. Aunque no recuperó el equipo que le robaron los mafiosos que organizan esos viajes clandestinos, le perdonaron la vida, al descubrir que Ariel era un poeta perseguido por el gobierno cubano. La reacción del gobierno cubano fue la de exponerlo a la opinión pública , calificándolo de lumpen , de basura social por haberse exilado voluntariamente.

El rescate de Ariel hacia Alemania

Finalmente, PEN lo sacó de México y lo rescató para trasladarse a Alemania bajo su protección.

Ariel está muy triste por la decisión de quedarse a seguir luchando dentro de Cuba, por algunos poetas cubanos perseguidos por el gobierno, y no aceptan la oferta de PEN para encontrar una solución de vida, al trasladarse hacia Alemania.

El opositor tiene que exilarse para después de estabilizar su vida en ese exilio, regresar a luchar dentro de su propio país, ya con mejores herramientas en base a sus contactos durante la duración del exilio.

Ariel era el director secreto de una Página Satírica llamada “ Hay qué muera” y su identidad fue descubierta al público, como parte del acoso del gobierno, para ponerlo en peligro de los seguidores fanáticos del régimen.

Amir Valle Ojeda, de Cuba

Amir Valle Ojeda nació en Guantánamo dentro de una familia leal al ideal revolucionario. No era una persona disidente ni desobediente al régimen.

Solamente escribía dentro de uno de los dos bloques de escritores dentro de Cuba, que son : los que están inscritos en las listas dentro de Ministerio de Cultura y los otros, como Amir Valle Ojeda que se consideran escritores libres. A los escritores libres (independientes) es a quienes acosa la policía para “calmar sus ánimos”.

Siendo hijo de un Comandante de la Revolución , la familia lo definió como la oveja negra

En el año 2004 presentó su libro en España, pero entonces el gobierno tomó represalias y le negó la autorización para regresar a Cuba, Amir tuvo que quedarse indocumentado en Madrid y entonces PEN de España lo atendió y de esa forma llegó a vivir en Berlín.

PEN de Alemania lo ha apoyado y le ayudó a conseguir un empleo en la Deutsche Welle

Ya Gabriel García Márquez intercedió a su favor ante el gobierno de Cuba en el año 2006 y tuvieron una conversación privada juntos en Alemania en el año 2007.

Amir declara que haber nacido en Guantánamo fue una razón para comenzar a escribir y pone el ejemplo de su nombre – Amir- el cual fue encontrado en un diccionario cuando iba a nacer y no tiene nada qué ver con las tradiciones del sitio o de la familia. Era el nombre de un Príncipe y la mamá decidió nombrarlo como aquel Príncipe Amir. El abuelo de Amir es un comerciante fuerte en Guantánamo a tal grado que la carne fresca de pescado que se consume en la base de los marinos de Estados Unidos se la vende el abuelo de Amir, quien entre otros negocios es el propietario de la flotilla de pescadores.

El efecto “nostalgia por Cuba como aliado

Amir relata que desde la pandemia la situación del pueblo cubano ha empeorado y piensa que el gobierno cubano necesita comprar tiempo para realizar una estrategia que mejore sus relaciones con los países que tienen “nostalgia por Cuba”, y eso incluye a Europa y a los Estados Unidos.

La situación precaria de Cuba se esperaba que cambiaría al fallecer el líder Fidel Castro y no cambió, pero luego se esperó un cambio al fallecer su hermano Raúl Castro y tampoco sucedió.

El “mañana” post socialista en Cuba

Como resultado surgió la expectativa acerca de ese “mañana”, resultando en una idea de Cuba después del episodio socialista. Esta expectativa acerca de ese “mañana post socialista” motivó que las élites socialistas enviaran a estudiar a sus hijos al extranjero para conformar una nueva élite a su regreso.

El resultado es el surgimiento de monopolios económicos dirigidos por la nueva élite, agrupando a Microempresarios legalmente y operando la planta de turismo local. No funcionan los nuevos cambios introducidos por esta nueva élite.

“El aliento del lobo”, nuevo libro de Amir

En su nuevo libro, Amir lo tituló “El aliento del lobo”, hace una comparación entre los métodos del Ministerio de Seguridad del Estado de la -Stasi- DDR- y los métodos del Servicio Secreto de Cuba. Esta idea le surgió al comparar que el muro de Berlín y la situación de isla rodeada de agua en Cuba.

Recuerda la cooperación técnica acerca de los métodos del Ministerio de Seguridad del Estado de la DDR, con las Policías Secretas en algunos países en Latinoamérica, África y Asia , por medio de la cual se enseñaron los métodos de represión , con sus estructuras comparadas.

Conclusiones del panel de discusión

Resumen del Panel de Discusión.

Las expectativas de los escritores latinoamericanos rescatados por PEN de Alemania para una nueva vida en libertad se juntan en un común denominador de la esperanza de poder reunir a la familia, trayendo a quienes se han quedado en sus países. Los dos escritores cubanos desean ver el momento de una Cuba liberada, plural, justa y democrática. De momento en su vida en el exilio alemán, esperan tener un espacio de maniobra para gozar de la libertad dentro de la democracia. El mayor desafío lo consideran en lograr una reducción de la “nostalgia alemana sobre Cuba” , a través de la divulgación de sus libros redactados ye en el exilio.

 

Die Welt von morgen: Unsere Zukunft

Foto Wolf-U. Cropp: „Dreht sich die Erde in die richtige Richtung“?

Ein imaginärer Dialog eines Vaters mit seiner Tochter 

Um Gotteswillen – warum nur! Dein Bild hängt an der Wand, gleich neben meinem Schreibtisch. Dutzende Male betrachte ich es – und spreche mit dir, schaue in deine blauen Augen, mit dem nachdenklich-ernsten Blick und manchmal kommen mir die Tränen. Du warst meine einzige Tochter, mein Schatz und mein Stolz! Ich habe deinen starken Willen, deine Intelligenz, dein Engagement und deinen Mut bewundert. Habe dich bestärkt in deiner Unbeugsamkeit was dein großes Anliegen anging: Die Bewahrung und den Schutz der Umwelt. Ja, darin hast du einen Eifer gezeigt, der mir Bewunderung, aber auch Besorgnis abrang. Du warst auf den Weg Karriere für die Umwelt zu opfern. Nobel! Fridays for Future, dann Letzte Generation waren deine besonderen Engagements … bis zum Tag deiner Resignation. Wo blieb deine Resilienz, jene Stärke, die äußere Einflüsse nicht in dein Inneres ließ? Ärzte vermuten eine posttraumatische Verbitterung, die sich bei dir fundamentiert haben könnte.

Warum? Mensch, Christin, du fehlst mir so sehr! Ewig denke ich an dich, bekomme dich nicht aus meinen Gedanken. Habe ich dich auf dem Gewissen? Als du mich nach der Zukunft fragtest? Nahm ich dir den Optimismus. Hast du den Glauben an den Sinn deiner Aufgabe verloren? Hatte ich dir die Illusion vom Leben im Einklang mit Natur und Umwelt geraubt? Wie kann ich mich entschuldigen, dich um Verzeihung bitten? Ich, als dein Vater, habe viele Fragen, unbeantwortete Fragen, die Schmerzen bereiten, weil du mir nicht antworten kannst.

Nun hadere ich gar mit meinem Beruf als Wissenschaftler, weil ich an der Welt von Morgen arbeite. Mir vorstelle, wie sich diese Welt von Morgen gestaltet. Du aber erschrakst, hattest dich abgewandt, warst über meine Sichtweise und die Rasans der Forschung verzweifelt. Hattest mich verflucht. Verflucht, dass dein Vater am Frefel wider die Natur beteiligt ist!

Ich bin Physiker, Neurotechnologe, Kognitionsforscher, arbeite in einem KI-Labor an einer Entwicklung mit Ergebnissen, für den Laien unbegreifbar. Das hatte dir Angst gemacht. Bin ich deshalb ein Verbrecher, ein Mörder, einer der Monster entwickelt, die Zerstörung schaffen?

Sagt es mir, Christin, schrei es mir ins Gesicht!

Ist Robert Oppenheimer, der Vater der Atombombe, ein ebensolcher Verbrecher? Wissenschaftler sind für Forschung und Entwicklung verantwortlich. Die Politik verantwortet die Verwendung der Resultate. Oder ist das zu einfach, verantwortungslos, oder zynisch?

Ich weiß nur, dass ich leide, unendlich traurig bin, dich, geliebte Tochter, verloren zu haben. Unsere Ziele sind unvereinbar, verlaufen diametral im Nirgendwo. Du, als die Bewahrerin und Pflegerin von Mutter Erde. Ich, der Futurologe, Mit-Gestalter einer Welt von Morgen. Das hat mir mein Teuerstes geraubt. Ich bereue  es, doch ändern lässt es sich nicht!

Mein Bemühen dich angstfrei, aufgeschlossen, tolerant zu erziehen, ist misslungen. Zukunftsangst hat dich übermannt und dich von mir entfernt. Das macht mich unglücklich, weil ich versagt habe, weil ich dir meine Welt nicht richtig erklären konnte.

So oft ich dein Bild sehe, höre ich was du sagtest: „Deine Welt ist nicht die Meine!“

Damit bis du verschwunden. Für immer? Ich weiß es nicht! Und mir kommen dann stets die Tränen. Ich weiß gar nicht, ob ich dir oft genug gesagt habe, dass ich dich liebe, dass du der wichtigste, wertvollste Mensch in meinem Leben warst. Und dass du das bis heute immer noch bist. Auch wenn du mir jetzt nicht mehr antworten kannst, und weit, weit weg bist.

Ich muss mir den Schmerz von der Seele schreiben, um nicht zu verzweifeln, um nicht deinen Weg gehen zu müssen. Meine Überzeugung, was unsere Zukunft angeht, ist zu fest verankert, ich darf sie um deinetwillen nicht verraten, um dir zu gefallen nicht aufgeben. Also halte ich Zwiesprache, erkläre dir was kommen wird, auch in der Gewissheit wie sehr ich dir deine Sehnsuchtsträume zerstöre. Verzeih mir!

Einst fragtes du mich: Was ist für dich, Vater, der Sinn des Lebens?

Meine Antwort lautete: Das Wissen weitergeben.

Schon die nächste, mit Sicherheit die übernächste Generation wird eine gänzlich andere sein. Und diese veränderte Zukunft bewirkt KI, die Künstliche Intelligenz durch Entwicklung und Umsetzung. Auf diesem Forschungsgebiet setzen China und die USA enorme finanzielle Mittel ein. Europa ist mit Deutschland auch dabei, wenngleich verhaltener, weil bürokratische und moralische Hürden höher stehen. Hinzu kommt ein anders geartetes Demokratie- und Humanitätsverständnis.

Wieso?, fragst du.

Nun, das zeigt sich im Umgang mit Flüchtlingen, der Freiheit des Individuums, der Verfolgung und Bestrafung von Terroristen und Verbrechern, oder der Durchsetzung von Zielen nationalen Interesses. Außerdem ist höchst ungewiss, wie sich die EU künftig gestaltet. Mit der Ukraine? Mit der Türkei? Mit dem Nahen Osten? Oder zerfällt die Staatengemeinschaft?

Das wäre eine Katastrophe!, sagst du.

Bei meiner mittel- bis langfristigen Betrachtung unerheblich!

Warum?

Ganz einfach, wegen der zu erwartenden, enormen Veränderung. Risiken, die an einer Vormachtstellung Chinas, der EU, der USA, oder Russlands zweifeln lassen: China droht politische Instabilität, könnte sich zudem wirtschaftlich übernommen haben. Die EU leidet an Uneinigkeit. Die USA spalten ethnische Auseinandersetzungen und Polarisierung. Russland, immer unter irgendeiner „Knute“ seiner Herrscher gelitten, fehlt es an Initiative und Innovationen.

Das trifft doch auch für China zu! Die Unfreiheit, meine ich.

Das ist zwar richtig, doch die Chinesen sind enorm arbeitsam, zukunftsorientiert und geschickte Kaufleute.

Aber Vater, bist du etwa ein Rassist?

Ganz und gar nicht! Doch so wie du, oder eine Familie, hat auch ein Volk gewisse charakterliche Eigenarten. Das zeigt sich doch in den unterschiedlichen Kulturen.

Und wem wäre denn noch eine Führungsrolle zuzutrauen?

Unter Umständen Indien.

Trotz der strengen Trennung durch deren Kasten?

Die werden überwunden. Liebe Christin, es wird sich schließlich der Staat durchsetzen, der als erster und am „brutalsten“ den mit Hilfe von KI kreierten „Supermenschen“ einsetzt und wirken lässt.

Das ist ja entsetzlich! Das darf niemals geschehen!

Ob Angst davor, Ablehnung, Unvorstellbarkeit … wir werden ihn bekommen, den Menschen mit dem „unendlichen“ Wissen. Elon Musk investiert seit Jahren erhebliche Summen, die die Verknüpfung von digitalem Wissen mit dem menschlichen Gehirn herstellen wird. Sein Projekt „Neuralink“ erhielt vor kurzem die FDA-Zulassung.

Was ist das für eine schreckliche Genehmigung, frage ich dich?

Eine US-Erlaubnis der „Food and Drug Administration“ sein Forschungsprojekt weiterzuführen.

Oh Vater, auch wenn ich das Ganze höchst unmoralisch, grauenhaft und Gottspielen wollen finde, wie wirkt sich das aus?

Brain-Computer-Interface musst du dir als Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer vorstellen. Dadurch können Chips dem menschlichen Gehirn implantiert werden und kommunizieren. Ob Musk, anderen Investoren, oder Wissenschaftlern das Vorhaben gelingt, ist nur eine Frage der Zeit. Und glaube mir: Die Antwort auf den Wandel ist der Wandel selbst!

Das möchte ich nie und nimmer erleben!

Mit Hochdruck arbeiten die USA, auch Deutschland mit Siemens an Quantencomputern, die mehrere Millionen Mal schneller Operationen verarbeiten als herkömmliche binäre Rechner. Mit einer solchen Technologie ließen sich komplexe Probleme in Millisekunden lösen. Bei einer neuronalen Verknüpfung mit der Leistung des Quantencomputers würden sich derartige Operationen unmittelbar im menschlichen Gehirn abspielen können. Wahrscheinlich sogar mit implantierten Chips im Nanobereich. Diese, mit dem eigenen und dem „unendlichen“ digitalen Wissen ausgestatteten Personen werden die Welt beherrschen. Vielleicht gar andere, neue Staatengebilde schaffen können.

Mein Gott – die Apokalypse des Menschseins!

Nein, nein, bedenke die enormen Chancen für Gesundheit, Medizin, Wirtschaft, Versorgung und auf vielen weiteren Gebieten. Natürlich bergen Fortschritte auch gefährliche Risiken. Klar ist jedoch, dass ich nicht von Hirngespinsten spreche, vielmehr von der Zukunft in fünfzig Jahren. Wissen war schon immer Macht. Doch das neue Wissen wird übermächtig!

Was sagst du dazu: Bosten Dynamics hat neulich einen Roboter vorgestellt, der auf menschliche Gedanken reagiert. Damit gedankliche Wünsche, auch Befehle, ausführt. Das bedeutet: Du hast gerade Lust auf ein Glas Weißwein. Der Roboter begibt sich selbständig zum Kühlschrank, holt die richtige Flasche heraus, öffnet sie und schenkt dir in ein passendes Glas ein. – Auch das Lügen wird in absehbarer Zeit keinen „Erfolg“ haben, weil Gedanken gelesen werden können.

Mit einer solchen Roboterleistung könnte ich noch leben. Aber das Gute bringt das Böse und umgekehrt. Wie muss man sich das künftige Leben der Menschen vorstellen?

Als klar getrennte Dreiklassengesellschaft. In Herrscher, Menschen mit dem direkten Zugriff auf das „unendliche“ Wissen mittels implantierten Chips, dann Roboter mit künstlicher Intelligenz und Beherrschte, denen das Wissen vorenthalten wird. Im Grunde ist das keine neue Situation, allerdings wird die Trennung zwischen Wissenden und Unwissenden ungleich folgenschwerer sein. Das hängt mit der dritten Kraft zusammen, dem autonomen Roboter mit menschlichen Eigenschaften. – Aber halt, es wird noch eine vierte „Klasse“ geben, die der genmanipulierten Menschen. Über kurz oder lang ist die Biotechnologie in der Lage, ein mittels Genschere angst- und schmerzfrei, auch skrupelloses Individuum zu schaffen, das willenlos, absolut gehorsam seinem Herrn dient.

Mein Gott, das ist ja schlimmer als finsteres Mittelalter mit Versklavung und Inquisition!

Da bin ich anderer Meinung. Ich sehe die umwälzende Entwicklung nicht als Bedrohung oder Horror, vielmehr als eine nächste, ja unausweichliche Stufe in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit.

Vater, wie kannst du so etwas gutheißen? Das ist doch das definitive Ende des natürlichen Menschen!

Ja, damit hast du recht. Doch es ist die einzige Möglichkeit weiter zu existieren, wenn auch auf eine veränderte, vielmehr auf eine angepasste Weise – und daran arbeite ich.

Und für den Packt mit dem Teufel hasse und verachte ich dich!

Es kommt – für dich vielleicht – noch unvorstellbarer: Da das Individuum lediglich aus der Summe einer Vielzahl kleinster Teilchen besteht, kann jedes Lebewesen in seine Teilchen zerlegt und individuell zusammengesetzt werden … mit unheimlichen Ergebnissen. Das Verhalten neuer Individuen wird durch die Zusammensetzung subatomaren Teilchen bestimmt.

Gottspielen ist verwerflich und führt in den Untergang!

Du irrst, das ist Physik der Zukunft und nicht aufzuhalten! Wir wissen, das menschliche Gehirn besteht im Durchschnitt aus zehn hoch achtundzwanzig Atomen. Zugegebenermaßen sind das sehr viele Kleinstteilchen. Die Kombination der Teilchen ergibt unser Bewusstsein. Also, damit ist das Gehirn nichts weiter als ein komplexes neuronales Netzwerk.

Um Himmelswillen, was willst du damit sagen?

Ich will damit sagen, dass Bewusstsein, Gefühle, Geist, Seele materiellen Ursprungs sind. Du kannst es auch Datenmasse nennen, die auf jeden Fall reproduzierbar sein wird. Mit anderen Worten: nichts anderes als Reaktionen elektrischer Impulse, oder die Wirkung elementarer Teilchen.

Nein, Vater, das ist schlimmste Gotteslästerung! Der Klerus aller Religionen beschert dir den Scheiterhaufen und ewiges Fegefeuer. Und das zu Recht!

Die Aufregung kann ich nachempfinden. Erlebnisse, Träume, Hass, Liebe … alles ist künstlich erzeugbar – wer kann und will das heute verstehen?

Kein Platz für die Seele des Menschen. Sein Unantastbares?

Seele? Was ist das? Namentlich Religionen haben dem Menschen eine Seele verschrieben. Auch so etwas wird künstlich herstellbar sein, wie das Denken im Allgemeinen. Theoretisch können wir bereits ein Gehirn simulieren. Praktisch lässt es sich mit einem ausreichend leistungsfähigen Computer herstellen. Quantencomputer sind auf dem Wege dazu. Alles, auch das Unvorstellbarste ist lediglich eine Frage der Rechenkapazität bei schneller Datenverarbeitung.

Bitte, hör auf! Ich ertrag dein Horrorszenarium nicht länger.

Einverstanden, Christin. Wenden wir uns wieder dem Weltenwandel zu: Stephan Hawkins sagte voraus, dass ein Großteil der Erdbewohner in den nächsten einhundert Jahren diesen Planeten zu verlassen hat. Mit dem Supermenschen wird es gelingen, dass der Mars oder ein anderer Planet eine zusätzliche Heimat des Menschen werden kann. Extraterrestrisches Leben wird notwendig, weil die Klimaveränderung nicht aufzuhalten ist …

… sie muss aber gestoppt werden! Das ist meine Forderung!

Da widerspreche ich dir. Trotz aller Bemühungen wird das nicht gelingen. Und die natürlichen Ressourcen der Erde sind endlich, schon bald werden sie verbraucht sein.

Warum, um alles in der Welt, ist die Erderwärmung nicht zu reduzieren?

Weil es keine Alternative zum Wachstum gibt!

Wachstum, Wachstum, immer diese verheerende Forderung das Wachstum zu steigern!

Wachsen oder weichen. Schlimm, dennoch unvermeidlich. Wachstum hält den Kreislauf in Gang und am Leben. Ohne ihn entstehen globale, blutige Auseinandersetzungen, unvorstellbare Hungersnöte, wirtschaftliche Zusammenbrüche und vieles Schreckliche  mehr.

Es wird doch prognostiziert, dass die Erdbevölkerung in den nächsten fünfzig Jahren abnimmt. Damit wäre eines der drängenden Probleme gelöst, dass der Übervölkerung.

Ist mir bekannt. Die Voraussetzung der abnehmenden Erdbevölkerung ist die steigende Industrialisierung in den Entwicklungsländern. Und was bedeutet das? Wachstum! Erderwärmung! Zugriff auf die letzten Rohstoffe! Der Wachstumszwang ist nicht nur wirtschaftlich begründet, sondern körperlich, wie geistig im menschlichen Gen, oder im Großhirn verankert. Die Verortung überlasse ich dir.

Und dann? Wie wird sich das Leben gestalten nach all den düsteren Seiten – durch KI ausgelöst? In meinem Kopf kreisen Gedanken um Weltdiktatur, totale Überwachung, die selbst Orwells „1984“ als harmonisches Miteinander erscheinen lässt.

Eine gute Frage. Ich stelle mir vor: Aus dem Homo sapiens novus, wird ein Homo sapiens novus ludens. Der „neue“ Supermensch, der intelligente Maschinen, also Roboter, für sich arbeiten lässt, hier oder im Anderswo.

Glaubst du denn, dass gutes, erfülltes Leben ohne Arbeit sinnvoll und möglich ist?

Warum nicht? Wir werden wie Privatiers unseren Hobbys frönen. Spielend uns anderen Dingen widmen, wie Kinder, nur  innovativer … Du siehst, die Zukunft muss nicht schrecklich sein – ganz im Gegenteil!

Ich weiß, du wirst jetzt skeptisch, vielleicht sogar verächtlich lächeln.

KI beschert uns ein Davor und ein Danach. Als Utilitarist glaube ich an ein gutes Ende im Danach und hoffe sehr, dass dich dein Lebensmut nicht verlassen hat und ich von dir ein wenig verstanden werde. Und glaube mir: Vor dem Fortschritt Angst haben, ist der Menschheit Untergang! – Ganz gleich, wo du auch sein magst. Ich wäre sehr dankbar und glücklich für deine Einsicht, liebe Christin!

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Dieser Text erschien zuerst in kürzere Form im Mackinger Verlag, Österreich zum Thema „Der Zukunft entgegen gehen“.

 

 

 

 

 

Metaphysik des Dauernden im Flüchtigen

Der neuste  Lyrikband von Sybille Fritsch, „DA! Gedichte“, beschwört durch die Dichtkunst eine Metaphysik des Dauernden im Flüchtigen.

In diesem Band sind sowohl schematische, als auch manchmal intuitive Beschreibungen des persönlich erlebten Transzendentalen versammelt – sie gehen Hand in Hand mit Erörterungen von fernöstlichem Gedankengut und mystischer Tradition u.a. des Christentums: „Gib dich zufrieden und sei stille“ (S.11).

Hauptthema des Bandes, die Definition von „Wirklichkeit“ und deren Grenzen wird in Gedichten wie „Haiku I “ (S. 9),  „Vorläufigkeit“ (S. 28) ausgedrückt. Darum bedeutet Fritsch zu lesen immer auf einem Bewusstseinsstrom zu navigieren, auf dem alle Substanzen, Gefühle und Beziehungen unaufhörlich in Transformation sind: „Die nächsten 60“ (S.16) „Da“ (S. 34).

„Komm und wachse“ ist die eine Botschaft: „Ich werde nicht bescheiden sein“ die andere (S. 49).  und zum Moment zu sagen „verweile doch, du bist zu schön“ ist immer Falschheit und Selbstbetrug gewesen; Vervollständigung und Transzendenz wurden so verpasst. Dann wird die Zeit  zu einem Gefängnis, denn wo keine Veränderung stattfindet, wird Stasis zum Verfall: „Ewige Jugend“ (S. 62)  besagt in einem skeptischen Ton, was ebenso unmöglich wie unpassend ist: „Du willst …, dass ich Deinem Blick/anheimfalle/ … die Uhren/rückwärtsdrehn/Wunder wirken“. Stillstand erst bringt Sterblichkeit d.h. Gefangenschaft im Ich: „Zeitstillstand“ (S.74).

Sobald das „Glück ohne Ende“ sich erfüllt, wird es zu einer Erinnerung. Darum ist Glück ohne Ende eine Legende. „Die Legende vom Glück ohne Ende“ (S 65). Das von einer spießbürgerlichen Mittelschicht ersehnte „Glück ohne Ende“ (S. 69) steht als leer und hässlich entlarvt da.

Der Tod ist nicht das Gegenteil vom Leben, Nacht ebenso wenig das Gegenteil von Tag „Sehnsucht“ (S. 76), sondern Ausdruck der Ewigkeit: „Sehnsucht geerdet /in Sinn und Verstand … im Haar.“ Die letzten 7 Zeilen dieses Gedichts erinnern an die Aussage des Sufimystikers Imadeddin Nesimi: „Ins Absolute schwand ich hin. Mit Gott bin ich zu Gott geworden.“ Die Einheit der Welt  besteht in Gott, der nicht außerhalb oder über, sondern in der Welt realisierbar ist: „Zwischentöne“ (S. 82). Jedoch existiert neben der immanenten Gottesebene eine transzendentale (c.f. Spinoza), auf der alle Elemente vereint sind. Das kann man auch von „Ausflug in die Zeit“ (S.100) behaupten.

Gott ist für den Pilger ein Paradox: „Licht ohne gleichen, das dunkel ist,/ in dem wir sehn.“ Des Pilgers Auffassung der Wirklichkeit ist unvollkommen und „beschlagen“ (c.f. 1. Kor. 13:12): Doch am Ende seiner Zeit sieht er ohne Schleier, „Nur eins dies Jahr“ (S.101), „Von Angesicht/ zu Angesicht“. Die Zeit kann nur punktuell Heimat werden, sie bleibt ein Tal der Tränen.

Jenseits der Zeit kann und muss man sich dann von den Elementen treiben lassen – wenn alle Zeiten zu einer Zeit zusammenkommen – das ist die Dialektik von Sein und Nicht-Sein. „Ich“ enthält in einem ewigen Augenblick alle Emotionen und überhaupt alles, was gewesen ist und was kommen wird. Gegensätze und Gegenteile sind versöhnt. „Ich“ ist befreit und nicht in der Zeit, sondern umgekehrt. Diese Herrschaft über die zeit besiegt den Tod: „Liedchen für den ewigen Augenblick – ein kaltes Gedicht“ (S. 88-89). In die Zeit hineingeboren zu sein, heißt auf eine Pilgerfahrt losgeschickt zu werden  – „Nur eins dies Jahr“  (S. 101): „Die Zeit ein Wanderstab/ zu Gott…“ – auf der das Ego vor dem Körper stirbt – „Vorhangbrokat“ (S. 36)  – . Tod und Sterben als Ende des hiesigen Fortlebens bedeuten die Transformation in einen anderen Zustand, die Erlangung von Frieden.

Der Band endet mit dem Gedicht „Gebet“ (S. 105). Eine Bitte an Gott und eine Zusammen- fassung der Merkmale des Pilgerlebens und dessen Hoffnung: „Mut und Neugier“, „Schönheit“, „Klugheit, Liebe dieser Welt/ zu Füßen legen und auferstehn…/ und dir Verstand und Herz und Sinn verdanken/ und meine Schranken testen …/ Ich komme zur Ruh und komm doch nicht zur Ruh,/bis ich ganz göttlich bin./Ich glaube und ich glaube nicht -“. Darum, liebe Leser(innen), mit Sybille Fritsch beten und „AUFSTAND WAGEN…“ !

Sybille Fritsch, „DA! Gedichte“, Geest-Verlag 2024, 116 S., 12 Euro,
ISBN 978-3-86685-974-6