Betreuter Kunstgenuss: Die Caspar David Friedrich Ausstellung in Hamburg

Caspar David Friedrich (1774–1840)
Selbstbildnis mit aufgestütztem Arm, um 1802. Feder in Braun über Bleistift, 26,7 x 21,5 cm. Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
© Hamburger Kunsthalle / bpk
Foto: Christoph Irrgang

Dies vorab: Die Ausstellung zum 250. Geburtstag des großen Romantikers entwickelt sich zu einem veritablen „Blockbuster.“ Die Hamburger Kunsthalle zählte kaum sechs Wochen nach der Eröffnung bereits an die 100.000 Besucher. Und der Ansturm hält an. Wer bis zum Ende der Schau am 1. April 2024 noch ein Zeitfenster erhaschen will, muss sich sehr beeilen.

Glücklich ist….

Ich gehörte zu den Glücklichen, die das Werk Friedrichs an einem Sonnabend aus nächster Nähe betrachten durften. Meine Freude erhielt jedoch nach Betreten der Ausstellung einen herben Dämpfer. Friedrichs Werk kommt in diesen kleinen Räumen nicht optimal zur Geltung, zumal die Bilder extrem eng gehängt sind. Aufgrund des Gedränges ist es schwer, die Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen auf sich wirken zu lassen

Betreuter Kunstgenuss? Für manchen eine Zumutung, aber das ist nicht der einzige Kritikpunkt. Nahezu verstörend empfand ich die großen Tafeln an den Wänden, die dem Besucher wortreich erklären, was er auf den Bildern sehen soll. Waren da Influencer am Werk, die zwar keine Waren bewerben, dem Publikum aber ihre einzig richtige Sicht auf das Werk verkaufen wollen? Mit dem seinerzeit nicht thematisierten, jedoch heute täglich beschworenen Klimawandel hatte der liberale Künstler Friedrich wahrlich nichts zu tun. Aber genau in diese Richtung soll der Betrachter angesichts der „Zerbrechlichkeit der Natur“ gelotst werden. Und das mit Nachdruck. Als Aufhänger dient das Gemälde „Das Eismeer.“ Es zeigt ein Schiff, das von riesigen Eisschollen zerquetscht wird. Eine kritische Stimme sieht hier keine Klimakatastrophe, sondern eine Anspielung auf die gescheiterten Hoffnungen des Künstlers auf nationale Einheit am Ende der napoleonischen Befreiungskriege.

Nun malt man schön

Über den „Vermittlungsraum“ ist zu sagen, dass die Ausstellungsmacher dessen großflächige Wände für einige der spektakulärsten Gemälde Friedrichs , u.a. „Kreidefelsen auf Rügen“ und „Auf dem Segler“, hätten nutzen sollen. Stattdessen sind die Besucher aufgerufen, sich Gedanken über die Rettung der geschundenen Welt zu machen und ihre hehren Gedanken in Bildchen auszudrücken. Infantiler geht nicht.

Mehrere zeitgenössische Künstler, die sich dem Romantiker Friedrich auf ihre Art angenähert haben, präsentieren ihre Werke in einem Nebenraum. Während der Japaner Hiroyuki Masuyama mit seinen raffinierten Fotomontagen in LED-Leuchtkästen einen sehenswerten Beitrag zur Ausstellung beisteuert, wirkt das Werk des afro-amerikanischen Malers Kehinde Wiley mit seiner postkolonialen Botschaft reichlich deplatziert: Kitsch-as-Kitsch-can!

Caspar David Friedrich (1774–1840)
Wanderer über dem Nebelmeer, um 1817
Öl auf Leinwand, 94,8 x 74,8 cm
Dauerleihgabe der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen
© SHK / Hamburger Kunsthalle / bpk
Foto: Elke Walford

Fazit: Trotz aller Kritik an dem aus meiner Sicht verfehlten Konzept war die Wiederbegegnung mit Friedrichs Werk ein Gewinn. Da der ehemalige Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark (1852 bis 1914) einige der berühmtesten Gemälde Friedrichs erwarb – u.a. „Das Eismeer“ und „Wanderer über dem Nebelmeer“ – werde ich die Werke genüsslich in aller Ruhe auf mich wirken lassen, sobald sie nach einer längeren Tournee an ihre angestammten Plätze in Hamburgs Kunsttempel zurückgekehrt sind.

Zum Schluss eine Empfehlung: Florian Illies, Autor, Journalist Kunsthistoriker und Kunstsammler, hat rechtzeitig zum 250. Geburtstag Friedrichs eine Biografie über den Künstler unter dem Titel „Zauber der Stille“ bei S. Fischer herausgebracht. Das Buch führt den Leser einfühlsam und kenntnisreich durch das bewegte Leben des Künstlers. Hörbuch bei Audible, gelesen von Stephan Schad. Ein Lese- und Hörgenuss.

Digitale Angebote zur Ausstellung: https://cdfriedrich.de/

Berührt von schönen Büchern

Am 25. Februar 2024 veranstaltete der Büchermacher Ralf Plenz in Kooperation mit der Hamburger Autorenvereinigung ein Treffen der Pirckheimer Gesellschaft in Hamburg-Altona. In der Alfred-Schnittke-Akademie konnten Interessierte sich über die Institutionen informieren, bibliophile Buchausgaben bewundern und erstehen. Dabei ging es auch um die Frage, was der Begriff „bibliophil“ denn eigentlich umfasst.

Den ersten Programmpunkt der Tagung bildete jedoch ein Vortrag von Ralf Plenz über die Umwälzung der Druckbranche, verknüpft mit seinem Werdegang in dieser Branche. In den 1960er und 70er Jahren fand der Wechsel vom Bleisatz zum Offsetdruck statt. Als Gründungsmitglied der Druckwerkstatt Ottensen bot Plenz gemeinsam mit seinen Mitstreitern eine Spezialität an: Zum Gestalten der Druckvorlagen für die Kunden verwendeten sie altes Werkzeug wie zum Beispiel Federn und stellten die Vorlagen handschriftlich her. So hatten sie viele Autoren und Künstler unter ihrer Kundschaft, u.a. den Lyriker Peter Rühmkorf und den Künstler Albert „Ali“ Schindehütte, der durch die Rixdorfer Drucke berühmt wurde. Die Druckwerkstatt, die heute noch existiert, war ein Erfolgskonzept aus hochwertigen Druckerzeugnissen in Zusammenarbeit mit Kleinstverlagen, dem Verkauf einer kleinen Auswahl an besonderen Büchern sowie Umweltschutzpapiererzeugnissen und einem Copyshop.

Palma Kunkel als Raubdruck

Ralf Plenz (Foto: DAP)

Plenz berichtete über Details des Druckwesens, zu denen Laien kaum Zugang haben. So erfuhr manch erstaunter Gast, dass digital gedruckte Bücher für Bibliothekare nicht archivfest seien, weil diese keine 100 Jahre hielten. Denn Digitaldruck ist technisch fast immer eine Fotokopie – sie blättert ab, wenn sie beispielsweise geknickt wird. Zudem sind die Buchrücken nicht gerade für die Ewigkeit gemacht und brechen meist, wenn man das Buch weit aufzuklappen versucht. Aus diesem Grund ist die Reihe „Perlen der Literatur“ von Ralf Plenz (Input-Verlag) im Offsetverfahren gedruckt und hochwertig ausgestattet.

Für den Nachdruck der historischen Titel fahndet Plenz in Antiquariaten nach sehr alten Ausgaben und stößt manches Mal auf Kuriositäten. Eine ganz besondere ist ein Gedichtband von Christian Morgenstern, datiert auf den Zeitraum 1915-1920, mit gerissenem statt geschnittenem Papier. Die Nachforschungen des Büchermachers ergaben, dass es sich um einen Raubdruck handeln muss, denn in keinem autorisierten Buch gibt es diese Zusammenstellung aus drei Bänden Morgensterns, zudem noch in einer Ausgabe.

Paradiesische Bücher made in Hamburg

Rudolf Angeli vom Angeli & Engel-Verlag bestritt den zweiten Vortrag im Programm. Der Verlag „widmet sich Publikationen zur Kunst mit bibliophilem Anspruch“ (Verlagswebsite). Angelis Leidenschaft für das Schachspiel und für Stefan Zweigs „Schachnovelle“ motivierte ihn schließlich, ins Verlagswesen einzusteigen. Eigentlich aus dem Management kommend, gründete er gemeinsam mit dem Autor Peter Engel den „Verlag für paradiesische Bücher“ (Verlagswebsite) in Hamburg und eignete sich autodidaktisch das entsprechende Wissen an. Neben den o.g. Publikationen betreibt er ein Antiquariat. Er ist von Worten fasziniert und bezeichnet seine verlegerische Berufung als „Serendipity“, also eine „zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist“. (Wikipedia)

Rudolf Angeli (Foto: DAP)

Ein Blick auf den liebevoll präsentierten Büchertisch beglaubigt seine Leidenschaft und man möchte die hochwertigen, großformatigen Bücher gern berühren und aufschlagen. Aktuell erschien die 4. Edition, das Balladenbuch „Liebe, Leid & Untergang“ von Klaus Waschk, das als Buchhandelsausgabe und als Vorzugsausgabe mit einer Original-Grafik des Künstlers erhältlich ist.

Bei so vielen spannenden Vortragsthemen konnte man fast das Anschauen ebenjener Büchertische vergessen. Dabei gab es unter den ausgelegten Leseschätzen viel Schönes zu bewundern, so zum Beispiel der Nachdruck der sehr kurzen Erzählung „Die Insel“ von Stefan Zweig, hochwertig gebunden als schmales Heft mit einer nachgedruckten Grafik von Markus Behmer sowie ergänzt durch das Faksimile des handschriftlichen Manuskripts als Beigabe.

Als weitere Besonderheit hat der Verlag Angeli & Engel 2020 den „Hamburger Bothen“ herausgebracht, einen Rundbrief, der sechsmal im Jahr erscheint, um über einschlägige Veranstaltungen zu informieren und die Kontakte innerhalb der Regionalgruppe Nord der Pirckheimer Gesellschaft zu unterstützen.

Antiquarisches und Bibliophiles

In der Alfred-Schnittke-Akademie ging es nach der Mittagspause mit einem Podiumsgespräch weiter. Zunächst sprachen Ralf Plenz und die Verfasserin dieses Artikels über die in Hamburg-Ottensen spielende Trilogie „Großstadt-Oasen“, zu denen auch zwei Podcastfolgen kostenlos zu hören sind. Im weiteren Gespräch zu dritt mit Rudolf Angeli ging es zunächst um die Situation der Antiquariate in Deutschland und die Vor- und Nachteile der Online-Portale, mithilfe derer sich Bücherfreunde zwar einfach sowohl seltene Ausgaben beschaffen als auch durch Verkauf gebrauchter Exemplare ihr Bücherregal aufräumen können, die jedoch für die stationären Antiquare eine Existenzbedrohung darstellen. Denn wegen sofortigen Vergleichbarkeit aller Anbieter des gleichen Produkts fallen die Preise. Ehemals kostspielige Raritäten sind heutzutage für wenige Euro erhältlich. Zudem wird die Anzahl der Leser insgesamt drastisch weniger und teilt sich überdies auf in solche, die noch Papierbücher lesen und andere, die digitale Medien wie E-Books bevorzugen. Das sind immerhin konstant sechs Prozent.

Aus diesem Thema folgte die Frage, was denn eigentlich bibliophil sei? Wikipedia offenbart dazu: Als Bibliophilie bezeichnet man allgemein das Sammeln von schönen, seltenen oder historisch wertvollen Büchern, meist durch Privatpersonen zum Aufbau einer Privatbibliothek nach bestimmten Sammelkriterien. Die drei Diskutanten einigten sich zusätzlich auf die Ausstattung (Haptik, Papierqualität, Bindung, Veredelung, Beigaben wie z. B. Künstlergrafiken und natürlich die besondere Typografie etc.), den Geruch und die persönliche Bedeutung von Büchern für die Leser. Rudolf Angeli empfindet Bücher wie Freunde, was eine berührende Umschreibung und sehr nachvollziehbar für Menschen ist, die sich einmal mit dem Lesen infiziert haben.

Pirckheimer „unterwegs im Büchermeer“ im April

Die Pirckheimer Gesellschaft, die nach eigenem Bekunden „Sammler und andere Verrückte“ beheimatet, betreibt auf ihrer Website auch einen umfangreichen und vielfältigen Blog. Außerdem wird sie am 5. bis 7. April 2024 im Museum der Arbeit (Hamburg-Barmbek) bei der Buchdruckkunstmesse „Unterwegs im Büchermeer“ vertreten sein. Vielleicht kann man dort auch die weiteren Aussteller, die krankheitsbedingt nicht in Altona sein konnten, antreffen und ihre Schätze bewundern.

Sammler und andere Verrückte

Rainer Ehrt: „Kinderbild Christa Wolf“, Druck nach einer Zeichnung. Foto: Pirckheimer Gesellschaft

Bücherliebhaber und -sammler treffen sich zum Austausch
Für alle Buchliebhaber findet bei freiem Eintritt in Hamburg-Altona eine Tagung im Rahmen des Jahrestreffens der Pirckheimer Gesellschaft statt. Die Herausgeberin der bibliophilen Zeitschrift „Marginalien“ hat ihren Sitz in Berlin und vereint nach eigenen Angaben „Sammler und andere Verrückte“, namentlich Bibliophile, Freunde der Graphik (mit ph!) und Exlibrissammler. Es scheint, als trotzte ein kleines gallisches Bücherfreundedorf mit rund 600 Mitgliedern den digitalen Römern, von denen es zunehmend umzingelt wird. Man sollte jedoch nicht glauben, dass man es hier mit ewig Gestrigen zu tun hat, im Gegenteil gelingt es den Pirckheimern, Klassik und Gegenwart harmonisch zusammenzubringen, das Schöne durch die Zeit zu erhalten und Menschen neu für das Medium Buch zu begeistern. Wem das Herz bei leinengebundenen Büchern aufgeht, wer sich gern Exlibris in den Buchdeckel klebt oder gar selbst welche zeichnet, der ist bei dieser Tagung in seinem Element und wird Gleichgesinnte treffen, mit denen es sich vortrefflich fachsimpeln lässt.

Foto: Pirckheimer Gesellschaft

Sicherlich werden auch die „Marginalien“ vor Ort zu finden sein. Diese »Marginalien – Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie« werden von der Pirckheimer-Gesellschaft im quartus-Verlag herausgegeben und geben den Lesern einen Einblick in die unterschiedlichsten Bereiche der Buchkunst und Bibliophilie aus Geschichte und Gegenwart.

Die Pirckheimer-Gesellschaft schaut auf eine bewegte Geschichte zurück: Gegründet 1956 unter dem Dach des Kulturbundes der DDR ist sie jahrzehntelang die größte bibliophile Gesellschaft im deutschsprachigen Raum – zu Hochzeiten mit weit über 1000 Mitgliedern. Sie regt breitenwirksam die Lust aufs gut gemachte Buch an – mit Editionen, Ausstellungen und der eigenen Zeitschrift Marginalien. Aus den unruhigen Wendejahren ersteigt sie neu motiviert und zieht mittlerweile ihre Kreise in ganz Deutschland mit Regionalgruppen von Bayern bis Berlin. Zum Verein Pirckheimer Gesellschaft erfahren interessierte Leser mehr auf der Webseite, die auch Porträts von Sammlern umfasst, und vor allem im Blog.

Das Programm in Hamburg

Die vom Pirckheimer-Mitglied Ralf Plenz ausgerichtete Veranstaltung „Pirckheimer-Treffen samt Vorträgen und Ausstellung mit Gästen der Hamburger Autorenvereinigung und anderen Buchliebhabern“ beginnt am Sonntag, 25. Februar 2024 um 11 Uhr und endet um 17 Uhr.
Anschrift: Alfred-Schnittke-Akademie, Max-Brauer-Allee 24, 22765 Hamburg (Altona), das ist 400 Meter vom Bahnhof Altona (Fernbahn und S-Bahn) entfernt. Der Eintritt ist frei.

Alfred-Schnittke-Akademie

Es gibt einige Fachvorträge von Kennern antiquarischer Bücher, Druckern, Buchkünstlern, Autoren und Verlegern des besonderen Buchs. Gemeint sind sowohl antiquarische Bücher, Sammlerobjekte und Handpressendrucke, jedoch auch wiederveröffentlichte Klassiker. Die Vorträge sind abwechslungsreich, genügend Pausen für Gespräche sind eingeplant. Dazu gibt es an den Tischen der Aussteller viel bibliophiles Anschauungsmaterial.

 

(Dieser Text enthält Auszüge aus der Homepage der Pirckheimer Gesellschaft. Wir bedanken uns für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.)

Text: Ralf Plenz und Maren Schönfeld

Bob Dylans Porträts in der Alten Druckerei Ottensen

Mit Zeichnungen, Künstlerbüchern und einem Ölgemälde von Bob Dylan wurde die Ausstellung im Rahmen einer gut besuchten Vernissage am 3. November 2023 in der Kultureinrichtung „Alte Druckerei Hamburg-Ottensen“ feierlich eröffnet.
Die aus Polen stammende Künstlerin Anna Perehuda Zalewski (86) lebt und arbeitet seit 40 Jahren als freischaffende Künstlerin in Hamburg und hat sich mit ihren Ausstellungen in Hamburger und norddeutschen Galerien einen Namen gemacht. Ihre Porträtzeichnungen und Porträt-Ölbilder sowie ihre Rosenbilder sind in Künstlerkreisen begehrte Sammlerobjekte. Ihre Werke über Bob Dylan werden nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Künstlerbücher „The Many Faces“ mit ihren Zeichnungen hat die Künstlerin selbst konzipiert und die Liedtexte von Bob Dylan eigenhändig kalligraphiert. Die Künstlerbücher sind in einer limitierten Auflage erschienen und mit der Signatur der Künstlerin versehen. Anna Perehuda Zalewski, die unerschöpfliche, energiegeladene Zeichnerin und Malerin, hat weit über 200 Porträts von Bob Dylan angefertigt.

Wer ist Bob Dylan?

Er kam als Robert Allen Zimmer am 24. Mai 1941 in Duluth im Bundesstaat Minnesota, USA zur Welt und entwickelte sich zu einem weltbekannten US-amerikanischen Singer-Songwriter und Lyriker. Er gilt als einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts und erhielt 2016 als erster Musiker in der Geschichte den Nobelpreis für Literatur.

Bob Dylan ist ein universaler Künstler: In erster Linie ist er Sänger, darüber hinaus spielt er mehrere Instrumente, wie Gitarre, Mundharmonika, Orgel, aber auch Piano. Zu Beginn seiner Karriere war er als Folkmusiker bekannt, wandte sich aber Mitte der 1960er Jahre der Rockmusik zu. Beeinflusst wurde er zudem durch Stilrichtungen wie Country, Blues, Gospel und Musiktraditionen wie das Great American Songbook. Dylans Liedtexte sind vielschichtig und enthalten Elemente der High und Popular Culture. Sein Werk ist umfangreich, anspruchsvoll, vielseitig und strahlt eine starke, poetische Kraft aus. Es spiegelt die politischen, gesellschaftlichen und religiösen Ereignisse unserer Zeit wider. Dylan hat sich über sein Lebenswerk stets bescheiden geäußert, so auch zur Verleihung des Literaturnobelpreises. Er habe nie darüber nachgedacht, ob seine Texte im engeren oder weiteren Sinne Literatur seien.

Es gibt auch Kritik

Heinrich Detering, Literaturwissenschaftler und Dylan-Experte, äußerte sich in den Medien, u.a. im Deutschlandfunk Kultur, begeistert über die Werke von Bob Dylan. Zusammenfassend könnte man sagen, dass Bob Dylans Schaffen ein Lebenswerk ist, das man als Text gerne liest und als Song gerne hört, bzw. beides gerne gleichzeitig genießt. Bob Dylan hatte und hat jedoch auch Kritiker. Die einen mögen seine Stimme nicht, die anderen huldigen ihr. Sein Schaffensdrang ist jedenfalls ungebrochen. Der Nobelpreisträger ist mittlerweile 82 Jahre alt und als Dichter, Songwriter und Live-Musiker weiterhin unermüdlich aktiv. Seine phänomenale Größe beweist er immer wieder in der Literatur und Musik. Dylans Songtexte sind eindrucksvoll, seine Melodien reißen das Publikum mit. Seit mehr als 60 Jahren dichtet und singt er, wobei er auch am Klang seiner Stimme fortlaufend arbeitet. Bis jetzt produzierte er Hunderte von Songs und Weltstars wie Harry Belafonte oder Bruce Springsteen coverten seine Stücke. Zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur im Jahr 2016 wurden jedoch auch kritische Stimmen laut. Sein neues Album „Rough and Rowdy Ways“ brachte ihm jedoch großen Erfolg ein und festigte seinen hohen Status in der Welt der Popularmusik.

Bob Dylan hat ein umfangreiches Werk geschaffen, seine Songtexte sind zeitlos und regen dazu an, über uns Menschen, unser Handeln in der Landes- und Weltpolitik, sowie über die Natur nachzudenken. Bob Dylan hat seine Botschaft auf einem weiten Feld in unserer Gegenwart ausgesandt.

Es ist erfreulich, dass sich die bildende Künstlerin Anna Perehuda Zalewski so intensiv mit Bob Dylans Werk beschäftigt hat und es uns mit ihrer Ausstellung ermöglicht, das Lebenswerk Dylans gründlicher zu erschließen und noch tiefgreifender zu verstehen. Während der Vernissage hat die Künstlerin selber das Wort ergriffen. Sie erzählte mit viel Humor, dass sie an dieser Ausstellung etwa drei Jahre lang gearbeitet und sich gequält habe, auch während der langen Corona-Pandemie. Sie wies darauf hin, dass ihre Zeichnungen unverkäuflich seien, da diese Kollektion demnächst in anderen Galerien gezeigt wird.
Die inspirierende Vernissage wurde musikalisch umrahmt: Der Gitarrist David László Kova (u.a. zu finden auf YouTube unter: „Bardenschule David László Kova“) sang und spielte bravourös mehrere Lieder auf seiner klassischen Gitarre.

 

Die Ausstellung endet mit einer Finissage am Mittwoch, den 13.12.2023 um 19:00 Uhr mit Wortbeiträgen und kulturellen Überraschungen.
Alle Interessentierten und Kunstliebhaber:innen sind herzlich eingeladen.
Der Eintritt ist frei.
Adresse: Alte Druckerei Hamburg-Ottensen, Bahrenfelder Str. 73 d

 

Bilder: Anna Perehuda Zalewski
Foto der Künstlerin: László Kova

Franz Schulz. Ein Autor zwischen Prag und Hollywood

  1. cinefest Hamburg, 26.11.2023: „Bomben auf Monte Carlo“ (1931)
Franz Schulz und Elisabeth Trautwein-Heymann beim Kaufladen von Elisabeth Trautwein-Heymann, Foto: G.G. von Bülow

Eine Rede von G.G. von Bülow: Franz Schulz. Ein Autor zwischen Prag und Hollywood

Der deutsche Film hat, bis 1933, einige seiner besten Komödien einem Mann zu verdanken, der kein Deutscher, der aber in der deutschen Sprache zuhause war: Franz Schulz, 1897 im Prag der k.u.k. Habsburger Monarchie geboren, lässt uns autobiographisch wissen: „er habe seine Erziehung nominell am Graben-Gymnasium genossen, wirklich jedoch in den Bildungsstätten Café Arco und Café Continental…“ in denen es laut Karl Krauss nur so „werfelt, brodelt, kafkat und kischt“. Dieses Prager Sammelbecken deutscher Literatur sollte prägend für F.S. und zeitlebens sein Gütesiegel sein.

Nur zu gern folge ich also der cinefest Einladung ins „Metropolis“. Denn genau an dieser Stätte durfte ich 1997 – damals wie heute Mitglied der Hamburger Autorenvereinigung – meine brandneue Biografie Franz Schulz. Ein Autor zwischen Prag und Hollywood (Prag 1997) anlässlich seines 100. Geburtstags den Hamburgern präsentieren. Geehrt wurde er mit einem seiner großen Ufa-Filme von 1930 Die Drei von der Tankstelle – mit der: Achtung! – Musik: von Werner Richard Heymann, seinem „Freund, ein guter Freund…“

(an dieser Stelle mein Dank an Sie, lieber Hans-Michael Bock, dass mir der CineGraph – noch während meiner Recherche- seine Schulz-Filmografie zur Verfügung stellte und Sie mich bereits 1996 als Ihre Co-Autorin zum Franz Schulz-Eintrag in Ihr „Lexikon zum deutschsprachigen Film“ aufnahmen, danke!)

Ein Autor zwischen Prag und Hollywood

Buchcover

Und wenn ich schon einmal dabei bin, das Füllhorn meines Dankes auszuschütten, dann gehen wir im Jahre 1997 einen Schritt zurück, nämlich zur Berlinale im März 1997. Der Leiter der Retrospektive – Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen (Kinemathek Berlin) – hatte meiner Franz-Schulz-Biografie nicht nur einen grandiosen Auftritt im „Astor“ verschafft, er hat mich mit seiner Kompetenz auch immer unterstützt. Dafür bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet. Denn eigentlich hatte ich – nach meiner Logik „für eine intelligente Frau gibt es keine Probleme“ – gehofft, ob nicht besser er, Jacobsen, die Biografie schreiben wolle… nachdem Hellmuth Karasek (gerade mit „Billy Wilder“ auf dem Markt) mir suggerierte:“ Ach, Sie kannten den Schulz? dann müssen Sie die Biografie schreiben!“ Dann auch Jacobsen: „Sie kannten den Schulz, also sollten Sie die Biografie schreiben.“ Eine noble Haltung! Doch kannte ich denn „den Schulz“? Aber nein! – ich kannte nur einen Franz Spencer! Seit unserer Begegnung 1958/59 auf Ibiza – damals glückselige Insel internationaler Künstler – seit ich am Blankeneser Elbestrand mein erstes Vierteljahrhundert über Bord geworfen hatte – auf der Suche nach der eigenen Kreativität, in der Hoffnung: nicht nach der verlorenen Zeit! So traf die Aussteigerin auf einen älteren amerikanischen Schriftsteller namens Spencer, der sich auch gerade neu erfand und als „Gentleman-Nomade“ das Mittelmeer umkreiste Ein Exilant. Der mit der Erfahrung: „Die Freiheitsstatue lächelt nicht immer“ nach Europa zurückgekehrt war und – in die deutsche Sprache. Von ihm gesprochen hörte es sich wie das vielgerühmte beste Prager Deutsch an. Spencer schrieb nun für Bühne und Hörfunk, ging Mitte der 1960er schwanger mit seinem „Schwanengesang“, seinem einzigen deutschen Prosawerk: „Candide 19.. oder das miese Jahrhundert“ (München 1966). „Bruder Voltaires“, befindet Wolfgang Jacobsen im Vorwort zur Biografie. Die Presse feierte das Buch u.a. die Süddeutsche…ein satirischer Gruß aus dem Prager Literatencafé alter Schule, ein mondäner Nachtrag zum „Braven Soldaten Schwejk“… (Den glücklichen Autor vor Augen, habe ich seinen „Candide“ 1994 posthum bei Aufbau Berlin neu herausgegeben, was – wenn man das als Erfolg werten kann – diverse Raubdrucke produzierte.)

Doch wo ist der Filmautor Franz Schulz geblieben?

Haben wir in Ibiza etwa über Filme gesprochen? Nein. Selbst wenn im Montesol am Nebentisch die „Jungfilmer“ sich neu entwarfen. Kein Wort. Oder kaum ein Wort! – getreu seiner Lebensdevise: Vom übrigen wollen wir nicht sprechen… Nicht gerade eine Voraussetzung für eine Biografie

Richard Heymann, Foto: Elisabeth Trautwein-Heymann

Also: „Den Schulz“, den musste ich erst recherchieren. Spurensuche vor Ort in Prag (geb.: 22.03.1897) … Wien… Berlin… L.A… New York… Ibiza… Ascona (gest. 07.05.1971 in Muralto/Tessin) Schließlich schälte sich das Profil eines Drehbuchautors heraus, der 1920 in der Medien- und Filmmetropole Berlin den Film für sich entdeckte und als Journalist, Filmkritiker, Schriftsteller, Drehbuchautor arbeitete. Mit dem Stummfilm DIE HOSE (nach Sternheim) erzielte er 1927 seinen Durchbruch. „Ein Champagner-Film – extra dry“, begeisterte sich der Filmkritiker Willy Haas, ebenfalls Prager Autor. Der „Hosenschulz“ war nun so gefragt, dass er sich einen Ghostwriter leisten musste: Billie Wilder – doch das ist eine andere Geschichte. Schulz jedenfalls galt bei der Kritik als „Filmwitterer“– vor allem im aufkommenden Tonfilm als „Komödienautor comme il faut“, der „handgelenkleicht“ schrieb. Der selbst aber filmpublizistisch auch Themen aufwarf, etwa das Verhältnis Regisseur: Drehbuchautor. Eine Dauerklage quasi: von fünf Filmen würde er drei nicht wiedererkennen… Dennoch: sein Erfolg stieg und stieg.

Als Franz Schulz am 4.Februar 1934 auf dem Cunard White Star Liner George, von England kommend, in Richtung USA emigriert, kann er auf eine steile Karriere während der Zeit von 1920 bis 1933 zurückblicken, nämlich auf 20 Stummfilme und 37 Tonfilme (incl. der Versionenfilme – es wurde noch nicht synchronisiert) Selbstkritisch hat er als Franz Spencer später als seine besten Filme nur gelten lassen:

1927 der Stummfilm DIE HOSE;

die großen Tonfilme:

1930 ZWEI HERZEN IM ¾ TAKT (Achtung! – Musik: Robert Stolz)

1930 DIE DREI VON DER TANKSTELLE (Achtung!- Musik: Werner Richard Heymann)

1931 DIE PRIVATSEKRETÄRIN (Durchbruch für Renate Müller)

1931 BOMBEN AUF MONTE CARLO (Achtung! – Musik: Werner Richard Heymann)

Diese Erfolge hat der Exilant Franz Schulz wie auch der naturalisierte Amerikaner Franz Spencer in Hollywood nicht wieder erzielen können. 1954 kehrte er nach Europa zurück.

Doch last not least will ich das Füllhorn meines Danke noch ausschütten über: Prof. Jan Christopher Horak!

Er hatte nicht nur bereits 1994 Franz Schulz eine großartige Retrospektive in München gewidmet und mich zur Buchpräsentation von „Candide 19.. oder das miese Jahrhundert“ eingeladen, er kam auch 1997 zur Berlinale nach Berlin – mit dem restaurierten Franz Schulz-Film MAMDAME HAT AUSGANG (1931) und sagte in seiner Laudatio, was auch heute noch seine Gültigkeit zu haben scheint:

„Der Name ist schon lange vergessen, ebenso wie viele andere auch aus der Zeit vor 1933: Franz Schulz, der sich in Amerika Spencer nannte. Ein Vertriebener, ein Emigrant, heimatlos als Verfolgter, aber auch, weil Drehbuchautoren – im Gegensatz zu Regisseuren – von der Filmgeschichte vernachlässigt wurden. Franz Schulz war einer der Großen des Kinos der späten Weimarer Republik, ein Autor, der es verstand, Kunst und Kommerz geschickt zu verbinden.“

Hört, hört: …weil Drehbuchautoren im Gegensatz zu Regisseuren… Thank you, Horak!, sagt Good Old Spencer, I’m tickled to death…

Das „cinefest 2023! – Achtung! – Musik!“ geht heute zu Ende – mit dem filmhistorischen Abenteuer BOMBEN AUF MONTE CARLO von 1931, einem der erfolgsreichsten Ufa-Filme. Getragen von der: Achtung! – Musik! des großen Werner Richard Heymann. Getragen von dem legendären „ Hamborger Jung“ Hans Albers und dem jungen Star Heinz Rühmann, der vom allmächtigen Hans als „Herr Kollege von der Sommerbühne“ angesprochen wurde. Drehbuch: Ufa-Dramaturg Dr. Hans Müller und:

Franz Schulz und G.G. von Bülow, Foto: G.G. von Bülow

 

FRANZ SCHULZ.

Er war mein väterlicher Freund und Mentor, der mich „daughter“ nannte.

Und nun, Hamburg, hol‘ di wuchtig!!

 

„Ben Butler“ von Richard Strand – die neue Premiere am English Theatre of Hamburg

Ganz ruhig, mein Freund, sonst muss ich dich erschießen.

Vorab ein Warnhinweis für alle Besucher dieses Südstaaten Dramas: Das Stück ist durchsetzt mit toxischer Männlichkeit, denn alle vier Protagonisten sind maskulinen Geschlechts. Keine einzige Frau spielt mit. Ein echtes No Go für Feministen*Innen, die diesen Namen auch verdienen. Besonders schockierend: Das Drama enthält Vokabeln, die weitab der politischen Korrektheit angesiedelt sind. Da ist dieses „N“-Wort, das kein anständiger Mensch in den Mund zu nehmen wagt. Es sei denn, er ist auf Krawall aus. Sie ahnen es bereits. Es handelt sich um den diskriminierenden Begriff „Negro“, der hier sogar im Plural benutzt wird. Denn gleich mehrere schwarze Sklaven sind in den Wirren des 1861 gerade begonnenen amerikanischen Bürgerkrieges ihren Besitzern entkommen.

Und mit diesem augenzwinkernden Einstieg befinden wir uns auch schon mitten in der Handlung von „Ben Butler.“

Ein General in Gewissensnöten

Wir treffen Major General Benjamin Butler in seinem Quartier in Fort Monroe im Bundesstaat Virginia an. Ein gestandener Mann im besten Alter, gekleidet in die goldbetresste königsblaue Uniform der Nordstaaten Armee. Eine Büste des „Schwans von Stratford“ William Shakespeare auf einem Bücherbord weist darauf hin, dass Butler kein dumpfer Haudegen, sondern ein gebildeter Mann ist. Ein Telegramm informiert ihn darüber, dass Virginia sich gerade auf die Seite der Südstaaten geschlagen hat, als sein Adjutant Lieutenant Kelly den Raum betritt. Drei schwarze Sklaven haben das Weite gesucht und begehren Asyl im Fort. Sie haben die Rechnung ohne ihre Besitzer gemacht, die jetzt ihr „Eigentum“ zurückfordern. Der liberal gesinnte Ben Butler befindet sich in einer äußerst prekären Lage. Was soll er tun. Auf der einen Seite sträubt sich sein Gewissen, die Schwarzen womöglich dem Tod auszuliefern, während andererseits das Gesetz von ihm die Rückgabe dieser Menschen an ihre Besitzer verlangt.

„Verhandlungen“ zwischen einem General und einem Sklaven

Soll ich ihm wirklich die Handschellen abnehmen, Sir?

Die ganze Angelegenheit wird dadurch erschwert, dass einer der entlaufenen Sklaven, ein gewisser Shepard Mallory, die Stirn hat, mit dem General sprechen zu wollen. Butler willigt schließlich ein, den sehr selbstbewusst auftretenden jungen Mann zu empfangen. Er lässt ihm seine Ketten abnehmen und bietet ihm sogar ein Glas Sherry an, das Mallory jedoch nicht goutiert. Butler erklärt ihm, dass er ihm aus rechtlichen Gründen kein Asyl im Fort gewähren kann. Da er von Haus aus Anwalt ist, kennt er das Gesetz. Mallory kontert, ein Jurist könne das Gesetz zu seinen Gunsten „drehen“ und ihm Asyl gewähren. „Das ist es doch, was ihr Anwälte tut,“ fügt er frech hinzu. Butler ist entsetzt. Denn ein Winkeladvokat, der das Gesetz je nach Gusto verbiegt, ist er nicht. Die Intelligenz des Sklaven, der offenbar lesen und schreiben kann, erstaunt ihn ebenfalls. Die Sklavenhalter setzten doch alles daran, ihr „Eigentum“ in Unwissenheit zu belassen. Mallory will das Argument Butlers nicht gelten lassen, sondern beginnt zu randalieren und mit der Faust auf den Schreibtisch des Generals zu schlagen. Das ruft den braven Kelly auf den Plan, der Mallory mit seiner Pistole bedroht. Butler entschärft die Situation. Er schickt Kelly hinaus, der Mallory fragt, ob alle Neger so sind wie er. Nein, er sei einzigartig, erklärt dieser, und „keiner mag mich.“ Er zieht sein Hemd aus und zeigt seinen von zahlreichen Narben entstellten Rücken. Es stellt sich heraus, dass Mallory und die zwei anderen entlaufenen Sklaven nicht etwa Baumwolle gepflanzt haben, sondern zum Bau von militärischen Anlagen herangezogen wurden. Er und seine Kameraden bieten Butler an, dieselbe Arbeit für die Unionstruppen zu verrichten, um diesen zum Sieg über die Konföderierten behilflich zu ein. Butler sitzt in der Falle. Er möchte Mallory gern helfen, ist jedoch nicht bereit, das Recht zu brechen. Ist es nicht besser, den jungen Mann in Richtung Norden entkommen zu lassen. Mallory ist gewieft und wird seinen Weg schon finden. Aber Mallory lehnt stur ab und bleibt.

Besuch von der gegnerischen Seite

Ich verstehe nicht, dass Virginia die Union verlassen hat.

Das Unheil naht in der Person des konföderierten Generals Cary, der Butler am nächsten Morgen seine Aufwartung macht Cary ist ein eitler Gockel in der grauen, mit Goldfransen und Schärpe dekorierten Uniform der Südstaatler – eine Karikatur seiner selbst. In näselndem Tonfall fordert er ohne Umschweife die Rückgabe der drei Sklaven. Das Angebot, ein Glas Sherry mit Butler zu trinken, lehnt er ab. Butler ist verärgert über Carys Arroganz und herablassende Art. Der besteht auf der Rückgabe der Sklaven, die legitimes Eigentum ihrer Besitzer sind. Doch Butler widerspricht, weil diese drei Männer für den Bau militärischer Befestigungsanlagen auf konföderiertem Gebiet eingesetzt wurden. Sie sind daher im juristischen Sinne „Contraband of War“ – also eine Art „Kriegs-Schmuggelware“ – ergo Kriegsbeute. Somit hat Butler das Recht, die Sklaven zu beschlagnahmen wie beispielsweise Kanonen oder anderes Kriegsgerät, das ihm in die Hände gefallen wäre. Ein genialer Schachzug! Weitere Verhandlungen laufen ins Leere.

Freiheit für die Sklaven mit Auflagen

Ist Mallory nun ein freier Mann? Nein, er ist „Contraband“ – Kriegsbeute – und kann sich bewähren, indem er das gleiche tut, was er bislang für die konföderierte Armee getan hat. Er soll auch weiter Befestigungswälle bauen. Diesmal allerdings für die Armee der Gegenseite. Dieses Angebot scheint akzeptabel. Obgleich Butler insistiert, das Wort „Contraband“ dürfe auf keinen Fall die Runde machen, ist es bereits in aller Munde. Neben Mallorys Frau Fanny reklamieren weitere acht entlaufene Sklaven den Status „Contraband“ für sich. Hochstimmung herrscht in Butlers Büro. Drei Gläser werden randvoll mit Sherry gefüllt. Butler, Kelly and Mallory prosten sich zu. Mallory bringt einen Toast aus. „Auf Contraband,“ ruft er ausgelassen. Und damit ist die leidige Angelegenheit vom Tisch. Prost!

Mit „Ben Butler“ liefert Richard Strand eine Tragikomödie, die trotz aller Brisanz mit vielen komischen, zuweilen skurrilen Szenen und Dialogen gewürzt ist. Besonders beeindruckend ist der verbale Schlagabtausch auf Augenhöhe zwischen Butler und Mallory. Dieses Stück, das eines der abstoßendsten Kapitel der amerikanischen Geschichte zum Inhalt hat, die Sklaverei, erweist sich als durch und durch humanes Narrativ. Narrativ insofern, als nicht gesichert ist, wieviel Wahres wirklich in der Geschichte um Ben Butler und sein humanitäres Handeln steckt. Fest steht, dass der Konflikt zwischen Yankees und Südstaatlern nicht zuletzt der Befreiung der Sklaven diente, die einst aus Afrika importiert wurden, um auf den Baumwollfeldern unter menschenunwürdigen Bedingungen zu schuften. Auch die Indigopfanzen, die den begehrten blauen Farbstoff lieferten, trugen in erheblichem Maße zum Reichtum der Plantagenbesitzer bei. Jegliche Romantik, die wir aus verschiedenen Südstaaten-Romanen kennen – u.a. „Vom Winde verweht“ und „Tiefer Süden“ – ist fehl am Platze. Wenn auch nicht wenige Pflanzer die Fürsorgepflicht zugunsten ihrer Schutzbefohlenen – sprich Sklaven – durchaus ernst nahmen, sie zugleich aber wie unmündige Kinder behandelten, so wurde das Gros von ihnen nicht nur ausgebeutet, sondern häufig auch brutal misshandelt. In „Ben Butler“ begegnen wir in Shepard Mallory einem Sklaven, der intelligent und wissbegierig ist und sich mit seinem Schicksal als Underdog nicht abfinden will. Er ist aufmüpfig, sogar dreist und respektlos Ben Butler gegenüber, der jedoch die Größe besitzt, ihm dies nicht sonderlich übel zu nehmen. Er erweist dem Schwarzen sogar die Ehre, ihn stets mit „Mr. Mallory“ anzureden statt irgendwelche diskriminierenden Begriffe zu benutzen. Mallory ist sogar alphabetisiert. Lesen und schreiben zu können war den meisten schwarzen Sklaven sogar unter Androhung drastischer Strafen strikt verboten. Denn Wissen ist Macht. Und gebildete Menschen sind in der Lage, sich mit Argumenten zu wehren. Das beweist Mallory mit seiner Renitenz gegen jedwede Art von Bevormundung und mit seiner Schlagfertigkeit, als er dem Anwalt Ben Butler entgegenhält, er sei schließlich nicht Alexander der Große.

„Ben Butler“ ist ein anrührendes Stück, in dem sich hoch dramatische und mit viel Witz gewürzte Szenen die Waage halten.

Tut mir leid, Mr. Mallory, aber ich kann Ihnen nicht helfen.

Die Auswahl der Protagonisten verdient höchstes Lob. Jonny Magnanti, der fast schon zum Inventar des English Theatre zählt, demonstriert erneut seine schauspielerische Vielseitigkeit. Dieser Mime ist in allen Sätteln gerecht. Diesmal glänzt er in der Rolle des Ben Butler, dem man trotz aller Härte eines mit allen Wassern gewaschenen Militärs seine zutiefst menschliche Seite abnimmt.

Lieutenant Kelly (Cameron Barclay) verkörpert den strammen befehlsgewohnten Adjutanten bis ins Detail, während Hayden Mampasi mit unwiderstehlichem Charme in die Rolle des aufmüpfigen Shepard Mallory schlüpft. Schließlich, doch nicht zuletzt betritt Will Middleton die Bühne. Besser als er kann man den arroganten selbstgerechten Herrenmenschen Cary nicht persiflieren. Für den „Gentleman Farmer“, im Sezessionskrieg einer der „Helden in Grau“, ist das Leben eines Schwarzen weniger wert als das eines Hofhundes. Was aus dieser Spezies wurde, zeigte der Ausgang des Bürgerkrieges 1865 in aller Deutlichkeit. Yankee Doodle!

Ein inspirierender Theaterabend. Dank an alle Mitwirkenden, besonders an Direktor Clifford Dean, der das vierblätterige Kleeblatt auf der Bühne professionell begleitete.

Über den amerikanischen Autor Richard Strand wissen wir wenig. Nur soviel: Er hat sich eines brisanten historischen Stoffs aus der Geschichte der seinerzeit noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika angenommen und diesen in ein grandioses Theaterstück umgesetzt. Übrigens, Major General Benjamin Butler ist keine fiktive Figur. Er hat wirklich existiert und offensichtlich mit seinem mutigen Handeln zur Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten mit beigetragen. Chapeau!

„Ben Butler“ läuft bis einschließlich 4. November 2023. Tickets unter der Telefon-Nummer 040-227 70 89 oder online unter www.english.theatre.de

Nächste Premiere: „The Hound of Baskervilles” von Arthur Conan Doyle, am 20. November 2023

Fotos: Stefan Kock

Ein Drängen, das auf verstürzten Wegen Freiheit sucht

Gedenken an den Lyriker und Künstler Winfried Korf (1941-2021)

Als ich, frisch gebackene Sekretärin der Hamburger Autorenvereinigung, mit dem Korrekturlesen der Beiträge für die Anthologie „Spuk in Hamburg“ (Verlag Expeditionen, Hamburg 2014) befasst war, beeindruckten mich zwei Gedichte eines Lyrikers besonders, den ich bislang nur vom Sehen kannte. Dieser Lyriker arbeitete sehr traditionell, mit einem packend bildhaften und eloquenten Wortschatz, geschliffenem Metrum und gestochenem Versmaß. Wer war dieser Mensch, der einer offiziellen Version der Gattung Lyrik „linksbündiger Flattersatz“ mit althergebrachter Wortgewaltigkeit trotzte?

Bei unserer Lesung zur Vorstellung der Anthologie ließ ich mir auch ihm ein Autogramm auf seine Autorenseite schreiben. Seine Widmung lautete: „In Erinnerung an die glanzvolle Vorstellung unserer Anthologie“. Seine Schrift war genauso wie seine Gedichte: Barock und verschlungen.

Einige Jahre später war unser Kontakt zu einer Freundschaft gediehen, die auch das gemeinsame Arbeiten an unseren Gedichten – für eine ganze Zeit auch zu dritt mit einer weiteren HAV-Kollegin – einschloss. Wir diskutierten, manchmal hart, über Formulierungen und den Sinn von Interpunktion in Gedichten. Man konnte sich an ihm die Zähne ausbeißen! Aber gerade das machte es so spannend, denn sein Humor verließ ihn dabei nie. Unsere völlig unterschiedliche Art zu schreiben war kein Hindernis, sondern gerade eine Bereicherung. Dabei hatte Winfried die Angewohnheit, zu „schweren Fällen“ nicht nur Bearbeitungsvorschläge zu unterbreiten, sondern ein eigenes Parallelgedicht zu schreiben. Eine einzigartige Erfahrung, die eine völlig neue Perspektive auf den eigenen Text eröffnete.

Diese Parallelgedichte sind nun, gut anderthalb Jahre nach seinem Tod, neben seinen wunderbar gestalteten handschriftlichen Briefen und seinen Gedichten, ein großer Schatz für mich.

Karin Grubert und Winfried Korf, Foto: privat

Winfried Korf war Maler, Zeichner, Lyriker. Er war auch Historiker, Dozent in der Erwachsenenbildung und Dramaturg, er spielte Klavier, er war ein Tausendsassa. Und er war ein Mensch, der niemals stillzustehen schien. Wenn er nicht schrieb, zeichnete er. Wenn er nicht malte, fotografierte er. Er war ein Getriebener, manchmal kam er mir vor wie jemand, dessen Kerzen an beiden Enden brannte. In seiner letzten Lebensphase sagte er mehrmals, er könne noch nicht sterben, er habe noch zu viel vor. Und bis zu seinem letzten Tag am 14.12.2021 schrieb und malte er, unermüdlich. Die Überschrift dieses Textes, ein Zitat aus seinem Gedicht „Ewige Wanderung“ (Buchtitel s. u.) erscheint mir wie eine Beschreibung seines Wesens. Das Drängen, das ihn antrieb, blieb bis zum letzten Moment. Er hinterließ Mengen an Werken in Wort und Bild, ein Gesamtkunstwerk, das seine Frau Karin Grubert nun unermüdlich ordnet, sortiert und erfasst. Berührend dabei ist, dass er selbst vieles zusammengestellt hatte, das Ordnen seiner künstlerischen Dinge könnte man als Vermächtnis auffassen.

Uns verband die Lyrik, die Literatur, ein wenig auch die Malerei. Natürlich flossen in unsere Gespräche seine umfangreichen Kenntnisse aus den anderen Bereichen seines Wissens ein, aber nie schulmeisterlich, sondern immer dezent, zurückhaltend und bereichernd. Sein Sinn für das Schöne, der Hang, jede Box für Notizzettel, jede Schachtel, jede Mappe mit künstlerischen Elementen zu veredeln, umgab ihn wie ein Raum, in dem er lebte. Alles, was er anfasste, machte er zu Kunst.

Unsere Gespräche über unsere Gedichte, aber auch über andere Literatur, über das Leben, Gott und die Welt, den Garten, die Liebe – diese Gespräche fehlen mir unendlich. Dankbar bin ich dafür, dass wir uns begegnet sind. Dankbar auch für seine Gedichte, mit denen er seine Handschrift hinterlassen hat. Spät entdeckte er, der Reimdichter, das ungereimte und minimalistische Haiku; eine Form, der er exzessiv frönte und sie auch mit seinen Fotografien zusammenbrachte. Vielleicht hätte er heute, bei einer Feier anlässlich seines 82. Geburtstag, in fröhlicher Runde welche zitiert. Ganz bestimmt ist dieser Tag ein Anlass, in seinen Gedichtbänden zu lesen. Dies ist eins meiner Lieblingsgedichte:

Auf dem Stege
Betrachtungen im Böhmerwald

Immer anders, immer gleich: Geweb’ der Wellen,
Die hurtig über Wehr und Felsen schnellen,
Im Lichte springen, gleich gejagten Rudeln
im dunklen Grunde unter Wurzeln strudeln.

Immer gleich und immer anders: Streit der Steine.
Jeglicher am andern und für sich alleine
Werden sie flussab geschoben und im Schieben
Aneinander zu Geröll und Sand zerrieben
Und als Stoff zum späteren Gebären
Neuer Bergeswelt begraben in den Meeren. –

„Du steigst nicht zweimal in denselben Fluss“:
Er ist es und er ist es nicht.
Du bist es und du bist es nicht.
Wir alle ändern Leben, Lauf, Gesicht –
Ein jeglicher nach seinem Muss.

Und doch ist’s nur die eine Sphäre,
Darin Zerstörer durch die Zeiten kreisen,
Sich steigern, gipfeln, mindern und zerreißen,
Sich verflammend ineinander schweißen
Zu Gestalten, schmelzend in der Leere,

Daraus der Geist sich seine Körper schafft:
Die Dinge als Verdichtungen der Kraft.
Von dem Stege zwischen Hier und Dort,
Von seines Bogens aufgewölbtem Ort,
Der, keines Ufers Eigen, beide bindet
Und überschreitet und kein Ziel je findet,

Schau‘ ich hinunter auf das Schnellen,
Auf das Geweb‘ der Steine und der Wellen:
Strömen, strömen, strömen – Takt der Zeit,
Verschränkt in den Kristall der Ewigkeit.

Winfried Korf (1941-2021): Wanderung im Abend, BoD, Norderstedt 2016

Titel von Winfried Korf bei Amazon: https://www.amazon.de/s?k=winfried+korf&crid=11IILNECC0KER&sprefix=winfried+korf%2Caps%2C89&ref=nb_sb_noss

Endlich wieder Leipziger Buchmesse!

Wie schön! Nach drei Jahren coronabedingter Pause fand endlich wieder die Leipziger Buchmesse im Verbund mit der Manga-Comic-Con und dem Lesefest Leipzig statt. Mit rund 2.000 Ausstellern aus 40 Ländern, mehr als 3.000 Veranstaltungen und rund 3.200 Mitwirkenden an etwa 300 Veranstaltungsorten bot die Messe wie vor Corona eine große Bühne für Autorinnen und Autoren, für Verlage und natürlich für die Leserinnen und Leser. Oder sollte man genauer sagen Hörerinnen und Hörer?  In zahlreichen Lesungen, Talkrunden, Interviews und Mitmachaktionen wurden alle Aspekte rund um Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vorgestellt. Aber es wurden auch – so ist es gute Tradition hier – viele Fragen zu den generellen Themen Zukunft des Buches, veränderte Lesegewohnheiten des Publikums und Situation der Autorinnen und Autoren diskutiert. Eher am Rande ging es auch um politische Themen.

Ich besuchte die Leipziger Messe vor Corona etwa alle zwei Jahre. Einerseits, um jeweils meine eigenen neuen Bücher auf Lesungen vorzustellen, anderseits, um mich über den Stand der Dinge zu informieren, Anregungen zu bekommen und bekannte Autorinnen und Autoren zu erleben beziehungsweise weniger bekannte zu entdecken. Immer spannend und inspirierend!

Was würde sich verändert haben nach dieser Zwangspause?

Stand Österreichs

Mein erster Eindruck: Vor allem überall Freude, dass die Buchmesse wieder stattfindet. Allerdings hat Corona Spuren hinterlassen: Man rechnete mit ca. 40 % weniger Besuchern (es sollten dann doch fast 250.000 werden!), und auch die Hallen waren längst nicht völlig ausgebucht. Aller (Neu-) Anfang ist eben schwer. In vielen Gesprächen wurde geklagt, dass die stark gestiegenen Papier- und Produktionskosten für die Buchherstellung das Verlagswesen erheblich belastet haben und noch belasten. Aber es war auch viel Optimismus nach dem Motto „Trotz allem!“ zu spüren. Vielfach wurden die staatlichen Hilfen unter dem Titel „Neustart Kultur“ lobend erwähnt. Ja, und das spezifische „Leipziger-Buchmessen-Feeling“ stellte sich nicht nur bei mir ganz schnell wieder ein. Überall Lesungen, Gespräche und Buchvorstellungen, jede Menge junger Leute in ihren Verkleidungen und geschäftiges Treiben an den Verlagsständen und auf den diversen Foren. Allerdings fiel auf, dass selbst größere Verlage auf oft etwas kleineren Ständen als früher vertreten waren.

Wer diese Messe besucht, sollte sich Schwerpunkte setzen, denn sonst verliert man leicht den Überblick und läuft irgendwann orientierungslos durch die Gegend, was zugegebenermaßen auch seine Vorteile haben kann. Manchmal stößt man dadurch auf unentdeckte literarische Schätze, hört interessante, noch unentdeckte Autorinnen und Autoren oder gerät in spannende Diskussionsrunden.

Preisverleihung

Für mich als Autor von Belletristik sind die neuen Romane des Jahres ein naheliegender Schwerpunkt, auf den ich mich konzentriert habe. Dementsprechend habe ich den Bereich Sachbuch nur gestreift, und über Krimis, Horror, Fantasie und Jugendliteratur können andere viel kompetenter schreiben.

Preise der Leipziger Buchmesse

Der Höhepunkt des ersten Messetages war die Verleihung der Preise der Leipziger Buchmesse in den Kategorien Sachbuch, Übersetzung und Belletristik. Es war wie in besten Zeiten gerammelt voll in der zentralen Glashalle. Die fünf nominierten jeder Kategorie waren jeweils anwesend, und erst mit der Bekanntgabe der Gewinnerinnen und Gewinner löste sich die Spannung. In der Kategorie Belletristik kürte die siebenköpfige Jury den türkischstämmigen Dinçer Güçyeter für sein Familienportrait „Unser Deutschlandmärchen“. Für mich eine Überraschung, waren doch u.a. auch die viel bekannteren Clemens J. Setz und Ulrike Draesner nominiert. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in der Kategorie Sachbuch/Essayistik Regina Scheer sowie Johanna Schwering in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet wurden.

Wie vergänglich nicht nur sportlicher, sondern auch literarischer Ruhm ist, zeigte sich mir bei einem Gespräch im ARD-Forum mit dem großartigen Lyriker Jan Wagner. Der war 2015 umjubelter Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse im Bereich Belletristik gewesen, und nun berichtete er vor lichten Reihen über Idee und Produktion des Podcasts „Book of Songs“. Anschließend war ich der Einzige, der sich seinen wunderbaren Lyrik-Band „Regentonnenvariationen“ signieren ließ.

Gastland war in diesem Jahr Österreich. Dementsprechend setzte ich meinen Schwerpunkt und hörte mir Lesungen und Gespräche mit u.a. mit Michael Köhlmeier, Tonio Schachinger, Raphaela Edelbauer und Teresa Präauer an. Ständig muss man sich zwischen unendlich vielen Angeboten entscheiden, und immer beschleicht einen das Gefühl, irgendwo anders etwas zu verpassen. Man sollte gelassen bleiben, auch mal hier und dort ungeplant hineinhören, um so ganz eigene Entdeckungen zu machen. So besuchte ich auf Empfehlung von Lou A. Probsthayn, dem Betreiber des in Hamburg ansässigen Literatur Quickie Verlages, eine abendliche Lesung in einer Eisdiele am Stadtrand von Leipzig. Denn das ist eine der Besonderheit hier: Begleitend zur Messe findet das Festival „Leipzig liest“ nicht nur auf dem Messegelände, sondern überall statt: In Cafés, Bankfilialen, diversen Vereinen und vielen anderen Orten der Stadt.

Ulrike Schrimpf im Café

Schon diese Location war eine Attraktion: Im Stil der 1970er Jahre bot das Café ein lauschig-nostalgisches Ambiente, und die Lesung von Ulrike Schrimpf aus ihrem Roman Lauter Ghosts bekam dadurch einen besonderen Reiz, dass die männlichen Passagen von einem Schauspieler des Stadttheaters Halle im Wechsel mit der Autorin gelesen wurden. So konnte der Text noch mehr funkeln.

Und die Politik? Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine? Spielte kaum eine wahrnehmbare Rolle. Ich hatte mich dennoch entschlossen, der Vorstellung des Buches „Kremulator“ des belarussischen Autors Sasha Filipenko zuzuhören, der im Exil in der Schweiz leben muss. Auf ihn war ich durch seinen das russische Herrschaftssystem entlarvenden Roman „Die Jagd“ aufmerksam geworden. Und jetzt? Besuchten vielleicht 20 Zuhörerinnen und Zuhörer diese Veranstaltung.

Kein Vergleich zu einem Autor wie Sebastian Fitzek! Um sich von ihm ein Buch signieren zu lassen, standen die vor allem jugendlichen Fans in einer mindestens 100 m langen Schlange an. Überhaupt die Jugend. Ihr wird schon traditionell viel Raum gegeben. Auffallend die kostümierten Kids, die sich vor allem für Mangas, Horror, Phantasie und Lebenshilfe interessieren. Hochwertige Literatur ist das sicher nicht, und ich frage mich, zu welchem Ergebnis das führen mag, denke aber: Besser sowas lesen als gar nichts. Schließlich ist lesen bzw. lesen können eine fundamentale Fertigkeit, die nicht bei allen Jugendlichen in wünschenswertem Umfang vorhanden sind.

Und Corona? Alles schon vergangen und vorüber? Hoffentlich! Auf ein Neues: Auf zur Leipziger Buchmesse 2024, vom 21.bis 24.März. Gastland wird dann übrigens die Niederlande plus Flandern sein.

Märchen und Musik zum japanischen Tanabata-Fest

Samstag, 8. Juli 2023, 15:00 Uhr, Sülldorfer Kirchenweg 161, 22589 Hamburg

Tanabata (七夕) ist eines der wichtigsten und beliebtesten Feste des japanischen Sommers: In der siebten Nacht des siebten Monats wird das Sternenfest gefeiert und einer alten Legende über die Liebe des Rinderhirten Hikoboshi (彦星) und der Weberprinzessin Orihime (織姫) gedacht. Überall in den Straßen findet man farbenfrohe Dekorationen aus Bambus, an welchen bunte Sterne und Girlanden aus Papier sowie kleine Wunschzettel gehängt werden. Schließlich ist Tanabata auch ein Fest der Wünsche – und solange kein Regen fällt, bestehen gute Chancen, dass die auf Papier verewigten Wünsche auch in Erfüllung gehen.

Das Sternenfest wollen wir in diesem Jahr auch in Hamburg feiern, und so lädt am Samstag, dem 8. Juli 2023, um 15:00 Uhr das Deutsch-Japanische Forum Elbe e. V. (DJFE) gemeinsam mit der Kirchengemeinde Blankenese  zu einem Sommerkonzert mit kleinem Rahmenprogramm in der Friedhofskapelle Blankenese (Sülldorfer Kirchenweg 161, 22589 Hamburg) ein.

Es erwartet Sie ein wunderbares Konzert, das von verschiedenen Solistinnen und Solisten sowie dem Sakura-Chor des DJFE gestaltet wird und in welchem Sie nicht nur japanische und deutsche Lieder genießen, sondern selbstverständlich die ganze Geschichte von Hikoboshi und Orihime erfahren können. Im Anschluss an das musikalische Programm laden wir Sie ein, mit uns gemeinsam Bambus zu dekorieren und Ihre Wünsche anzubringen .

Über das DJFE e. V:

Das Deutsch-Japanische Forum Elbe e. V. ist ein im Jahr 2014 gegründeter Verein aus dem Hamburger Westen mit nunmehr über 650 Mitgliedern, der sich zur Aufgabe gemacht hat, den deutsch-japanisches Austausch mit kulturellen Veranstaltungen und sozialem Engagement zu fördern. Hierzu gehören neben einem regelmäßigen Stammtisch über das Jahr verteilt verschiedene Konzerte, Vorträge und Events sowie die aktive Unterstützung japanischer Bürger*innen in Hamburg bei unterschiedlichen Belangen.     http://www.djfe.de/      https://www.facebook.com/djfeev/

Bildnachweis:

Bild 1: https://unsplash.com/de/fotos/fUnfEz3VLv4 (Graham Holtshausen @ unsplash.com)

Bild 2: https://unsplash.com/de/fotos/8eiSgjerHQU (Yanghong Yu @ unsplash.com)

Bild 3: https://illustimage.com/?id=3522 (illustimage.com)

Die japanische Mythologie, der Shintōismus und der Tennō

Das Deutsch-Japanische Forum Elbe e. V. (DJFE e. V.) lädt herzlich zu einer Vortragsveranstaltung zum Thema „Die japanische Mythologie, der Shintōismus und der Tennō“ mit Dr. Kenji Kamino mit anschließender Diskussion, Getränken und einem kleinen Imbiss ein.

Das japanische Kaiserhaus ist die älteste ununterbrochene Erbmonarchie der Welt und stützt sich in seiner Entstehungs- und Legimationsgeschichte eng auf die japanische Mythologie: Der Legende nach ist der erste Kaiser, Jimmu Tennō, der Japan ca. 660 vor Christus regierte, ein Nachfahre der shintōistischen Sonnengöttin Amaterasu, und erhielt von ihr die drei Reichsinsignien, welche bis heute am Kaiserhof aufbewahrt werden sollen. Und obgleich Jimmu Tennō wahrscheinlich eher eine sagenumwobene als eine historische Gestalt war, ist doch die Verbindung zwischen diesen Legenden, der japanischen Religion und dem Kaiserhaus nach wie vor eng verwoben: Während der Tennō heute politisch rein repräsentative Funktionen einnimmt, ist er zugleich oberster Priester des Shintō und somit in seiner religiösen Rolle von zentraler Bedeutung.

Zu dieser hochkomplexen und spannenden Verbindung referiert Dr. Kenji Kamino in seinem Vortrag und führt die Zuhörenden über japanische Mythologie und die ersten Gottheiten Izanagi und Izanami, die Entstehung des shintōistischen Glaubens und die Geschichte des Kaiserhauses bis in die Moderne, in welcher die Rolle des Tennō nicht nur im Rahmen der Meiji-Restauration im 19. Jahrhundert, sondern vor allem in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg neu definiert werden musste.

Über den Referenten Dr. Kenji Kamino:

Dr. Kenji Kamino, geboren 1953 in Oita, lebt seit 1974 in Deutschland. Nach dem Studium der Humanmedizin in Marburg und Düsseldorf war er als Pathologe tätig, zuletzt von 1990 bis 2005 an der Medizinischen Hochschule Hannover. Seit vielen Jahren wirkt Dr. Kamino als ehrenamtlicher Referent zu verschiedenen Themen rund um die japanische Geschichte und Kultur. Auch für das DJFE e. V. hielt er bereits mehrere Vorträge, unter anderem zu den Themen „Esskultur“, „Samurai“ und „Japanische Keramik und Töpferkunst“.

 

Samstag, 17. Juni 2023, 15 Uhr (Einlass ab 14:40 Uhr)
Clubraum des Deutsch-Japanischen Forums Elbe e.V., 1. OG, Baumweg 15, 22589 Hamburg
Der Eintritt ist frei. Spenden für den DJFE e.V. sind willkommen.

Bitte melden Sie sich wegen der räumlich begrenzten Kapazitäten per E-Mail unter office@djfe.de an.

Über das DJFE e. V:

Das Deutsch-Japanische Forum Elbe e. V. ist ein im Dezember 2014 gegründeter Verein aus dem Hamburger Westen mit nunmehr über 650 Mitgliedern, der sich zur Aufgabe gemacht hat, den deutsch-japanisches Austausch mit kulturellen Veranstaltungen und sozialem Engagement zu fördern. Hierzu gehören neben dem regelmäßigen Stammtisch „Stammtisch Elbe“ sowie Chor-Übungsabenden unseres gemischten Freundschafts-Chores „Sakura-Chor“ über das Jahr verteilt verschiedene Konzerte, Vorträge und Events sowie die aktive Unterstützung japanischer Bürger*innen in Hamburg bei unterschiedlichen Belangen.

Homepage: https://djfe.de/

Bildnachweis:
Empfangsraum im Kaiserpalast (https://www.ac-illust.com/)

„Frühlingsgruß 2023“ vom „Eidelstedter Farbpinsel“

Beatrice Funk: Schattenfrau

Die Kunstschaffenden und ihre Gäste haben am So., den 01.04.2023 einen schönen Festtag im Albertinen-Haus in Hamburg-Schnelsen erlebt. Die Vernissage der Malgruppe Eidelstedter Farbpinsel war   im Wesentlichen ein farbenfrohes Fest der bildenden Kunst, und zwar in Begleitung von Literatur und musikalischen Klängen auf dem Keyboard.

Es war wieder ein Erlebnis, diverse malerische Auffassungen in einer lukrativ gestalteten Ausstellung mit zahlreichen Gästen wahrhaft zu genießen. Das Publikum sammelte sich zunächst in den Gängen, wo die Kunstwerke zwei Monate lang zu sehen sind. Für die Kunstinteressierten ergab sich die Möglichkeit, sich schon vor der Eröffnungsrede einen Überblick über die Gemälde und die Kunstfotografie zu verschaffen. Intensive Gespräche wurden unmittelbar vor den Bildern geführt. Die Künstlerinnen und Künstler sprachen mit den Bildbetrachtern ausführlich über Bildinhalte, Maltechniken und Malprozesse, oder überhaupt wie ihre Gemälde in Aquarell, Acryl, Collagen und Mischtechniken auf Leinwänden und Büttenpapier entstanden sind. Das Publikum war rege interessiert an der großen Vielfalt der gemalten Werken und der Kunstfotografie. Die hochwertige Präsentation umfasst weit mehr als 50 Bilder.

Margrit Lunk: Elefantenmutter mit ihrem Baby

Humor und Lustigkeit leiteten die Vernissage ein, da  der Kursleiter und Laudator Dr. László Kova einen witzigen Text vorlas, bevor er seine „akademische “ Eröffnungsrede vortrug. Die Anwesenden erhielten einen weit gefassten Bogen über die bildende Kunst von der Höhlenmalerei über die diversen Stilrichtungen wie Naturalismus, Impressionismus, Expressionismus und abstrakten Malerei bis zur Gegenwart.

Vielfalt und Freude beim Eidelstedter Farbpinsel

Der Eidelstedter Farbpinsel besteht länger als 20 Jahre und ist eine lose Vereinigung von Malerinnen und Malern, die montags im modern umgebauten Kulturhaus Eidelstedt, genannt „steeedt“, ihre malerischen Ideen in diversen Kunstauffassungen „sichtbar machen“. Der Kursleiter Kova sieht das Wesentliche seiner Wirkung darin, dass er fachliche und individuelle Hilfe leistet, um jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer bis zur Leistungsgrenze zu bringen. Den Erfolg bezeugen die Werke.

Angelika Eickemeyer: Adieur, mon amour

Die Bildtitel erzählen Vieles über die Bildinhalte, wie: Frühling ist da, Spirit of  Nature;  Adieu, mon amour!, Schattenfrau 1 und 2, Pythagoras, Tanz der Vögel, Abendstunde, Frühlingsschuh sucht neuen Besitzer und aus den Kunstfotografien z.B. Mandelblüte auf Sizilien.

Es ist unbedingt zu erwähnen, dass die malerische Fertigkeit der Ausstellerinnen und Aussteller die geschickte Auswahl der Bildinhalte unterstützt, die ebenso bei den in Aquarell und Acryl gemalten Tafelbildern wie auch in den Ölgemälden zum Ausdruck kommt.

Ein Höhepunkt der Vernissage war das „Podiumsgespräch“, in dem die Kunstschaffenden vor dem Publikum über ihre eigene künstlerische Laufbahn und die persönliche Bedeutung der Beschäftigung mit dem Kunstschaffen berichteten. Mehrere fingen erst im späteren Alter mit dem Malen an, da ihnen der Beruf und/oder die Kindererziehung keine Zeit für ein Hobby ermöglichten. Diese Erwähnung soll jede und jeden unter dem Motto zur Tat ermutigen: „Es ist nie zu spät!“

Gisela: Blüten

Die Bildpräsentation spiegelt eine seltene Führungspraxis der Kursleitung wider: Unter den Ausstellerinnen sind auch mehrere vertreten,  die z.B. aus Alters- oder Krankheitsgründen schon lange keinen Kurs mehr besuchen konnten. „Niemanden lassen wir allein“, sagt Dr. László Kova. „Sie gehören auch zu uns. Der Kontakt zu den früheren Kursmitgliedern wird auch regelmäßig gepflegt.“

Die Protagonisten der Ausstellung in der Frühlingskollektion 2023 sind Ute Bantin, Ingrid Degler, Evelin Dreyer, Angelika Eickemeyer, Sigrid Garz-Othmer, Hans-Peter Ferch,  Beatrice Funck, Gisela, Brigitte Konieczny, Laki, Dieter Langlott, Lieselotte Lehmann, Joachim Lunk, Margit Lunk, Renate Mühe, Andrea Otto, und Selen Yilmaz.

 

Renate Mühe: Gestrandetes Boot

Die Ausstellung Frühlingsgruß 2023 ist im April-Mai 2023 im Albertinen-Haus (Sellhopsweg 18-22, 22459 Hamburg-Schnelsen) jeden Tag für die Öffentlichkeit geöffnet.

 

Kursinteressierte können Informationen über die laufenden Malkurse vom Kursleiter Kova erhalten. Seine Erreichbarkeiten sind Tel.: 040/57 45 77 oder edition.kova@web.de.

„The Who & The What“ – The New Play at the English Theatre of Hamburg

How dare you write such blasphemous things about the Prophet, Zarina!

How dare a young woman, born into a traditional Muslim family, write a novel about the Prophet Muhammed examining his various marriages and the origin of the “hijab”, the veil, that women have to wear in many Islamic communities? This is the essence of Ayad Akhtar’s provocative play “The Who & The What” that premiered on April 6 on the Mundsburg stage.

Indeed, this Pulitzer Prize winning American author of Pakistani heritage (born 1970), is a critical observer of Islamic customs, traditions and prejudice against Western values which do not seem compatible with the values of any devout Muslim. He does not stop digging deeply into his own heritage as an offspring of a Muslim family living in America.

The setting: The home of the Pakistani Afzal family in Atlanta, Georgia. The family patriarch once immigrated from Pakistan to America without a cent in his pocket and built up a taxi company that made him a rich man. Afzal has every reason to be proud of himself. As a good father he saw to it that both his daughters got a good education.

Don’t worry, everything will be all right

Zarina, Afzal’s free-thinking elder daughter, is not interested in finding a husband although her younger sister Mahwish wants her to get married soon so that she herself can marry her boyfriend. It is an unwritten law in traditional Muslim families that the elder sister has to marry before the younger one can wed her fiancé. Afzal, a devout Muslim, does not agree with Zarina’s independent way of life and urges her to find a “suitable” husband. After her back he signs her up on a Muslim dating website and interviews the candidates in her name. His choice is Eli, a white American, who only recently converted to Islam since he prefers the Islamic faith to the, as he feels, superficial values of Christianity. When Zarina learns about her father’s encroachment, she is furious. However, after talking to Afzal she agrees to meet Eli. Both find out that they have a lot in common. Eli even encourages Zarina to write her novel on the Prophet Muhammed who, as she found out after studying his life, was anything but perfect. Isn’t it time, she asks to relax the rules of the Koran, the Holy Book of Islam, after more than 1,400 years and liberate Muslim women? Why do some Muslim communities insist on women’s wearing a veil and why the hell are they not allowed to determine their own lives? When Afzal reads some chapters of Zarina’s book he is out of his mind and forbids her to have it published. He cannot accept Zarina’s refusal to do so, the more so as Eli supports her in every possible way. He outs himself as a defender of women’s rights. Enough is enough, shouts Afzal and bans Zarina and Eli from his house. The message: Never ever come back.

Let’s go to another place, Zarina

Two years later we meet Afzal and Mahwish in one of Atlanta’s lush green parks. The sun is shining, birds are twittering in the trees, and everything seems to be in perfect order. When Zarina turns up out of the blue, Afzal addresses her mildly and asks her how she is. He obviously is suffering from pangs of conscience and even seems to enjoy Zarina’s presence. After all, he wants her to be happy, although the publication of her book caused him trouble. Most of his drivers quit and one even broke a window in his office. Zarina tells her father that after getting into serious trouble in the Muslim community she and Eli, her husband, will leave Atlanta and settle in Oregon. She is very glad that her book became enormously popular in the United States, encouraging many people, particularly women, to speak out their own opinions without any inhibitions. Afzal is in high spirits when Zarina confesses that she is expecting a child. Isn’t it wonderful that she will soon make him the grandfather of a boy! When he learns that Zarina will give birth to a girl, he seems depressed. Zarina smiles and enjoys her triumph over Afzal, the old macho!

“The Who & The What” reminded a critic of Shakespeare’s “The Taming of the Shrew.” However, in contrast to the play written more than 400 years ago by the “Swan of Stratford”, the disobedient woman in Ayad Akhtar’s comedy does not submit herself to male dominance but insists on her independence as a free human being.

I want you to get married soon, dear sister

While “The Who & The What” has been a great success on German and Austrian stages, played by German speaking actors, stage director Clifford Dean was given the chance to choose actors with a Pakistani background. Karen Johal is convincing in the role of Zarina who – torn between loyalty towards her father on the one hand and her fight for independence on the other – finally decides to go her own way.

Did Ayad Akhtar create the part of family patriarch Afzal for Rohit Gokani? Indeed, this role fits him like a glove. A brilliant performance!

Also a big hand for Noor Sobka as Zarina’s little sister Mahwish and Adam Collier in the part of Eli.

The American press was full of praise after the premiere of “The Who & The What.” Mike Fisher of the Sunday Journal Sentinel described the play as “funny and moving,” and the critic of the Chicago Tribune found it “gutsy and very admirable… Not a script to miss.” Charles Isherwood of The New York Times even compared the play with a “fiery flavored stew, a mixture composed of matters of faith and family, gender and culture.” Bon appétit!

About the author

Ayad Akhtar is a screenwriter, playwright, actor and novelist. His plays include “The Who & The What”, “American Dervish”, “The War Within”, and “Disgraced” which was the recipient of the 2013 Pulitzer Prize for Drama.

Last performance of “The Who & The What” on June 3, 2023. Tickets under phone number 040 – 227 70 89 or online under www.einglishtheatre,de

The ETH will be on holiday until September. We will be back here as soon as we know more about the new premiere.

Dear reader, you will also be informed about the ETH’s Summer Festival that includes “Sinatra – The Voice.”

Photos: Stefan Kock

„The Who & The What“ – das neue Stück am English Theatre of Hamburg

Wie kannst du so etwas über den Propheten schreiben, Zarina?

Dieses Stück des mit dem begehrten Pulitzerpreis ausgezeichneten pakistanisch-amerikanischen Autors Ayad Akhtar ist eine veritable Herausforderung für jeden „Theatermacher.“ Kein Wunder, dass die Mundsburger Bühne unter der bewährten Regie von Clifford Dean sich dieses Stoffs angenommen hat. Allein der Titel „The Who & The What“ – zu Deutsch “Das Wer & Das Was“- wirft Fragen auf. Worum geht es in diesem als Tragikomödie konzipierten Stück, in dem das Publikum sich einem Wechselbad widersprüchlichster Emotionen ausgesetzt sieht?

Ich möchte, dass du bald heiratest, liebe Schwester

Auf den ersten Blick scheint alles in bester Ordnung im Heim der pakistanisch-amerikanischen Familie Afzal, die seit langem in Atlanta, der Metropole im tiefen Süden der Vereinigten Staaten, lebt. Doch der Schein trügt. Der Vater der beiden Schwestern Zarina und Mahwish wünscht, dass seine ältere Tochter endlich heiratet, damit Mahwish, die Jüngere, ihrem Jugendfreund das Ja-Wort geben kann. Doch Zarina, die emanzipierte Hochschulabsolventin, weigert sich standhaft, dem Willen ihres Erzeugers nachzugeben. In einer guten muslimischen Familie ist es Tradition, dass die jüngere Schwester erst heiraten kann, wenn die ältere unter der Haube ist. So will es der Brauch. Und daran gibt es für das patriarchalische Familienoberhaupt Afzal nichts zu rütteln. Afzal hat jeden Grund, stolz auf sich und seine Leistung zu sein. Als mittelloser Einwanderer aus Pakistan hat er es dank Fleiß und Ausdauer in einem fremden Land mit völlig anderen Wertvorstellungen mit seinem Taxiunternehmen zu einem vermögenden Mann gebracht. Ergo – er allein bestimmt über das Wohl der Familie. Punkt.

Mach‘ dir keine Sorgen. Das bekommen wir hin

Hinter ihrem Rücken hat Afzal ein Profil von Zarina auf einer muslimischen Ehepartnerbörse erstellt. Er hält es für seine väterliche Pflicht, die Kandidaten auf Herz und Nieren zu überprüfen, bevor sie Zarina kennenlernen dürfen. Eli, ein zum Islam konvertierter Amerikaner, besteht den strengen väterlichen Test. Zarina ist außer sich. Dennoch willigt sie ein, den jungen Mann zu treffen. Sie stellt fest, dass sie vieles mit Eli verbindet. Genau wie sie steht er Glauben und Religion kritisch gegenüber. Er ermuntert Zarina, ihr Buch fertigzustellen, in welchem sie sich mit Leben und Wirken des Propheten Mohammed auseinandersetzt. Was für ein Mensch war er, was trieb ihn an? Müssten nicht viele der vor über 1400 Jahren erlassenen Gebote, die seither das Leben muslemischer Frauen bestimmen, revidiert und den jetzigen Verhältnissen angepasst werden? Ein Tabu für den sich zwar liberal gebenden, aber im Grunde seines Herzens erzkonservativen Afzal, für den der Koran seit eh und je ein in Stein gemeißeltes Gesetzbuch war. Als er Zarinas Manuskript in die Hände bekommt, bricht für ihn eine Welt zusammen. Ein Konflikt eskaliert, der die Familie zu zerreißen droht. Afzal weist Eli, der fest an der Seite Zarinas steht und ihr Vorhaben verteidigt, mit harschen Worten die Tür. Kritik am Propheten ist eine unverzeihliche Blasphemie. Eine Todsünde. Alles, was an die „Sünderin“ Zarina erinnert, wird aus dem Haus verbannt.

Zwei Jahre später treffen wir Afzal und die junge Mahwish in einem Park wieder. Der Patriarch lauscht dem Gesang seines Lieblingsvogels, eines Kentucky Warblers. Wie aus dem Nichts taucht die vom Vater verstoßene Zarina auf. Trotz des Zerwürfnisses ist Afzal heute milde gestimmt. Als Zarina erzählt, dass sie mit Eli, ihrem Mann, nach Oregon übersiedeln will, weil es wegen ihres inzwischen veröffentlichten Buches zu Spannungen in seinem muslimischen Umfeld gekommen ist, erfährt sie, dass auch ihr Vater ihretwegen mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Ein Großteil seiner Taxifahrer hat wegen des Buches gekündigt. Aus Protest wurde sogar ein Fenster seines Hauses eingeworfen. Doch das ist Afzals geringste Sorge. Er hat Zarina verziehen und möchte nur, dass sie glücklich wird. Ja, glücklich sei sie, gesteht Zarina, zumal ihr Buch in weiten Teilen der USA viel Anklang gefunden habe und viele Menschen sich jetzt trauten, ohne Scheu kontroverse Fragen zu stellen. Als Zarina ihrem Vater gesteht, dass sie schwanger ist, zeigt er sich hoch erfreut darüber, bald Großvater eines Jungen zu werden. Doch auf die anfängliche Freude folgt Ernüchterung. „ Es ist ein Mädchen,“ triumphiert Zarina. Dass selbstbestimmte Frauen auch immer das letzte Wort haben müssen! Der Vorhang fällt unter dem begeisterten Applaus der Zuschauer.

Wir werden von hier fortgehen, Zarina

Nach einer Reihe dramatischer Szenen setzt die Regie urkomische Akzente. Wer kommt schon auf die Idee, einer hochgebildeten Muslima wie Zarina zu verbieten, Geld in die Hand zu nehmen. Laut dem bekennenden Macho Afzal geziemt sich dies für Frauen nicht, denn – Zitat – „Geldangelegenheiten sind nun einmal Männersache.“ Und das im 21. Jahrhundert. Muslimische Lebensart in allen Ehren. Aber auch hier gibt es Grenzen. Kann es sein, dass Autor Ayad Akhtar, dem der Schalk aus den Augen blitzt, sich nur einen kleinen Scherz erlaubt hat, um das Publikum zu provozieren? In diesem Stück bleibt so manche Frage unbeantwortet…

„The Who & The What“ dürfte bei vielen in ihren Traditionen tief verwurzelten muslimischen Menschen eingeschlagen haben wie eine Bombe. Wie kann eine junge Frau wie Zarina sich nur dem allmächtigen Vater widersetzen und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen? Karen Johal, der britischen Schauspielerin mit pakistanischen Wurzeln, gelingt es meisterhaft, Zarinas innere Zerrissenheit zwischen familiärer Loyalität gegenüber ihrem Vater und selbstbestimmter Lebensplanung herauszuarbeiten.

Rohit Gokani als schlitzohriger Patriarch, ist eine ebenso tragische wie komische Figur, die seine durch Zarina angegriffene Autorität mit hilflosen Aktionen in den Griff zu bekommen sucht. 10 Punkte von 10 für diese grandiose Darstellung.

Der zum Islam konvertierte Eli ( Adam Collier) wächst im Laufe des Stückes weit über seine Rolle als etwas unglaubwürdiger Konvertit in die Rolle eines gestandenen Verteidigers individueller Freiheiten und Frauenrechte hinaus.

Auch Mahwish, die Jüngste im Bunde (Noor Sobka), zeigt eine reife schauspielerische Leistung in diesem konfliktreichen Spiel. Fazit: Ein perfekt miteinander harmonierendes Ensemble, dessen Spielfreude mit viel Beifall bedacht wurde.

Der Autor Ayad Akhtar, Jahrgang 1970, wurde als Sohn pakistanischer Eltern in den USA geboren. Er ist vielseitig begabt und wirkt als Bühnen- und Fernsehautor, Schauspieler und Romancier. Seine berühmtesten Bühnenwerke sind „The War Within“, „American Dervish“, „Disgraced“ und „The Who & The What”.

 

“The Who & The What” läuft bis einschließlich 3. Juni 2023. Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de

Nach den Theaterferien im September melden wir uns wieder und informieren über das neue Stück auf dem Spielplan.

Über das Summer Festival des English Theatre erfahren unsere Leser in Kürze mehr an dieser Stelle.

Fotos: Stefan Kock

„Don Flanello“: Film-Ermittler im Maßanzug

Flanell
Foto: Mira Cosic, Pixabay (Ausschnitt)

Seiner Vorliebe für Maßanzüge verdankte der am 9. Februar 1923 in Essen geborene Schauspieler Heinz Drache den Spitznamen „Don Flanello“. Dazu passt der Typus des kultivierten Gentlemans, den der Mime so häufig verkörperte. Dazu passt aber auch die Herkunft und Schulbildung des gebürtigen Preußen. Die Eltern besaßen ein Glas-, Porzellan- und Stahlwarengeschäft, und er machte am Gymnasium Abitur.

Weniger standesgemäß war sein bereits in der Schulzeit auftauchender Wunsch, Schauspieler zu werden. Entsprechend wenig begeistert war sein Vater, aber Heinz setzte sich durch. Das ersparte ihm zwar nicht de jure, aber de facto den Kriegsdienst, denn trotz Einberufung bekam er nach einem Vorsprechen beim Intendanten ein Engagement beim Nürnberger Schauspielhaus.

Nach dem Krieg setzte er seine Schauspielerkarriere fort. Nach Wolfgang Langhoff wurde auch Gustaf Gründgens auf den vielversprechenden Nachwuchsschauspieler aufmerksam. Unter Letzterem gelang ihm 1947 in dessen Inszenierung des Stücks „Der Schatten“ von Jewgeni Schwarz der endgültige Durchbruch als Theaterschauspieler.

Heinz Drache Foto: Udo Grimberg
CC BY-SA 3.0 de

Als Filmschauspieler gelang ihm der Durchbruch als Ermittler. Diese Rolle spielte er sowohl in dem legendären Fernsehsechsteiler „Das Halstuch“ von Francis Durbridge, das der Westdeutsche Rundfunk (WDR) 1961 produzierte, als auch in diversen Edgar-Wallace-Verfilmungen fürs Kino. Der Reigen dieser Spielfilme, die später auch ihren Weg ins Fernsehen fanden, reicht von „Der Rächer“ aus dem Jahre 1960 bis zum 1968 erschienenen „Der Hund von Blackwood Castle“, in dem Drache – Ausnahmen bestätigen die Regel – zum Abschluss einmal den Bösewicht spielte. Daneben verkörperte der Mime in den 60er Jahren in diversen anderen Krimis den Ermittler.

Nach dem Ende dieser Krimiwelle der 60er Jahre wandte sich Drache wieder verstärkt dem Theater und der Synchronisation zu. Dort war sein Rollenspektrum größer, die Bezahlung hingegen weniger üppig.

1985 kehrte er noch einmal für den „Tatort“ als Ermittler zum Film zurück. Als Berliner Hauptkommissar Hans Georg Bülow gab er den Anti-Schimanski, der sich dank des Erbes seiner verstorbenen Ehefrau ein kultiviertes Leben leisten kann und das auch tut. Damit war allerdings nach insgesamt sechs Folgen 1989 Schluss.

„Adelsromanzen“ lautete der Titel der letzten Serie, für die der bürgerliche Aristokrat vor der Kamera stand. Am 8. März 2002 begann die Erstausstrahlung. Am 3. April des Jahres starb Heinz Drache nach einem mehrmonatigem Krebsleiden in einem Berliner Krankenhaus.

(Dieser Artikel erschien zuerst in der Preußischen Allgemeinen Zeitung.)

Finissage der Ausstellung „Sprache der BildKunst“

„Sprache der BildKunst“. Foto: Witka und Dr. László Kova.

Geschickte Architekten zauberten aus einem alten Schulgebäude (erbaut 1887), das seit 1980 als Bürgerhaus und Kulturzentrum fungierte, ein modernes, attraktives Kulturhaus. Zur Eröffnung des Kulturhauses Eidelstedt „steeedt“ (Alte Elbgaustr. 12, 22523 Hamburg) am 2. September 2022 veranstaltete die Künstlergruppe „Eidelstedter Farbpinsel“ eine Gemälde- und Fotoausstellung unter dem Titel „Sprache der BildKunst“ mit den Arbeiten aus den jüngsten Kursen für Malerei.
Die Präsentation lockte viele Besucher von nah und fern ins Haus, wo am Eröffnungstag auch eine Galerieführung unter der Leitung des Kursleiters und Künstlers Dr. László Kova stattfand. Die Besucher konnten gleichzeitig die Ausstellerinnen und Aussteller persönlich kennenlernen, die vor ihren Bildern ein kurzes Exposé über Inspiration, Bildaufbau, Malprozess, Geheimnisse der Fotografie usw. erteilten. Das große Interesse veranlasste den Veranstalter dazu, die Ausstellung durch eine Finissage noch einmal in den Blickpunkt zu stellen. Durch digitale Medien, Plakate und Flyer wurde das breite Publikum zu einer Abschlussveranstaltung zum Termin am 1. November 2022 um 18:00 Uhr eingeladen.

Kunstinteressierte bei „Sprache der BildKunst“. Foto: Witka und Dr. László Kova.

Beim Sektempfang begrüßte der Geschäftsführer Herr Holger Börgartz die Interessierten zum vielversprechenden Abend. Dann übernahm Herr Dr. László Kova das Wort und hielt einen Vortrag über die Techniken der bildenden Kunst mit den Schwerpunkten von Radierungen, Lithografien und Holzschnitt, die als Druckgrafik besonders populär und beliebt sind. Es wurden reichlich Beispiele für die traditionsreichen, originalen Grafikarten gezeigt, die auf wertvolles Bütten-Papier von dem Künstler eigenhändig durch eine Handpresse gedruckt worden sind. Der Unterschied zwischen Originalgrafik (Büttenpapier, Nummerierung, Unterschrift, gesetzliche Vorschriften) und Offsetdruck (Art Print als fotografisches, technisches Verfahren) wurde ausführlich behandelt.

Publikum und Kunstschaffende im Ausstellungsraum. Foto: Witka und Dr. László Kova.

Seine Erörterungen gingen auch auf die Malerei in Aquarell, Acryl und Öl in Details ein, die durch mehrere expressive Gemälde veranschaulicht wurden. Hinter dem Vortragenden Kova hing diesbezüglich sein großes Tafelbild (3×1 m) in Acryl auf Leinen zum Thema Küstenlandschaft, auf dem u.a. See und Sandküste, ein romantisches, Reet bedecktes Haus sowie ein Leuchtturm – wie in List auf Sylt – dargestellt sind. Nach dem Vortrag erfolgte eine Galerieführung in der Ausstellung „Sprache der BildKunst“ in Begleitung des Publikums und der Kunstschaffenden, wo sich über Inspirationen, Themenauswahl, Pinselführung usw. rege ausgetauscht wurde.
Dann führte der Weg in den Vortragsraum zurück, wo Künstler und Kunstinteressierte in einer Podiumsdiskussion über ihre persönlichen „Erlebnisse mit Kunst“ sprechen konnten. Spontane Fragen und Antworten prasselten aufeinander ein und machten die Finissage richtig dynamisch.

Die Ausstellung gestalteten Ute Bantin (abstrahierte, großformatige Landschaften), Beatrice Funk (kreative Abstraktionen) , Sigrid Garz-Othmer (Impressionen: Hafenansicht, Loch Ness), Traute Haase (tosende See), Brigitte Konieczni (Stadtlandschaft Schwabing, Herbst) Denise Krohn (Farbenwunder, Meine liebe Kuh), Laki (Meditation, Lichtstrahl, Garten), Lieselotte Lehmann (Farbkomposition, Wasserfall, Bergkirche), Joachim Lunk (Kunstfotografie: Honigbiene, Heidelibelle, Segelfalter), Margritt Lunk (Hamburger Hafen, Speicherstadt in Hamburg,Tierwelt in Afrika), Ruth Mothes (Mohnlandschaft, Rapsfeld, Sonnenblume), Britta Nürnberger (Seerosen, Segelbote, Damen mit Regenschirm).

Übrigens treffen sich die Ausstellerinnen und Aussteller regelmäßig montags in den Kursen schon seit mehr als 20 Jahren, wo sie ihre Bilder für Ausstellungen malen,
die sie in diversen öffentlichen Räumen innerhalb und außerhalb Hamburgs zweimal jährlich präsentieren. Die Kurse laufen unter dem Motto „Malen kann jede/jeder“ und sind für Interessierte (Anfänger und/oder Fortgeschrittene) jeder Zeit offen.
Der Kursleiter ist Herr Dr. László Kova.
Erreichbar unter:
Tel.: 040 – 57 45 77
E-Mail: edition.kova@web.de

 

 

 

Ein großer Mime – in allen Sätteln gerecht

Herbert Tennigkeit
Foto: actorsagency hamburg

Ein Nachruf auf den Schauspieler und Rezitator Herbert Tennigkeit

Dies vorweg. Herbert Tennigkeit war ein lustiger Vogel, stets zu Scherzen und heiteren Geschichten aufgelegt, die er in seiner unnachahmlichen Art zum Besten gab. Hinter dieser mitreißenden Fröhlichkeit verbarg sich ein nachdenklicher belesener Feingeist, der gern über die Dinge philosophierte, die weit über das Alltägliche hinausreichten.

„Mir hat keiner an der Wiege gesungen, dass ich einmal Schauspieler werden würde. Ursprünglich hatte das Leben offenbar etwas ganz anderes mit mir vor,“ gestand Herbert Tennigkeit mir einst, als ich ihn während eines Hamburger Gastspiels in seiner Theatergarderobe aufsuchte.

1937 im ostpreußischen Memelland geboren, floh er 1944 kurz vor Kriegsende unter dramatischen Umständen mit seiner Mutter und seinen Brüdern vor der Roten Armee gen Westen. Nach einem Aufenthalt in Sachsen trieb es die Familie weiter nach Berlin. Herberts Mutter war praktisch veranlagt und bestand darauf, dass der Sohn erst einmal etwas Ordentliches lernte. Der ging daraufhin bei einem Maler und Anstreicher in die Lehre, der ihm beibrachte, wie man vom Krieg verwahrloste Häuser wieder in einen bewohnbaren Zustand zurückversetzte. Geschadet habe ihm diese Ausbildung zum Handwerker nicht, gestand Tennigkeit einmal. Aber sein Traumziel, Schauspieler zu werden, habe er nie aus den Augen verloren. 1962 war es dann so weit. Er zog nach Düsseldorf und nahm dort Unterricht bei einem seinerzeit bekannten Schauspieler. Auch zum Sänger ließ er sich ausbilden.

Diese solide Ausbildung hatte sich gelohnt, denn in der Folgezeit durfte sich der frisch gebackene Mime über eine Reihe von Engagements an bekannten westdeutschen Bühnen freuen.
Während ein Tourneetheater ihn durch viele Städte der Republik führte, stand er auf der Bühne des Hamburger Ernst-Deutsch-Theaters, brillierte bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, trat in der Komödie Frankfurt auf und wirkte in Theaterproduktionen mit, die ihn in die Niederlande, Österreich und nach Großbritannien führten. Sein umfangreiches Repertoire umfasste unter anderen Stücke von Shakespeare, Osborne, Brecht, Kleist und Hochhuth. Auch in Operetten und Musicals trat dieser vielseitige Künstler auf. Besonders gelungen empfand er seinen Auftritt in „Irma la Douce“: „Ein bezaubernd frivoles Stück.“ Schade nur, dass er der Irma aller Irmas Shirley MacLaine nie begegnet ist. Aber man kann halt nicht alles haben.

Als Sprecher machte Herbert Tennigkeit sich ebenfalls einen Namen. Seine sonore Stimme eignete sich gut für Hörspiele. Dabei lagen ihm die Karl-May-Hörspiele besonders am Herzen: „Welcher Jugendliche hat nicht alle oder die meisten der insgesamt 65 Romane dieses Titanen der spannenden Lektüre verschlungen?“ Nicht wenige von uns haben sie mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen. Die Chronistin war eine von ihnen.

In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts begann der Mime Tennigkeit noch eine viel beachtete Karriere als Darsteller in Fernsehfilmen und -serien. Unvergessen ist seine Rolle als Anästhesist Dr. Laudann in der „Schwarzwaldklinik“, einer Serie, „die sich zu einem veritablen Straßenfeger entwickelte. Kitsch as Kitsch can? Wahrscheinlich. Aber das Publikum war begeistert von der heilen Welt des Schwarzwaldes und den Protagonisten, die so sympathisch menschlich rüberkamen. Fast genau so beliebt waren Serien vom Schlage „Das Erbe der Guldenbergs“ , „Das Traumschiff“, „Hotel Paradies“ und „Kreuzfahrt ins Glück“, in denen Tennigkeit ebenfalls Erfolge feierte.

Unschlagbar war Herbert Tennigkeit als Rezitator. Seine Lesungen in ostpreußischer Mundart sind bis heute unvergessen. Wenn er aus Siegried Lenz‘ „So zärtlich war Suleyken“ las oder Günther Ruddies‘ „Woher kommen die Marjellchens?“ rezitierte, blitzte in den Augen mancher Zuhörerin aus der „kalten Heimat“ nicht selten ein heimliches Tränchen auf.

Seine ostpreußische Heimat hat Herbert Tennigkeit nie vergessen. Er trug sie immer im Herzen. Mehrmals ist er an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt. In einem Interview vor Jahren, das die PAZ mit ihm führte, bekannte er sich offen zu seiner Sehnsucht nach seinem heimatlichen Poggen. Er wollte seinen Sandkasten, den Apfelbaum im elterlichen Garten und auch seine Schule wieder sehen. Und – oh Wunder – alles war noch da. Da darf auch ein gestandenes Mannsbild eine Träne vergießen.

Ich erinnere mich noch genau an eine gemeinsame Fahrt mit Herbert Tennigkeit zu einem Termin an der Ostsee. Während der kurzen Reise erzählte er mir in beredten Worten viel aus seinem ereignisreichen Leben als Darsteller großer Rollen und gestand ganz nebenbei, dass er sogar mit dem Gedanken gespielt habe, Schlagersänger zu werden. Einfach, weil er gern singe. Ganz so wie der große Kollege Gustav Gründgens, der einmal bekannte: „Ich weiß ja, ich kann nicht singen. Und dabei singe ich doch so gern.“ Aber Herbert Tennigkeit konnte wirklich singen. Immerhin hatte er in jungen Jahren Gesangsunterricht genommen. Und so sangen wir auf unserem Weg nach Timmendorfer Strand aus voller Kehle „Lilli Marlen“, „Die Beine von Dolores“ und „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt.“ Ein unvergessliches Erlebnis.

Schließlich, doch nicht zuletzt muss an dieser Stelle noch Herbert Tennigkeits langjährige enge Freundschaft mit der in Königsberg geborenen Autorin und Journalistin Ruth Geede erwähnt werden, die im April 2018 im biblischen Alter von 102 Jahren verschied. Ruth, die Doyenne ihrer Zunft, teilte ihre Liebe und lebenslange Sehnsucht nach Ostpreußen mit Herbert. Und niemand konnte ihre Gedichte und Prosa so schön im ostpreußischen Idiom rezitieren wie er. Eine Kostprobe seiner Kunst wurde uns zur Feier des 100. Geburtstages von Ruth Geede im Jahre 2016 geboten.

Nun ist auch Herbert Tennigkeit von uns gegangen. Er starb am 10. Oktober 2022 im Alter von 85 Jahren in seiner Wahlheimat Hamburg.

Requiescat in pace!

(Dieser Nachruf erschien zuerst in der Preußischen Allgemeinen Zeitung)


Lesen Sie auch diesen Artikel über eine Fahrt mit dem Dampfschiff St. Georg, bei der Herbert Tennigkeit Texte rezitierte: https://die-auswaertige-presse.de/2016/08/alstervergnuegen-auf-dem-historischen-dampfer-st-georg/

 

Kunstaktion im Kottwitzkeller

Glück to go © Oliver Kunst / Foto: Hanna Malzahn

Eine schöne Straße im Generalsviertel in Hamburg-Eimsbüttel: Mehrfamilienhäuser aus der Gründerzeit, aufwändig renovierte Jugendstil-Fassaden, Kopfsteinpflaster, Balkone und kleine Vorgärten eingefasst in schmiedeeiserne Zäune – die Kottwitzstraße, erbaut 1901, beschaulich und idyllisch.

Einmal im Jahr Ende August findet seit 1996  der KOTTWITZkeller statt, ein Kunstprojekt im Hamburger Untergrund und in privaten Räumen. Eine Non-Profit-Veranstaltung, basierend auf Nachbarschaft, Engagement und Solidarität. Die Freude am Ausprobieren und an der Kunst ist oberste Maxime.

Wohnungen und Treppenhäuser verwandeln sich in Galerien

Die Nachbarn räumen die Keller leer, Fährräder und Hausrat werden weggestellt. Sehr viele Besucher gehen Jahr für Jahr die Treppe in den Kottwitzkeller hinunter, dessen Treppenaufgang ein Gemälde von Horst Wäßle ziert, einem Künstler der Schlumper-Künstlergruppe.

Es gibt viele Kunstgattungen zu sehen: Malerei, Zeichnungen, Drucke, Objekte, Installationen, Theater, Musikimprovisationen, Performance, Video, Film, Modenschau, Gedichte… ein vielfältiges Programm.

Auch die Innenhöfe, Gärten und die Straße werden  bespielt, ein buntes Fest mit Kunst, Musik und fröhlichem Treiben.

Puppen des Glücks © Luise Czerwonatis / Foto: Hanna Malzahn

Die Begründer und Organisatoren Wolfgang Scholz und Dieter Tretow geben ein weitgefasstes Thema vor. Es gibt keine Jury und keine Altersbeschränkung. Die Wahl der Motive zum jeweiligen Thema, die Technik und die Formate sind den Künstlern freigestellt. Das garantiert schon von vornherein eine große Bandbreite und Vielfalt an Kunstwerken. Alle Künstler sind eingeladen, die jeweilige Themenstellung in ihrem eigenen Credo zu bearbeiten. Sie können ausprobieren und experimentieren, bis die Umsetzung der Idee jeweils optimal erscheint. Dabei beschreiten viele Künstler ganz neue Wege.

Es geht um das Glück

Beim diesjährigen 26. Kottwizkeller am 27. und 28. August ging es thematisch um das Glück. Das Logo zeigt einen Wolf.

In Italien wünscht man jemanden mit „in bocca al lupo“ nicht wortwörtlich in das Maul eines Wolfes, sondern viel Glück. Im Deutschen finden wir die Entsprechung im Wunsch des „Hals- und Beinbruchs“. Um das Glück nicht herauszufordern, wünscht man aus Aberglaube genau das Gegenteil.

Lt. Wikipedia ist „Glück ist ein mehrdeutiger Begriff, der momentane oder auch anhaltende positive Empfindungen (Glücksgefühle) einschließt, die von stiller bis zu überschießender Art sein können. Glücklich kann man zudem eine Person nennen, der es anhaltend gut geht, weil ihr Leben viel von dem enthält, was sie als wichtig erachtet.“

Kitsch macht Dich glücklich © und Foto Hanna Malzahn

Ist Glück demnach Zufriedenheit oder ein flüchtiger Augenblick? Oder die positive Bilanz eines Lebensabschnittes?

Das subjektiv beeinflussbare und wahrgenommene Glück in einer Definition als objektive Tatsache festzuhalten, ist äußerst schwierig.

Eine faszinierende Werkschau

So  ist es spannend und inspirierend wie die sechsunddreißig teilnehmenden Künstler das Glück in ihren Arbeiten darstellen, beschreiben und interpretieren, das Glück in mannigfaltiger Gestaltung, unter verschiedenen Aspekten und Fragestellungen, eine faszinierende Werkschau.

Es gibt großartige Exponate: Malerei, Zeichnungen, Collagen, Druckgraphik, Objekte, Scherenschnitte, Installationen, Theater, Film und Musik, Zauberei, Märchen und Seifenblasen  – glückliche Momente  inklusive.

Glückskeks © Wolfgang Scholz Dieter Tretow / Foto: Hanna Malzahn

Im Garten gibt  es einen interaktiven überdimensionierten Glückskeks von der Größe eines Drei-Mann-Zeltes, im Treppenhaus eine Installation mit Spielkarten, der Schriftzug „GLÜCK“ gestaltet mit Centstücken, Scherenschnitte mit faszinierenden Schattenwürfen, Puppen des Glücks chillend zum Feierabend im Waschbecken, Fotoserien, klassische Malerei, zimmergroße Installationen, einen gewebten Wandteppich und vieles, vieles mehr.

Ein Film zum 26. Kottwitzkeller fängt die gute Stimmung ein, zeigt die unterschiedlichsten Positionen und das ungewöhnliche Ambiente.

Weitere Informationen unter www.kottwitzkeller.de

Die Ausstellung kann man virtuell durchwandern: https://www.kottwitzkeller.de/gluecksuebersicht.html

Cocooning © Tanja Soler Zang / Foto: Hanna Malzahn

 

 

 

William Faulkner zum 125. Geburtstag

Foto: Cofield / Mississippi Encyclopedia

Ein hervorragender Geburtstags-Artikel von Uwe Britten im Ärzteblatt für psychotherapeutische Praxen (Britten 2022) darf als Anlass dienen, an dieser Stelle auf einen Meister der klassischen Moderne hinzuweisen, der die berühmt-berüchtigten US-amerikanischen Südstaaten in eine ganz eigene literarische Form gebracht hat.

Wie kaum ein anderer bietet William Faulkner neben dem reinen Lesegenuss dabei sowohl existentialistische als auch essentialistische Lesarten an; und die Achse Bergson – Sartre – Deleuze ist hier ebenso fruchtbar wie beispielsweise die von Schopenhauer – Nietzsche – Freud. Neben dem Publikumserfolg, der Faulkners Werk – teils mit Verzögerung – letztlich zuteil wurde, handelt es sich um nichts weniger als Weltliteratur. Albert Einstein soll einmal gesagt haben, dass die Lektüre dieses Werkes eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe ist (Sowder 1991) – da lag er gewiss richtig.

Das ewige Aufeinandertreffen von Vergangenheit und Gegenwart

Die Lebensphilosophie Henri Bergsons (Bergson 1991; 1994) kann eine hilfreiche Hintergrundfolie für ein Verständnis von Faulkner bieten, deren Aspekt von Zeitlichkeit ein zentraler in dessen Werk ist: Faulkners Leitthema ist nämlich das ewige Aufeinandertreffen von Vergangenheit und Gegenwart. Von Bergson, der ´le temps´, die objektive Zeit, von ´la durée´ zu unterscheiden wusste – der subjektiven, sagen wir: erlebten Zeit – kann man nicht wenig über Identitätsbildung und Subjektivität lernen. So hat mittlerweile auch die neuropsychiatrische Zeit- und Gedächtnisforschung (Squire & Kandel 2009) die Unterschiede von semantisch-motorischem Gedächtnis und episodischem Gedächtnis herausgearbeitet, von dem letzteres etwa identitätsbildende Funktion hat.

Bedeutsam ist bei Bergson zudem dessen Anti-Rationalismus, der der vor allem aus dem Frankreich des 18. und 19. Jahrhunderts hervorgehenden Vernunftorientierung entgegentritt, was ihm schon damals den Vorwurf von Unschärfe und Mystizismus einbrachte (Fellmann 1996). Dieser Vorwurf gründet aber überwiegend auf einem verengten Wissenschaftsbegriff, der ebenfalls dem Rationalismus – heute vielfach in Verbindung mit einer zu engen Anwendung des anglo-amerikanischen Empirismus – zu verdanken ist.

Man könnte sagen, so wie Bergson etwa Subjektivität konzipiert, erkennt Faulkner die Eigenarten des menschlichen Wesens mit all seinen Abgründen und in all seinen Widersprüchen. Doch ist er dabei nie fernab von Gesellschaftskritik; das Gegenteil ist der Fall. Nur eindimensionale Gemengelagen findet man bei ihm nicht, und eindimensionale Antworten bietet er ebenso wenig an. Der Balanceakt zwischen viktorianischer Vergangenheit und kommender Moderne ist bei Faulkner als Autor zwischen den Welten (und Weltkriegen) persönlich-kulturell gewissermaßen angelegt, obwohl und weil er, wie viele amerikanische Autoren, als „Regionalist“ im Kleinen das Große, im Mikro- den Makrokosmos findet.

Die „Snopes“-Trilogie

So weist Britten im Ärzteblatt-Artikel auch auf die ausgreifende „Snopes“-Trilogie (Faulkner 1994) hin, die jenseits eines ganzen Panoptikums an Figuren, Konflikten und Themen den besonders eindrücklichen Zwist der ungleichen Cousins Flem und Mink Snopes vorstellt. Dabei geht es um Religiosität, Alltagsmaterialismus, Moralität. Gesellschaftskritische Komponenten liegen auf der Hand, etwa wenn Faulkner zeigt, was es bedeuten kann, wenn Aufsteiger aufsteigen, oder wie Unausweichlichkeiten menschliches Handeln determinieren können.

Eine zentrale Figur der Trilogie ist also Flem Snopes, ein Parvenu und Opportunist verwegenster Sorte, der vom Cafébesitzer zum Bankvorstand der fiktiven Stadt Jefferson in Mississippi aufsteigt. Er stiehlt schon einmal seiner erwachsenen Tochter den Mitgliedsausweis der Kommunistischen Partei, um sie beim FBI anzuschwärzen. An anderer Stelle sitzt eben diese Tochter mit den einzigen anderen örtlichen Kommunisten – Arbeitsmigranten aus Finnland – in dessen Haus und spricht über die, wie Faulkner lakonisch ausführt, “emancipation of man from his tragedy, the liberation at last and forever from pain and hunger and injustice, of the human condition,” only two doors away from Flem, “the capitalist himself who owned the parlor and the house, the very circumambience they dreamed in, who had begun life as a nihilist and then softened into a mere anarchist and now was not only a conservative but a tory too: a pillar, rock-fixed, of things as they are” (Egloff 2020, 41-42).

Doch auch Cousin Mink steht Flem in Eigentümlichkeit kaum nach, wenn er auf seiner Vendetta über Memphis nach Jefferson ein sehr persönliches und intuitives, doch immer moralisches Prinzip vertritt und motivisch sowohl in Kontrast als auch in Nähe zum Cousin gerät. Wie Faulkner diese und andere Widersprüchlichkeiten mit Mitteln von Bewusstseinsstrom, Sprache, Bildern darstellt, ist kunstvoll, avantgardistisch, mitunter schwierig zu lesen, aber nicht unlesbar. Wir haben es mit drastischen Charakteren, Konstellationen und Situationen zu tun, und wie Faulkner diese vorbringt, entspricht ganz seiner Eigenart: sotto voce.

Southern Gothic

Zum literarhistorischen Kontext: Die ´Southern Renaissance´ in den USA der 1920er und 1930er Jahre, aus der ab der Nachkriegszeit die als ´Southern Gothic´ bezeichnete, sehr populäre Stilrichtung hervorging, begründet einen nahezu neuen Typus nicht nur schrulliger , sondern auch mysteriöser, manchmal grotesker Charaktere. ´Southern Gothic´ hat längst Einzug in die Alltagskultur gehalten, dies nicht nur in den USA. Autorinnen wie Flannery O´Connor und Katherine Anne Porter gehören gewiss dazu, wie auch Cormac McCarthy, dessen Werke erst in den 1990er Jahren bekannt wurden, diesem aber zu einem rasanten Publikumserfolg verhalfen. Einige seiner Werke dürften mittlerweile auch einem größeren deutschen Publikum bekannt sein.

Faulkners Verarbeitung des Übergangs von viktorianischer Vergangenheit zu kommender Moderne bedeutet eben auch Charaktere in ihren Verwerfungen und ihrer Orientierungslosigkeit zu zeichnen, dies in Zeiten von Umbrüchen (Egloff 2017), die heutzutage geradezu zum Normalfall werden. Die umgreifende Diagnose ist die des Niedergangs von Strukturen. Damit erscheint das zweite zentrale Thema Faulkners, die innere Ortlosigkeit. Wenn Faulkner anhand der Brüchigkeit überlieferter Strukturen darstellt, wie Menschen vor Herausforderungen bezüglich ihres Selbstverständnisses gestellt werden, ist zu sehen, dass hier eine motivische Nähe hinein in die Postmoderne reicht, zu Autoren wie Bret Easton Ellis oder Don DeLillo. Dies zeigt sich z.B. in Ellis´ Roman „Lunar Park“ (Ellis 2005), in dem die Ortlosigkeit auf verschiedenen inhaltlichen und formalen Ebenen deutlich wird, wie die Literaturwissenschaftlerin Alison Lutton eindrucksvoll herausgearbeitet hat (Lutton 2012). „Lunar Park“ wartet dabei mit unerwartet traditionell-erzählerischer Kraft auf, die kaum noch mit dem ´minimal realism´ von Ann Beattie oder Joan Didion zu tun hat. Neben dem epischen Erzählen imponieren zudem – nicht weniger überraschend – für Ellis ungewohnte, teils verstörende ´Southern Gothic´-Elemente. Die innere Ortlosigkeit ist aber auch schon in Ellis´ schmalem, doch grandiosem Erstlingswerk „Less than Zero“ (Ellis 1985) ein zentrales Motiv; die Verbindung von innerer und äußerer Schwierigkeit seinen Ort zu finden, stellt das eigentliche menschliche Drama dar. Und so es ist kein Zufall, dass im Roman des ausgehenden 20. Jahrhunderts nur noch die Lektürehilfe zu Faulkners „As I Lay Dying” auftaucht, das Werk nur noch als Chiffre fungiert.

Was gesellschaftliche Strukturen ordnen sollen, droht sich gerade in der virtuellen Welt der Postmoderne unter dem Regime des Bildmediums aufzulösen, was viele Menschen intuitiv spüren. Die Tendenz zum Eskapismus im Konsumerismus neoliberaler Prägung (Donnelly 2018) lässt die 1980er Jahre fast noch harmlos erscheinen, weil wir es nun noch viel mehr mit der, wie der Amerikanist Heinz Ickstadt in Übereinkunft mit den entscheidenden Traditionslinien der Kritik festhält, „Verdrängung des Realen durch das Bild des Realen“ (Ickstadt 1998, 158) zu tun haben. Was bei Ellis also schillernd-postmodern, virtuell wird, ist bei Faulkner (noch) im Realen zu finden, als facettenreicher Kampf zwischen menschlicher Natur und Kultur.

Die Überschätzung des Rationalen

Wie schon Freud wusste, ist das, was wir Ich nennen, keineswegs Herr im Hause. Doch die Überschätzung des Rationalen ist heute wieder überall vorzufinden, auch und gerade in Politik, Wissenschaft, aber gewiss auch beim Einzelnen. Während Trieb und Begehren zwar als halbwegs anerkannte Kategorien gelten, treten deren Problematiken unter verschärften gesellschaftlichen Bedingungen offen zutage, wenn nämlich Strukturen als Rahmen gebende Orientierungspunkte sich auflösen. Jene Vernunftorientierung, die teils zu Vernunftgläubigkeit werden kann, läuft dann Gefahr – z.B. in Verbindung mit dem deutschen Idealismus –, eine merkwürdige Melange von (einerseits notwendiger) Weltverbesserung und (andererseits überbordender) Realitätsentsagung einzugehen.

Neben dem oben genannten, weit über tausend Seiten starken Spätwerk existieren noch etliche Klassiker der Moderne aus Faulkners früheren Schaffensphasen, von denen „The Sound and the Fury“ („Schall und Wahn“, erschienen 1929; Faulkner 2011) auch heute auf vielen Prüfungslisten der Geisteswissenschaften an deutschen Universitäten steht. Das nicht leicht zu lesende Werk ist immer noch ein Meilenstein des erzählerischen Bewusstseinsstroms. Und auch wenn es etwas ruhiger wurde: die Faulkner-Forschung blüht seit Jahrzehnten mit immer wieder neuen und ertragreichen Zugängen. Nicht nur in den USA, mit regelmäßigen Faulkner-Konferenzen in Mississippi und Missouri, sondern auch in Großbritannien, oder an deutschsprachigen Unis. Die Universität Straßburg stellte übrigens mit dem Lehrstuhl von André Bleikasten über Jahrzehnte hinweg eine Art europäischen Knotenpunkt der Faulkner- Forschung dar (Bleikasten 2017).

Faulkner, der im September 125 Jahre alt geworden wäre, hat also Spuren hinterlassen, die bis weit in die heutige Zeit hineinreichen und die mit unserer ganz konkreten Lebenswelt zu tun haben. Mittlerweile haben schräge Charaktere in Film und Fernsehen zudem geradezu eine gewisse Normalität erreicht – deren wohlkalkulierte Darstellung sich allerdings wie so oft von den Inhalten abzulösen droht. Mindestens aber dann, wenn in US-Filmen oder sonstigen Werken – nicht nur über die Südstaaten – merkwürdige Figuren auftauchen, vom Commis bis zum Schrat, kann man dies getrost als ´Southern Gothic´-Referenz lesen – wenn nicht gar als Verweis auf einen dieser zahlreichen Charaktere in Faulkners Oeuvre.

 

 

Literaturhinweise:

Bergson, H. (1994). Zeit und Freiheit. EVA, Hamburg.

Bergson, H. (1991). Materie und Gedächtnis. Felix Meiner, Hamburg.

Bleikasten, A. (2017). William Faulkner. A Life through Novels. Indiana University Press, Bloomington.

Britten, U. (2022). William Faulkner (1897-1962): Es war Notwehr! Deutsches Ärzteblatt PP 21, 7, 333-334.

Donnelly, A.M. (2018). Subverting Mainstream Narratives in the Reagan Era. Palgrave Macmillan, New York.

Egloff, G. (2020). William Faulkner, Snopes (1940, 1957, 1959). In: Egloff, G. Culture and Psyche – Lecture Notes for the Liberal Arts. Lambert, Beau Bassin, 31-60.

Egloff, G. (2017). Die Autobiographie von Alice B. Toklas – Gertrude Stein aus der Sicht von Alice B. Toklas aus der Sicht von Gertrude Stein. dap-hamburg.de, Dez. 2017.

Ellis, B.E. (2005). Lunar Park. Alfred A. Knopf, New York.

Ellis, B.E. (1985). Less than Zero. Simon & Schuster, New York.

Faulkner, W. (2011). The Sound and the Fury. Knopf Doubleday, New York.

Faulkner, W. (1994). Snopes. The Hamlet, The Town, The Mansion. Random House, New York.

Fellmann, F. (1996). Geschichte der Philosophie im 19. Jahrhundert. Rowohlt, Reinbek.

Ickstadt, H. (1998). Der amerikanische Roman im 20. Jahrhundert – Transformation des Mimetischen. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt.

Lutton, A. (2012). East is (not) East: the Strange Authorial Psychogeography of Bret Easton Ellis. 49th Parallel 28, 1, 1-30.

Sowder, W.L. (1991). Existential-Phenomenological Readings on Faulkner. University of Central Arkansas Press, Conway.

Squire, L., Kandel, E. (2009). Gedächtnis – die Natur des Erinnerns. Spektrum, Heidelberg.