Das beste Buch für guten Stil

Coverausschnitt, (c) Knesebeck Verlag

Wie viele Kleidungsstücke hängen aus alter Tradition in Ihrem Kleiderschrank? Gehören Sie auch zu den Leuten, die zwanzig Prozent ihrer Kleidung regelmäßig tragen, während der Rest so gut wie nie ans Tageslicht kommt? Die Verfasserin dieser Zeilen pflegt zweimal jährlich – nämlich zum Saisonwechsel – sinnierend vor ihrem Klamottenuniversum zu stehen und darüber nachzudenken, welche Teile aus dem Fach ganz oben nach unten in Greifnähe wandern und umgekehrt. Und vor allem, welche rausfliegen. Denn die Umsortierung nach Saison bietet sich dafür an. Allerdings sind die Gründe, warum ein Kleidungsstück mich verlassen oder eben nicht verlassen soll, höchst subjektiv. Nach einer Greenpeace-Studie kaufen wir rein statistisch gesehen jedes Jahr 60 Kleidungsstücke. Was passiert mit den anderen 600 aus den letzten zehn Jahren? Tatsächlich ist Fast Fashion für die Umwelt, aber auch für Menschen, die die Mode produzieren, ein großes Problem. Ob wir nun 60 oder 30 oder 100 Kleidungsstücke pro Jahr kaufen, es stellt sich die Frage: Braucht man das? Was braucht man wirklich, um gut angezogen zu sein? Habe ich mich früher gern experimentierend in verschiedene Fummel gewandet, hat sich im Lauf der Zeit meine Vorliebe eher hin zu schlichteren, kombinierbaren Stücken entwickelt. Was machen dann die alten Wallawallakleider im Schrank? Ziehe ich die noch mal an?

Fashion for Women. Not Girls.
Susanne Ackstaller/(c) Martina Klein, Knesebeck Verlag

In diese Überlegungen hinein fiel mir das Buch „Die beste Zeit für guten Stil“ von Susanne Ackstaller quasi vor’s Smartphone. „Fashion for Women. Not Girls.“ steht auf dem Cover und das sprach mich sofort an. Bei der fulminanten Online-Buchpräsentation war ich fasziniert von Susanne Ackstallers Energie und guter Laune. Und auch die Gemeinschaft der Frauen, die am Buch mitgewirkt haben, fand ich sehr einladend, unprätentiös, klar und spannend. Der Einblick in die Entstehung des Buches war beeindruckend, inklusive eines Blicks hinter die Kulissen der Fotostrecken. Ich bestellte also dieses Buch und las es fasziniert.

Susanne Ackstaller hat einen Katalog aufgestellt, welche Kleidungsstücke eine gute Basisgarderobe ausmachen. Zwischen den Kapiteln für jedes Teil befinden sich elf Porträts über und Interviews mit stilsicheren Frauen, die von der Fotografin Martina Klein wunderbar in Szene gesetzt wurden. Diese Frauen geben auch ihre Empfehlungen für wichtigste Kleidungsstücke im Schrank, und das ist ebenso informativ wie lustig. Denn es geht von „Weiße Blusen in allen Varianten“ (Claudia Braunstein) über „Ein gut sitzendes schwarzes Kleid“ (Carola Niemann) bis „Keine (…)“ (Stephanie Gruppe). Manchmal stimmen die Empfehlungen der Frauen mit denen der Autorin überein, manchmal auch nicht. Etelka Kovacs-Koller bringt es auf den Punkt: „Jede Frau sollte das im Schrank haben, womit sie sich gut fühlt.“ Das kann man als Motto des Buchs begreifen, denn Susanne Ackstaller hat es geschafft, konkrete Empfehlungen mit der Ermutigung zu verbinden, alles so zu gestalten, wie man sich selbst damit am wohlsten fühlt. Dadurch ist das Buch unterhaltsam, locker und anregend statt dogmatisch. Der Anhang „Lassen Sie sich inspirieren“ stellt in sehr kurzen Texten weitere Frauen vor, auf deren Internetseiten Anregungen vielfältigster Art warten.

Lieblingsstücke und Stil-Ikonen
Annette Bopp / (c) Martina Klein, Knesebeck Verlag

Die interviewten und porträtierten Frauen erscheinen wie ein Miniquerschnitt der Frauentypen im mittleren Alter. Sie haben unterschiedlichste Berufe wie Food- und Modebloggerin, Art Directorin, Stylisting und Moderedakteurin, Malerin und Fotografin. Einige habe ich auf Instagram entdeckt. Sie sind rund und schlank, groß und klein, sie sind Frauen wie Sie und ich. Das spiegeln auch die Fotos wider, die die Frauen in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld zeigen. Annette Bopp sitzt barfuß auf der Lehne ihres Sofas vorm Bücherregal (S. 26), Christine Mortag lehnt im lässig-farbkräftigen Outfit in der Tür (S. 106). Die Interviewten verraten ihre Lieblingsmarken, Stil-Ikonen und dergleichen. So entsteht ein vielfältiges und beeindruckendes Kaleidoskop.

Illustrationen von Veronika Gruhl versprühen gute Laune und Schwung, sie hat Susanne Ackstaller sehr gut getroffen. Gemeinsam mit roten Überschriften, Textteilen und Zwischenseiten verleihen sie dem Buch eine frische Note.

Besitzen Sie einen Tüllrock?
Zeichnung: Verena Gruhl, Knesebeck Verlag

Nein? Ich auch nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, einen zu besitzen. Dass er aber in der Empfehlungsliste der Autorin auftaucht, finde ich wunderbar, denn er steht für mich symbolisch für die Ermunterung, etwas Ungewöhnliches, vielleicht sogar Verwegenes zu wagen. Wenn Sie womöglich lange Haare haben, kennen Sie sicherlich den Blick des Friseurs, der liebend gern die Haare kappen möchte, damit Sie jünger aussehen. Ich habe unzählige derartige Empfehlungen gehört. Aber ist es das Evangelium, jünger aussehen zu müssen? Warum soll ich mit Fünfzig, Sechzig oder Siebzig keine langen Haare tragen? Lange Haare sind zwar kein Thema in Susanne Ackstallers Buch, aber ich habe mich daran erinnert gefühlt, weil sie so charmant und souverän mit solchen Dingen aufräumt. Es ist nicht die Frage, ob man zu alt ist für einen Tüllrock, Glitzerschuhe oder lange Haare. Sondern es ist die Frage, ob man sich damit wohlfühlt!

Das ist schon einmal ein gutes Argument für meine Schrankbesichtigung. Obwohl Wallawalla gerade wieder in ist, fliegt das jetzt alles raus. Stattdessen prüfe ich, welche Kleidungsstücke von Susanne Ackstallers Liste bereits vorhanden sind und wie ich zu ihnen stehe. Ich hake ab: die weiße Bluse, die Jeans, die Sneakers, den Trenchcoat, das Nickituch. Wussten Sie, dass das Wort Bluse aus dem Mittelalter stammt? Der Kittel, den Kreuzritter als Schutz über ihrer Rüstung trugen, hieß „Blouse“. Wer schon mal in einer schwierigen beruflichen Situation war und eine gut sitzende weiße Bluse trug, weiß sofort, warum ich das stimmig finde.

Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen

In diesem Buch findet sich zu jedem Stück eine Erklärung zur Geschichte und ausführliche, kurzweilige Erläuterungen, was es mit dem Teil auf sich hat. Hinzu kommen Erklärungen zu Material und Schnitt („Was gibt’s zu beachten?“, Kombinierungsempfehlungen für verschiedene Anlässe („Wie wird’s gestylt?“) und letztlich sogar Bezugsquellen („Wo kriegt man’s?“). Dabei achtet die Autorin auf Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen.

Ihr Plädoyer für Qualität hat mich sofort überzeugt: „Ein Polyesterfetzen mag an 20-Jährigen noch charmant aussehen und bei einer 30-Jährigen gerade noch durchgehen. Aber bei Älteren wirkt er billig. Von möglichen Hitzewallungen unter Kunstfasern ganz abgesehen.“ (S. 23) Wobei heutzutage auch teure Teile aus Kunstfaser sein können. Doch dies ist das nächste Kriterium fürs Ausmisten. Tatsächlich fühle ich mich nicht mehr wohl in Polyester und bin jetzt so weit, alle unliebsamen Teile rauszuwerfen. Abgesehen davon hat man unlängst in Hamburg alle Altkleidercontainer eingesammelt, weil die abgegebenen Teile aus Kunstfasern nicht mehr verwertbar sind – nicht einmal als Lumpen. Die Entsorgung kostet für die Altwarenfirmen zu viel Geld, als dass sich eine Kleidersammlung noch lohnte. Ein Grund mehr, qualitativ Hochwertiges zu kaufen, das man später an Oxfam oder ähnliche Organisationen spenden kann.

Kreativ ins Umstylen

Weiter in Ackstallers Liste. Eine Jeansjacke? Besitze ich nicht. Sollte ich? Ich folge der Empfehlung der Autorin und schaue mich Second Hand um. Tatsächlich eine super Anschaffung, meine graue Jeansjacke! In meiner nächsten Online-Konferenz verpasste sie mir zu einem schlichten Shirt einen lässig-eleganten Look. „Nonchalance, Lässigkeit, Understatement“, meint die Autorin (S. 89) – sie hat recht! Hätte nicht gedacht, dass mir das steht.

Ich ergänze „die Umhängetasche“ durch „den Ledergürtel“ und finde beides in hervorragender Qualität in einem traditionellen Lederfachgeschäft einer niedersächsischen Kleinstadt, und das für sehr wenig Geld. Stattdessen verzichte ich auf „die Glitzerschuhe“, erwerbe aber umgehend „das weiße T-Shirt“. Langsam nimmt mein Stil-Experiment Form an! Ergänzend zu den Kleidungsstücken und Schuhe kommen die Kapitel „der rote Lippenstift“ und „die Augenbrauen“ mit guten Tipps daher. Welches Rot mir steht, finde ich allerdings schwer zu sagen – in einer Farbberatung habe ich gelernt, dass ich ein kühler Typ bin und deshalb eher blaustichige Töne wählen sollte, weil die gelbstichigen mich noch blasser erscheinen lassen, als ich ohnehin schon bin. Dass aber ein roter Lippenstift „Launeheber, Express-Stylist und Schönermacher par excellence“ ist (S. 43), das merke ich gleich, als ich ihn ausprobiere. Super!

Sie sehen schon, ich bin nicht unbedingt schnell durch mit dem Buch. Seit ich es habe, schaue ich jedes Teil im Schrank anders an. Es fällt mir leichter, mich zu trennen. Ich weiß die guten Teile mehr zu schätzen. Das Reduzieren ist ein erleichterndes Gefühl, weniger ist mehr. Ein gutes Teil anzuschaffen und dafür drei, die nichts mehr sind, wegzugeben, ist ein gutes Verfahren. Alles habe ich noch nicht ausprobiert, wie zum Beispiel „das Barrett“, aber das kommt noch! Mit diesem Buch werde ich noch lange Inspiration und Freude haben, und das wünsche ich Ihnen auch. Wer weiß, vielleicht findet sich ja Susanne Ackstallers Fanbase eines Tages mit Selfies, die vom Buch inspiriert sind, auf Instagram wieder?

(c) Knesebeck Verlag

Autorin und Fotografin

Susanne Ackstaller ist Kolumnistin, Bloggerin und Texterin. Seit 2009 schreibt sie auf ihrem Blog Texterella, der zu den bekanntesten Blogs Deutschlands zählt, über Mode und Lifestyle. Texterella richtet sich insbesondere an Frauen über 40, vor allem aber an Frauen, die ihren Weg voller Freude und Lebenslust gehen – unabhängig von Alter und Kleidergröße.

Martina Klein ist Fotografin und bloggt unter Still Sparkling über Stil, Reisen, Beauty und Genuss für die Generation Ü50. In ihren Bildern fängt sie mit viel Feingefühl die individuelle Persönlichkeit der Portraitierten ein und holt sich dabei besonders gerne Frauen Ü40 vor ihre Kamera.

Buchcover

Susanne Ackstaller: Die beste Zeit für guten Stil, Knesebeck, München 2021

“The 39 Steps” by Patrick Barlow – the new play at the English Theatre of Hamburg

Come on, dear, we are in a hurry! Photo: Stefan Kock

For all those who remember the spy thriller “The 39 Steps”, filmed in 1935 by the Master of Suspense Alfred Hitchcock, the stage version of the plot is a déjà vu. Yet it differs from the original story by Scottish author John Buchan who concocted a dramatic espionage novel in 1915, the second year of the First World War. Playwright Patrick Barlow, born in Leicester, was bold enough to transform this very serious subject into a highly amusing comedy spiced with all the ingredients of a thriller including loads of black British humour.

It’s great fun to drive this elegant car Photo: Stefan Kock

Have a look at our short synopsis before we go into detail: Pulled into a web of intrigue and deceit Richard Hannay, the unwilling hero of the plot, is constantly on a run to escape a criminal organization, two “femmes fatales”, weird farmers and wives. Richard is in a great hurry to solve the mystery of the 39 steps. He must stop a gang of spies to threaten national security. Does he succeed? Read on.

Here we go: While Richard Hanney, a young man in his thirties, is on vacation in London he attends a demonstration of “Mr. Memory”, a man with a photographic memory. On the way back to his flat he meets a frightened woman by the name of Annabella Smith who asks him to put her up for the night. She tells him that she is a spy chased by criminals who are trying to kill her since she has uncovered a plot to steal top secret documents that threaten national security. The head of the spy ring “The 39 Steps” is a most dangerous man who can easily be identified by the missing joint on the little finger of his right hand. Richard is at a loss to believe this fantastic story told by a woman with a thick German accent and goes to sleep. In the morning he finds his guest murdered with a knife in her back. When the police turns up and accuses innocent Richard of murder, he manages to escape in the very last moment. From now on he is a man on the run. He takes the next train to Scotland where, according to Annabella Smith, the head of the espionage organization is hiding.

The head of „The 39 Steps“
Good Lord, what is the matter with you? Photo: Stefan Kock

On the train he meets beautiful Pamela who identifies him as the killer portrayed on page one of all the newspapers in the country. She reports him to the police and Richard manages another dramatic evasion from the train on the Forth Bridge. He is lucky to find a place for the night at a farm in the Highlands. While the wife of the old suspicious farmer is friendly and gives him her husband’s warm coat to protect him from the cold in the mountains, the farmer reports Richard to the police. He is after the high reward promised to the person who helps to catch the killer. But Richard evades capture once again and finally finds a village named Alt-na-shellach where he meets Professor Jordan, a perfect gentleman at first sight. Looking at his right hand with a missing joint on his little finger Richard realizes that he is standing face to face with the head of “The 39 Steps.” When Richard refuses to cooperate with him and his spy gang, Jordan shoots at him. Thanks to the farmer’s hymn book in the breast pocket of the coat Richard survives. Now it is on him to report an attempt of murder to the sheriff. But – surprise, surprise – the sheriff and the rest of the police are befriended with Jordan. Another hope crushed, poor Richard. He is again on the run from his pursuers. All of a sudden he finds himself in a political meeting and is mistaken for a candidate. Without having the slightest idea of what is going on, he improvises a speech which is enthusiastically applauded by the audience. By chance he meets Pamela again. Out of the blue Jordan’s men arrive and handcuff Richard and Pamela to each other. They spend the night at a small hotel in the countryside. With a trick Pamela frees both of them from the handcuffs. After a longer discussion Richard can convince her of his innocence. Now they are free to go to London where – according to Pamela who overheard a telephone call – the spy gang will meet.

Pamela, why is it so dark in this room? Photo: Stefan Kock

Back in the city, Richard and Pamela meet at Mr. Memory’s show and realize that the spies are taking advantage of Mr. Memory’s performance to smuggle the secrets out of the country. When being perfectly memorized, there are no paper documents. A very clever idea. The show ends abruptly when Richard asks Mr. Memory: “What are the 39 steps?” Do you think, dear spectator, that Mr. Memory is able to answer that question? Come and find out yourself when you are sitting in the audience of the English Theatre. By the way, according to a New York critic, this scene remains one of the most gripping moments of the play.

Shall we call the police? Photo: Stefan Kock
Packed with twists and turns

Packed with twists and turns, this fast-paced thriller keeps the audience in constant suspense. Only four actors – one woman and three men – are playing during 100 minutes altogether 150 characters in this hilarious spy comedy. While James Killeen “only” plays one part, that of anti-hero Richard Hannay, Man 1 Charlie McCullagh and Man 2 Jonny Magnati are to be seen in multiple roles. They appear as police men, drivers, station masters, farmers, gang members and even as women imitating high-pitched voices. An endless mimicry causing roars of laughter in den audience. Madeleine Hutchins plays three female parts. In one scene she turns up as Annalena Schmidt, the spy “with the accent”, a few minutes later she is Pamela, the red-haired vamp who reports good-hearted Richard to the police. Margaret, the sweetly naïve grumbling farmer’s wife with her long blond plait is the most touching figure in the play. A great performance. Thank you, Madeleine. The same refers to Charlie and Jonny, two brilliant actors, dancers and singers who would do honour to every musical show. Not to forget James in the part of Richard who reminds us of Cary Grant in Hitchcock’s 1959 blockbuster “North by North West.” Remember? A New York City advertising man mistaken for a non-existing man by the name of George Kaplan is unwillingly thrust into a world of spies. Just as Richard he escapes his pursuers by chance and is still alive when all the trials and tribulations are over.

Conclusion: A brilliant performance on a grey November evening in Hamburg.
A big hand for director Paul Glaser and his crew of smashing actors!

Final performance of “The 39 Steps” on January 29, 2022.
Tickets under: phone number 040 – 227 70 89 or
online under: www.englishtheatre.de
Next premiere:
“Outside Mullingar” by John Patrick Stanley on February 10, 2022

 

“The 39 Steps” von Patrick Barlow – die neue Premiere am English Theatre of Hamburg

Nun komm‘ schon, wir sind in Eile Foto: Stefan Kock

Mit dieser Farce auf den von Altmeister Hitchcock 1935 verfilmten gleichnamigen Krimi hat sich das English Theatre of Hamburg selbst übertroffen. Welches andere Theater schafft es, mit nur vier Darstellern ein so spannendes, temporeiches und mit einer gehörigen Dosis schwärzesten britischen Humors angereichertes Stück auf die Bühne zu bringen. Eine Persiflage, die selbst einen Dauerbrenner wie „Dinner for One“ um Längen schlägt und das Publikum die Sorgen, Nöte und Einschränkungen in Zeiten der Pandemie für zwei Stunden vergessen lässt.

Was für ein Spaß, ein so schickes Auto zu fahren! Foto: Stefan Kock

Die Handlung des Stückes versetzt uns in das turbulente London des Jahres 1935 am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, wo der junge Richard Hanney ein paar entspannte Urlaubstage verbringen will. Im berühmten Palladium in der Argyll Street lauscht er gespannt Mr. Memory, der mit seinem phänomenalen Gedächtnis das Publikum in seinen Bann schlägt. Wenig später begegnet er Annabella Schmidt, die sich von einer kriminellen Gang mit dem seltsamen Namen „Die 39 Stufen“ verfolgt fühlt und Richard bittet, sie für die Nacht bei sich aufzunehmen. Angeblich befindet sie sich im Besitz hoch brisanter Informationen, die die nationale Sicherheit bedrohen. Und um Unheil abzuwenden, muss sie umgehend eine Person in Schottland treffen. Dichtung oder Wahrheit, erdacht von einer Verschwörungstheoretikerin? Bevor Richard sich ein Bild von der mysteriösen Fremden machen kann, ist diese tot und liegt mit einem Messer im Rücken in seiner Wohnung. Wie nicht anders zu erwarten, verdächtigt die Polizei den unschuldigen Richard des Mordes. Der entzieht sich ihrem Zugriff durch eine tollkühne Flucht. Ab jetzt beginnt eine wilde verwegene Jagd kreuz und quer durch London. Während sowohl britische Ordnungshüter als auch Mitglieder besagter krimineller Bande dem angeblichen Delinquenten unerbittlich auf den Fersen sind, schlägt dieser Haken wie ein Hase und schafft es schließlich in einen Zug, der ihn nach Schottland bringen soll.

Die schöne Unbekannte

Mit Hilfe einer Landkarte aus dem Besitz Annabellas will er, neugierig geworden, dem Geheimnis der schönen Unbekannten auf die Spur kommen. Endlich für kurze Zeit seinen Häschern entkommen, tappt Richard in die nächste Falle. Die auf den ersten Blick sympathische Pamela entpuppt sich als üble Verräterin, die ihm ohne Skrupel die Polizei auf den Hals hetzt. Die Verfolgungsjagd geht weiter, bis Richard auf einem einsamen Hof in den Highlands ein bäuerliches Ehepaar trifft, das ihm Asyl für eine Nacht gewährt. Aber auch hier lauert höchste Gefahr, denn die Kunde von dem entlaufenen Mörder ist bis in dieses Nest am Ende der Welt vorgedrungen. Selbst hier gibt es Zeitungen, deren Titelseiten das Konterfei Richards ziert. Da jenem, der Richard ausliefert, eine hohe Belohnung winkt, findet der alte Bauer Mittel und Wege, die Polizei zu alarmieren. Allein seine Ehefrau empfindet Mitleid mit dem Verfolgten und schenkt ihm den warmen Mantel ihres Mannes, der sich später als sehr nützlich, sogar lebensrettend für Richard erweisen wird.

Mein Gott, was ist nur los mit dir? Foto: Stefan Kock

Erneut auf der Flucht, kommt Richard seinem Ziel immer näher, bis er schließlich auf ein herrschaftliches Anwesen in einem Ort mit dem klingenden keltischen Namen Alt-na-shellach stößt. Hier residiert Professor Jordan, offenbar ein Herr vom Scheitel bis zur Sohle, dem Richard sich anvertraut, bis er entdeckt, dass diesem die Kuppe des kleinen Fingers an der rechten Hand fehlt. Vor diesem Mann, dem Spiritus Rector der „39 Stufen“, hatte Annabella Schmidt ihn ausdrücklich gewarnt. Als Richard eine Zusammenarbeit mit Jordan verweigert, eröffnet dieser das Feuer auf ihn. Richard überlebt den Anschlag dank des Gesangbuches in der Brusttasche des geliehenen Mantels und wendet sich an den Sheriff. Doch – wie konnte es anders sein in dieser Welt der Clans – der steckt mit Jordan und den Seinen unter einer Decke. Um der Polizei zu entkommen, rettet Richard sich in eine Wahlveranstaltung, in der er für einen Kandidaten gehalten wird und eine zündende Rede hält, die mit tosendem Beifall von den Anwesenden aufgenommen wird.
Bei dieser Gelegenheit begegnet er der attraktiven Pamela wieder, die ihn zweimal verriet, weil sie ihn irrtümlich für den gesuchten Mörder hielt. Nun sitzen die beiden in der Falle, von einem Polizisten mit Handschellen an einander gefesselt. Pamela gelingt es, sich und Richard mit einem Trick zu befreien, so dass sie gemeinsam fliehen können. Es stellt sich heraus, dass der Polizist gar keiner war, sondern einer von Jordans Komplizen. Wow – wer hätte das gedacht!
Das verzwickte Spionagekomplott findet sein Ende im London Palladium, wo Richards unfreiwilliger Ausflug in die Welt der Geheimdienste begann. Diesmal wird er von Pamela begleitet. Erneut tritt Mr. Memory auf und beantwortet alle an ihn vom Publikum gestellten Fragen im wahrsten Sinne des Wortes wie „aus der Pistole geschossen.“ Ob er wohl etwas über die „39 Stufen“ und ihre Bedeutung weiß? Lassen Sie sich überraschen, liebe Zuschauer!

Eine gelungene Parodie auf das Genre Spionagefilme
Pamela, warum ist es hier so dunkel? Foto: Stefan Kock

Dieses Stück lässt das Publikum atemlos zurück. „Die 39 Stufen“ gleichen einem Parforceritt durch das Genre des Spionagethrillers. Denn als solcher war es vom schottischen Autor John Buchan angelegt, der seinen Plot 1915, im zweiten Jahr des Ersten Weltkrieges, zu Papier brachte. Es erstaunt nicht, dass Alfred Hitchcock sich dieses Stoffes annahm und ihn als hochdramatischen Krimi inszenierte, wie üblich augenzwinkernd gewürzt mit amüsanten Nebenhandlungen und einer kurzen Frequenz, in der er ganz bescheiden selbst auftritt.
Noch einen Schritt weiter geht der britische Bühnenautor Patrick Barlow, dem wir diese ebenso spannende wie skurrile Krimi-Komödie verdanken. Er nimmt den ganzen Spionage- und Geheimdienstschrott, mit dem wir nicht selten im Fernsehen gelangweilt werden, auf die Schippe und hält das Publikum mit einer Parodie auf das Genre bis zum Finale bei bester Laune. Zwischendurch wird auch zur Freude der Zuschauer mit Platzpatronen scharf geschossen. Alle gehen in Deckung!

Ein echter Geniestreich

Die Inszenierung unter der Regie von Paul Glaser ist ein echter Geniestreich. Und der gelingt mit nur vier Schauspielern – einer Frau und drei Männern – in 150 (in Worten: einhundertfünfzig) Rollen, und dies innerhalb von hundert Minuten! Die Mimen schlüpfen in Windeseile von einer Rolle in die nächste. Da wird durch den Austausch von Kopfbedeckungen aus einem Bobby ein Zugschaffner. Da verwandelt sich eine schlichte Frau aus den Highlands mit Hilfe einer platinblonden Perücke in einen Männer mordenden Vamp. Die rasante, mit einer Reihe Verfolgungsjagden gespickte Handlung raubt dem Zuschauer schier den Atem. Doch damit nicht genug. Er hat Mühe die Guten von den Bösen zu unterscheiden. Denn häufig wähnt er sich auf der richtigen Fährte, wird alsbald jedoch eines Besseren belehrt. Dieses Stück verdankt seinen Effekt dem Einsatz einfachster Mittel. Hier wird ein schlichter Sessel zu einem Auto, indem der „Fahrer“ ein Lenkrad in die Hände nimmt und seine Passagiere über eine fiktive holperige Landstraße manövriert. Ein weiterer Gag ist der „Trick“, mit dem Pamela sich und Richard von den Handschellen befreit. Dafür zieht sie eine schlichte Haarnadel aus ihrem Chignon. Donnerwetter – von dieser Frau können selbst die gewieftesten schweren Jungs noch was lernen. Ein Brüller!

Sollen wir die Polizei rufen? Foto: Stefan Kock

Fazit: Diese Slapstick-Komödie verdient höchstes Lob. Von 10 möglichen Punkten verleihen wir die volle Zahl mit einem Stern! Ein weiterer Stern geht an die vier Schauspieler. Während James Killeen, der Darsteller des Helden wider Willen Richard Hannay, „nur“ eine Figur verkörpert, treten Charlie McCullagh und Jonny Magnanti in zahllosen Rollen auf. Sie steppen und tanzen wie die Weltmeister nach den Melodien der dreißiger Jahre, schlüpfen in die Rollen von misstrauischen Highlandern, falschen und gelegentlich echten Polizisten, mimen Ehrenmänner und Gangster. Hin und wieder ist auch die Rolle einer Frau dabei, die/der in ihrer/seiner Kostümierung und schriller Stimme für Heiterkeit sorgt. Ein tolles Duo, das in allen Sätteln der Bühnenkunst gerecht ist. Die einzige Frau im Bunde, Madeleine Hutchins, glänzt in drei unterschiedlichen Rollen. Sie ist die mysteriöse Annalena Schmidt, die glamouröse Pamela und das Landei Margaret in Personalunion. Vier Mimen – echte Rampensäue, wie man im Theaterjargon anerkennend sagt – die mit ihrer Spielfreude das Publikum auf wunderbare Weise „infizierten.“
Ein höchst amüsanter Theaterabend, der den Zuschauern noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Wer in den Weihnachtstagen oder zu Silvester noch nichts vorhat, sollte sich umgehend ein Ticket sichern.

„The 39 Steps“ läuft bis einschließlich 29. Januar 2022.
Tickets unter: 040 – 227 70 89
oder online unter: www.englishtheatre.de
Nächste Premiere:
„Outside Mullingar“von John Patrick Shanley am 10. Februar 2022

Knüppelfreitag: Schlacht am Zaailand vor 70 Jahren

Foto: Piet van de Wiel/Pixabay

Am sogenannten Knüppelfreitag (Kneppelfreed), dem 16. November 1951, fand die sogenannte Schlacht am Zaailand statt. „Zaailand“ ist der inoffizielle Name eines Marktplatzes in Leeuwarden (Ljouwert). Und Leeuwarden ist der Verwaltungssitz der niederländischen Provinz Friesland (Fryslân).

Zur Schlacht am Zaailand wäre es nicht gekommen, wenn nicht an jenem Freitag in dem an den Marktplatz grenzenden Gerichtsgebäude ein Prozess gegen Fedde Schurer stattgefunden hätte. Der friesische Journalist, Schriftsteller und Politiker musste sich wegen Beleidigung eines Richters verantworten. Er hatte in einem friesischsprachigen Leitartikel der Tageszeitung „Heerenvense Koerier“, deren Chefredakteur er war, Mijnheer Wolthers’ Amtsführung als „kindisch und schikanös“ kritisiert. Er hatte seine Gründe. Wolthers war wiederholt als friesenfeindlich aufgefallen. Einmal hatte er einen Milchmann verurteilt, weil dieser Ware nur auf Friesisch ausgezeichnet hatte. Ein andermal machte er es einem wegen eines Verkehrsdelikts vor dem Kadi stehenden Tierarzt unmöglich, sich auf Friesisch zu verteidigen.

Als zusätzliche Schikane wurde es empfunden, dass für die Gerichtsverhandlung ein kleiner Saal gewählt wurde mit der fadenscheinigen Begründung, Heizöl sparen zu wollen. So sammelten sich Schurers zahlreiche Sympathisanten, die im Gerichtssaal keinen Platz bekommen hatten, vor dem Gerichtsgebäude und skandierten öffentlich: „Wir wollen Schurer sehen!“ Da gerade Markt war, der Platz entsprechend belebt und auch die Presse an dem Sprachenstreit großes Interesse zeigte, wuchs die Menge vor dem Gerichtsgebäude schnell an.

Die zuständige Staatsanwaltschaft hatte damit nicht gerechnet und zeigte Nerven. Sie ließ den Platz von der Polizei mit Gewalt räumen. Knüppel kamen dabei ebenso zum Einsatz wie Wasserschläuche. Zusätzliches Öl goss die Staatsanwaltschaft ins Feuer, indem sie anschließend auf ein anonymes Protestpamphlet mit einer nächtlichen Razzia reagierte, in deren Verlauf Minderjährige aus ihren Betten gezerrt wurden.

Das löste eine Welle der Solidarität aus, nicht nur in Friesland. Die Obrigkeit sah sich gezwungen, zurückzurudern, die Regierung Schadensbegrenzung zu üben. So wurden den Friesen in den Niederlanden Zugeständnisse gemacht, die ohne den Knüppelfreitag möglicherweise nie oder erst später gemacht worden wären.

„Germanischer Bärenhund“ –  Porträt einer außergewöhnlichen Hunderasse

Als Hof-, Hirten- und Jagdhunde setzten die Germanen robuste, ausdauernde und wachsame Hunde, sogenannte Germanische Bärenhunde, ein. Diese mussten in einer harten, lebensfeindlichen Umwelt überleben und ihre Sippe verteidigen.

Im Laufe der Zeit verlor sich die Spur dieser Hunde. In den 1980er Jahren entwickelten sich aus einem Fehlwurf zwischen Bernhardiner und weißem Hirtenhund Welpen, die dem alten Germanischen Bärenhund nahekamen. 1994 wurde der moderne Germanische Bärenhund schließlich vom Deutschen Rassehunde Club anerkannt. Jörg Krämer schildert die Geschichte der Geburt dieser Hunderasse, illustriert die historischen Details mit kleinen Geschichten und Anekdoten sowie Bildern und gibt Ratschläge zu Haltung und Erziehung der kinderlieben, gutmütigen, charakterfesten Vierbeiner, die sich gut als Familienhund eignen.

Passt der Germanische Bärenhund in die Familie?

Ob die positiven Charaktereigenschaften voll zur Entfaltung kommen, hängt jedoch entscheidend von der richtigen und artgerechten Haltung ab. So ist das Buch eine wertvolle Informationsquelle, damit die Liebhaber dieser Rasse vor der Anschaffung eines solchen Hundes hinreichend überprüfen können, ob sie dem Tier und seinen Ansprüchen überhaupt gerecht werden können. Rüden können immerhin ein Gewicht bis 85 kg und eine Widerristhöhe von 85 cm erreichen, Hündinnen bis zu 70 kg bei einer Höhe bis zu 80 cm. Im Schnitt erreichen die Tiere ein Alter von zehn bis zwölf Jahren. Neben den häuslichen Gegebenheiten geht der Autor umfassend auf verschiedene Themen ein, wie z.B. die wichtigsten Grundregeln zur Ernährung und Gesundheit, empfohlene Impfungen und Wurmkuren, die kleine Hausapotheke, die Eingewöhnung und Erziehung des Welpen, Steuer und Versicherungen, was es vor dem Kauf eines Bärenhundes alles zu beachten gibt und wie man den passenden Züchter finden kann. Ein Erfahrungsbericht zum Leben mit dem Germanischen Bärenhund, Begegnungen mit Artgenossen auf Spaziergängen, mit dem Hund auf Reisen und schließlich die Begleitung des treuen Weggefährten auf seinem letzten Weg, runden das Buch ab und geben ihm eine sehr persönliche Note. Die Tipps sind alltagstauglich und auch mögliche Probleme, die sich ergeben können, werden angesprochen. Der Text ist sehr gut geschrieben und die informativen Bilder sind sehr ansprechend. Für diejenigen, die ernsthaft mit dem Gedanken spielen sich einen Germanischen Bärenhund anzuschaffen, ist das Buch ein nützliche Entscheidungshilfe vor dem Kauf. Wer sich bereits für einen Bärenhund entschieden hat, findet hier wertvolle Informationen und Tipps zum Leben mit dem sanften Riesen.

Jörg Krämer: Germanischer Bärenhund
Herausgeber: ‎ novum pro
Taschenbuch: ‎ 124 Seiten
ISBN-10: ‎ 3990266969
ISBN-13: ‎ 978-3990266960
Abmessungen: ‎ 13.49 x 0.76 x 21.49 cm
Preis: 17, 40 Euro

 

 

Website des Autors: https://www.ruhrpottstory.com/

Kuba – Ein Reiseführer auf den Spuren Ernest Hemingways

Mutti mit Cohiba

„Kuba, Hemingway, eine Cohiba + ich“ von Wolf Cropp liest sich wie ein Vademecum durch die wechselvolle Geschichte der karibischen Zuckerinsel, angereichert mit akribisch recherchierten Episoden aus der Vita des amerikanischen Schriftstellers Ernest Hemingway. Hier ist dem Autor der perfekte Spagat zwischen Reiseführer und Biografie gelungen.

 

Cropp beginnt seine weit ausgreifende Geschichte in den Keys, dem äußersten Zipfel der Vereinigten Staaten. Zunächst in Key West gestrandet, wie er im Eingangskapitel schreibt, schaut er, ein Lager aus der Flasche trinkend, auf den Golf von Mexiko und die mit vielen kleinen Eilanden gesprenkelte Straße von Florida. Hier ließ sich Hemingway auf Empfehlung seines Schriftsteller-Freundes John Dos Passos 1928 nieder. Das Ambiente seines aus Muschelkalk im amerikanischen Kolonialstil erbauten Wohnhauses – heute Museum – hat ihn offenbar zu Höchstleistungen inspiriert. Denn hier schrieb er „Wem die Stunde schlägt“ und „Die grünen Hügel von Afrika“, die weltweit zu seinen berühmtesten Werken wurden. Zudem frönte er in Key West der Hochseefischerei, seinem liebsten Hobby neben der Jagd. Aus Gesprächen, die Cropp mit Aficionados Hemingways vor Ort führte, ist unschwer zu entnehmen, dass er nicht zu „Papas“ Bewunderern zählt. Seine Sprache sei primitiv, die Plots nicht selten langweilig, findet Cropp. Eine Einschätzung, die die Rezensentin seines Buches über Kuba und Hemingway weitgehend teilt. Hemingways ausschweifendes Leben – man denke nur an seine zahllosen Liebschaften – war hingegen hoch interessant und füllte jahrelang die Seiten einschlägiger Publikationen.

An der Fassade Camilo Cienfuegos

Endlich landet Cropp auf Kuba. Er führt den Leser durch das laute quirlige Havanna, dessen bröckelnde Fassaden entfernt an die einstige Pracht der reichsten spanischen Kolonie erinnern. Das Straßenbild wird auch heute noch von den bonbonfarbenen amerikanischen Straßenkreuzern dominiert, die die Oberschicht des korrupten Bastista-Regimes zurückließ, bevor Fidel Castro mit seinen Genossen als „El Máximo Lider“ das Ruder übernahm. Von der anfänglichen Euphorie ist nichts geblieben. Mangelwirtschaft, wohin man schaut, leere Regale in den Läden. Und – Ironie der Geschichte – selbst der Zucker wird der Bevölkerung der Zuckerinsel in fast homöopathischen Dosen zugeteilt. Umso erstaunlicher berührt die Fröhlichkeit der Kubaner, deren Leidensfähigkeit unendlich zu sein scheint.

Die tropische Pracht Kubas fasziniert

Während seiner Erkundungstour kreuz und quer über die Insel gerät der Autor in manche prekäre Lage. Während eine „patrulla de policiá“ Cropps Papiere peinlich genau in Augenschein nimmt, versuchen ein paar Insulaner – allesamt arme Teufel – ihn mit einer angeblichen Hilfeleistung beim Reifenwechsel am gemieteten Renault über den Tisch zu ziehen. 500 US-Dollar her oder… Da kann der Autor nur das Hasenpanier ergreifen und weiterfahren in Richtung Santa Clara, dem Wallfahrtsort der Verehrer des Helden aller Linken dieser Welt, Che Guevara, dem man in diesem armseligen Ort ein monumentales Denkmal errichtet hat. Obwohl an den Händen dieses Revoluzzers – seines Zeichens Humanmediziner – das Blut vieler unschuldiger Menschen klebt, wird er auch fünfzig Jahre nach seinem gewaltsamen Tod verehrt wie ein Heiliger. Das Che gewidmete Lied „Hasta siempre comandante“ – auf immer um ewig, Kommandant – hat sich zu einer Art Nationalhymne entwickelt. Der Geist Guevaras lebt weiter auf der Insel und manifestiert sich in diesem Diktum: “Man trägt die Revolution nicht auf den Lippen, um von ihr zu reden, sondern im Herzen, um mit ihr zu sterben.“ Doch die meisten Kubaner haben die Nase gestrichen voll von derart inhaltlosen Parolen und Castros ständig wiederholtem Aufruf: „Revolución o muerte.“ Die Menschen wollen nicht für eine Ideologie sterben, sondern ein besseres Leben in einem Land, das die Natur so reich beschenkt hat. Liebevoll beschreibt Cropp die tropische Pracht Kubas in all ihren Facetten und dokumentiert in jeder Zeile, wie eingehend er sich mit der Fauna und Flora der Insel beschäftigt hat.

Über Santa Ifigenia geht es heute zum berüchtigten Guantánamo, einem trostlosen Ort mit real existierenden sozialistischen Plattenbauten. „1903 besetzte die amerikanische Marine die südöstlich gelegene Bucht, seitdem gibt es Streit,“ resümiert Cropp lakonisch. Wohin der letztlich führte, wissen wir aus Beschreibungen von Folterungen in diesem von den Amerikanern betriebenen Straflager, das trotz aller Beteuerungen bis heute nicht aufgelöst ist und nur noch alte und kranke Insassen beherbergt. Verlassen wir dieses Schandmal fehlgeleiteter Politik und wenden uns der fast unberührten Natur zu, die der Autor nach seiner Exkursion in die Niederungen menschlicher Unbelehrbarkeit aufsucht. Seine Naturbetrachtungen gehören zum Lesenswertesten des Buches. Wer hatte je zuvor von dem Monte-Iberia-Fröschchen gehört, das mit seiner Größe von 10 Millimetern auf einer Fingerkuppe Platz hat? Ob Riesenspitzmaus oder seltene Vogelarten wie der Zuzun, ein kolibriartiges Vögelchen, das gerade einmal 1,8 Gramm auf die Waage bringt, Cropp hat diese kleinen Wunder der Wildnis im Visier und lässt uns an seiner Begeisterung teilhaben. Während seiner Wanderung unter 40 Meter hohen Königspalmen, Drachen- und Trompetenbäumen droht ihm keine Gefahr. Denn Giftschlangen und Vogelspinnen sind auf Kuba unbekannt.

Auf zur Schweinebucht! Wer denkt da nicht an die gescheiterte Invasion der Amerikaner im Jahre 1962. Ein Desaster für den seinerzeit amtierenden Präsidenten John F. Kennedy. Diese Episode darf in keinem Buch über Kuba fehlen. Cropp hakt sie kurz ab und begibt sich geradeswegs ans Wasser. Denn an diesem Tag ist eine Tauch- und Beobachtungstour angesagt, die zur Laguna de las Salinas führt. Hier gilt es an Deck eines Bootes Delfine und Haie zu beobachten. Die kabbelige See tut diesem Vergnügen keinen Abbruch.

Unter Krokodilen auf Sumpfsafari

Eine Sumpfsafari in einem unwegsamen Gelände, in dem sich Krokodile von stattlicher Größe tummeln, ist ein Erlebnis besonderer Art. Hier ist äußerste Vorsicht geboten, denn die Echsen sind erstaunlich gewandt und schnell. Der Legende nach haben die Taino, Kubas Ureinwohner, in den Sümpfen ihr Gold vergraben, um es vor den gierigen Konquistadoren in Sicherheit zu bringen. Ob der sagenhafte Schatz immer noch tief im Schilf unter den langen Wurzeln ewig blühender Seerosen schlummert? Die Begegnung mit den „Kroks“ verläuft ohne Zwischenfall. Und so verabschiedet sich dieser ereignisreiche Tag „mit einem grandiosen Sonnenuntergang. bei dem der Feuerball wie eine flammende Orange im Röhricht versinkt, Wasser und Himmel in mystisches Lila taucht.“ Poetischer kann man „eines langen Tages Reise in die Nacht“ nicht beschreiben.

Hemingways Wohnzimmer in Finca

Obwohl der Autor bekanntermaßen kein Fan Hemingways ist, kommt er am Ende seines Kuba-Aufenthaltes wiederum an Papa nicht vorbei. Die aufregende Fangfahrt im blauen Strom erinnert an das Opus Magnum Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ und trägt demgemäß folgendes Zitat des Schriftstellers im Titel: „Der letzte Ort der Freiheit, den es gibt, ist das Meer.“ Cropp als ein mit den Wassern aller Meere gewaschener Fahrensmann ist kein ambitionierter Fischer, aber kann der Versuchung nicht widerstehen, auch einmal einen großen Fisch zu fangen. Bald hat er einen kapitalen Thunfisch am Haken. Nach einem langen Kampf mit diesem Meeresbewohner ist er fix und fertig und fragt sich nach dem Sinn der Übung. Was hat der Fisch ihm getan? Hat er nicht Besseres verdient als den Tod?

Versunken in voluminösen Kunststoffledersitzen eines Cadillac

Szenenwechsel. Dort, wo das Abenteuer Kuba begann, findet es auch sein Ende – in Havanna. „Gerade versinke ich in den voluminösen Kunststoffledersitzen eines Cadillac mit steilen Heckflossen. Eingequetscht zwischen einer Hausfrau mit vollen Tüten und einem Liebespaar. Der Dinosaurier ist mindestens 70 Jahre alt und nennt sich Taxi Particular.“ Wer schon einmal auf Kuba mit einem solchen Ungetüm auf den engen Straßen unterwegs war, weiß, wovon der Autor spricht. Das ist Lokalkolorit pur! Noch ein paar Tage auf der Insel und Cropp muss die Heimreise antreten. Ein Abschied, der wehmütig stimmt. Salud y adiós.

Mit „Kuba, Hemingway, eine Cohiba + ich“ hat Wolf Cropp wieder ein exzellent geschriebenes Buch vorgelegt, das jedem empfohlen wird, der Kuba besuchen oder aus der Ferne kennenlernen möchte. Bemerkenswert sind nicht nur die Beschreibungen von Land, Leuten und der einzigartigen Natur der Karibikinsel, sondern auch die geschichtlichen und ethnischen Bezüge, die ein paradiesisches Fleckchen Erde prägen, auf das vor nunmehr über fünfhundert Jahren ein Europäer zum ersten Mal seinen Fuß setzte. Mit den bekannten Folgen.

„Kuba, Hemingway, eine Cohiba + ich“ von Wolf Cropp, erschienen im Verlag Expeditionen, 304 Seiten, ISBN 978-3-947911-55-4, kostet 22 Euro

Fotos dieses Beitrags: Wolf-Ulrich Cropp

Manifest der deutschsprachigen Ikigai-Lyrik

Laotse, chin. Philosoph
Foto: Gontran Peer

Unsere Gegenwart ist die Zeit der geistig-seelischen Wende, für jeden von uns daher auch lebensentscheidend. Die Spiritualität findet im Alltag und im Leben jedes einzelnen Menschen jene Aufmerksamkeit, die diese Welt ins Positive verändern wird.

Das wahre Leben kennt nur Gegenwart, Harmonie, Licht, Liebe, Glückseligkeit, Wahrheit und Unschuld. Das wissen wir Menschen – egal, wo wir uns auf diesem Planeten befinden. Wir Menschen haben all das sogar in unseren Seelen gespeichert, wollen es allerdings nicht immer oder nur teilweise wahrnehmen und wahrhaben und vor allem nicht in die Tat umsetzen.

Deshalb sollte es wieder zur prioritären Aufgabe aller Kunstbereiche werden, Hilfe zu leisten und die Menschen auf die spirituellen Werte des Lebens hinzuweisen. Demzufolge spricht sich jetzt der Urheber dieses Manifests ganz klar für das Ikigai als Ziel eines kollektiven Glücks aus.

Eine japanische Lebensphilosophie

Das Ikigai ist eine japanische Lebensphilosophie, und Ziel des Autors dieses Manifests ist es, auch für die deutschsprachige Lyrik den japanischen Namen IKIGAI zu übernehmen.

Ikigai ist ein japanisches Wort und bedeutet auf Deutsch so viel wie Lebenssinn, Freude oder Wert des Lebens. “Iki” bedeutet Leben und “gai” Wert. Ikigai ist auch bewusste Wahrnehmung sowie Selbstfindung und Selbstverwirklichung jenes Wesens, das man selbst ist.

Im Wort Ikigai ist schon alles enthalten, wonach der Mensch streben und auch suchen sollte: das eigene und das kollektive Glück.

Die Suche nach dem Ikigai ist ein Prozess innerhalb einer Vielfalt von Existenzen.

Die Ikigai Lebensphilosophie will sich jetzt ganz sicher nicht zufällig im deutschen Sprachraum verbreiten, sondern aus der bereits genannten spirituellen Notwendigkeit des einundzwanzigsten Jahrhunderts heraus.

Das Ikigai will sich als literarische, aber noch mehr als spirituelle Strömung der japa- nischen Kurzlyrik in deutscher Sprache durchsetzen. Es ist deshalb also nicht nur eine lyrische Gattung oder Form, sondern eine Lebenseinstellung, ein Lebensweg und ein Lebensauftrag, welche sich einiger japanischen Kurzlyrikformen und Kurzlyrikgattungen bedienen.

Das Ikigai bezieht sich vor allem auf die japanischen Lyrikformen und Gattungen wie Haiku, Senryu, Haibun, Haiga und Tanka, die im deutschen Sprachraum seit dem zwanzigsten Jahrhundert – sei es in japanischer Sprache als Original, als auch in deutscher Sprache als Übersetzung oder als Neuschaffung – in Erscheinung treten.

Ikigai ist nichts Geringeres als das allumfassende essenzielle Thema, um welches sich das ganze Leben dreht.

Ikigai ist also ein Sammelbegriff. Alle in diesem literarischen Manifest genannten japanischen Lyrikgattungen und Formen in deutscher Sprache dienen dem Ziel des kollektiven Glücks und werden hier deshalb als Ikigai bezeichnet.

Alles ist und hat Ikigai

Der Verfasser des Manifests will sogar von der grundlegenden Erkenntnis ausgehen: Alles ist und hat Ikigai, und jeder ist und hat Ikigai.

Die deutschsprachige Ikigai Kurzlyrik nach japanischem Vorbild will nach dem Wert des Lebens, also nach dem kollektiven Glück suchen und in diesem Zusammenhang und Kontext an die japanische literarische Blütezeit in der Edo-Periode anknüpfen.

Religionen, Philosophien und Denkweisen wie Shintoismus, Taoismus, Konfuzismus, Buddhismus und vor allem Zen-Buddhismus sollen das deutschsprachige Ikigai unterstützen.

Die deutschsprachigen lyrischen Ikigai Dichtungen nach japanischem Vorbild sind einerseits ausgesprochen der japanischen Tradition verpflichtet, andererseits aber auch der japanischen Moderne.

Da für jeden Ikigai-Dichter der Ausgangspunkt seiner Lyrik seine gegenwärtig geistig-seelische Ebene ist und das Ikigai sein sich gesetztes Ziel, darf die deutsch-sprachige Ikigai Dichtung nicht als spirituell vollkommenes Werk verstanden werden.

Der Frosch ist in Japan ein Glücksbringer.
Foto: Gontran Peer

Dem Ikigai-Dichter muss es darum gehen, dass die Natur, die Umwelt sowie die Mitmenschen an seinem Alltag sowie an seinem inneren Leben vollkommen teilhaben können – um zu erreichen, dass er in einem immer umfassenderen Bewusstseinzustand die Freiheit des Geistes, also das Glück schrittweise für sich findet und es dann anderen Menschen weitergeben kann.

Der verantwortungsvolle Auftrag sowie die besondere, große Aufgabe des Ikigai-Dichters besteht darin, seine Leser sowie Zuhörer durch seine Lyrik schrittweise zum geistig-seelischen Glück zu verhelfen.

Das ist die Gegenwart, das ist die Wende. Es lebe hoch die Gegenwart – und hoch lebe die Wende!

Ebenda im einundzwanzigsten Jahr des einundzwanzigsten Jahrhunderts

Lehrermangel in der Pflege verhindert die Ausbildung von Pflegekräften

Foto: Pixabay

Am 1. Januar 2020 ist das Pflegeberufegesetz in Kraft getreten. Ziel des Gesetzgebers ist es, die Arbeit in der Pflege aufzuwerten und das Arbeiten in der Pflege attraktiver zu machen.

Ein positiver Schritt in die richtige Richtung, der vor dem Hintergrund des Personalmangels in der Pflege und der demografischen Entwicklung längst überfällig war. Die bisherigen Ausbildungsgänge „Gesundheits- und Krankenpfleger“, „Altenpfleger“ und „Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger“ entfallen. An ihre Stelle tritt der Beruf der Pflegefachfrau bzw. des Pflegefachmannes – die generalisierte Ausbildung. Die Ausbildung ist kostenlos. Statt Schulgeld zu bezahlen, bekommen die Schüler nun eine Ausbildungsvergütung. Auch die Karrierechancen im Anschluss an die generalisierte Ausbildung wurden verbessert. Kranken und pflegebedürftigen Menschen wird gut ausgebildetes Personal an die Seite gestellt und diesem Personal auch eine sinnvolle Perspektive geboten. Bis hierhin ein gut durchdachter Aufschlag der Politik!

Probleme bei der praktischen Umsetzung

Bei der praktischen Umsetzung des Pflegeberufegesetzes manifestiert sich allerdings ein handfestes Problem: Das Gesetz sieht vor, dass für jeden Ausbildungskurs ein
hauptamtlicher Pflegepädagoge zur Verfügung stehen muss. Es gibt jedoch deutschlandweit nur eine begrenzte Anzahl an Pflegepädagogen, auf die in jüngster Zeit die Jagd durch Headhunter begonnen hat. Dadurch entstehen kuriose Situationen, die eine sinnvolle Ausbildung sicher boykottieren. Da sich die Anzahl der Pflegepädagogen nicht in kurzer Zeit erhöhen lässt, kommt es nur zu Verschiebungen. Es können also nicht, wie eigentlich gewollt, mehr Pflegekräfte ausgebildet werden. Im Gegenteil!

Die Situation der Pflegeschulen

In Pflegeschulen können geplante Kurse aufgrund fehlender Pflegepädagogen nicht starten. Auch müssen Pflegeschulen permanent damit rechnen, dass ihre eigenen Pflegepädagogen durch Headhunter / Personalvermittlungsagenturen abgeworben werden. Bei fehlenden hauptamtlichen Lehrkräften darf die zuständige Schulbehörde geplante Kurse nicht genehmigen, dies führt dazu, dass viele Auszubildende keinen Ausbildungsplatz erhalten. Dieser Zustand ist aufgrund des bestehenden Pflegekräftemangels ein grotesker Zustand. Gar nicht zu reden von Existenznöten der betroffenen Pflegeschule.
Das unflexible Bestehen der Schulbehörden bzw. des Gesetzgebers auf die Pflegepädagogen negiert damit den Sinn des Pflegeberufegesetzes und führt zu Schulschließungen und nicht genehmigten Ausbildungskursen. Die Unsicherheit für die Auszubildenden macht die Pflege wieder unattraktiver, durch die begrenzte Zahl der Pflegepädagogen können nicht mehr Interessierte ausgebildet werden als bisher, und Pflegeschulen könnten in kürzester Zeit in die Insolvenz abgleiten.
Völlig absurd ist auch die Tatsache, dass viele Lehrer und Lehreinnen ohne jegliche
Kenntnisse aus der Pflege oder Pflegepädagogik einen Bestandsschutz genießen und als hauptamtliche Lehrer unterrichten dürfen.

Lösung in Sicht?

Eine Lösung dieses Problems wäre relativ einfach zu erreichen. Es gibt zahlreiche fähige Lehrer und Dozenten mit Hintergrund aus der Pflege, die nur keine Pflegepädagogen sind. Würden die Schulbehörden übergangsweise, bis es ausreichend Pflegepädagogen gibt, geeignete Dozenten mit Sondergenehmigung zulassen, wäre das Problem in einigen Jahren nicht mehr existent.

Von Meeren und Wüsten. Die HAV tagte in den Bethanienhöfen

Gemälde von Angelika Kahl

Sie kamen im Doppelpack: Zwei Fahrensleute im besten Mannesalter, de wat to vertellen hebt. Wolf Cropp eröffnete die Lesung im wohl klingenden Bariton mit dem Shanty „Ick heff mol en hamborger Veermaster sehn, to my hoodah. to my hoodah, de Masten so scheef as den Schipper sien Been…“

Ein passender Einstieg in einen Törn mit der Viermastbark „Peking“, die der agile Autor im September letzten Jahres unternahm, als er die Verholung der aufwendig restaurierten Bark von Glücksburg nach Hamburg begleitete. Wolf ist Mitglied der „Freunde der Viermasterbark Peking e.V.“ und Experte bezüglich der Entstehungs- und Erfolgsgeschichte dieses ehrwürdigen Windjammers. Die „Peking“ ist einer der vier noch erhaltenen legendären Flying P-Liner der Hamburger Reederei Laeisz, die am 25. Februar 1911 zum ersten Mal auslief. Inzwischen ist das prachtvolle Segelschiff in die Jahre gekommen und reif fürs Museum. Sein künftiger Liegeplatz wird vermutlich bis zur Fertigstellung des Deutschen Hafenmuseums der Kleine Grasbrook sein. Da klingelt doch etwas. Wurde nicht im Jahre des Herrn 1401 direkt nebenan der berühmt-berüchtigte Seeräuber Klaus Störtebeker hingerichtet, den romantische Seelen zum Robin Hood der Meere verklärten?

Wolf-Ulrich Cropp

Doch zurück zur “Peking“, über deren abenteuerliche Reisen auf den Weltmeeren Wolf Cropp so anschaulich berichtet, dass man meint, dabei gewesen zu sein. „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er drei Mal um Kap Hoorn“, zitiert der Autor einen alten Seemannsspruch und schlägt mit seinen abenteuerlichen Erzählungen über Cap Horniers und deren gefährliche Unternehmungen das Publikum in seinen Bann.

Exkursion in die Sahara

Szenenwechsel. Nahtlos tauchen wir ein in geheimnisvolle Wüstenlandschaften, in die selten ein Europäer den Fuß setzt. In einer der fünfzehn Kurzgeschichten in „Jenseits der Westwelt“ beschreibt Cropp seine Erfahrungen während einer Exkursion in die Sahara. Nach einem Besuch bei den Tuareg findet er sich plötzlich mutterseelenallein in der Wüste wieder. Denn während er die Gegend erkundete, hatte der Stamm seine Zelte abgebrochen und sich auf den Weg zum nächsten Rastplatz gemacht. Rund um den Fremdling nur Sanddünen und eine atemlose Stille, wie er sie noch nie erlebt hatte. Was bei den meisten Panikanfälle ausgelöst hätte, führt Cropp zu Frieden und tiefer innerer Einsicht. Eine Erzählung, die tief bewegt und zum Nachdenken anregt.

Das Meer und Helgoland
Reimer Boy Eilers

Reimer Boy Eilers ist aus ähnlichem Holz geschnitzt wie Wolf Cropp. Auch er ist ein weit gereister Mann, der das Meer über alles liebt. Besonders die Nordsee. So lautet auch der schmale Band „Mehr Nordsee“, aus dem der Autor ein Gedicht zum Besten gab, bevor er zu seinem 570 Seiten starken Opus Magnum „Das Helgoland. der Höllensturz: Oder wie ein Esquimeaux das Glück auf der Roten Klippe findet“ überging. Hinter diesem etwas sperrigen Titel verbirgt sich ein äußerst kniffliger Kriminalfall, der sich Anfang des 16. Jahrhunderts auf Helgoland abspielte oder sich abgespielt haben soll. Ein Kapitän aus Amsterdam, der Station auf dem Roten Felsen macht, stürzt die Treppe zum Oberland hinunter. Er stirbt – horribile dictu – ohne die Sakramente der Heiligen Kirche empfangen zu haben, und wird von den Insulanern auf dem Friedhof der Wasserleichen und Namenlosen hoch oben in den Dünen verscharrt. Ist der Mann durch einen Unfall zu Tode gekommen oder war es Mord? Das ist die Frage, die den Autor bewegt. Die Ermittlungen werden von einem Mann namens Pay Edel Edlefsen und seinem Freund und Jagdgefährten Equimeaux Quivitoq, genannt Menschenkind, geführt. Und das gegen den Willen des Fischerhauptmanns, Pays Vater Boje Edlef. Hat der Hauptmann etwas zu verbergen? Bevor der Fall geklärt ist, wartet die Nordsee mit einer Reihe höllenartiger Stürme und anderer Unbill auf.

Der verscherbelte Kalkfelsen

Autor Eilers las einem andächtig lauschenden Publikum mehrere Kapitel seines Thrillers vor und erklärte nebenbei allerhand Wissenswertes über das rote Kliff, Deutschlands einzige Hochseeinsel. Wer wusste zum Beispiel, dass Helgoland einst neben der Langen Anna noch ein weiteres Wahrzeichen hatte? Der schneeweiße Kalkfelsen, von dem die Rede ist, existiert seit langem nicht mehr. Er wurde vom Landesherrn gegen klingende Münze verscherbelt, ohne dass er die Insulaner zuvor um ihre Zustimmung gebeten hatte. Profit stand eben seinerzeit schon an erster Stelle. Was interessierte schon die vox populi? Auch über die strengen Sitten und Gebräuche von anno dunnemals auf der Insel weiß der Autor anschaulich zu berichten. Ein durch und durch ebenso lesenswertes wie spannendes Buch. Eine ausführliche Besprechung von „Das Helgoland, der Höllensturz. Oder: Wie ein Esquimeaux das Glück auf der Roten Klippe findet“ wird in unserem DAP Online-Magazin erscheinen, sobald die Rezensentin den dicken Wälzer von weit über fünfhundert Seiten vollständig gelesen hat.

Vom Cap Horn zum Cap Hornisse

Die Lesung fand in einer sehr entspannten Atmosphäre statt. Frei von Genderei und „Gedöns.“ Ohne Zweifel wird es inzwischen auch weibliche „Cap Horniers“ geben, die die gefährliche Umrundung des Kaps mit Bravour meistern. Aber wie sollen wir die im Zeitalter des nahezu militanten Feminismus nennen? Ich habe da einen Vorschlag zur Güte: Wie wäre es mit „Cap Hornisse?“ Klingt gut und hat etwas unverkennbar Martialisches.

Wem eine bessere Lösung für dieses weltbewegende Problem einfällt, möge sich melden. Ach ja, und Esquimeaux oder Eskimo geht natürlich gar nicht, lieber Reimer Boy Eilers. Das soll ja Fleischfresser bedeuten und ist daher in Zeiten von Veggitum und Veganismus total verpönt. Immer dran denken: Heute ist Inuit angesagt. Man möge es den Helgoländern verzeihen, dass sie diese Sprachregelung im 16. Jahrhundert noch nicht kannten!

Sabine Witt

Die Zuhörer applaudierten den beiden Autoren und freuten sich über diesen gelungenen Abend in den Bethanien-Höfen. Ein herzliches Dankeschön geht an Sabine Witt, die Vorsitzende der Hamburger Autorenvereinigung, die die Lesung gewohnt charmant moderierte.

 

 

 

Wolf-Ulrich Cropp: https://die-auswaertige-presse.de/mitglieder-1/cropp-wolf-ulrich-dr/

Reimer Boy Eilers: https://die-auswaertige-presse.de/mitglieder-1/eilers-dr-reimer-boy/

Sabine Witt: https://die-auswaertige-presse.de/mitglieder-1/witt-sabine/

Eine Perlenkette fürs Bücherregal

Susanna M. Farkas, Gerrit Pohl, Charlotte Ueckert und Ralf Plenz (v.l.n.r.)

Zum Start der Reihe „Perlen der Literatur“ hat der Input Verlag aus Hamburg die ersten 13 Bände vorgelegt. Verlagsinhaber und Büchermacher Ralf Plenz führt hier seine Vorlieben für anspruchsvolle Literatur, handgemachte Bücher sowie für Kalligrafie zusammen.

Plenz hat sich für sein Vorhaben, für das er 2018 beim Schreiben seiner Romantrilogie die erste Idee hatte, ein Team aus einer Literaturwissenschaftlerin, einer Autorin und und einem Übersetzer zusammengestellt – denn der Plan ist nichts weniger als eine Neuauflage europäischer Literatur als Kontrapunkt zur amerikanischen Literatur, die den Buchmarkt derzeit dominiert.

Gekürzt, vereinfacht, neu übersetzt

Bei den „Perlen der Literatur“ geht es ausschließlich um bereits im 19. oder 20. Jahrhundert erschienene und seinerzeit erfolgreich gewesene Bücher. „Sprachgewaltig, aber vergessen“, so Ralf Plenz. Zur Auswahl der Titel werden Germanisten, Anglisten und Romanisten, Buchhändler, Bibliothekare, Psychologen und Vielleser befragt; dann wird die Auswahl von einem Beirat kuratiert und von Ralf Plenz herausgegeben. Dieser kauft nach Möglichkeit die Erstausgabe eines Titels antiquarisch, um wirklich den Originaltext und nicht eine bereits lektorierte oder übersetzte Version als Basis zu nehmen. Die Autorin und Gesangspädagogin Susanna M. Farkas, der Autor und Übersetzer Gerrit Pohl und die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Charlotte Ueckert bilden das Team um Ralf Plenz, das sich mit dem Lektorat und der Übersetzung beschäftigt. Ein interessantes Unterfangen ist es dabei, dass die Texte auch bearbeitet werden. So hat Susanna M. Farkas den Roman „Schatzinsel“ verkürzt und vereinfacht, um Passagen ohne Brüche zu verbinden. Gerrit Pohl hat in der Neuübersetzung von „1984“ sprachliche Anpassungen an die „Jetzt-Sprache“ vorgenommen und den Satzbau angepasst. Was im ersten Moment verwundert und als kühn anmutet, erweist sich im näheren Befassen mit „Bezaubernder April“, eine ebenfalls von Gerrit Pohl neu übersetzte Version des als „Verzauberter April“ bekannten Romans Elisabeth von Arnims, als behutsame, wohl überlegte und angewandte Transferierung in die heutige Zeit. Der anspruchsvolle, leicht ironische Erzählstil von Arnims bleibt erhalten, auch die Sprache ist als aus einer anderen Zeit stammend erkennbar – jedoch liest sich Pohls Übersetzung sehr flüssig und angenehm, sodass die Hoffnung des Verlegers Ralf Plenz, auch jüngere Leute für diese Bücher zu interessieren, zumindest nicht an der Erzählsprache scheitern dürfte. Auch wenn Charlotte Ueckert nach eigenem Bekunden manchmal „Bauchschmerzen dabei hat, Weltliteratur zu verändern“ und sie sich mit Ralf Plenz zuweilen „fetzt“ – was nützt die schönste Literatur, wenn sie heute nicht mehr verstanden und gelesen wird?

Mit Hingabe zur Buchgestaltung

Die Zeitspanne, in der die jeweiligen Autoren lebten, und die Hintergründe des literarischen Werks sind in jede Ausgabe der „Perlen der Literatur“ eingebettet. Da gibt es Abbildungen der Originalausgaben und die Banderole enthält Informationen und Autorenbilder. Überhaupt ist die Ausstattung der Reihe bemerkenswert. Jede Ausgabe, Hardcover mit Fadenbindung, bekommt ein individuelles Vorsatzpapier, dessen Design mit dem Inhalt zusammenhängt, und einen Leineneinband. Die Vorsatzpapiere gestaltet der Bruder des Verlegers, der Grafiker Jörn Plenz. Statt eines Lesebändchens bekommt jeder Band eine individuell gestaltete Banderole, die mehrere Funktionen erfüllt: Sie lässt, im Gegensatz zu einem Buchumschlag, die Haptik des Leineneinbands erspüren, wenn man das Buch in Händen hält; sie fungiert als Lesezeichen, enthält Informationen und ist auf der Außenseite von Ralf Plenz kalligrafisch mit Wortkunst gestaltet, die wiederum Bezüge zum Inhalt aufweist. Stellt man die Bücher in der korrekten Reihenfolge ins Regal, ergibt sich eine Gesamtgrafik aller Banderolen auf den Buchrücken – so entsteht die Perlenkette fürs Bücherregal. Jedes Jahr sind acht Titel geplant, jeder Jahrgang bekommt eine andere Farbe, sodass die Reihe für Buchsammler attraktiv ist, die einen schönen Anblick im Regal zu schätzen wissen. Dabei ist der Preis von 15 Euro pro Buch sehr günstig, denn es liegt dem Verleger am Herzen, dass viele Menschen sich die Bücher leisten können.

Neben den erwähnten, recht bekannten Buchtiteln finden sich getreu dem Motto der Reihe auch Titel, die es neu zu entdecken lohnt. Mitten im Ersten Weltkrieg schrieb beispielsweise Felix Timmermans 1916 über den pfiffigen Bauer „Pallieter“, der zu einem flämischen Nationalheld wurde, ähnlich dem deutschen Till Eulenspiegel. Der hunderttausendfach gelesene, übersetzte und sogar verfilmte Roman mit hinreißenden Naturbeschreibungen ist „heute, in einer Zeit, in der Sinnsuche in Konsum und Besitz kaum mehr Grenzen kennt und anerkennt, aktueller denn je – das perfekte Buch zur Entschleunigung“ (Verlagstext). Ein Kleinod ist auch Walter Benjamins „Einbahnstraße“ mit kurzen Texten, Impulsen und Aphorismen.

Alles in allem sind die „Perlen der Literatur“ ein gelungenes Gesamtkonzept, dem ein respektabler Platz im Buchmarkt zu wünschen ist.

„Shirley Valentine“ by Willy Russel – The New Play at The English Theatre of Hamburg

Come and enjoy a glass of wine with me. Cheers.(c) ETH

Good news, dear friends of ETH!

Your favourite stage has recently reopened its gates and welcomes you to a heart-warming comedy featuring Sharon Facinelli, one of the Westend’s  most popular stars, in a one-woman-show. This two-hour monologue is kind of a marathon, oscillating between joyful moments and deep frustration. A great performance by an actrice who is at home in all genres, be it film, TV, theatre or musical. We are sure that you will greatly enjoy the play after the long-lasting lockdown in most European countries and abroad. Although Willy Russel already wrote “Shirley Valentine” way back in 1986, the play has not lost any of its charm and still appeals to an audience that goes for romance. Many thanks to Sharon Facinelli and director Paul Glaser who made the premiere a success.

Here is the plot
To hell with this boring housework! (c) ETH

Shirley Bradshaw, née Valentine, is a middle-aged, “slightly” overweight Liverpudlian housewife, who talks to herself and to the walls of her kitschen while her husband Joe is at work. But even at home, he rarely talks to her. Shirley feels lonely and unloved. In her frustration she has taken to drink and always keeps a bottle of wine in her fridge. While peeling potatoes and preparing salad for dinner, she fills her glass many a time until the bottle is empty and she has to open a new one. In her tipsy state Shirley’s memory goes back to the olden golden days when she was the young attractive still unmarried Shirley Valentine, full of life and great expectations. In another flashback she sees herself and Joe after their recent honeymoon in their new house splashing paint at each other while painting their kitchen. However, these sunny days have gone forever and now Shirley feels lonely and terribly unhappy. During her long marriage to Joe, her unloving hubby, she has lost her own identity and craves for an independent life. But what can she do to escape this hell of wedlock? When she is again close to tears, her friend Jane calls and asks Shirley to fly to Greece with her to spend a holiday in the sun. For the first time in years Shirley takes a decision without asking Joe and packs her suitcase for a trip to a sunny Grecian island.

Act two
Bye bye, see you in Greece! (c) ETH

In act two we see Shirley on a sunbathed beach, relaxing in a deckchair, a sparkling drink in her hand. My god, how easy and stressless life can be, she thinks while enjoying the view of the crystal clear water of the sea in front of her and the high mountains in the background. Shirley seems to have completely changed. She looks so much younger than before in her brand-new smart outfit and seems to be at peace with herself in this wonderful Mediterranean holiday resort. When a young attractive Greek named Costas turns up Shirley is delighted and consents to go on a boat-trip with him. Jane is utterly concerned and warns Shirley not to lose control over her life. But Shirley is overwhelmed by her newly won freedom and even dreams   of a life in Greece until the end of her days. But can she leave Joe alone in rainy England while she is enjoying her life far away from him? Dear spectator, now it is up to you to find out which decision Shirley will finally take. Our lips are sealed,

By the way, all of you, dear aficionados of our theatre, must listen very carefully since Shirley’s monologue is held in the Scouse dialect that is spoken in Liverpool and the whole Merseyside region. The Beatles grew up in Liverpool and started their career from here. Pity we do not hear any of their hits during the play.

A few words about the author

Willy Russel was born near Liverpool in 1947. In his “first life” he worked as a hairdresser embellishing ladies and gentlemen. Later he started writing and performing his own songs.  And one day he discovered his talent for writing plays and musicals. “John, Paul, Ringo… and Bert”, featuring the life of the Beatles became a box-office success and won him the prize of best musical of the year 1974. “Shirley Valentine” premiered in the Westend in 1988 and later on Broadway. It proved to be a long-lasting hit on both stages. Russel also wrote a number of plays, among them “Blood Brothers!, “One for the Road” as well as the charming comedy “Educating Rita” which was also performed in the English Theatre of Hamburg in 2003.

Last but not least we wish to draw your attention to our next premiere on November 18, 2021: “The 39 Steps” is a thriller farce by Patrick Barlow. Do you remember Alfred Hitchcock’s “39 Steps”, filmed in black and white in 1935? A fantastic thriller, spiced with lots of British black humour. Patrick Barlow’s version is not a remake, but an immensely witty and thrilling farce of the original. We are looking forward to seeing you in November.

Final performance of “Shirley Valentine” on October 30, 2021

Tickets under phone number 040 – 227 70 89 or online under

www.englishtheatre.de

Next premiere: “The 39 Steps”, a thriller farce by Patrick Barlow,
on November 18, 2021

Attention! Due to the corona pandemic you are requested to wear a mask during your stay in the theatre. Further you have to observe the GGG Rule, which means that you must either present your vaccination pass or a proof of recovery or a test certificate not older than 24 hours. Good news: Our bar is open. You are allowed to consume your drink on your seat.

 

 

 

 

 

 

„Shirley Valentine“ von Willy Russel – das neue Stück am English Theatre of Hamburg

Komm und genieße ein Glas Wein mit mir. Prost. (c) ETH

Einmal tief durchatmen! Ja, es ist wahr. Die Bühne an der Mundsburg hat soeben wieder ihre Pforten geöffnet und lädt zu einem mitreißenden Ein-Personen-Stück ein.

Mit der Liverpooler Hausfrau Shirley Valentine hat Autor Willy Russel eine das Herz erwärmende Protagonistin erschaffen, die uns zwei Stunden lang mit einem zwischen Lachen und Weinen oszillierenden Monolog unterhält. Nachdem die Rolle aufgrund des ständig verlängerten Lockdowns mehrmals umbesetzt werden musste, steht jetzt Sharon Facinelli auf den Brettern des English Theatre. Ein guter Griff, denn diese in der englischsprachigen Welt bekannte Film-, Theater- und Musicaldarstellerin beherrscht alle drei Genres perfekt. Sharon freut sich über ihr Debüt in Hamburg, wo sie zurzeit ein begeistertes Publikum zwei Stunden lang in ihren Bann schlägt. Ein veritabler Marathon, der am Ende keinerlei Ermüdung bei Sharon erkennen ließ. Ein wunderbarer Abend, den das Publikum nach der langen Theater-Abstinenz in vollen Zügen genoss. Aber zurück zum Anfang. Vorhang auf für die Künstlerin, die unter der bewährten Regie von Paul Glaser brillierte.

Zum Teufel mit dieser langweiligen Hausarbeit! (c) ETH

Shirley Bradshaw, geborene Valentine, trägt das Herz auf der Zunge. Während sie in ihrer Einbauküche irgendwo in einem nicht näher beschriebenen Stadtteil Liverpools ihrer Hausarbeit nachgeht, unterhält sie sie sich mit sich selbst. Mit wem denn sonst? Ehemann Joe, der ohnehin kaum ein Wort mehr mit ihr wechselt, ist „auf Arbeit“ und ihre erwachsenen Kinder haben längst das Nest verlassen. Was ist eigentlich gegen Selbstgespräche einzuwenden? Sie sind mitnichten, wie viele meinen, ein Zeichen von Demenz oder Plemplem, sondern oft Ausdruck einer Selbstfindung. Ein Monolog kann sehr befreiend sein, weil man mit einem vernünftigen Menschen im Gespräch ist und niemand einem widerspricht. Während Shirley sich also mit allen möglichen Freunden, Bekannten und Verwandten – gelegentlich auch mit Ehemann Joe unterhält, schält sie Kartoffeln für das Abendessen, putzt Salat und genehmigt sich in den wenigen sprechfreien Intervallen einen kräftigen Schluck aus einer Weinflasche südlicher Provenienz. Klarer Fall, vom Sprechen wird die Kehle trocken, da muss schon mal die Luft raus aus dem Glas. Aber Trinken macht auch sentimental. Wenn Shirley an die wunderbaren Jahre denkt, als sie jung, attraktiv und lebenslustig war und noch Shirley Valentine hieß, fallen schon mal ein paar heiße Tränen ins Weinglas. In den langen Ehejahren mit Joe ist aus ihr eine inzwischen zum Übergewicht neigende Hausfrau geworden, die zwar perfekt funktioniert, aber keinen rechten Sinn in ihrem lieblosen Leben erkennen kann. So verbringt sie diesen Wochentag zwischen Lachen und Weinen und weiteren Tropfen aus der inzwischen leeren Flasche, während sie sich fragt, wie sie diesem tristen Dasein entfliehen kann. Als hätte eine höhere Macht sie erhört, kommt Hilfe von ihrer Freundin Jane, die Shirley einlädt, mit ihr nach Griechenland in den Urlaub zu fliegen, Shirley überwindet ihre Skrupel gegenüber Joe, packt ihren Koffer macht sich auf in eine ihr bislang verschlossene Welt.

An den sonnigen Gestaden der Ägäis

Szenenwechsel. Im zweiten Akt treffen wir eine wie von Zauberhand über Nacht verjüngte strahlende Shirley Valentine an den sonnigen Gestaden der Ägäis an. Die Bühne wurde mit viel Farbe und Lichteffekten in ein mediterranes Ferienparadies verwandelt. Shirley hat sich in ihrem neuen schicken Outfit an einem weißen Strand niedergelassen. Sie genießt den Blick auf das blaue Meer und die Berge in der Ferne. Zum ersten Mal seit langem fühlt sie sich frei, glücklich und zu einem Abenteuer mit dem charmanten Griechen Costas aufgelegt, der sie auf seinem Boot mit auf das Meer hinaus nimmt. Jane erkennt ihre Freundin in der neuen Rolle gar nicht wieder und warnt vor so viel Leichtsinn. Doch Shirley will nicht zur Vernunft kommen. Kurz vor der geplanten Rückreise überlegt sie, ob ein Leben im sonnigen Süden nicht dem im verregneten Albion vorzuziehen ist. Wie wird sie sich entscheiden? Finden Sie es selbst heraus, liebe Zuschauer, und gönnen Sie sich einen unvergesslichen Abend im English Theatre.

So endet die späte Emanzipation der Shirley Valentine, die sich nicht hätte träumen lassen, jemals ihrem frustrierenden Ehejoch entfliehen zu können. Vermutlich werden sich viele andere Frauen in aller Welt mit der Protagonistin dieser Romanze von Willy Russel identifizieren können. Aber wie viele werden den Mut finden, es Shirley gleich zu tun und ihrem Alltagsfrust für eine Weile adieu zu sagen?

Na, dann tschüs. Wir sehen uns in Griechenland. (c) ETH
Ein herzfrischender Theaterabend

Ein sehr gelungener herzerfrischender Theaterabend, der den Lockdown und die immer noch bestehenden Einschränkungen unseres Lebens für ein paar Stunden vergessen machen. Stimmig ist der von Sharon Facinelli perfekt beherrschte Scouse-Dialekt, der in der Metropolregion Merseyside um die Stadt Liverpool gesprochen wird. Man muss schon die Ohren spitzen, um den Monolog voll mitzubekommen, zumal weder Aussprache noch Grammatik dem feinen BBC-Englisch entsprechen, In dieser, Region fern der Hauptstadt London, wuchsen die Beatles auf, die von hier aus eine internationale Karriere ohnegleichen hinlegten. Wenn auch ihre Songs unsterblich sind, bei Shirley Valentine kommen die Großen Vier nicht vor. Schade.

Auch Willy Russel, der Autor von „Shirley Valentine“ wurde 1947 in der Nähe Liverpools geboren. Nach einer kurzen Karriere als Damen- und Herrenfriseur ließ er sich zum Lehrer ausbilden. Später entdeckte er sein Talent als Songschreiber, der seine eigenen Werke mit Erfolg einem begeisterten Publikum vortrug. Als nächstes begann er Theaterstücke zu schreiben. Mit seinem Musical „John, Paul, Ringo… and Bert“ über das Leben der Beatles landete er einen Hit, der ihm den Theater-Kritikerpreis des Evening Standard für das beste Musical des Jahres 1974 einbrachte. Von nun an folgte ein erfolgreiches Stück auf das nächste. Neben „Shirley Valentine“, das 1988 das Londoner Westend und 1990 auch den Broadway eroberte, schrieb Russel u.a. „Blood Brothers“, „One for the Road“ und die zauberhafte Komödie „Educating Rita“, die auch das English Theatre mehrere Male auf die Bühne brachte, zuletzt im Jahre 2003.

Zum Schluss noch eine besonders gute Nachricht: Am 18. November 2021 findet die Premiere von „The 39 Steps“ statt. Viele der Besucher des English Theatre werden sich bestimmt an den spannenden Hitchcock-Spionagekrimi „Die 39 Stufen“ erinnern. Im English Theatre of Hamburg kommt er in einem ganz neuen Gewand daher – als Thriller Farce von Patrick Barlow. Freuen wir und darauf!

„Shirley Valentine“ läuft bis einschließlich 30. Oktober 2021
Tickets unter der Telefonnummer 040-227 70 89 oder online unter

www.englishtheatre.de

Nächste Premiere: „The Thirty Nine Steps“, eine Thriller Farce von Patrick Barlow, am 18. November 2021

Hinweis: Leider müssen die Besucher des ETH auch weiter während des Aufenthaltes im Theater eine Maske tragen. Zudem gilt die 3-G-Regelung; Geimpft, genesen oder getestet. Die Bar des Theaters ist wieder geöffnet. Getränke müssen im Theatersaal am Sitz konsumiert werden.

Der lange Weg der Germanischen Bärenhunde

Der Germanische Bärenhund ist eine – nicht von der FCI anerkannte – Hunderasse aus Deutschland. Als gutmütiger Riese erfreut er sich einer stetig wachsenden Anhängerschaft. Seine Sanftmut und seine Zuverlässigkeit machen ihn besonders für Familien geeignet.

Der Erstzüchter der Rasse hat eine interessante Geschichte um die Germanischen Bärenhunde kreiert; über die Wiedergeburt einer alten Rasse der Germanen. Fakt ist, dass der moderne Germanische Bärenhund eine neue Rasse darstellt, die sich seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Diese Geschichte hat dazu geführt, dass der Germanische Bärenhund, wie auch sein Erstzüchter, häufig und oft aufs Übelste angefeindet wurde. Leider geht dabei unter, welche wundervolle Rasse sich hier entwickelt hat.

Mitte der Siebzigerjahre kam es bei einem Züchter in Brandenburg zu einem Fehlwurf. Die Welpen, darunter Wuschel, der Urvater der heutigen Germanischen Bärenhunde, erinnerten den Züchter an die alten germanischen Hunde. In einem Interview erzählt der Erstzüchter bewegt, wie die ersten modernen Germanischen Bärenhunde geboren wurden: „1975 wurde ‚Wuschel’, der Vorläufer der Bärenhunde, geboren. Entstanden aus einem Fehlwurf zwischen weißem Hirtenhund und Bernhardiner. Zu diesem Zeitpunkt fuhr ich noch LKW und mein Zwingername lautete ‚von Damnarz’. ‚Wuschel’ weilte von 1975 bis 1989 auf dieser Erde. Eine Woche nach seinem Tod gebar meine Bernhardinerhündin ‚Krümel’ den ersten Wurf Germanischer Bärenhunde. An diesem Tag tobte ein schweres Gewitter. Als am Himmel ein wunderschöner Regenbogen erschien, wurden fünf zauberhafte Welpen geboren. Am 19.07.1989 gab es den historischen, ersten Eintrag Germanischer Bärenhunde im Zuchtbuch. Die Welpen hießen: Balu, Troll, Jilly, Gila und Maja.“

Von da ab begann er konsequent mit der Züchtung „Germanischer Bärenhunde“. So führte der Weg des Bärenhundes in unsere Zeit. Der Erstzüchter vollendete die Zuchtlinie der Bärenhunde, sodass sie 1994 vom DRC e.V. als eigenständige Rasse anerkannt wurde. Doch noch hat der Germanische Bärenhund seinen langen Weg nicht beendet; eine Anerkennung der FCI wurde bisher nicht beantragt. Einträge im Internetlexikon Wikipedia werden konsequent gelöscht, obwohl der Germanische Bärenhund durch die Rasseanerkennung des DRC e.V. die Relevanzkriteren des Lexikons vollkommen erfüllt.

Ein sanfter Riese

Der Germanische Bärenhund ist ein sanfter Riese. Er kann bis zu 85 Zentimeter groß und 85 Kilogramm schwer werden. Er ist kräftig gebaut, seine Fellfarbe ist variantenreich; nur rein weißes und rein schwarzes Fell ist nicht erwünscht. Er ist wachsam und beschützt seine Familie. Dabei beobachtet er aufmerksam die Umgebung und bellt nur wenig. Bei Gefahr stellt er sich schützend vor seine Familie. Trotz seiner Größe möchte auch der moderne Germanische Bärenhund viel Bewegung haben. Da wir uns nicht mehr auf der Völkerwanderung befinden, kann er diese heute durch Spaziergänge, Joggen und Schwimmen bekommen. Eine Stadtwohnung ohne Auslauf wird ihm nicht gefallen. Der heutige Bärenhund ist ausgesprochen kinderlieb. Er ist, unter Beachtung des Schutztriebs, gut zu erziehen, und sein liebevolles Wesen macht ihn zum idealen Begleiter für Familien. Seine Sturheit scheint er allerdings in die heutige Zeit gerettet zu haben. Eine liebevolle und konsequente Erziehung sollte daher auch für diesen gutmütigen und friedfertigen Riesen selbstverständlich sein.

Der lange Weg der Germanischen Bärenhunde ist noch nicht zu Ende. Drei Vereine für Germanische Bärenhund haben sich inzwischen zusammengefunden. Ihr Ziel ist es mittelfristig die Rasseanerkennung der sanften Riesen durch den FCI zu erreichen. Wenn das gelungen ist, sind die Germanischen Bärenhunde endgültig in unserer Zeit ankommen.

Zahlen, Daten & Fakten

Herkunftsland: Deutschland, Lebenserwartung: Etwa 12 Jahre, Gewicht Rüden: 50-85 kg, Gewicht Hündin: 35-70 kg, Größe Rüden: 70-85 cm, Größe Hündin: 65-80 cm.

Verwendung: Der Germanische Bärenhund ist als Lagerschutzhund deklariert. Er besitzt alle Eigenschaften, um leicht zu einem liebevollen Familienhund erzogen zu werden.

Klassifikation, Zuchtstandard & Rassestandard: Da der Germanische Bärenhund noch nicht FCI anerkannt ist gilt folgender Vergleich: Klassifikation IKU/ gleichzusetzen mit FCI: Gruppe 2 Pinscher und Schnauzer, Molosser und Schweizer Sennenhunden Sektion 2,2 Moloser, Berghunde ohne Arbeitsprüfung. Der Rassestandard kann auf der Homepage des Erstzüchters oder des Buchautors eingesehen werden. Der Charakter & das Wesen: Der Germanische Bärenhund ist als Lagerschutzhund deklariert, somit ist er Wächter und Behüter seines „Rudels“- der Familie und dessen Umfeld. Mit Kindern geht er sehr umsichtig um. Er ist sehr wachsam, aber kein Kläffer. Sein Schutztrieb ist eher defensiv; bei Gefahr schiebt er sich zwischen seine Familie und der Bedrohung. Er sollte liebevoll, aber konsequent erzogen werden. Aufgrund seiner Größe sollte man Kinder nicht alleine mit ihm spielen lassen. Als Trampel mit knapp 80 Kilo wirft er alles um, was zu leicht ist. Der Germanische Bärenhund mag Spaziergänge, leichtes Jogging und Schwimmen. Er kann aber auch durchaus stundenlang faulenzen.

Der Jagdtrieb: Hier gehen die Erfahrungen sehr auseinander. Während viele Bärenhunde gar nicht wissen, was sie mit einem Reh vor ihnen machen sollen, scheinen einige einen durchaus ausgeprägten Jagdinstinkt zu besitzen.

Optik und Fell: Der Germanische Bärenhund ist mit seiner eindrucksvollen Größe eine majestätische Erscheinung. Seine Gestalt ist wohlproportioniert. Der massige Knochenbau und die gute Bemuskelung gibt seinen kraftvollen Bewegungen eine vollendete Harmonie. Sein friedlicher und aufmerksamer Gesichtsausdruck rundet sein Erscheinungsbild ab. Als Fellvarianten gibt es Stock-Haar, mittellanges und langes Fell. Es ist dicht und geschmeidig mit Unterwolle. Die unterschiedlichsten Farben sind erlaubt, nur rein weißes und rein schwarzes Fell sind nicht erwünscht. Ebensowenig mehr als 30 Prozent Weiß im Rückenbereich.

Pflege und Haltung: Der Germanische Bärenhund ist pflegeleicht und genügsam. Ausgedehnte Spaziergänge und leichtes Joggen tun ihm gut. Auch ist er eine absolute Wasserratte. Am liebsten liegt er aber auf einem Beobachtungsposten und überwacht sein Revier. Seine Ernährung ist problemlos. Ob Trockenfutter oder Barf ist dabei eine Glaubensfrage. Aufgrund seiner Größe ist eine kleine Stadtwohnung für ihn ungeeignet. Ein großes, umzäuntes Grundstück ist für ihn ideal. Bärenhunde benötigen eine liebevolle, doch konsequente Erziehung. Auch eine Extraportion Geduld ist von Nöten. Sie scheinen bei Kommandos immer zuerst zu überlegen, ob ihr Mensch es auch ernst meint. Doch ist bei ihrer Größe Gehorsam unbedingt erforderlich, da nicht jeder Besitzer das nötige Gegengewicht zu seinem Hund aufbringt. Erfreulicherweise neigen die Bären nicht zur Dominanz.

Anfälligkeiten & häufige Krankheiten: Es gibt noch nicht genug empirische Daten, um diese Frage seriös zu beantworten. Es scheint so, dass die Germanischen Bärenhunde weniger anfällig für HD sind. Krebserkrankungen scheinen in der Häufigkeit denen anderer Rassen zu entsprechen. Herzprobleme kommen nur selten vor.

Häufige Fragen: Welche Rassen sind im Germanischen Bärenhund eingezüchtet? Der GBH ist aus Bernhardiner und einem weißen Hirtenhund entstanden (es wurde weder Kuvasz, Kangal, Kaukase, Leonberger oder Neufundländer eingezüchtet). Nach dem heutigen Zuchtstandard darf nur noch Bärenhund mit Bärenhund verpaart werden.

Wie alt können Bärenhunde werden? Bärenhunde haben für große Rassen eine hohe Lebenserwartung. Der Durchschnitt liegt bei 10 bis 12 Jahren.

Sind Bärenhunde kinderlieb? Ja, Kinder sind ein Teil seines „Rudels“, das er verteidigt und bewacht. Auch Freunde und Spielgefährten zählen dazu.

Sabbern Bärenhunde viel? Germanische Bärenhunde sabbern nur sehr wenig.

Ansprechpartner:

Erstzüchterverein Germanischer Bärenhunde
Freunde Germanischer Bärenhunde e.V.
Verein zur Anerkennung Germanischer Bärenhunde e.V.


Jörg Krämer: Germanischer Bärenhund, Porträt einer außergewöhnlichen Hunderasse, novum pro 2012

 

 

 

 

 

Leseankündigung:

Hohe Schule für Genießer

Eine Flußschiffreise an Rhein und Mosel ist ein faszinierendes Erlebnis. Grandiose Landschaften, köstliche Gerichte und spannende Riesling-Verkostungen erwarten Wein-und Gourmetliebhaber auf einer Cruise mit der „MS nickoSPIRIT“.

„Du schmeckst nicht nur, was du trinkst, sondern vor allem, was Du riechst und fühlst! sagt Weinexpertin Ingrid Toonen. Wir befinden uns nach einem Rundgang durch den historischen Weinkeller im Gutshaus Wegeler im mittelalterlichen Bernkastel an der Mosel. Es ist das vierte Weingut, das uns auf unserer Flußschiff-Kreuzfahrt mit der nickoSPIRIT des Stuttgarter Schiffsreisen-Veranstalters nicko cruises von Frankfurt Main Richtung Mittelrhein und Mosel bis zur Saarschleife auf den exzellenten Gechmack der Rieslingweine bringen soll. Wir schwenken ganz nach Vorschrift das Probierglas mit 2009er Badstube Riesling, Spätlese aus der Vintage Collection. „Der Wein muss lüften und erst dann an die Nase geführt werden,“ lernen von der ausgebildeten Sommelière. Wir sollen die würzige mineralische Verdichtung der Schiefer-Steilhangböden erstmal riechen. Die Trauben der Wegeler-Rieslinge sind auf 13 Hektar Terassenhanglage im Umland angebaut. Tom Drieseberg und Kellermeister Norbert Breit produzieren vor Ort (und im Rheingau) voller Engagement aus den großen Hanglagen kraftvolle Spitzenweine: trocken, feinherb und Auslesen. Ihre „Doctor-Rieslingweine“, auch als „Beethoven-Weine“ bekannt, finden unter Weinkennern hohe internationale Anerkennung. Großvater Wegeler verband zeitlebens eine tiefe Freundschaft mit dem berühmten Komponisten. Das Weingut Wegeler erhielt vier von fünf Fallstaff-Sternen. Der renommierte deutsche Gourmet-Weinführer hat auf dieser Kreuzfahrt in Kooperation mit nicko cruises sieben Weingüter sorgsam ausgewählt. An Bord stellen zwei Fallstaff-Experten weitere Sekt-und Winzerweinkostbarkeiten vor.

„Riechen Sie Zitrusfrucht, vollreife Papaya und Apfelschale, Melisse und Honig, Piment und Koriander?“, fragt uns die mit Wein aus dem mittelalterlichen Doppelstädtchen Bernkastel – Küs groß gewordene Sommelière. Schwer zu sagen. Vielleicht? Fest steht: Wunderschön ist die leuchtend hellgelbe Farbe. Ich rieche eine undefinierbare fruchtig-mineralische Würze. Jetzt erst sollen wir einen nicht zu kleinen Schluck in den Mund nehmen. Ich rolle ihn mit der Zunge hin und her, verteile ihn im Gaumen, bevor ich ihn langsam herunterschlucke. Jetzt schmecke ich, dass diese heimische Spätlese (Badstube Riesling für 20 Euro) nur einen Hauch von Restsüße, viel Kraft und noch mehr Eleganz hat als die beiden Wegeler 2018 und 2019er Rieslinge, die als trocken und feinherb für 13,50 Euro verkauft werden. „Unter Kennern hat dieser Wein eingeschlagen wie eine Bombe“, lernen wir. Jetzt schmecke ich auch deutlich den Honig. Selbst im „Abgang“ spüre ich noch das würzig-mineralische feine Aroma. Herrlich! Von dem edelsten Gläschen Spätlese, einem 2019er Doctor Riesling Auslese, VDP, Grosse Lage kaufe ich zur Erinnerung für 31 Euro ein halbes Fläschchen. Schon der Komponist Ludwig van Beethoven soll ihn als Heilmittel getrunken haben: Zum Abschied gibt uns Ingrid Toonen den Rat: „Wer genießen kann, trinkt keinen Wein, sondern kostet Geheimnisse.“

Wellness auf dem Sonnendeck

Wie viele von den 20 bis 30 Passagieren passionierte Weinkenner sind, kann ich nicht ausmachen. Die meisten aber waren schon an den Vortagen bei Gutsbesichtigungen in dem malerischen Weindorf Winningen, dem pittoresken Treis-Karden mit sehenswerten Fachwerkhäusern und dem 2000 Jahre alten Universitätsstädtchen Trier dabei. Für Liebhaber der Wein-Kultur ist diese entspannende Genuss-Flußkreuzfahrt im Sommer 2021 in Corona Zeiten wie gemacht. Und wer die Weinproben nicht mitmachen möchte, genießt Wellness im Liegestuhl auf dem Sonnendeck, Kulinarik, individuelle Spaziergänge und Ausflüge durch die vielen historischen Städtchen links und rechts von Rhein und Mosel von Bingen über Alken bis Trier in Nähe der Saarschleife an der Grenze zu Frankreich und Luxemburg im Dreiländereck. Von dort fährt die „SPIRIT“ dann zurück mit Stopps in Remich, Bernkastel, Koblenz, Andernach, Rüdesheim, Eltville, Wiesbaden nach Frankfurt am Main.

Aperol spritz bei St. Goar

Von den 140 Passagieren sind nur vier nicht zweimal geimpft – sie müssen sich nach Ausflügen vom Schiffsarzt schnelltesten lassen. Maskenpflicht besteht nur außerhalb der Kabinen im Lift, auf Gängen, Salon- und Restaurant-Korridoren, in Treppenaufgängen, Souvenir- und Rezeptionsbereich. Alleinreisende dürfen auf dieser Gourmet-Reise die 13 qm kleinen Kabinen allein benutzen ohne Aufschlag, vollbelegt beherbergen sie 170 Passagiere. Schick ist die Einrichtung: Modern mit Beige-brauner Holzschrankverkleidung, zwei kleinen Sitzmöglichkeiten, Mini-Tisch und Nachtischchen, gläserne, schiefergrau gekachelte kleine Dusche, das Waschbecken mit Ablagemöglichkeit daneben, SAT-TV – alles neu, gepflegt sauber. Wer Frischluft mag statt Klimaanlage, kann die über die ganze Kabinenfront gehende Panoramascheibe (im Ober – und Mitteldeck) automatisch leicht öffnen. Aus den schmalen, hoch angebrachten Fenstern im preisgünstigeren Hauptdeck ist die Flussaussicht allerdings nur halb so schön. Dort, im vorderen Bereich, befindet sich ein kleiner Fitnessraum mit Sauna für zwei Personen. Wellness kann man besser am Whirlpool auf dem Sonnendeck genießen.

Für Weinliebhaber und Genussreisende sind diese mit An- und Abreise elf Tage an Bord der nickoSPIRIT wie gemacht. Fast jeden Augenblick passieren wir einen Weinberg mit klangvollem Namen. Wochenlang könnte man vermutlich damit zubringen, von Ort zu Ort in diesem größten Riesling Anbaugebiet Deutschlands zu reisen, die Nase in das Glas halten und den einzigartigen Duft der Spitzenlagen weltberühmter Weingüter riechen und probieren.

Weinberg mit Blick auf Mülheim

Unvergesslich die erste Weindegustaion: In Winningen beschert uns die Wein-Expertin vom Kröber-Gut auf einem mit sattgrünen Riesling Reben bebauten Hang von oben einen atemberaubenden Blick auf das Rheinflussbett. Dazu kredenzt sie ihren Hauswein: Ein leichter 2019er Riesling feinherb für 8 Euro. Er schmeckt vorzüglich. Spannend war auch die historische Stiftsherrenführung durch Weinkeller und Branntweinbrennerei Hambrech in Treis-Karden mit Verkostung edler Liköre und Branntweine.

An der Loreley vorbei

30 km von Koblenz bei St. Goarshausen sind alle Passagiere auf dem Sonnendeck und sichten an der engsten Rheinkurve den sagenumwobenen Schieferfelsen der Loreley. Mit ihrem betörenden Gesang soll sie die Rheinschiffer in den Tod gelockt haben. Wir genießen gerade die spektakuläre Aussicht in unseren Liegestühlen, da ertönt aus Lautsprechern das alte Heinrich Heine Volkslied „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…“. Filmreif ziehen dazu die malerischen bis zu 600 Meter hohen Weinhänge an uns vorbei. Einige von ihnen sind Jahrhunderte alt. Älter noch als die vielen mittelalterlichen Burgen, die hoch über den besten Schieferterassenlagen in und auf den Bergen thronen.

Weintank van Volxem

Zum bequemen Sonnendeck-Faulenzen bleibt für Weinliebhaber wenig Zeit. Man möchte von den 17 Ausflugsangeboten morgens, nachmittags und abends am liebsten keinen verpassen. Sehenswert sind sie alle, auch der Ausflug ins Benediktiner-Kloster Maria Laach ohne Weinverkostung bei Andernach. Im Schloss Sayn-Wittgenstein gabs auch keinen Wein, dafür aber einen faszinierenden Schmetterlingsgarten in zwei Glaspavillions. Die umfangreiche Promi-Fotoausstellung der mit 102 Jahren betagten Gräfin Marianne zu Sayn-Wittgenstein interessierte weniger. Da begeistern eher die drei köstlichen Sechs-Gang-Menüs der Gala-Abende an Bord. Die Fallstaff-Weinkarte passt zu der jeweiligen Speisenfolge vorzüglich. Am anschließenden Tanz im Salon der „SPIRIT“ haben auch Oldies nach prickelnder Verkostung der feinen Perlen der von Fallstaff-Redakteuren vorgestellten Winzersekte ihren Spaß bis Mitternacht. Zwischendurch werden Snacks gereicht, an der Bar kräftige Cocktails gemixt und „Aperol spritz“ fertiggemacht.

Diese Flussschiffreise hinterlässt bei den befragten Passagieren einen sehr zufriedenen Eindruck: Die Bordküche wird allgemein gelobt und der „Senior DJ“ am Elektroklavier im Salon bringt selbst die Youngster unter den 50plus in Schwung. Morgens bietet das Frühstück alles, was das Herz begehrt. Der erstklassige Kaffee macht munter. Und wer mal seine Maske und den Plastikhandschuh bei der großen Speisenauswahl am Büffet oder in den engen Restaurant-Gängen nicht trägt, wird nicht gleich abgestraft. Von Tag zu Tag werden mittags und abends die Viergang-Menüs der Kochbrigade kreativer. Wer mag kann achtern im Mario’s Grill aus köstlich-frischen Spezialitäten wählen. Vorn am Bug, im windgeschützten open-air „Gartenoberdeck“ werden Speisen nur in Nicht-Corona Zeiten serviert. Die rund 35 Plätze sind bei den interessanten Schleusen-und-Brücken-Passagen mit abgesenkter Kapitänszentrale beliebt: Immer dann, wenn man vom Sonnendeck – es geht über die gesamte Schiffsfläche (110 Meter lang und 11,45 breit) – vertrieben wird. Bordsprache unter der aus Ostländern stammenden 45-Personen-Crew ist Englisch. Kapitän Teunis van Dijk spricht Deutsch. Er hat in den Niederlanden beim Bau der 2020er „SPIRIT“ mitgewirkt. Ferdinand Selig ist der perfekte Kreuzfahrtleiter: In Hochdeutsch präsentiert er anschaulich die Tagesprogramme.

Kostbare Weine
Kloster Eberbach

Nach der letzten Degustation – wir besuchen gerade das sehenswerte ehemalige Zisterzienserkloster Eberbach in Eltville – weiß ich, welche Weine mir am kostbarsten erscheinen: Nicht die bei Kerzenlicht im frühgotischen Klostergewölbe Eberbach genossenen eindrucksvollen Riesling-Proben. Auch nicht etwa die exzellenten, weltweit bekannten Fünf-Fallstaff-Sterne-Rieslinge des Weinguts Georg Breuer in Rüdesheim am Rhein. Für mich ist die hochmoderne Manufaktur van Volxem die Nummer eins. Sie liegt auf einer Anhöhe auf dem Wiltinger Schlossberg im Umland der Saar bei Trier. Am Hausberg wurde uns der zeitaufwändige Anbau der fragilen Saar-Reben (auf 85 Hektar Umland) in Südwestlagen erklärt: Die mühsame Hangpflege und Ernte demonstriert, die sorgsame Traubenvermostung. Die geradlinig und präzise Weinzubereitung durch die Winzervisionäre Roman Niewodniczanski und Dominik Völk, die den Geschmacks-Stil van Volxem entscheidend prägen. Bis der junge Wein in uralten Holzweinfässern und modernen Tanks in der grundsanierten Kellerei unter dem pompösen Neubau reift, vergehen Jahre. Oben, im Verkostungs-Showroom blickt man aus Panorafenstern auf markante Steillagen, in der Ferne der Altarm der Saar. Als wir die herrlich mineralischen Saar-Rieslinge verschiedener Jahrgänge probieren (2020 bis 2015 kosten 12 bis zu 42 Euro) dürfen, bin ich mir geschmacklich nicht sicher, wie erstklassig jeder Jahrgang auf seine Art ist. Vor Ort aber bin ich sehr beeindruckt von der hohen Schule der aufwändigen van Volxem-Produktion mit Weltruhm. Sie schmecken irgendwie geheimnisvoll. Am Ende unserer wunderschönen Reise lese ich im Fallstaff-Weinguide, „dass die Volxemer Fünf-Sterne-Rieslinge fast sprachlos machen“. Ich habe auf dieser Reise gelernt: Manche kostbaren Weine können emotional auch ein Gefühl von Demut hinterlassen.

Die nächste Reise findet mit der nickoSPIRIT findet vom 07.08. – 17.08.2022 statt. Kosten: Ab 1549 E; Aufschlagpaket mit 6 Fallstaff-Ausflügen 159 E; Ausflug Trier und Weinprobe van Volxem 69 E; www.nicko-cruises.de; Tel: +49 (0) 711 / 24 89 80 – 44

 

Die Schiffbrüchigen von Tumbatu, ein Langgedicht

Das Buch von Reimer Boy Eilers: eigenwillig, ungewöhnlich, auf jeden Fall interessant. Ausgerechnet im Ramadan segelt der Held von Sansibars Nordwestküste aus zur sechs Kilometer vorgelagerten Insel Tumbatu. Tumbatu ist ein von Saumriffen umgebenes Eiland, verwunschen, dünn besiedelt, geheimnisvoll. Kein Wunder, dass dort, Erzählungen nach, irgendwo am Ufer ein heiliger Baum wachsen soll, vor dem einst eine Dhau, beladen mit Sklaven, wahrscheinlich aus dem Kongo, havarierte. Die Überfahrt mit einer einheimischen Crew und einem mysteriösen Geistheiler an Bord, ist zwar nur von kurzer Dauer, dennoch strapaziös. Der Held, ein weißer Tourist, leidet an diesem mörderisch heißen Tag an Wahnvorstellungen infolge quälenden Durstes. Wie Trugbilder erscheinen ihm Szenen von Sklaven, die auf eine Dhau gepfercht, eigentlich auf dem größten Sklavenmarkt Afrikas verkauft werden sollen. Das Riff macht sie zu Schiffbrüchigen, die verzweifelt um ihr Leben kämpfen. Der Sklavenmarkt befindet sich auf Sansibar. Dort regiert der Sultan von Oman und Sansibar, ein unermesslich reicher Araber, der durch Sklaven, Sklavenhandel und Gewürznelken seinen Reichtum erwarb. Lieferant der Menschenfracht ist Tippu Tip, ein mächtiger Sklaven- und Elfenbeinhändler. Selbst mit dunkler Hautfarbe geboren, signalisiert er Vertrauen unter den Einheimischen Zentralafrikas. Lächelnd wickelt er seine Mitmenschen ein. Tritt der wahre, der grausame Händler hinter seiner Maske hervor, ist es zu spät. Er lässt Menschen aus dem Kongo jagen, treibt sie an die Küste, wo sie auf Schiffe verfrachtet, über den Sansibar-Kanal nach Stone Town auf den Sklavenmarkt geschleppt und verkauft werden. Sklavenschiffe kreuzten in jener Zeit überall auf den Weltmeeren. Geortet wurden sie an ihren Gestanksfahnen, die sie meilenweit hinter sich herzogen. Was es nun mit der Sklaven-Dhau, die da am Riff vor Tumbatu, in der Nähe des heiligen Baums zerschellte, auf sich hat, soll nicht verraten werden. Nur so viel: Der Autor führt uns auf eindringliche Weise die Schrecken der Sklaverei vor Augen. Nicht in Form aufrüttelnder Prosa, nein, mit einem epischen Gedicht, durch das man sich von wachsender Neugierde und Anteilnahme getrieben, durcharbeitet.

Reimer Boy Eilers: Die Schiffbrüchigen von Tumbatu, Kulturmaschinen Verlag 2020

Wallis, Herzogin von Windsor: Sie kostete ihren Ehemann die Krone

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wallis_Simpson_-1936.JPG

Vor 125 Jahren wurde die Gattin des britischen Königs Eduard VIII., eines Onkels Königin Elisabeths II., geboren
Nach mehr als sieben Jahrzehnten endete vor wenigen Wochen die Ehe der britischen Königin Elisabeth II. durch den viel betrauerten Tod Prinz Philips. Der Duke of Edinburgh wurde mit allen Ehren, die angesichts von Corona medizinisch vertretbar erschienen, beigesetzt. Dabei war Elisabeths Wahl anfänglich nicht unumstritten gewesen. Philip hatte kein Vermögen, war im Ausland geboren, und seine Schwestern waren mit deutschen Adligen, darunter ein SS-Oberführer, verheiratet. In dieser Situation soll Elisabeth gedroht haben, dass sie es notfalls wie ihr Onkel Eduard machen würde. Der hatte für die Liebe auf die Krone verzichtet, die Liebe zu Wallis Simpson.

Aus bescheidenen Verhältnissen

Wie Philip kam auch Bessie Wallis Warfield, so der Mädchenname, aus vergleichsweise bescheidenen Verhältnissen und außerhalb des Empires zur Welt. Vor 125 Jahren, am 19. Juni 1896, wurde die US-Amerikanerin in Blue Ridge Summit im Bundesstaat Pennsylvania geboren. Schon wenige Monate nach ihrer Geburt starb der Vater, und das Einzelkind war mit seiner Mutter auf die Unterstützung wohlhabender Verwandter angewiesen.

Wie bei Camilla Parker Bowles und Prinz Charles wurde auch bei Wallis und Eduard die Beziehung dadurch verkompliziert, dass die Frauen zum einen bürgerlich und zum anderen geschieden waren, Wallis sogar zwei Mal. 1920 heiratete sie zum ersten Mal, den Leutnant des Marinefliegerkorps Earl Winfried Spencer. Die Ehe mit dem Alkoholiker wurde 1925 geschieden. Sie begann eine Affäre mit dem verheirateten Teilhaber der Maklerfirma Baltic Exchange in London, Ernest Aldrich Simpson, die 1928 in eine zweite Ehe mündete.

1936 wurde zum Schicksalsjahr

1931 lernte sie den damaligen Prince of Wales Eduard kennen. Die beiden kamen sich näher. 1936 wurde für beide zum Schicksalsjahr. Im Januar wurde Eduard in der Nachfolge seines verstorbenen Vaters Georg V. König von Großbritannien. Im Oktober wurde Wallis’ zweite Ehe geschieden. Und im November teilte Eduard VIII. seinem Premier mit, dass er Wallis zu heiraten plane. Dieser Plan stieß in Politik, Kirche und Medien jedoch auf derart viel Kritik und Widerstand, dass der König sich vor die Wahl gestellt sah zwischen Wallis und dem Thron. Er entschied sich für Wallis. Insofern kostete Wallis ihn die Krone. Eine andere Frage ist, ob sie ihn auch die Krone gekostet hätte, wenn Eduard so wenig deutsch- und italienfreundlich gewesen wäre wie sein jüngerer Bruder und Nachfolger Georg VI.

Durch Eduards Abdankung vom 10. Dezember 1936 wurde aus ihm der Herzog of Windsor und durch seine Eheschließung vom 3. Juni 1937 aus Wallis die Duchess of Windsor. Zum Zeitpunkt der Eheschließung waren die beiden bereits im französischen Exil.

Die beiden waren zwar jetzt zusammen, aber ihr weiteres Leben wirkt geprägt durch eine Sinnkrise. Sie führten ein luxuriöses Leben, fanden aber anscheinend keinen Ruhepunkt, keine neue Heimat. Ihnen fehlte augenscheinlich eine sinnstiftende Aufgabe. Die Ehe blieb kinderlos, und auch beruflich fand das Paar nichts Erfüllendes. Zerbrochen ist die Beziehung daran jedoch nicht. Die Ehe endete durch den Tod Eduards am 28. Mai 1972 in Paris. Knapp eineinhalb Jahrzehnte darauf, am 24. April 1986, starb auch die Herzogin von Windsor in der französischen Hauptstadt.

Dieser Artikel erschien bereits in der PAZ Preußische Allgemeine Zeitung.

Odyssee in Südostasien. Wolf-Ulrich Cropp auf Spurensuche

Buchcover (Ausschnitt)

Was tun in dieser bleiernen Zeit? Theater- und Restaurantbesuche nur mit Impfzertifikat oder einem 48-Stunden-Test dürfte in der Tat nicht nach jedermanns Gusto sein. Auch das Reisen in ferne Kontinente ist mit allerlei Unbill verbunden. Wer sitzt schon gern maskiert zehn oder mehr Stunden in einem Flieger, ehe er sein Ziel erreicht. Ehe ich mich ständig diesem Stress unterziehe, greife ich lieber zu einem spannenden Buch, gebe mich dem Zauber exotischer Destinationen hin und lasse mich in unbekannte Regionen entführen. Heute ist „Eine Tigerfrau“ von Wolf-Ulrich Cropp angesagt. Ich lehne mich in meinem Sessel zurück und tauche in die geheimnisvolle Welt Südostasiens ein.

Die Odyssee durch das Goldene Dreieck war nicht geplant. Nach einem längeren Aufenthalt in Afghanistan will der bekannte Autor, Journalist und Weltreisende Wolf-Ulrich Cropp eigentlich nur eine Auszeit in Thailand nehmen. Eine Art Ferien vom Ich. Ausspannen, schwimmen, lesen und die Gegend erkunden. Doch es kommt anders, als die besorgten Eltern eines alten Schulfreundes ihn bitten, nach ihrem Sohn Klaus zu fahnden, der – vom Pfad der Tugend abgekommen – vor Jahren in den Weiten Südostasiens spurlos verschwand.

Spinnbeinige Mangroven und bizarre Kalkfelsen

Wir begleiten den Erzähler auf seiner abenteuerlichen Spurensuche, die in einem thailändischen Dorf hoch über der Andaman-See beginnt. Begeistert zelebriert Cropp die fast überirdische Schönheit der Landschaft: „Zwischen spinnbeinigen Mangroven und bizarren Kalkfelsen, in luftiger Höhe über der See“ hat er das Gefühl, mitten im Ozean zu liegen. Doch dieses wunderschöne Land hat viele Schattenseiten, die der Autor dem Leser nicht vorenthält. Beschreibungen grandioser Panoramen in diesem satt grünen tropischen Paradies wechseln ab mit grausamen Szenen, die sich in den Niederungen der Megacity Bangkok abspielen. Das Kapitel über einen Besuch im berühmt-berüchtigten Bang Kwang Gefängnis – von Zynikern Hotel Hilton Bangkok genannt – geht an die Nieren. Hier sitzen zahlreiche wegen Drogendelikten zu lebenslanger Haft verurteilte Europäer ein, die unter unmenschlichen Bedingungen in Chaos und unbeschreiblichem Dreck dahinvegetieren. Mit Erleichterung stellt Cropp fest, dass Freund Klaus nicht unter den Insassen weilt.

Das buddhistische Kloster Tham Krabok der suchtheilenden Mönche in Thailand

Die Suche geht weiter und entführt den Leser im Laufe der Handlung in die tropische Welt Thailands und Myanmars (früher Burma), in die Tiefen des Regenwaldes und zu den Highlights buddhistischer Baukunst. Der Autor genießt seinen Aufenthalt in vollen Zügen. Er lässt den Leser teilhaben an seiner Begeisterung für atemberaubende Landschaften und berichtet gleichzeitig über Begegnungen mit Einheimischen, die seinen Weg kreuzen. Doch im Garten Eden lauert auch die Schlange. Cropp thematisiert akribisch die dunkle Seite Thailands, wo Drogenbarone das Sagen haben und nur die Prostitution junger Frauen den Familien das Überleben ermöglicht. Das Kontrastprogramm zu diesem Elend findet im berühmten Fünf-Sterne-Luxustempel „Mandarin Oriental“ Bangkok statt, wo der Autor beim Verzehr sündhaft teurer Langustenschwänze einen ortskundigen Geschäftsmann trifft. Dieser gewährt ihm einen Einblick in Thailands Drogenwelt. Mohnanbau, Heroinlabore, Drogenschmuggel, erklärt der, waren gestern. Seitdem Afghanistan als Hauptlieferant für Heroin die Szene beherrscht, haben die Bosse im Urwald Giftküchen installiert, die in zunehmendem Maße Amphetamine produzieren. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Ob Freund Klaus hier zu finden ist?

Wo ist Klaus?

Heute wenden wir uns der legendären „Brücke am Kwai“ zu. Die älteren Leser werden sich noch an den grandiosen von David Lean in Thailand gedrehten Film mit Alec Guinness in der Hauptrolle erinnern. Guinness spielt darin einen britischen Offizier, der mit seinen Kameraden während des Pazifikkrieges in die Fänge der Japaner gerät und gezwungen wird, eine Eisenbahnbrücke über den Fluss Kwai in Indochina zu bauen. Unvergesslich die Szene, in der die Gefangenen auf ihrem beschwerlichen Weg durch den Dschungel trotzig jene zündende Melodie pfeifen, die sich in den Endfünfzigern monatelang als Nummer eins in den internationalen Charts hielt. Das spannende Kapitel über den Bau, die Zerstörung und schließlich die Rekonstruktion der Brücke ist so anschaulich beschrieben, dass der Leser sich mitten im Geschehen wähnt.

Karenfrau in Nord-Myanmar: Wer schön sein Awill, muss leiden

Bislang gibt es noch immer keine heiße Spur, die auf den Verbleib von Freund Klaus hinweist. Doch Cropp lässt sich nicht entmutigen, sondern forscht unverdrossen weiter. Er lädt zu einer Flussfahrt auf dem Mekong ein, begleitet uns durch den Dschungel und stellt uns jene „Giraffenfrauen“ vor, die mit ihren in Metallreifen gezwängten überlangen Hälsen das weibliche Schönheitsideal Myanmars verkörpern. Schließlich kommt es zu der Begegnung mit „einer Tigerfrau“ namens Sami. Die Titelgeberin des Buches gilt als die Attraktion des Zoos von Bangkok, wo sie sich, Kopf an Kopf mit einem prachtvollen Königstiger, von sensationsgierigen Besuchern ablichten lässt.

Der Autor und haarigste Mönch in seiner Klause des Klosters Tham Krabok

Selbst ein unermüdlicher Geist wie Wolf-Ulrich Cropp benötigt hin und wieder eine Ruhepause. „Im Kloster am Wege beim Mönch ich verweile. Oh, kurze Muße im Leben voll Eile.“ Feng Meng-hung, der Verfasser dieses kurzen Gedichts, war offenbar ein sehr weiser Mann. Ihm will es unser Autor gleichtun. Denn wo entspannt der Mensch sich besser als in der Ruhe und Abgeschiedenheit eines buddhistischen Klosters. In Tham Krabok bezieht der „Novize“ eine karge Zelle und muss sich einem Initiationsritual unterziehen, das es in sich hat. Dem aus zahlreichen Heilpflanzen zusammen gemixten „Cocktail“ – mehr Brechmittel als Getränk – werden tiefenreinigende Kräfte nachgesagt. Cropp trinkt ihn todesmutig und unterwirft sich für mehrere Wochen den strengen Klosterregeln. Chapeau. Geschadet hat ihm diese Erfahrung in kratziger Mönchskutte bei karger Kost offenbar nicht. Ganz im Gegenteil. Sein – Zitat – „tausend Meilen langer Weg zu sich selbst“ hat ihn für sein künftiges Leben gestählt.

Mit dieser Einsicht endet eine grandios erzählte Reportage kreuz und quer durch die magische Welt verklärender Narrative und brutaler Einsichten in menschliche Abgründe. Nur eine Frage bleibt offen. Der geneigte Leser möchte endlich erfahren, ob der Autor auf seiner langen Reise den verschollenen Freund wiedergefunden hat. Darüber aber hier kein Wort. Wer das wissen will, muss „Eine Tigerfrau“ von der ersten bis zur letzten Zeile selbst lesen. Es lohnt sich.

Epilog

Was in sämtlichen Büchern des „globetrottenden“ Autors Wolf-Ulrich Cropp fasziniert, ist seine Fabulierkunst, angereichert mit einem genialischen Wissen über diverse Kulturen, Land, Leute und deren Befindlichkeiten. Der Autor wirft stets einen unverstellten Blick auf alles Fremde. Er versucht sich in andere Sitten und Gebräuche hineinzu“leben“ ohne jemals zu bewerten oder gar zu verurteilen.

Eine große Hilfe für den Leser ist der mehrseitige Abriss über den Buddhismus (Seite 419 ff.). In knapper klarer Form weist Cropp den Leser in die Lehre des Siddharta Gautama ein, der uns besser unter dem Namen Buddha (der Erleuchtete) bekannt ist.

Last but not least: Die zahlreichen vom Autor selbst geschossenen Fotos tragen nicht nur zum Verständnis, sondern auch zum Charme dieses Buches bei.

Buchcover

„Eine Tigerfrau“ von Wolf-Ulrich Cropp, erschienen im Verlag Expeditionen, 415 Seiten, ISBN: 978-3-947911-39-4 Preis: Euro 14,90

Back to the roots: „Demos, Baddest“

Audiovorstellung eines Komponisten-Albums:

Goetz Egloff. Demos, Baddest. TuneCore, New York, 2021

Das bei TuneCore erschienene Musik-Album wartet mit zehn Titeln auf, gedacht  für (überwiegend weibliche) ´Recording Artists´ des R&B Pop, eines in Deutschland wenig beheimateten, aber immer wieder gern gehörten Musikstils. Denken wir an ältere (Madonna, Chaka Khan, Paula Abdul) und jüngere Popdiven (JoJo, Kesha Sebert, Katy Perry),  so kommen wir dem, was in Nordamerika als R&B Pop bezeichnet wird, recht nahe.

Die Stilrichtung, die einst zu Hip Hop und Rap führte und dann in ihren Amalgamierungen in heute hochdiversifizierte Richtungen wie Trap, Art Pop oder Neo Soul mündete, geht nicht nur allseits auf Rhythm & Blues zurück, sondern bildet nach wie vor den Grundstein heute weltweit gängiger Rock- und Popmusik. In Rückbindungen an andere Stilrichtungen wird R&B somit immer wieder neu erfunden.

„Demos, Baddest“ bietet jene Pop-Rückbindung, die insbesondere im US- amerikanischen Raum mit Songs der späten Aretha Franklin, der frühen Whitney Houston oder auch Bands wie Mint Condition verbunden wird. Als musikalische Einflüsse sind hier Komponisten wie Sturken & Rogers, Steve Bray oder St. Paul Peterson zu vernehmen.

Works in Progress

Da es sich um ein b2b-Album handelt, also um ursprünglich intern gedachte Demos, die auf Komposition und Arrangement abheben (und nicht so sehr auf Sounddesign) und nach Produktion verlangen, müssen Abstriche beim Klang in Kauf genommen werden. Bevor nämlich mittlerweile hochprofessionell an heimischen Rechnern aufzunehmen begonnen wurde, war es üblich Demos einzuspielen, also Songs in einer Vorform vorzuproduzieren – daher b2b, business-to-business. Demos waren (und sind zum Teil noch) das Vehikel, mit dem Autoren, Produzenten, Sänger und Sängerinnen den Plattenfirmen zeigen konnten, was sie musikalisch vorhaben. Unzählige dieser Song-Vorstufen sind mittlerweile bspw. auf YouTube aufzurufen; das Faszinosum für Fans besteht wohl darin, retrospektiv in den Entstehungsprozess von Titeln einzutauchen, die Teil der eigenen Lebensgeschichte wurden und mit denen man emotional viel verbindet. Von Madonna bis Michael Jackson gehen die Aufrufe vieler unfertiger ´Works in Progress´ vergangener Zeiten in fünf- bis sechsstellige Ziffern. Interessant ist dabei für Musikfreunde, dass auch Hits nicht vom Himmel fallen, sondern oft mühsam er- und bearbeitet werden müssen – künstlerisch, technisch, gestalterisch, und oft in überlangen Arbeitsstunden.

Auch wenn „Demos, Baddest“ als Komponisten-Album auf Equipment von Roland, Kawai und Yamaha aufgenommen wurde, so sind die Songs das, was in der Musikbranche ´trocken´ genannt wird. Gemixt und gemastert zwar, doch Effektboards kamen nicht zum Einsatz, und selbst die Bassdrum wurde durch keinerlei Filter geschickt. Dafür aber ist das ´feel´ der Songs, auf exakt einer Gesangsspur im Mixdown, spürbar, und Kompositions- und Arrangement-Fans sowie Freunde von Funk- und Jazz-Harmonik dürften auf ihre Kosten kommen.

Um ein paar b2b-Stimmen zum Album zu zitieren: Was von High Vibe Records aus Nevada City als ´cool, funky melody´ bezeichnet wird, nennt die Münchner Boys Deep Music ´sehr unique´ („Lovable“); von Moon Sound, Niederlande, lässt sich ein ´amazing work´ („Belle Epoque“) vernehmen.

So minimalistisch die teilweise in Co-Autorenschaft geschriebenen Songs überwiegend arrangiert sind, sie sind immer – dem R&B Pop-Modus folgend – rhythmisch, synkopiert, oft harmonisch vielschichtig. Also: trocken, aber hörbar und sogar tanzbar. HiFi-Freaks bitte weghören – ansonsten gilt: ´Volume up´!

Goetz Egloff. Demos, Baddest. TuneCore, New York, 2021, 48 min., 8.99 $

Zugänglich bzw. erhältlich über YouTube, Amazon, Deezer, Spotify, Pandora u. Ä.

Tracklist:
  1. Belle Epoque
  2. Grand Larceny
  3. Uh Oh
  4. Leave U Alone
  5. So Arousing
  6. Love Computer Book
  7. Take Your Body on a Trip
  8. Scanties in a Bag
  9. Lovable
  10. 2 Private
Links:

Link zu Belle Epoque: https://www.youtube.com/watch?v=HEiUgHO4Amw

Link zu Lovable: https://www.youtube.com/watch?v=36H8ffaKP4Y

Link zum Album auf Amazon: https://music.amazon.de/artists/B08LBGWH8J/goetz-egloff