Seiner Vorliebe für Maßanzüge verdankte der am 9. Februar 1923 in Essen geborene Schauspieler Heinz Drache den Spitznamen „Don Flanello“. Dazu passt der Typus des kultivierten Gentlemans, den der Mime so häufig verkörperte. Dazu passt aber auch die Herkunft und Schulbildung des gebürtigen Preußen. Die Eltern besaßen ein Glas-, Porzellan- und Stahlwarengeschäft, und er machte am Gymnasium Abitur.
Weniger standesgemäß war sein bereits in der Schulzeit auftauchender Wunsch, Schauspieler zu werden. Entsprechend wenig begeistert war sein Vater, aber Heinz setzte sich durch. Das ersparte ihm zwar nicht de jure, aber de facto den Kriegsdienst, denn trotz Einberufung bekam er nach einem Vorsprechen beim Intendanten ein Engagement beim Nürnberger Schauspielhaus.
Nach dem Krieg setzte er seine Schauspielerkarriere fort. Nach Wolfgang Langhoff wurde auch Gustaf Gründgens auf den vielversprechenden Nachwuchsschauspieler aufmerksam. Unter Letzterem gelang ihm 1947 in dessen Inszenierung des Stücks „Der Schatten“ von Jewgeni Schwarz der endgültige Durchbruch als Theaterschauspieler.
Heinz Drache Foto: Udo Grimberg CC BY-SA 3.0 de
Als Filmschauspieler gelang ihm der Durchbruch als Ermittler. Diese Rolle spielte er sowohl in dem legendären Fernsehsechsteiler „Das Halstuch“ von Francis Durbridge, das der Westdeutsche Rundfunk (WDR) 1961 produzierte, als auch in diversen Edgar-Wallace-Verfilmungen fürs Kino. Der Reigen dieser Spielfilme, die später auch ihren Weg ins Fernsehen fanden, reicht von „Der Rächer“ aus dem Jahre 1960 bis zum 1968 erschienenen „Der Hund von Blackwood Castle“, in dem Drache – Ausnahmen bestätigen die Regel – zum Abschluss einmal den Bösewicht spielte. Daneben verkörperte der Mime in den 60er Jahren in diversen anderen Krimis den Ermittler.
Nach dem Ende dieser Krimiwelle der 60er Jahre wandte sich Drache wieder verstärkt dem Theater und der Synchronisation zu. Dort war sein Rollenspektrum größer, die Bezahlung hingegen weniger üppig.
1985 kehrte er noch einmal für den „Tatort“ als Ermittler zum Film zurück. Als Berliner Hauptkommissar Hans Georg Bülow gab er den Anti-Schimanski, der sich dank des Erbes seiner verstorbenen Ehefrau ein kultiviertes Leben leisten kann und das auch tut. Damit war allerdings nach insgesamt sechs Folgen 1989 Schluss.
„Adelsromanzen“ lautete der Titel der letzten Serie, für die der bürgerliche Aristokrat vor der Kamera stand. Am 8. März 2002 begann die Erstausstrahlung. Am 3. April des Jahres starb Heinz Drache nach einem mehrmonatigem Krebsleiden in einem Berliner Krankenhaus.
(Dieser Artikel erschien zuerst in der Preußischen Allgemeinen Zeitung.)
Einen Mangel an Vielfalt kann niemand der Bühne an der Mundsburg vorwerfen. Nach einem Thriller aus der Feder Charles Dickens‘ und einer das Herz erwärmenden Komödie von James Sherman widmet sich das Theater jetzt dem hochaktuellen zeitgeistigen Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe. Der britisch-griechische Autor Alexi Kaye Campbell wurde für „The Pride“ von allen Seiten geehrt und zudem mit dem renommierten „Olivier Award“ ausgezeichnet. Auch die Presse zeigte sich begeistert von diesem Drama, das der Kritiker des „Guardian“ als großartig, zugleich traurig, witzig und mutig beschrieb. Kurz, ein Stück, das jeden anspricht.
Wir sind gespannt. Also Vorhang auf für „The Pride.“
Danke für die Einladung. Foto: ETH
Wir schreiben das Jahr 1958. Das Londoner Apartment von Philip (Mat Betteridge) und Sylvia (Lisa O’Connor) ist gemäß dem seinerzeitigen Geschmack eingerichtet: Nierentischchen, Cocktailsessel und eine großflächige florale Tapete bestimmen das Bühnenbild. Das junge Ehepaar empfängt den Besuch Olivers (Daniel Cane), eines erfolgreichen Kinderbuchautors, dessen Werke von Sylvia illustriert werden. Während dieser ersten Begegnung der beiden Männer offenbart sich, dass sie mehr miteinander verbindet, als Philip zuzugeben bereit ist. Während Oliver, den Sylvia bereits als latent homosexuell erkannte, seine Neigung – wenn auch geheim – auslebt, ist Philip entsetzt über seine aus bürgerlicher Sicht unzulässigen Gefühle. Er gerät in einen schweren Gewissenskonflikt. Vergessen wir nicht, dass unsere Gesellschaft in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts noch weit entfernt war von der Legalisierung homosexueller Beziehungen. Diese wurden durchweg mit mehrjährigen Gefängnisstrafen sanktioniert und führten dazu, dass „ehrbare“ Bürger die „Delinquenten“ mieden. Trotz aller Bedenken lässt sich Philip auf eine Affäre mit Oliver ein, obgleich ihn dessen Hang zu anonymem Sex abstößt.
Szenenwechsel. Wir befinden uns mitten im Jahr 2008. Die Gesellschaft hat sich in einem halben Jahrhundert radikal verändert. Jeder kann jetzt nach seinem Gusto selig werden, und niemand wird mehr wegen seiner sexuellen Präferenzen bestraft. Oliver geht weiter seiner Leidenschaft für wechselnde Partner nach. Er entdeckt einen Hang zum Masochismus, der darin kulminiert, dass er einem in Naziuniform auftretenden Mann die Stiefel ableckt. Ein armer Kerl, der mit diesem unappetitlichen Job sein karges Einkommen aufbessert.
Zurück in die „Normalität“?
Wir springen zurück ins Jahr 1958 und treffen Philip in der Praxis eines Arztes, dessen Aufgabe es ist, Schwule zurück in die „Normalität“ zu führen, und dies mit Methoden, die an mittelalterliche Flagellantenrituale erinnern. Oder an die Kaltwasserbehandlungen im 19. Jahrhundert, von denen sich die seinerzeitige Wissenschaft die Heilung Geisteskranker versprach. Philip wird in einem gefängnisartigen, völlig fensterlosen Raum mit Brechmitteln behandelt, nach denen er sich stundenlang übergeben muss. Seinerzeit gingen gewisse ärztliche Kreise davon aus, dass der Patient durch diese brutale Therapie der Selbstverachtung von seiner „Krankheit“ geheilt würde. Genützt hat Philip die Behandlung des Halbgottes in Weiß offenbar nicht. Denn wir sehen ihn 2008 im Büro eines Verlegers wieder, der ihm viertausend Pfund Sterling für einen Aufsatz bietet, in welchem er begründet, warum auch ein heterogener Mann sich auf ein schwules Abenteuer einlassen sollte. Philip sei doch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen in der Lage, „normalen“ Männern einen solchen Versuch schmackhaft zu machen.
Was erwartet ihr von mir? Foto: ETH
Und wie kam Philips „Coming Out“ in den späten Fünfzigern bei Ehefrau Sylvia an? Als sie die Affäre ihres Mannes mit Oliver herausfand, war sie schockiert und verletzt. Sie fühlte sich von Philip betrogen, fügte sich jedoch letztlich in ihr Schicksal, weil sie ihn liebte und von ihm weder lassen wollte noch konnte.
The Pride Party
Wir wechseln erneut ins Jahr 2008 und nehmen an The Pride Party in einem der schönen Londoner Parks teil. Die Atmosphäre ist entspannt, Philip und Oliver scheinen miteinander versöhnt. Da taucht Sylvia auf, einen Koffer in der Hand. Sie ist entschlossen, ihr altes Leben aufzugeben. Im Gehen flüstert sie: „Alles wird gut, alles wird gut, alles wird gut.“ Nach diesen Worten senkt sich der Vorhang.
Das Ende von „The Pride” lässt manchen Zuschauer ratlos zurück. Wer auf ein Happy End mit einer funktionierenden Ménage à trois gehofft hatte, sieht sich enttäuscht. Eine Frau und zwei Schwule in einem Haushalt. Wie soll das funktionieren?
Bitte, komm nicht näher! Foto: ETH
„The Pride“ ist ein sehr komplexes Stück, das nach dem Theaterbesuch erst einmal verdaut werden muss. Zumal die Szenen zwischen den fünfziger Jahren, als Schwule noch öffentlich angeprangert wurden, und der befreiten Gegenwart immer hin und her springen. Der Zuschauer hat nicht selten Mühe, dem Geschehen zu folgen. Eine Hilfe sind die Kostüme, die sich gründlich voneinander unterscheiden: 1958 Pettycoat und Louis-Quinze-Absätze, 2008 T-Shirt und Sneakers. „The Pride“ illustriert deutlich den Wechsel von der staatlich verordneten repressiven Sexualität bis hin zur Befreiung von sämtlichen Konventionen. Bereits Sokrates rief die Menschen auf, sich selbst zu erkennen – ergo – sich zu sich selbst zu bekennen. Dies wurde in der Vergangenheit vielen Männern zum Verhängnis. Man denke nur an Oscar Wilde, einen der größten Dichter englischer Sprache. Als sein homosexuelles Verhältnis zu einem Adligem publik wurde, landete er in der Tretmühle. Kurz darauf starb er krank und völlig verarmt. Peter Tschaikowsky, der Schöpfer unsterblicher Werke, nahm sich aus Angst vor der Entdeckung seiner Neigung das Leben. Das zaristische Russland hätte ihm die Liebe zum eigenen Geschlecht trotz seines Ruhmes nie verziehen. Übrigens – in Deutschland wurde der Paragraph 175 STBG, der Homosexualität früher mit empfindlichen Strafen ahndete, erst vor nicht langer Zeit ersatzlos gestrichen. Tempi passati. Gottlob.
„The Pride“ enthält einige schwer erträgliche gewalttägige Szenen. Besonders verstörend ist jene, in der Oliver Philip in seiner Wohnung vergewaltigt. An einen Akt des Exorzismus erinnert die Szene, in welcher ein Arzt Philip seine „Schwulität“ mit den widerlichsten Methoden auszutreiben versucht.
Großes Lob geht an drei Schauspieler, die alles gaben. Auch der vielseitige Matt Hastings – der Vierte im Bunde – soll nicht unerwähnt bleiben. Er meisterte souverän gleich drei Parts – Verleger Peter, den „Mann“ in der Naziuniform sowie den Doktor. Paul Glaser, der Regie führte, ist mit dieser Inszenierung erneut über sich hinausgewachsen. Herzlichen Dank für diesen anregenden Abend im ETH.
„The Pride“ läuft bis einschließlich 25. März 2023. Tickets unter der Telefonnummer 040-227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de
Nächste Premiere: „The Who & What” von Ayad Akhtar, am 6. April 2023
Ein Nachruf auf den Schauspieler und Rezitator Herbert Tennigkeit
Dies vorweg. Herbert Tennigkeit war ein lustiger Vogel, stets zu Scherzen und heiteren Geschichten aufgelegt, die er in seiner unnachahmlichen Art zum Besten gab. Hinter dieser mitreißenden Fröhlichkeit verbarg sich ein nachdenklicher belesener Feingeist, der gern über die Dinge philosophierte, die weit über das Alltägliche hinausreichten.
„Mir hat keiner an der Wiege gesungen, dass ich einmal Schauspieler werden würde. Ursprünglich hatte das Leben offenbar etwas ganz anderes mit mir vor,“ gestand Herbert Tennigkeit mir einst, als ich ihn während eines Hamburger Gastspiels in seiner Theatergarderobe aufsuchte.
1937 im ostpreußischen Memelland geboren, floh er 1944 kurz vor Kriegsende unter dramatischen Umständen mit seiner Mutter und seinen Brüdern vor der Roten Armee gen Westen. Nach einem Aufenthalt in Sachsen trieb es die Familie weiter nach Berlin. Herberts Mutter war praktisch veranlagt und bestand darauf, dass der Sohn erst einmal etwas Ordentliches lernte. Der ging daraufhin bei einem Maler und Anstreicher in die Lehre, der ihm beibrachte, wie man vom Krieg verwahrloste Häuser wieder in einen bewohnbaren Zustand zurückversetzte. Geschadet habe ihm diese Ausbildung zum Handwerker nicht, gestand Tennigkeit einmal. Aber sein Traumziel, Schauspieler zu werden, habe er nie aus den Augen verloren. 1962 war es dann so weit. Er zog nach Düsseldorf und nahm dort Unterricht bei einem seinerzeit bekannten Schauspieler. Auch zum Sänger ließ er sich ausbilden.
Diese solide Ausbildung hatte sich gelohnt, denn in der Folgezeit durfte sich der frisch gebackene Mime über eine Reihe von Engagements an bekannten westdeutschen Bühnen freuen.
Während ein Tourneetheater ihn durch viele Städte der Republik führte, stand er auf der Bühne des Hamburger Ernst-Deutsch-Theaters, brillierte bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, trat in der Komödie Frankfurt auf und wirkte in Theaterproduktionen mit, die ihn in die Niederlande, Österreich und nach Großbritannien führten. Sein umfangreiches Repertoire umfasste unter anderen Stücke von Shakespeare, Osborne, Brecht, Kleist und Hochhuth. Auch in Operetten und Musicals trat dieser vielseitige Künstler auf. Besonders gelungen empfand er seinen Auftritt in „Irma la Douce“: „Ein bezaubernd frivoles Stück.“ Schade nur, dass er der Irma aller Irmas Shirley MacLaine nie begegnet ist. Aber man kann halt nicht alles haben.
Als Sprecher machte Herbert Tennigkeit sich ebenfalls einen Namen. Seine sonore Stimme eignete sich gut für Hörspiele. Dabei lagen ihm die Karl-May-Hörspiele besonders am Herzen: „Welcher Jugendliche hat nicht alle oder die meisten der insgesamt 65 Romane dieses Titanen der spannenden Lektüre verschlungen?“ Nicht wenige von uns haben sie mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen. Die Chronistin war eine von ihnen.
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts begann der Mime Tennigkeit noch eine viel beachtete Karriere als Darsteller in Fernsehfilmen und -serien. Unvergessen ist seine Rolle als Anästhesist Dr. Laudann in der „Schwarzwaldklinik“, einer Serie, „die sich zu einem veritablen Straßenfeger entwickelte. Kitsch as Kitsch can? Wahrscheinlich. Aber das Publikum war begeistert von der heilen Welt des Schwarzwaldes und den Protagonisten, die so sympathisch menschlich rüberkamen. Fast genau so beliebt waren Serien vom Schlage „Das Erbe der Guldenbergs“ , „Das Traumschiff“, „Hotel Paradies“ und „Kreuzfahrt ins Glück“, in denen Tennigkeit ebenfalls Erfolge feierte.
Unschlagbar war Herbert Tennigkeit als Rezitator. Seine Lesungen in ostpreußischer Mundart sind bis heute unvergessen. Wenn er aus Siegried Lenz‘ „So zärtlich war Suleyken“ las oder Günther Ruddies‘ „Woher kommen die Marjellchens?“ rezitierte, blitzte in den Augen mancher Zuhörerin aus der „kalten Heimat“ nicht selten ein heimliches Tränchen auf.
Seine ostpreußische Heimat hat Herbert Tennigkeit nie vergessen. Er trug sie immer im Herzen. Mehrmals ist er an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt. In einem Interview vor Jahren, das die PAZ mit ihm führte, bekannte er sich offen zu seiner Sehnsucht nach seinem heimatlichen Poggen. Er wollte seinen Sandkasten, den Apfelbaum im elterlichen Garten und auch seine Schule wieder sehen. Und – oh Wunder – alles war noch da. Da darf auch ein gestandenes Mannsbild eine Träne vergießen.
Ich erinnere mich noch genau an eine gemeinsame Fahrt mit Herbert Tennigkeit zu einem Termin an der Ostsee. Während der kurzen Reise erzählte er mir in beredten Worten viel aus seinem ereignisreichen Leben als Darsteller großer Rollen und gestand ganz nebenbei, dass er sogar mit dem Gedanken gespielt habe, Schlagersänger zu werden. Einfach, weil er gern singe. Ganz so wie der große Kollege Gustav Gründgens, der einmal bekannte: „Ich weiß ja, ich kann nicht singen. Und dabei singe ich doch so gern.“ Aber Herbert Tennigkeit konnte wirklich singen. Immerhin hatte er in jungen Jahren Gesangsunterricht genommen. Und so sangen wir auf unserem Weg nach Timmendorfer Strand aus voller Kehle „Lilli Marlen“, „Die Beine von Dolores“ und „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt.“ Ein unvergessliches Erlebnis.
Schließlich, doch nicht zuletzt muss an dieser Stelle noch Herbert Tennigkeits langjährige enge Freundschaft mit der in Königsberg geborenen Autorin und Journalistin Ruth Geede erwähnt werden, die im April 2018 im biblischen Alter von 102 Jahren verschied. Ruth, die Doyenne ihrer Zunft, teilte ihre Liebe und lebenslange Sehnsucht nach Ostpreußen mit Herbert. Und niemand konnte ihre Gedichte und Prosa so schön im ostpreußischen Idiom rezitieren wie er. Eine Kostprobe seiner Kunst wurde uns zur Feier des 100. Geburtstages von Ruth Geede im Jahre 2016 geboten.
Nun ist auch Herbert Tennigkeit von uns gegangen. Er starb am 10. Oktober 2022 im Alter von 85 Jahren in seiner Wahlheimat Hamburg.
Requiescat in pace!
(Dieser Nachruf erschien zuerst in der Preußischen Allgemeinen Zeitung)
Nach den temporeichen „39 Stufen“, die bis in den Januar liefen und das Publikum wochenlang in atemloser Spannung hielten, hat das Theater an der Mundsburg mit seinem neuen Stück eine gemächlichere Gangart eingeschlagen. „Outside Mullingar“ ist Clifford Deans neueste Regiearbeit an der Mundsburg. In dieser mit viel Sprachwitz und schwarzem Humor gewürzten bitter-süßen Komödie geht es um den Streit zweier in den irischen Midlands verwurzelter Familien um ein Stück Land. Eine an sich alltägliche Geschichte, die ihren Charme den dickköpfigen Protagonisten dieser Saga verdankt.
Das alte Lied: Keine der beiden Parteien ist willens, auch nur einen Millimeter auf die andere zuzugehen. Während die Alten miteinander im Clinch liegen, gleicht der Nachwuchs den beiden Königskindern, die nicht zu einander finden können, um sich ihre gegenseitige Liebe zu gestehen. Zum besseren Verständnis der Handlung stellen wir zunächst die vier Personen vor, die das geneigte Publikum zwei Stunden unterhalten.
Familienaufstellung
Tony, sei doch zur Abwechslung mal freundlich.
Da ist zunächst Tony Reilly, ein ebenso listiger wie temperamentvoller Mann von 75 Jahren, der seine Farm nach seinem Ableben unbedingt auch weiter im Familienbesitz wissen will. Tony irritiert seine Mitmenschen zuweilen mit seinem etwas abartigen Sinn für Humor.
Anthony Reilly, Tonys Sohn, ist aus ganz anderem Holz geschnitzt als sein Vater. Im Alter von 42 lebt der scheue Sonderling immer noch auf dem väterlichen Hof. Die Leidenschaft seines Vaters für die Vieh- und Schafzucht teilt er zum Leidwesen Tonys nicht. Anthony trauert immer noch seiner alten Liebe Fiona nach, die ihn einst verließ und die er nicht vergessen kann. Diese lange zurückliegende Kränkung hat seinen Blick dermaßen getrübt, dass er Rosemarys Avancen gar nicht bemerkt.
Der Gegenpart wird angeführt von Aoife Muldoon. Diese praktisch veranlagte 70jährige Matrone möchte ihrer Tochter eine gute Zukunft sichern. Aoife ist die Witwe Chris Muldoons, des gerade verblichenen langjährigen Nachbarn der Reillys.
Dies ist meine letzte Zigarette. Ehrenwort.
Bleibt noch die 36jährige Rosemary Muldoon, Aoifes eigensinnige Tochter. Sie ist seit ihrem sechsten Lebensjahr heimlich in Anthony verliebt und wartet hartnäckig darauf, dass der endlich ihre Gefühle erwidert.
Trennende Zäune und Streitigkeiten
Anthony Reilly und Rosemary Muldoony kennen sich seit frühester Kindheit. Beide trennen nicht nur Zäune, sondern immer wieder aufkeimende Streitigkeiten zwischen ihren Familien. Sie haben in ihrem Leben niemals die grüne Insel verlassen. Beide scheinen auf der heimatlichen Scholle festgewachsen zu sein. Hier auf dem Land reiht sich ein ereignisloser Tag an den anderen wie Perlen auf einer Schnur. Auf den ersten Blick scheint es, als wäre Rosemary gar nicht an dem Nachbarssohn interessiert. Doch im Stillen wartet sie seit einer gefühlten Ewigkeit darauf, dass Anthony sie endlich wahrnimmt und sich zu ihr bekennt. Rosemarys Mutter Aoife, die sonst das Gras wachsen hört, ist der Meinung, ihre Tochter mache sich nicht nur nichts aus Anthony, sondern lehne ihn schlichtweg ab, weil er sie in Kindertagen einmal sehr heftig „geschubst“ hatte.
Bewegung kommt in das tägliche Allerlei der beiden Familien, als Anthonys Vater andeutet, seinen Besitz einem entfernten Verwandten in Amerika zu überschreiben, da sein weltfremder Sprössling wenig Interesse an der Farm bekunde. Daraufhin bringt Rosemary sich in Stellung. Sie will dies um jeden Preis verhindern. Kann ihr mutiges Eintreten für Anthony sich am Ende als der Schlüssel zu beider Glück erweisen? Warten wir es ab.
Ein Ire kommt selten allein
Es ist ein Vergnügen, die vier Darsteller auf der Bühne agieren zu sehen. Alle sind waschechte Iren und sprechen in dem ihnen eigenen Idiom. Der Zuschauer muss schon die Ohren spitzen, um alle Feinheiten der zum Teil skurrilen Dialoge mitzubekommen.
Papa, ich wollte immer ein guter Sohn sein.
Während Aoife Muldoony (sensationell Nora Connolly), deren Habitus lebhaft an die alte Queen Victoria erinnert, zwar Tacheles redet, sich aber strikt an die Regeln des Anstands hält, lässt Tony Reilly (knorrig Seamus Newham) seinem Zynismus oft freien Lauf, ohne Rücksicht auf die Gefühle der anderen. Rosemary spielt die zupackende Tochter aus bäuerlicher Familie, die keine Scheu hat, Schaufel und Mistgabel anzufassen. Sie wird von Catherine Deevy verkörpert. Die lebhafte Aktrice mit der flammend roten Mähne erinnert an ihre Landsmännin Maureen O’Hara, die in den vierziger und fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Hollywood Furore machte. Sympathisch kommt Brian Tyman rüber, der den etwas verklemmten Anthony Reilly überzeugend darstellt.
Kritiker sind selten einer Meinung
Eine Reihe von Kritikern hat „Outside Mullingar“ euphorisch als eine Art Synthese aus „Doubt“ (Zweifel) und „Moonstruck“ (Mondsüchtig) beschrieben. Hier gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Während die New York Times schwärmt, dies sei John Patrick Shanleys bestes Theaterstück, verreißt der Rezensent der Irish Times dieses Werk mit den Worten „absolut grauenvoll. Eher noch darunter.“
Fest steht, dass sämtliche Werke des 1950 in der Bronx geborenen amerikanischen Autors mit unverkennbar irischen Wurzeln im Handumdrehen zu internationalen Erfolgen wurden. Auch Hollywood riss sich um die Rechte und verfilmte sowohl „Doubt“ und „Moonstruck“ als auch „Outside Mullingar“ mit Starbesetzung. Man denke nur an Meryl Streeps grandiose schauspielerische Leistung in „Doubt.“
Das Schlusswort überlassen wir dem großen George Bernhard Shaw, der einmal sinngemäß meinte, ohne die genialen irischen Autoren tauge die englische Literatur bestenfalls die Hälfte. Wenn diese Aussage auch stark übertrieben ist, müssen wir einräumen, dass JBS nicht ganz unrecht hat. Denn waren nicht auch Jonathan Swift, Oscar Wilde, James Joyce, William Butler und Brendan Behan Iren, die die englischsprachige Literatur bis auf den heutigen Tag bereichern?
„Outside Mullingar“ läuft bis einschließlich 9. April 2022. Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de
Nächste Premiere: „Don’t missunderstand me“, Komödie von Patrick Cargill, am 21. April 2022
Komm und genieße ein Glas Wein mit mir. Prost. (c) ETH
Einmal tief durchatmen! Ja, es ist wahr. Die Bühne an der Mundsburg hat soeben wieder ihre Pforten geöffnet und lädt zu einem mitreißenden Ein-Personen-Stück ein.
Mit der Liverpooler Hausfrau Shirley Valentine hat Autor Willy Russel eine das Herz erwärmende Protagonistin erschaffen, die uns zwei Stunden lang mit einem zwischen Lachen und Weinen oszillierenden Monolog unterhält. Nachdem die Rolle aufgrund des ständig verlängerten Lockdowns mehrmals umbesetzt werden musste, steht jetzt Sharon Facinelli auf den Brettern des English Theatre. Ein guter Griff, denn diese in der englischsprachigen Welt bekannte Film-, Theater- und Musicaldarstellerin beherrscht alle drei Genres perfekt. Sharon freut sich über ihr Debüt in Hamburg, wo sie zurzeit ein begeistertes Publikum zwei Stunden lang in ihren Bann schlägt. Ein veritabler Marathon, der am Ende keinerlei Ermüdung bei Sharon erkennen ließ. Ein wunderbarer Abend, den das Publikum nach der langen Theater-Abstinenz in vollen Zügen genoss. Aber zurück zum Anfang. Vorhang auf für die Künstlerin, die unter der bewährten Regie von Paul Glaser brillierte.
Zum Teufel mit dieser langweiligen Hausarbeit! (c) ETH
Shirley Bradshaw, geborene Valentine, trägt das Herz auf der Zunge. Während sie in ihrer Einbauküche irgendwo in einem nicht näher beschriebenen Stadtteil Liverpools ihrer Hausarbeit nachgeht, unterhält sie sie sich mit sich selbst. Mit wem denn sonst? Ehemann Joe, der ohnehin kaum ein Wort mehr mit ihr wechselt, ist „auf Arbeit“ und ihre erwachsenen Kinder haben längst das Nest verlassen. Was ist eigentlich gegen Selbstgespräche einzuwenden? Sie sind mitnichten, wie viele meinen, ein Zeichen von Demenz oder Plemplem, sondern oft Ausdruck einer Selbstfindung. Ein Monolog kann sehr befreiend sein, weil man mit einem vernünftigen Menschen im Gespräch ist und niemand einem widerspricht. Während Shirley sich also mit allen möglichen Freunden, Bekannten und Verwandten – gelegentlich auch mit Ehemann Joe unterhält, schält sie Kartoffeln für das Abendessen, putzt Salat und genehmigt sich in den wenigen sprechfreien Intervallen einen kräftigen Schluck aus einer Weinflasche südlicher Provenienz. Klarer Fall, vom Sprechen wird die Kehle trocken, da muss schon mal die Luft raus aus dem Glas. Aber Trinken macht auch sentimental. Wenn Shirley an die wunderbaren Jahre denkt, als sie jung, attraktiv und lebenslustig war und noch Shirley Valentine hieß, fallen schon mal ein paar heiße Tränen ins Weinglas. In den langen Ehejahren mit Joe ist aus ihr eine inzwischen zum Übergewicht neigende Hausfrau geworden, die zwar perfekt funktioniert, aber keinen rechten Sinn in ihrem lieblosen Leben erkennen kann. So verbringt sie diesen Wochentag zwischen Lachen und Weinen und weiteren Tropfen aus der inzwischen leeren Flasche, während sie sich fragt, wie sie diesem tristen Dasein entfliehen kann. Als hätte eine höhere Macht sie erhört, kommt Hilfe von ihrer Freundin Jane, die Shirley einlädt, mit ihr nach Griechenland in den Urlaub zu fliegen, Shirley überwindet ihre Skrupel gegenüber Joe, packt ihren Koffer macht sich auf in eine ihr bislang verschlossene Welt.
An den sonnigen Gestaden der Ägäis
Szenenwechsel. Im zweiten Akt treffen wir eine wie von Zauberhand über Nacht verjüngte strahlende Shirley Valentine an den sonnigen Gestaden der Ägäis an. Die Bühne wurde mit viel Farbe und Lichteffekten in ein mediterranes Ferienparadies verwandelt. Shirley hat sich in ihrem neuen schicken Outfit an einem weißen Strand niedergelassen. Sie genießt den Blick auf das blaue Meer und die Berge in der Ferne. Zum ersten Mal seit langem fühlt sie sich frei, glücklich und zu einem Abenteuer mit dem charmanten Griechen Costas aufgelegt, der sie auf seinem Boot mit auf das Meer hinaus nimmt. Jane erkennt ihre Freundin in der neuen Rolle gar nicht wieder und warnt vor so viel Leichtsinn. Doch Shirley will nicht zur Vernunft kommen. Kurz vor der geplanten Rückreise überlegt sie, ob ein Leben im sonnigen Süden nicht dem im verregneten Albion vorzuziehen ist. Wie wird sie sich entscheiden? Finden Sie es selbst heraus, liebe Zuschauer, und gönnen Sie sich einen unvergesslichen Abend im English Theatre.
So endet die späte Emanzipation der Shirley Valentine, die sich nicht hätte träumen lassen, jemals ihrem frustrierenden Ehejoch entfliehen zu können. Vermutlich werden sich viele andere Frauen in aller Welt mit der Protagonistin dieser Romanze von Willy Russel identifizieren können. Aber wie viele werden den Mut finden, es Shirley gleich zu tun und ihrem Alltagsfrust für eine Weile adieu zu sagen?
Na, dann tschüs. Wir sehen uns in Griechenland. (c) ETH
Ein herzfrischender Theaterabend
Ein sehr gelungener herzerfrischender Theaterabend, der den Lockdown und die immer noch bestehenden Einschränkungen unseres Lebens für ein paar Stunden vergessen machen. Stimmig ist der von Sharon Facinelli perfekt beherrschte Scouse-Dialekt, der in der Metropolregion Merseyside um die Stadt Liverpool gesprochen wird. Man muss schon die Ohren spitzen, um den Monolog voll mitzubekommen, zumal weder Aussprache noch Grammatik dem feinen BBC-Englisch entsprechen, In dieser, Region fern der Hauptstadt London, wuchsen die Beatles auf, die von hier aus eine internationale Karriere ohnegleichen hinlegten. Wenn auch ihre Songs unsterblich sind, bei Shirley Valentine kommen die Großen Vier nicht vor. Schade.
Auch Willy Russel, der Autor von „Shirley Valentine“ wurde 1947 in der Nähe Liverpools geboren. Nach einer kurzen Karriere als Damen- und Herrenfriseur ließ er sich zum Lehrer ausbilden. Später entdeckte er sein Talent als Songschreiber, der seine eigenen Werke mit Erfolg einem begeisterten Publikum vortrug. Als nächstes begann er Theaterstücke zu schreiben. Mit seinem Musical „John, Paul, Ringo… and Bert“ über das Leben der Beatles landete er einen Hit, der ihm den Theater-Kritikerpreis des Evening Standard für das beste Musical des Jahres 1974 einbrachte. Von nun an folgte ein erfolgreiches Stück auf das nächste. Neben „Shirley Valentine“, das 1988 das Londoner Westend und 1990 auch den Broadway eroberte, schrieb Russel u.a. „Blood Brothers“, „One for the Road“ und die zauberhafte Komödie „Educating Rita“, die auch das English Theatre mehrere Male auf die Bühne brachte, zuletzt im Jahre 2003.
Zum Schluss noch eine besonders gute Nachricht: Am 18. November 2021 findet die Premiere von „The 39 Steps“ statt. Viele der Besucher des English Theatre werden sich bestimmt an den spannenden Hitchcock-Spionagekrimi „Die 39 Stufen“ erinnern. Im English Theatre of Hamburg kommt er in einem ganz neuen Gewand daher – als Thriller Farce von Patrick Barlow. Freuen wir und darauf!
„Shirley Valentine“ läuft bis einschließlich 30. Oktober 2021
Tickets unter der Telefonnummer 040-227 70 89 oder online unter
Nächste Premiere: „The Thirty Nine Steps“, eine Thriller Farce von Patrick Barlow, am 18. November 2021
Hinweis: Leider müssen die Besucher des ETH auch weiter während des Aufenthaltes im Theater eine Maske tragen. Zudem gilt die 3-G-Regelung; Geimpft, genesen oder getestet. Die Bar des Theaters ist wieder geöffnet. Getränke müssen im Theatersaal am Sitz konsumiert werden.
The English Theatre of Hamburg is finally opening again and invites its guests to its most inspiring SUMMER FESTIVAL. Please read the message:
Dear guests, we are finally opening again! And not only that – we are more than happy to announce the first ever THE ENGLISH THEATRE SUMMER FESTIVAL, It will be held between the 2nd of June to the 14th of August. After that our scheduled new season in September will commence.
50 Shades of Fairytales poster c) ETH
The programme for our Summer Festival is packed with exciting performances covering everything from plays to galas and special professional impro shows! Ticket sales already started on June 14. Subscribers can redeem their existing subscription vouchers for the Summer Festival. Please do so via phone, by mail, in person at the box office or online. Our box office already opened on June 14 and will be open daily from Mondays to Fridays from 10:00 to 14:00. It also opens Tuesdays and Sundays from 15:30 to 19:30. We are looking forward to seeing you again very soon.
Tickets under phone number 040 – 227 70 89, online www.englishtheatre. de
The Summer Festival programme is very rich and diversified. Just have a look and make your choice.
The Summer Festival programme
FLOY (photo by Svea Ingwersen)
While “The Barbra Streisand Songbook” starring Suzanne Dowaliby will be performed on July 17 and 18, “Me, Myself and Janis Joplin” starring Floy is scheduled for July 20 to July 25. Two one-woman-shows starring two well-known actresses will convince you of their exceptional talent in the parts of Streisand and Joplin. Also don’t miss
English Lovers” and enjoy finest high quality impro theatre at its best on August 3 to August 8. And come to see “HAP”, world premiere of BAFTA awarded playwright John Foster, from 27 July to 1 August. Here’s a brief summery of the plot: Meet Hap. Despite all attempts to be a miserablist she can’t ever be unhappy. Unhappy, at being happy, she visits Doctor Marples seeking a cure. Doctor Marples, herself desperate for joy doesn’t know how to be happy. This hilarious and quirky comedy about our modern obsession with the pursuit of happiness, shows two very different , city-slicker women on either end of the slippery therapist’s couch. Despite the ongoing monotony of Brexit, Corona and takeaways-for-one. Hap and her doctor find, to their surprise giggles and romance in the most unlikely places – the therapist’s couch.
We are sure that you will greatly enjoy this comedy, directed by Paul Glaser, and leave the theatre in high spirits.
Sorry, but we have to pester you with the compulsory safety rules.
As before the closure, we are only allowed to receive a limited number of people.
We are allowed to sell tickets in the “chessboard system”, which means that we always leave one seat free between an occupied seat.
Masks are still compulsory. This time also at the square.
Our bar is now open again. Our guests are allowed to consume their drinks on their seats.
An official negative coronatest is also compulsory (not older than 48 hours). You can also have it done directly next to the box office, at the official testing point. The colleagues at the pharmacy are happy to offer us this service. The test should be carried out by 19:00 at the latest. You can book an appointment under the link below or scan the QR code on the left.
Time Travel (c) ETH
Anyway, have a good time, enjoy the performances at the ETH and the fine weather.
Endlich! Es ist soweit: Das English Theatre of Hamburg öffnet wieder seine Pforten. In diesem Sommer wartet das ETH zum ersten Mal seit seiner Gründung mit einem Summer-Festival auf. Das ist ein absolutes Novum. In der Vergangenheit ging das English Theatre wie alle anderen Spielstätten bundesweit für drei Monate in die Theater-Ferien und eröffnete erst im September mit einem neuen Spielplan die Herbst- und Wintersaison.
Vorhang auf für einen ganz speziellen Mix aus Schauspiel, Shows und Performances, der am 2. Juli beginnt und am 14. August dieses Jahres endet.
Wie üblich, wird wieder eine Reihe großartiger, handverlesener Darsteller aus dem anglophonen Sprachraum das geneigte Publikum unterhalten.
Das Programm:
Gayle Tuffts mit der Comedy-Show „American Woman“: 2. – 4.7.
50 Shades of Fairytales poster c) ETH
Titilayo Adedokun in “Fifty Shades of Fairy Tales”: 6. – 11.7.
Jefferson Bond mit einem Stand-up Double Feature: 13. – 16. 7.
Suzanne Dowaliby mit einer Barbra-Streisand- Gala: 17/18. Juli
Floy mit „Janis Joplin“ (ebenfalls eine Gala): 20. – 25.7.
FLOY (photo by Svea Ingwersen)
Das Theaterstück „Hap“ unter der Leitung von Paul Glaser: 27. 7. – 1.8.
„English Lovers“ (professionelles Improtheater aus Wien: 3. – 8.8.
Joanne Bell mit einer exklusiven Show: 10. – 14.8.
Time Travel (c) ETH
Wir sind froh, unseren Zuschauern während dieses Summer-Festivals eine Auswahl außergewöhnlicher Vorstellungen bieten zu können. Aufgrund der aktuellen Lage sind (kurzfristige) Änderungen leider nicht auszuschließen. Natürlich werden wir alles versuchen, uns strikt an den Spielplan zu halten. Langer Rede kurzer Sinn: Wir freuen uns auf Sie. Also – demnächst in diesem Theater!
Albert Camus´ “Der erste Mensch“ im Altonaer Theater
Joachim Król, Foto: Stefan Nimmesgern
Was verbindet die bundesweite Initiative zur Alphabetisierung und Grundbildung (AlphaDekade) mit dem Text eines Literaturnobelpreisträgers? Warum begleitet AlphaDekade den Schauspieler Joachim Król auf einer Tournee? Nachdem Król im Altonaer Theater aus Albert Camus´ unvollendet gebliebenen Roman „Der erste Mensch“ gelesen hat, sind diese Fragen beantwortet.
„Der erste Mensch“, Camus´ intimster und persönlichster Text, erzählt die Geschichte seiner Kindheit. Einer vaterlosen Kindheit – Lucien Camus fällt 1914, ein Jahr nach der Geburt seines Sohnes, im 1.Weltkrieg – im Armenviertel von Algier. In einer Wohnung, die nur das Allernotwendigste enthält und in der meist brütende Hitze herrscht. Camus´ Familie besteht aus einem gutmütigen, halbdebilen Onkel, einer dominanten Großmutter, deren bevorzugtes Erziehungsmittel der Ochsenziemer ist, von dem sie häufig Gebrauch macht, und seiner fast tauben, sanften Mutter. Einer Analphabetin, deren Wortschatz keine 500 Wörter umfasst und die dem Kind als abgewandte, schweigende Figur am Fenster in Erinnerung bleibt. Eine Kommunikation mit ihr ist beinahe unmöglich. Der kleine Junge liebt diese sanfte, abwesende Mutter und sehnt sich nach ihrem viel zu seltenen Lächeln.
Und doch ist es auch eine Kindheit wie im Paradies. Geradezu hymnisch schreibt Camus immer wieder von der Schönheit des Lichts, vom Schwimmen im Meer, von der Sonne, von Freundschaft und der Abwesenheit falschen Überflusses, von seiner Freude am Dasein unter dem heißen afrikanischen Himmel. „Das Elend hinderte mich daran zu glauben, dass alles unter der Sonne und in der Geschichte gut sei; die Sonne lehrte mich, dass die Geschichte nicht alles ist.“
Das Wunder der Bildung
Diesen Satz hätte Camus so nie formulieren können, nie wäre er zu Papier gebracht worden, hätte es nicht einen Lehrer gegeben, der sich seiner annahm. Louis Germain gelang es, die strenge Großmutter davon abzubringen, den 10-Jährigen als Hilfsarbeiter zu verdingen, damit er etwas zum Familieneinkommen beitrage. Unentgeltlich half Germain seinem Schützling bei der Vorbereitung zur Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium, unterstützte und ermutigte ihn.
Als der Schauspieler Joachim Król diese für Camus´ Entwicklung so wichtige Passage das erste Mal las, hat er an seine eigene Biografie gedacht: „Ich war ein Bergarbeitersohn in den sechziger Jahren im Ruhrgebiet. Und genau wie bei Camus kam eines Tages ein Lehrer zu uns und bat meinen Vater zum Gespräch. Was zum Ergebnis hatte, dass meine Eltern mich aufs Gymnasium gehen ließen. Das müssen Sie sich mal vorstellen: Nach Feierabend ist dieser engagierte Lehrer zum Hausbesuch gekommen und hat wesentliche Weichen für mein Leben gestellt.“
Der junge Camus erlebt den von Louis Germain erkämpften Eintritt in die höhere Schule zunächst als Verlust. Die Welt der Bildung und des Bürgertums ist ihm fremd. Wenn Klassenkameraden von Koffern voller alter Briefe, Kleider und Spielsachen auf den Dachböden der elterlichen Häuser, von Fotoalben und ihrer Familiengeschichte erzählen, bleibt er stumm. Armut, so begreift er, hat keine Zeit. Wer Tag für Tag ums materielle Überleben kämpft, beschäftigt sich nicht mit Vergangenheit oder Zukunft, weiß nichts von Politik und fernem Weltgeschehen. Wer in eine solche Familie hineingeboren wird, ist wie „der erste Mensch“. Ein Mensch ohne Wurzeln, ohne Geschichte, ohne Vergangenheit, nirgendwo zuhause.
Camus´ Lehrer wiederum sind irritiert von seinem familären Hintergrund. Ein Haushalt ohne Bücher oder Zeitschriften, Erziehungsberechtigte, die keine Unterschrift leisten können – was für das Kind selbstverständlich und normal ist, löst bei ihnen Befremden aus. Unübersehbar jedoch ist das Talent und der Lernwille, ja, die Lerngier und Lesewut ihres scheuen neuen Schülers.
Camus Text, er selbst hat ihn als sein Hauptwerk bezeichnet, blieb unvollendet. Nach seinem Autounfall im Januar 1960 fand man neben dem tödlich Verletzten eine schwarze Ledermappe; darin das handgeschriebene Manuskript mit Anmerkungen und Verbesserungen. Und der Widmung an seine Mutter: „Dir, die Du dieses Buch nie wirst lesen können.“
Kopfkino, das unter die Haut geht
Joachim Król erzählt die bewegende Kindheitsgeschichte unterstützt von fünf Solisten des l’orchestre du soleil. Die vom Komponisten Christoph Dengelmann eigens für seinen Vortrag komponierten Melodien greifen Elemente algerisch-französischer Pop- und Volksmusik auf. Sie begleiten, interpretieren und unterstützen die Rezitation.
Den Zuhörern, Król selbst wäre es am liebsten, wenn „die Leute von einem Kopfkino“ sprechen würden, geht die Aufführung unter die Haut.
Und so erfüllt sich hoffentlich der Wunsch von AlphaDekade, die Aufführung möge Theaterbesucher für das Thema Alphabetisierung sensibilisieren. Wie notwendig dies ist, zeigt die Tatsache, dass jeder siebente Erwachsene in Deutschland ein funktionaler Analphabet ist und zwar einzelne Wörter und Sätze lesen, nicht aber zusammenhängende – auch kürzere – Texte verstehen kann.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek erklärte zum Auftakt der Tournee: „Die Familie, der Kollege, die Lehrerin des Kindes oder die Betreuungsperson im Jobcenter – sie alle können, wie Louis Germain, Mutmacher sein, wenn sie eindeutige Anzeichen erkennen, Betroffene ansprechen und an die richtige Stelle weiterleiten.“
Nicht aus jedem Kind kann ein Nobelpreisträger werden, aber von der Teilhabe an zahlreichen Bereichen des öffentlichen Leben sollte niemand auf Grund mangelnder Lese- und Schreibkenntnis ausgeschlossen bleiben. Wir brauchen viele Louis Germains. Könnten wir selbst einer sein?