Mit dem neuen „Ratgeber Ehlers-Danlos-Syndrome“ legen Karina Sturm, Helena Jung und Andrea Maier ein Fachbuch vor, das sich für Angehörige medizinischer Berufe ebenso eignet wie für Betroffene.
Die von den seltenen Ehlers-Danlos-Syndromen (kurz EDS), einer Gruppe angeborener Bindegewebserkrankungen, Betroffenen müssen meistens eine Odyssee absolvieren, bevor man sie mit ihren Symptomen ernstnimmt und überhaupt den Versuch unternimmt, die Ursache zu ergründen. Psychische Erkrankungen und Erkrankungen aus dem Rheumakreis sind nur zwei Gebiete der zahlreichen Fehldiagnosen, mit der EDS-Betroffene sich herumschlagen müssen. Schließlich werden sie notgedrungen meist selbst Experten für ihr Krankheitsbild, was den Kontakt mit Ärzten nicht unbedingt erleichtert, weil sie oft als besserwisserisch gelten. Fachliteratur ist überwiegend nur auf Englisch erhältlich, hinzu kommen die Hürden des medizinischen Fachvokabulars.
Persönliche Erfahrungen treffen medizinisches Fachwissen
Dem abzuhelfen war die Motivation der drei Autorinnen des jüngst erschienenen Ratgebers in deutscher Sprache. Die Multimedia-Journalistin Karina Sturm lebte sieben Jahre in San Francisco. Als EDS-Betroffene und chronisch Erkrankte kombiniert sie ihr Fachwissen mit ihren persönlichen Erfahrungen und hat bereits viel dafür getan, dass EDS im deutschsprachigen Raum bekannter wurde. Die Medizinerinnen Dres. Helena Jung und Andrea Maier haben gemeinsam mit Karina Sturm den neuen Ratgeber geschrieben.
In vier Kapiteln führen sie die Leser an die Thematik der Ehlers-Danlos-Syndrome mit ihren Ausprägungen heran, stellen den Weg zur Diagnose vor, führen Begleiterkrankungen detailliert auf und geben praktische Hilfen zum Krankheitsmanagement. Im fünften Kapitel werden soziale Themen vorgestellt. Ein Stichwortverzeichnis erleichtert das Auffinden einzelner Begriffe im Text. Das Buch ist in barrierefreier Ausgabe erschienen, was bedeutet, dass Grafiken und Bilder noch einmal textlich erläutert sind. Da die Grafiken teilweise schlecht erkenn- und lesbar sind, sind diese Erläuterungen für alle Leser hilfreich. Eine wunderbare Ergänzung sind Videos, deren Links man aus dem Buch scannen kann (man benötigt für diese Zusatzmöglichkeit die App Springer More Media).
Die Fakten und Ausführungen sind spannend aufbereitet und ziehen beim Lesen in den Bann – man kann das Buch kaum weglegen. Vieles lässt sich beim Zurückblättern schnell wiederfinden, wenn man sich an den Zusammenfassungen in grauen Kästen orientiert.
Was ist das denn – EDS?
Die EDS wirken sich überall aus, denn jeder Mensch hat überall Bindegewebe: Haut, Knochen, Gelenke, Augen, Zähne, Schleimhäute, Nägel. So gibt es meist ganz verschiedene Symptome, die jedoch zusammengenommen auf eine Ausprägung oder Variante der EDS hindeuten. Man muss das nur aus diesem Blickwinkel betrachten, worauf die Medizin jedoch nicht unbedingt ausgerichtet ist.
Das Zusammenkommen medizinischen Wissens mit persönlichen Erfahrungen macht den Reiz und Informationsgehalt des Ratgebers aus. Nach der 2017 erfolgten New-York-Klassifikation der EDS, die an die Stelle der vormals verwendeten Villefranche-Klassifikation getreten ist, sind nun auch Unterformen wie das Brittle Cornea Syndrome mit aufgenommen worden. Letzteres wurde der Verfasserin dieser Rezension noch 2016 von der Humangenetik des UKE Hamburg-Eppendorf als „kein Nachweis einer krankheitsrelevanten genetischen Variante, die Ihre Beschwerden erklärt“ attestiert, obwohl man mittels einer Paneldiagnostik den Gendefekt zweifelsfrei festgestellt hatte. Man wusste nur nicht, was diese Diagnose bedeutet. Zwischenzeitlich ist bekannt, dass dieses Syndrom Augenerkrankungen und Hüftdysplasie, Gelenküberbeweglichkeit und samtige, dehnbare Haut in sich vereint – Symptome, die wohl kaum ein Mediziner unter eine gemeinsame Überschrift bringen würde.
Was die Leidtragenden der EDS dringend benötigen, sind quasi „Beweise“ dafür, dass die Symptome keine Einbildung sind und keine psychologischen Hintergründe haben. Der Ratgeber vermittelt niedrigschwellig auch für Laien gut verständlich die wichtigen medizinischen Fakten, bereitet zugleich für das Arztgespräch vor und kann sogar noch von den Patienten an Ärzte weitergegeben werden, ist er doch auch für Mediziner, Physiotherapeuten, Schmerztherapeuten und weiteres medizinisch geschultes Personal ein profundes Fachbuch. Der Erkenntnisgewinn ist für Betroffene unbezahlbar, wenn sich plötzlich ein Grund für ganz unterschiedliche Beschwerden findet, wo bislang möglicherweise drei oder mehr Fachärzte in ihrem Bereich isoliert Auffälligkeiten feststellten. Die Autorinnen geben auch Argumentationshilfen für die Durchsetzung der Rechte Kranker, was in einer Gesellschaft, in der u.a. Anträge auf Schwerbehinderungsfeststellung grundsätzlich erst einmal abgewiesen werden, sehr wertvoll ist.
Der Schreibstil des Ratgebers ist ermutigend und positiv. Trotz der schweren Thematik einer nicht heilbaren Erkrankung, mit der sich Betroffene irgendwie arrangieren und sich ihr Leben auf eigene Faust so erträglich wie möglich einrichten müssen, löst der Ratgeber optimistische Empfindungen aus. Denn er beschreibt, dass man trotz des Status „seltene Erkrankung“ (ob das stimmt, darf bezweifelt werden, da die Zahl der nicht erkannten EDS-Erkrankungen sehr hoch sein dürfte) nicht allein mit der Diagnose und den Einschränkungen des täglichen Lebens dasteht. Die Selbsthilfevereine „Bundesverband Ehlers-Danlos-Selbsthilfe e.V.“ in Bielefeldt und „Ehlers-Danlos-Iniative e.V.“ in Fürth sind weitere Anlaufstellen für Betroffene, beide Vereine sind bundesweit tätig.
In den letzten Jahren sind einige weitere Publikationen zu den EDS erschienen, davon wenige auf Deutsch. Möglicherweise hat der „Ratgeber Ehlers-Danlos-Syndrome“ dazu beigetragen und anderen Menschen mit entsprechenden Buchprojekten den nötigen Informationshintergrund geliefert, aber auch Mut gemacht, ein eigenes Buch zu schreiben. Dieser Ratgeber ist sehr geeignet, das deutschsprachige Standardwerk des aktuellen Forschungs- und Wissensstands der EDS zu werden.
Karina Sturm, Helena Jung, Andrea Maier: Ratgeber Ehlers-Danlos-Syndrome, Komplexe Bindegewebserkrankungen einfach erklärt, Springer, Berlin 2022
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