Freud und Rank

 

Buchcover
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Rezension zu E. James Lieberman, Robert Kramer: Sigmund Freud und Otto Rank. Ihre Beziehung im Spiegel des Briefwechsels 1906-1925. Psychosozial-Verlag, Gießen, 2014.

Die vielleicht engste Beziehung in der ersten Generation der Psychoanalyse bestand zwischen deren Begründer Sigmund Freud und dessen wenig beachtetem Meisterschüler Otto Rank, die immerhin 29 Jahre Altersunterschied voneinander trennte. Umso verbindender ihre lang währende gemeinsame Arbeit an den Grundfesten der Psychoanalyse, wenn im Verlauf auch Trennendes in den Vordergrund rückte, vielleicht rücken musste. Die Autoren E. James Lieberman – der auch für die großartige Biographie „Otto Rank – Leben und Werk“ (Gießen, 1997) – verantwortlich zeichnet, und Robert Kramer – langjähriger politischer Berater während der Clinton Administration – haben den ungewöhnlichen Weg einer Historiographie entlang des Briefwechsels der Protagonisten gewagt, und das Experiment ist geglückt.

Die Geburtserfahrung; die Mutterfixierung, die der Urverdrängung gleichkommt; die verlorene Mutter-Kind-Beziehung, die in der Mutter-Imago als Phantasma von Angst und Sehnsucht – eins gibt es nicht ohne das Andere – wieder auftaucht: all dies sind Grundpfeiler heutigen psychoanalytischen Verstehens, die auf Ranks Denken zurückgehen. Jene Bilder, die dem Leser dieser Zeilen beim Gedanken an das, was heute Psychotherapie genannt wird, durch den Kopf gehen, was aus unzähligen Filmen, Texten, Berichten und vielleicht aus der eigenen Erfahrung bekannt ist, wäre nicht nur ohne Freud, sondern auch ohne Rank so nicht möglich gewesen. Zumindest sähe es anders aus, fühlte sich anders an, hätte sich mit anderen Akzenten entwickelt. Rank hat entscheidende Impulse an Carl Rogers gegeben, dessen Gesprächspsychotherapie heute noch in den USA die weiteste Verbreitung hat und neben der Psychoanalyse im Liegen auf der Couch über Jahrzehnte hinweg maßgebend war. Erst postmoderne konstruktivistische Ansätze modifizierten bzw. definierten Therapie teilweise in neue Richtungen, dies zunächst mit mitunter ähnlich bahnbrechenden neuen Perspektiven, von denen viele jedoch mittlerweile wieder relativiert wurden. Wenn man so will, landete man in den letzten Jahren auf einem gemeinsamen psychodynamischen Nenner, der in der heute noch in Deutschland am weitest verbreiteten Therapieform, der sogenannten tiefenpsychologischen Psychotherapie, die ein- bis zweimal pro Woche im Sitzen stattfindet, ihren wohlbegründeten Sinn gefunden hat. Ranks vielleicht bedeutendstes Werk jedoch, das „Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse“ (1924) führt bis heute ein Schattendasein, zu problematisch erscheint der Gedanke an ein Real-Trauma der Geburtserfahrung. Dieser führte letztlich auch zum Bruch mit Freud.

Die Autoren Lieberman und Kramer, die bereits 1997 auf der Heidelberger Tagung „Die Wiederentdeckung Otto Ranks für die Psychoanalyse“ eindrucksvoll die Person Rank und ihr Wirken vorgestellt hatten, verknüpfen 250 Briefe aus der Korrespondenz Freud-Rank mit den Persönlichkeiten, der Politik und den Wissenschaften ihrer Zeit. Sie zeichnen dabei die Entwicklung psychoanalytischen Denkens und das der zwei Protagonisten (und Antagonisten), die das Denken der westlichen (und auch von nicht unbedeutenden Teilen der östlichen) Welt maßgeblich geprägt haben, eindrucksvoll nach. „The Letters of Sigmund Freud and Otto Rank: Inside Psychoanalysis“, bei der Johns Hopkins University Press 2011 in Baltimore erschienen, wurde von Antje Becker hervorragend ins Deutsche übersetzt und dankenswerterweise vom Psychosozial-Verlag in Gießen veröffentlicht. Das Buch gibt einen hochinteressanten, lebensnahen Einblick in die Psychoanalyse und ihre Entstehungsgeschichte.