Von Hans-Peter Kurr
Operettenhaus-Welturaufführung in Anwesenheit von Sylvester Stallone
Das waren noch Zeiten, als europäische Kolonisatoren – eingepfercht in die hölzernen Bäuche von segelnden Seelenverkäufern – tapfer westwärts über den Atlantischen Ozean schipperten, den nur bogenbewaffneten Indianern mit Feuerwaffen die Köpfe wegknallten, ihr Land in Besitz nahmen, Feuerwasser brannten aus Mais (Bis heute dortselbst als Bourbon-Whiskey bekannt), weil sie die geringen Mengen Weizen zum Brotbacken für ihre Familien benötigten…
Damals, im Verlauf des 18. Jahrhunderts also, entstand die Idee vom „american dream“ der schließlich in den „american way of life“ mündete, in jenen Gründerjahren, als aus Zelten und hölzernen Hütten die ersten gigantomanischen Städte zu wachsen begannen, gebar die nächste Generation die ebenso verführerische wie vertrottelte Idee, jeder könne höchste Ziele in seinem Leben erreichen, wenn er „aus dem Herzen heraus kämpfe“.Und so („Fight from the heart“) lautet auch der Untertitel der „Vermusicalung“ d e s Kultfilms der 80er Jahre, nach dem Namen der Hauptfigur, Rocky, benannten Boxers, der – nicht ohne Unterstützung einer liebenden jungen Frau, die vom grauen Mäuschen zur stimulierenden Liebhaberin mutiert – genau diesen Weg gegen alle inneren und äußeren Widerstände geht und „folgerichtig“ zum Helden der westlichen Welt wird.
Nun endlich ist das gleichnamige Musical in Europa angekommen, genauer: Dank der Bemühungen ( und Finanzkraft!) der großen Produktionsfirma „Stage Entertainment“ in Hamburgs – inzwischen tradtionsreichem – Operettenhaus:
Rocky hat in der – höchst phantasiereichen und selbst Fans der perfekten Bühnentechnik umwerfenden – Inszenierung des jungen Regisseurs Alex Timbers die frommen Schwestern des Werkes „Sister Act“ von der Reeperbahn nach Stuttgart gefegt, um sie selbst, nebst den Hundertschaften der dort dahinströmenden Touristen zu erobern.
Erwähnt seien noch die drei Hauptdarsteller Wietske van Tongeren, die mit ihrer entzückend sinnlichen Stimme die Adrian gestaltet, der ,wie der ehemals junge Sylvester Stallone (, der als Co-Produzent den ersten Abend am Millerntor ebenso durch seine Anwesenheit zierte wie die coproduzierenden Klitschko-Brüder )bewunderswert körperliche und stimmliche Schwerstarbeit leistet sowie der Darsteller seines sportlichen Gegners im Ring mit dem beziehungsreichen Namen Apollo, den Terence Archie als Vertreter der schwarzen Minderheit der Vereinigten Staaten hinreißend präsent darstellt….nicht nur tänzerisch und gesanglich, sondern auch jene Rasse selbstbewußt repräsentierend, die die Weißen einst als Sklaven ins „Land der unbegrenzten Möglichkeit“ verschleppten , und die sich nun endlich durch den ersten schwarzen Präsidenten der USA, Obama, würdig repräsentiert sehen. Zu Recht.
Trotz etwas zäher erster Hälfte und trotz teilweise schrecklicher deutscher Texte ein insgesamt hinreißender Musical-Abend, den zu produzieren sich – zumindest in Europa – niemand außer dem rührigen holländischen Produzenten Joop van den Ende leisten kann.
Foto: country of origin