Paisiello – der verschollene Komponist

Von Hans-Peter Kurr

“König Theodor in Venedig“/Premiere in der Hamburger Kammeroper

Paisiello in der Hamburger Kammeroper

Das erste Kompliment für die „Ausgrabung“ dieses beeindruckenden Werkes  der Zeitenwende zwischen Spät-Renaissance und Barock gilt der künstlerischen Leitung der Hamburger Kammeroper, dem Ehepaar

Hass/Deeken : Die für Hamburg von Barbara Hass und Fabian Dobler neu eingerichtete Fassung von „Re Theodoro in Venezia“,dieser über 200 Jahre alten Oper, die selbst im gültigsten aller „Führer“ in deutscher Sprache, dem berühmten „Kloiber“ ,nur als Randnotiz erscheint, hätte aber das Premierenpublikum vermutlich nicht zu derartigen Ovationen hingerissen, wäre da nicht als Lenkerin des vorzüglichen Ensembles eine Regisseurin, Jean Renshaw, deren nahezu überbordende szenische

Phantasie sich ungehemmt ihrer künstlerischen Herkunft aus der Choreographie bedient: Der Chronist kann sich nicht darauf besinnen, jemals ein qualifiziertes Opernensemble erlebt zu haben, das so genial-k ü n s t l i c h  (Sic!) und dadurch ungemein stückadäquat geführt worden wäre. Und da die – sehr sorgfältig besetzten – Solisten, diese Art Regie offenbar lustvoll mittragen, entsteht ein Opernabend, der sich nicht hoch genug loben läßt.

Eine weitere Verbeugung muß der „hauseigenen“ Bühnenbildnerin Kathrin Kegler ebenso gelten, deren bis ins Detail liebevoll gestaltetes Bühnenbild begeistert; sogar die Gondel im Schattenriß läßt sie zweimal am Abend über Venedigs Kanäle fahren wie auch Barbara Hass, wiederum als Kostümbildnerin, deren liebevoll realisierte Gewänder so wertvoll wirken, als hätte die Kammeroper einen millionenstarken Ausstattungs-Etat!

Zu den Sängern der Premierenbesetzung:

Marius Adam singt stimmgewaltig ,wie stets in seinen Partien, den aus seinem korsischen Reich hochverschuldet entflohenen König Theodor, der sich vor zahlreichen Gläubigern in seiner Lieblingsstadt Venedig in Sicherheit glaubt, gemeinsam mit dem ersten Minister Gafforio, der seinem Dienstherren mit raffinierten Tricks aus der Malaise zu helfen versucht, unter anderem durch das „Verkuppeln“ des Herrschers mit des reichen Hotelwirtes Töchterlein, mit sehr sympathisch-tragfähigem Sopran gestaltet durch Joo Anne Bitter; Roland Zeidlers raumsprengender Baß wird dem Wirt Taddeo eindrucksvoll verliehen. Einrique Adrados schenkt seine gepflegte Tenorstimme dem enttäuschten Verlobten der Lisetta, dem Kaufmann Sandrino, der allerdings am „happy end“ seine große Liebe wiedergwinnen darf. Bleibt zu nennen der ebenfalls von seinem Volk verstoßene Sultan Achmet, der, im Gegensatz zu seinem korsischen Herrscherkollegen, immerhin sein Barvermögen retten konnte, mit dem er die Welt zu korrumpieren versucht, dem Michael Müller-Deeken mit edler Baritonstimme und Hünenhaftigkeit Gestalt verleiht, die umso komischer wirkt, als er sich der Lebedame Belisa gegenüber als Schwächling erweist.

Jene Belisa, die der bereits erwähnte Kloiber „m.P.“ katalogsieren würde, als Mittlere Partie also, wird von Feline Knabe zu einer Hauptrolle erhoben: Diese hochbegabte Sängerin schenkte dem Premierenpublikum nicht nur ihren nahezu grenzenlos modulationsfähigen Mezzosopran, nicht nur ihre hocherotische Erscheinung, sondern auch ihr ungewöhliches Darstellungstalent dieser gebrochenen Figur, die sie der Minorität begabter Schauspieler-Sänger zugehörig sein läßt. Dank und chapeau für diese Künstlerin : Wann darf sie endlich die Priesterin Adalgisa in Bellinis „Norma“ singen?

Die temperamentvoll musizierenden Allee-Theater-Musiker unter der Leitung von Fabian Dobler sollen das – nur in dieser Abfolge letzte –

Kompliment erhalten für ihren unverwechselbaren Orchester-Charakter und ihre zuverlässige Präzision.

Foto: Dr. J. Flügel