Er wusste noch im späten Alter genau, wo er das erste Mal von ihr gehört hatte. Das war in Prag, wo Anna Sophie Ondráková aufgewachsen war. Als Tochter eines ehemaligen k. u. k. Offiziers hatte sie am 15. Mai 1902 im galizischen Tarnau [Tarnów] das Licht der Welt erblickt. In den Trümmern der Nachkriegszeit ergriff sie schnell die Möglichkeit, ihren Traumberuf zu realisieren. Anna besuchte die Schauspielschule in Prag, aus der viele tschechische Mimen hervorgingen, darunter auch die Filmschauspielerin Jarmila Vacek. Diese hatte Max Schmeling auf einer Überfahrt von New York kennengelernt und ihn nach Prag eingeladen. Schmeling, der mit vielen Prominenten aus Kultur und Kunst befreundet war, folgte der Aufforderung nur zu gern. Sein Besuch in jenem Prager Frühling 1929 führte allerdings auch zu Irritationen: Weil ein Reporter, der das Paar entdeckt hatte, Jarmila und Max kurzerhand zu Verlobten machte, erfuhr auch Anny Ondra im fernen Berlin davon. Denn ihre Mutter war ob dieser „Verlobung“ entsetzt und schrieb an ihre Tochter: „Mit Jarmila ist es weit gekommen, sie hat sich mit einem Boxer verlobt. Mit einem Boxer! Bei uns haben sie neulich einen bei einem Bankeinbruch erwischt und eingesperrt.“ Anny dürfte es damals nicht interessiert haben.
Jarmila war auf der Prager Schauspielschule Annys beste Freundin gewesen und so erzählte sie auch Max von der jungen Tschechin, die sich als Anny Ondra in Berlin einen Namen erspielt hatte. Bereits im Alter von 16 Jahren drehte sie die ersten Stummfilme, in denen sie das naive junge Mädchen gab, harmlose Streifen, in denen sich allerdings schon Annys Begabung zur Komik zeigte. Die erkannte auch der Regisseur und Schauspieler Karel Lamac, mit dem sie ihre ersten Filmerfolge erreichen konnte.
„Gilly zum ersten Mal in Prag“, 1920 gedreht, brachte den Durchbruch. Anny stieg zu der Komikerin im tschechischen Film auf. Da es sich um Stummfilme handelte, musste sie eine starke Ausdruckskraft haben. Ihr rundes Gesicht mit den Kulleraugen und dem Herzmund wurde den Filmfans bald vertraut – und von ihnen geliebt. Zuerst in der Tschechoslowakei, dann auch in Deutschland, denn Lamac und Anny wechselten bald in die große Filmmetropole Berlin, wo ihnen mit dem 1928 gedrehten Film „Evas Töchter – das Paradies von heute“ und dem darauf folgenden Streifen „Sündig und süß“ der Durchbruch gelang.
Natürlich zeigen schon die Titel die Anspruchslosigkeit dieser ganz auf die mimische Komik der Ondra zugeschnittenen Filmchen. Aber es waren die schweren Jahre der Nachkriegzeit, die Menschen wollten ihre Alltagssorgen vergessen, und das geschah am besten in den „Flohkinos“ mit Filmen von Anny Ondra, der naiven Blonden vom Dienst, die nichts anderes als die Menschen erheitern wollte.
So schien es, aber die junge Tschechin bekundete auch bald einen gesunden Geschäftssinn: Mit Lamac gründete sie 1930 die Ondra-Lamac-Filmgesellschaft und hatte nun als Produzentin ein ganz anderes Mitspracherecht. Ihre Filme wurden anspruchsvoller, Filme wie „Eine Freundin so goldig wie du“ ließen die Kinokassen klingeln. Der Titelsong wurde ein Hit, die Ondra zur Personifizierung der „goldigen Freundin“. Mit Hitchcock hatte sie bereits 1929 zwei Filme gedreht, von denen einer Filmgeschichte schrieb. In „Blackmail“ (Erpressung) war sie Hitchcocks erste blonde Mörderin. Der berühmte Regisseur wollte sie durchaus für die Rolle in diesem ersten englischen Tonfilm haben, obgleich sie noch nie einen Tonfilm gedreht hatte und ihr Englisch nicht gut war. Hitchcock ließ einfach Anny von der britischen Schauspielerin Joan Barry synchronisieren. Auf simple Weise: Die Ondra bewegte die Lippen, Barry sprach dazu, nicht erfasst von der Kamera, den Text. So wurde Joan Barry die erste Synchronsprecherin, die Ondra die erste synchronisierte Schauspielerin der Filmgeschichte. Annys erste selber gesprochene Tonfilmrolle war 1930 in „Die vom Rummelplatz“.
Diesen Film sah sich auch der berühmte Max Schmeling zusammen mit seiner Freundin Olga Tschechowa an, mit der er zusammen in dem Film „Liebe im Ring“ gespielt hatte. Ja, auch der Boxweltmeister war für die Kamera entdeckt worden, seine Berühmtheit garantierte volle Kassen. Schmeling war von der „kessen, hübschen Blondine“ sofort begeistert. Er hatte schon von ihr gehört, denn sie besaß wie er eine Wohnung am Sachsenplatz im Berliner Westend, wo sich die Filmprominenz eingenistet hatte. Über Schmeling wohnte Willy Forst, unweit davon Henny Porten und im Nachbarhaus Anny Ondra. Er hatte bisher keine Verbindung zu ihr gesucht, denn auf dem – vermeintlich zur Wohnung gehörenden – Balkon stand ein Kinderwagen mit einem oft und laut schreienden Baby. Das erwies sich aber, nachdem die ersten Annäherungsversuche kläglich missglückt waren, als Kind der Nachbarin. Die Liebe zwischen dem Muskelpaket Schmeling und der zierlichen Ondra wuchs langsam, aber unaufhaltbar bis zur Hochzeit am 6. Juli 1933. Die Trauung fand in der Dorfkirche von Bad Saarow statt, wo der Bräutigam ein idyllisches Anwesen besaß, das auch Anny liebte. Schmeling schreibt über diesen Tag: „Es war so etwas wie eine Traumhochzeit, die den Wochenschauen Stoff für Wochen lieferte.“
Und es wurde eine Ehe, die sich wegen der Beständigkeit ihrer Liebe als eine Verbindung erwies, die nie auch nur den Ansatz von einem Skandal oder einer Affäre erkennen ließ wie in so vielen Ehen von Menschen, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen.