Von Hans-Peter Kurr
Sommer 2013: Zum zwanzigsten Mal in der Speicherstadt
Seien wir glücklich darüber, daß Hugo von Hofmannsthal, dem wir zu Recht die Uridee für den Jedermann zuschreiben, nicht idealisiert hat, sondern hier – im Gegensatz etwa zu seinen Theaterdichtungen „Der Unbestechliche“ oder „Christinas Heimreise“ – eine realistische Geschichte erzählt, die in unserer Welt tagtäglich geschieht: Ein Mensch wird auf der Höhe seiner irdischen Laufbahn mit dem Tod konfrontiert, versagt zunächst, dann läuert er sich und befindet sich in einer Lebens(end-)station ,innerhalb deren er sich bereits wähnte: Auf dem wirklichen, geistigen Weg zu Menschwerdung.
Es ist Hofmannsthals großes Verdienst, daß er diesen seelischen Vorgang anhand einer durchaus unterhaltsamen Parabel so glaubhaft zeigt, daß der große Max Reinhard sie seit der Uraufführung im Zirkus Schumann 1911 für würdig hielt, sie zu seinem zentralen künstlerischen Anliegen in Salzburg wie auch in Berlin werden zu lassen ,und dennoch Raum zu geben für zahlreiche Fassungen und Bearbeitungen, sei es in Berlin auf der Freilichtbühne Rehberge oder später in der Gedächtniskirche und in der Republik vielerorts.
So auch seit zwanzig Sommern in der herrlichen Hamburger Fassung von Michael Batz (Man ist durchaus versucht, das jährlich variierende und aktualisierte Werk Nachdichtung zu nennen), die zwar das Urthema erhält, mit der Urdichtung aber nur noch geringfügig zu tun hat, obwohl Tod und Teufel, ohne die der Symbolcharakter verloren ginge, erhalten blieben.
Daß Gott inzwischen aus den Himmeln ( auch dem über der Hamburger Speicherstadt) verschwunden ist wie in Rudolf Strahls köstlicher Komödie „Das Blaue vom Himmel“, macht es den beiden zwar nicht leichter, ihre Aufgaben zu erfüllen, aber Tod und Teufel als Werkzeuge für die kurzen Momente wirklicher Lebenseinsicht, die sie mit dem Menschenvolk, da bei Batz in zahlreichen Variationen über die Bühne tobt, verbindet, spielt bei deren Rechnung kaum eine Rolle. Was hier zählt, ist die Verwandlung vom Materiellen ins Geistige, sozusagen Seelenchemie. Es bleibt immer noch Lustspiel, das ja – genau betrachtet – die strengste Form von Verwandlung auf dem Theater ist. Herrscherin dieses abendlichen Läuterungszaubers ist die Sprache, sie hält alles – über das Mittel des Dialoges – in Gang .
Und deshalb bedarf es in dieser Produktion, unter der ( laut Programmheft) Wiederaufnahmeregie des temperamentvollen Erik Schäffler, der auch wieder hinreißend den Teufel gibt, hochrangiger Schauspielkünstler; die sich hier denn auch zusammengefunden haben, ohne daß wir sie an dieser Stelle einzeln würdigen könnten, zumal Robin Brosch ( bei aller Hochachtung vor der Gestaltung seiner plakativen Jedermann-Figur ) , nach Auffassung des Chronisten, immer noch ein wenig hinter dem besten Jedermann der vergangenen zwanzig Jahre, dem salzburgwürdigen Rolf Becker abfällt, zumal Jantje Bilker sich einer merkwürdigen „Rollenaufsagetechnik“ bedient, deren Motivation nicht recht zu analysieren ist, aber: Wolfgang Hartmanns bewährter Tod ist wieder schreckeinflössend differenziert, wirklich genialisch auch, wie Wolf Frass die drei Figuren Bauer, Intendant und Kultur schauspielerisch voneinander abhebt.
Insgesamt behält man zu Recht ( und das zeigte auch die gewaltige Schlussapplaus des durchgefrorenen Publikums) das Glück dieser genau temperierten und in allem so angenehm geschmackvoll eingerichteten Aufführung im Blut…..und damit in bester Erinnerung.
Foto: Hamburger Jedermann