Kulturpreis für Sabine Witt

Sabine Witt, die Vorsitzende der Hamburger Autorenvereinigung und Mitglied der DAP, erhielt am 6. Oktober 2023 in Rom einen renommierten italienischen Kulturpreis. Gewürdigt wurde ihre jahrzehntelange Arbeit im Bereich der italienischen Literatur und Sprache.

Die Preisträgerin, die mehrere Jahre in Italien gelebt hat, ist Literaturwissenschaftlerin und beschäftigt sich im Bereich der Romanistik seit den 1980er Jahren hauptsächlich mit der italienischen Kultur, besonders mit der Sprache und Literatur. 12 Jahre lang lehrte sie italienische Literatur an der Universität Bremen sowie für einige Jahre an der Universität Hamburg. Seit ihrer Magisterarbeit im Jahre 1988 über Curzio Malaparte steht dieser toskanische Autor im Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit. In zahlreichen Veröffentlichungen und Fachzeitschriften ist sie mit Artikeln zur italienischen Literatur vertreten. Sie hält regelmäßig Vorträge in Deutschland, Italien und anderen Ländern.

Sabine Witt unterrichtet zudem seit Jahrzehnten die italienische Sprache, arbeitet als Übersetzerin und hat etliche Studienreisen nach Italien durchgeführt.

Zurzeit schreibt sie an einem Buch über die süditalienische Kleinstadt Monopoli.

 

Fotos: Stefan Tardosz

Tag der Deutschen Einheit 2023: in Hamburg Deutschlands Einheit feiern

Am 2. und 3. Oktober 2023 richtet Hamburg die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit aus. Dazu gehört auch das Bürgerfest an der Binnenalster: Das Festival der Einheit bietet seinen Gästen aus Hamburg und aus den anderen Bundesländern spannende Inhalte und einzigartige Erlebnisse – und mit der „Nacht der Einheit“ ein ganz besonderes kulturelles Highlight.
„Horizonte öffnen“: Das ist das Motto, unter dem – genau wie die Hamburger Bundesratspräsidentschaft – auch das Bürgerfest in Hamburg steht. Es soll die Vielfalt, Modernität und Weltoffenheit Deutschlands erlebbar machen, die neue Perspektiven für die Zukunft des wiedervereinigten Deutschlands eröffnen. Hamburg wird sich dabei von seinen besten Seiten zeigen: bunt, inspirierend und international. Die Gäste erwartet eine spannende Mischung aus Information, Unterhaltung und Aktionen zum Mitmachen, Mitdenken und Erleben.

Von Politik zum Anfassen bis zu den Ideen für morgen: Highlights des Bürgerfests in der Innenstadt

Das „Bürgerfest – ein Festival der Einheit“ findet am 2. und 3. Oktober 2023 an der Binnenalster, auf dem Rathaus- und dem Gänsemarkt sowie in der Mönckebergstraße und auf den angrenzenden Plätzen statt. Auf der NDR Alsterbühne – sie befindet sich auf einem Ponton vor der Treppenanlage am Jungfernstieg – sorgen namhafte Künstlerinnen und Künstler für gute Unterhaltung, darunter Stefanie Hempel und Überraschungsgäste, Michael Schulte sowie Alex Christensen & Friends.

Die „Nacht der Einheit“ am 2. Oktober 2023 ist der unterhaltsame Übergang zum Tag der Deutschen Einheit und ein einmaliges Erlebnis – mit Musik, Tanz, Infotainment und zahlreichen kulturellen Höhepunkten in der Innenstadt. Ob PoetrySlam im Jupiter, Hip Hop Streetdance in der Europapassage, Impro-Theater in der Patriotischen Gesellschaft, Lichtkunst an der Galerie der Gegenwart, Musik auf den Bühnen und in den Kirchen oder Polit-Talk, Kino und Ausstellungen: Bis Mitternacht lässt sich hier kulturelle Vielfalt hören, sehen und erleben.

Ländermeile mit allen Bundesländern

Auf der traditionellen Ländermeile können Besucherinnen und Besucher eine Deutschlandreise unternehmen, ohne Hamburg zu verlassen: Alle Bundesländer zeigen durch originelle Präsentationen die Vielfalt ihres Landes und damit auch Deutschlands – von Menschen und Landschaften über Institutionen aus Kultur, Wissenschaft und Politik bis zu gastronomischen und musikalischen Angeboten.

Auf dem Rathausmarkt, im Innenhof des Rathauses und in der Handelskammer stellen die Verfassungsorgane Bundesrat, Bundestag, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht ihre Aufgaben und Arbeit vor. Im nachgebauten Plenarsaal kann man in die Rolle von Bundestagsabgeordneten schlüpfen, Bundesministerinnen und Bundesminister bieten Bürgergespräche an und der Bundesrat bietet Infotainment auf dem Rathausmarkt.

Young Future Lab

Networking, Workshops, Edutainment: Das Young Future Lab auf dem Gänsemarkt ist Zukunftswerkstatt, Think Tank und Hotspot für alle, die heute schon unsere (Um-)Welt von morgen gestalten. Auf Aktionsflächen und einer großen Bühne diskutieren Influencer, finden Workshops statt und wird beim ScienceSlam Wissenschaft unterhaltsam auf den Punkt gebracht. Dabei sind unter anderem die Landeszentrale für politische Bildung, die Hamburger Stiftungstage, Seed e. V., das GIGA (German Institute for Global and Area Studies) und „Use the news“.

Entlang des Neuen Jungfernstiegs präsentieren rund 35 Institutionen, Vereine und Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsprojekte, klären über die Nachhaltigkeitsziele der UN auf und machen Nachhaltigkeit erlebbar – zum Beispiel mit einer Fahrrad-Disco. Inspiration liefern unter anderem die interaktive Kunstausstellung Art for Trees und EcoNation mit ihrer interaktiven App für das Abfallrecycling, die auch direkt auf dem Bürgerfest für die praktische Umsetzung des Abfallkonzepts eingesetzt wird. Ein Forum für den breiten Austausch über nachhaltige Handlungsfelder bietet die Speakers‘ Corner. Das Alsterufer wird bei Beginn der Dämmerung vom Cluster Erneuerbare Energien Hamburg mit Hilfe einer wasserstoffangetriebenen Lichtinszenierung eindrucksvoll illuminiert.

Den Fortschritt live erleben

Wie die Digitalisierung unser Leben erleichtert, zeigt Hamburg am westlichen Ende des Jungfernstiegs zwischen Große Bleichen und Colonnaden. Hier gibt es spannende digitale Facetten des Alltags zu entdecken, darunter innovative Lösungen für die Mobilität von morgen, Neues zum digitalen Lernen und Studieren, mehr über Künstliche Intelligenz, innovative Start-ups und Projekte für eine moderne Verwaltung.

Weitere Veranstaltungsbereiche

Über 60 Vereine, Stiftungen und Institutionen aus den Bereichen Engagement, Kultur, Sport, Wissenschaft und gesellschaftliches Leben stellen ihre Arbeit am Ballindamm vor. Hier ist der Treffpunkt für alle, die sich zivilgesellschaftlich engagieren und für ein starkes, vielfältiges Gemeinwesen einsetzen. Auf der Vereinsmeile sorgen unter anderem Hamburg Pride e. V. und BID Reeperbahn auf Bühnen für eine beschwingte Stimmung, Hochschulen und Forschungseinrichtungen bieten spannende Einblicke in die zahlreichen Projekte und Institutionen des Wissenschaftsstandortes Hamburg, die Active City Initiative sowie verschiedene Hamburger Sportvereine bringen Sportbegeisterte in Bewegung. Darüber hinaus informieren verschiedene Bundesinstitutionen über Themen der SED-Diktatur.

Ein besonderes Highlight steuert auch das Miniatur Wunderland zum Bürgerfest bei. Gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung wurde eine Ausstellung unter dem Titel „Die geteilte Stadt – eine bebilderte Geschichte der deutschen Teilung und Wiedervereinigung“ konzipiert, die die innerdeutsche Nachkriegsgeschichte, Wiedervereinigung und das Leben nach dem Mauerfall anhand von neun außergewöhnlichen und einmaligen Miniaturwelten darstellt.

Auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz zeigt Hamburg seine Internationalität. Hier finden die Gäste das Tor zur Welt, für das Hamburg bekannt ist: Über 40 in Hamburg ansässige Konsulate präsentieren mit bunten Ständen die Beziehungen ihrer Länder zur Hansestadt, der Pakt für Solidarität und Zukunft zwischen Hamburg und Kyiv informiert über seine Projekte, Hafen Hamburg Marketing stellt den Hafen mit seinen weltweiten Verbindungen vor und die Europa-Union sowie Unicef Hamburg berichten von ihrer Arbeit. Darüber hinaus können die Besucherinnen und Besucher die Vielfalt der in Hamburg lebenden internationalen Communities entdecken. Im Mittelpunkt stehen Information, Mitmach-Aktionen, Kultur und internationale Kulinarik. Ein facettenreiches Bühnenprogramm, moderiert von Nathalie Strauß von Radio Hamburg, mit kulturellen Beiträgen sowie Talks zu

Städtepartnerschaften und mehr auf der Blaulichtmeile

Hamburgs Städtepartnerschaften und seinen weiteren Verbindungen in alle Welt, rundet den internationalen Auftritt ab.

Luftaufnahme Alster_(c)Mediaserver Hamburg

Polizei und Feuerwehr, Bundeswehr und Zoll sowie viele Hilfsorganisationen bilden zusammen eine Blaulichtmeile in der Großen Johannisstraße und auf dem Adolphsplatz. Spannend für Technikbegeisterte sind insbesondere die ausgestellten Spezialfahrzeuge, darunter ein Boot der Wasserschutzpolizei, Löschfahrzeuge und mehrere historische Polizeimotorräder.
Rund um die St. Petri-Kirche und den Speersort sowie in den Colonnaden gibt es spannende Angebote für die Kleinen und Kleinsten in den Familienbereichen. Die Elbkinderland-Chöre treten gemeinsam mit Musiklegende Rolf Zuckowski auf, ein großer Fahrrad-Parcours, Aufführungen des Verkehrskaspers oder die Rabauken vom FC St. Pauli laden ebenso zum Verweilen ein wie der Verein KinderKinder e. V., der Kinderrechte interaktiv präsentiert.
Die Metropolregion Hamburg ist die Heimat von fünf Millionen Menschen im Norden Deutschlands. Er ist ein starker Wirtschaftsraum mit vielen innovativen Unternehmen. An der Reesendammbrücke zwischen Jungfernstieg und Ballindamm zeigt die Region ihre Vielfalt – und was sie für die Zukunft plant.
Auf der offiziellen Event-Webseite www.tag-der-deutschen-einheit.de/programm/ finden sich alle Programmpunkte stets aktuell sowie Informationen für die Nachbarschaft und Anlieger.

Rückfragen der Medien
Pressestelle des Senats
Telefon: 040 42831 2242
E-Mail: pressestelle@sk.hamburg.de

Hamburg Tourismus Gmbh
Sascha Albertsen
Telefon: 040 300 51 111
E-Mail: sascha.albertsen@hamburg-tourismus.de
Internet: www.hamburg-tourismus.de

Wenn aus der Kur ein Horrortrip wird

Orthopädisches
Turnen im Takt der Trommel, Ansichtskarte des Hermann-Hedrich-Heims bei Bad Frankenhausen, vor 1938 (c) Dölling und Galitz Verlag

Bis heute kann Beate N.* (75) keinen Quark oder Joghurt essen. Die Geschwister Werner (71) und Tanja T.* (69) haben dieselben Albträume vom Eingesperrtsein in einem dunklen Keller. Die Eltern wunderten sich, dass Werner nach Rückkehr von der „Kur“, wo die nachkriegsbedingt unternährten Kinder sich erholen und satt essen sollten, mit den Fingern Löcher in Wände kratzt. Bis heute kann er keinen Honig und keinen Käse essen.

Drei Fälle aus dem persönlichen Umfeld der Verfasserin dieses Beitrags, deren Erzählungen aus den so genannten Erholungsheimen ihr kalte Schauer über den Rücken laufen lassen. Drei Menschen, die von einem den Eltern als positive Maßnahme dargestellten Aufenthalt (allerdings nicht in einem DAK-Kurheim) traumatisiert zurückkehrten, so sehr, dass es sie ihr Leben lang nicht loslassen sollte. Die immer wieder davon erzählen, dass sie gezwungen wurden aufzuessen und Zeugen davon wurden, dass andere Kinder sogar ihr eigenes Erbrochenes aufessen mussten. Beate N. ekelte sich vor dem Schichtquark, aus dem Wasser quoll, und bekam ihn so lange immer wieder vorgesetzt, bis sie ihn aufgegessen hatte – über mehrere Mahlzeiten und mehrere Tage gab es für sie kein anderes Essen. Die Geschwister T. wurden tatsächlich in einen dunklen Keller gesperrt. Auch sie wurden gezwungen, alles zu essen, was auf den Tisch kam. „Wir haben gegessen, bis wir gekotzt haben“, wird eine Interviewpartnerin in dem Buch „Kur oder Verschickung – Die Kinderkuren der DAK zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ (Dölling und Galitz Verlag, München und Hamburg 2023) zitiert. Hinter dem neutral daherkommenden Buchtitel verbirgt sich eine Chronologie des Grauens. Vor dem Hintergrund der vermehrt verlangten Warnungen vor extremen Inhalten müsste dieses Buch eine solche in roten Großbuchstaben enthalten, denn die Bilder der Schilderungen Betroffener wird man so leicht nicht wieder los.

Die DAK gab bei dem Historiker apl. Professor Hans-Walter Schmuhl eine systematische und unabhängige Untersuchung in Auftrag, so steht es im Vorwort. In der Tat wird in dem 304 Seiten starken Buch eine umfassende Analyse und Rekonstruktion der damaligen Umstände vorgelegt. Im Untersuchungszeitraum wurden laut Vorwort ca. 450.000 Kinder zwischen vier und 14 Jahren auf der Basis ärztlich verordenter Kinderkuren „verschickt“. Besonders in der Nachkriegszeit sollten die Kuren den oftmals prekären Gesundheitszustand der Kinder positiv verändern. Sie sollten „physisch und psychisch gestärkt werden und gesund heimkehren“. Doch in erschütternd vielen Fällen ist das Gegenteil passiert, wurde den Kindern psychische und physische Gewalt angetan, von der sie sich nie wieder erholt haben.

Den Willen brechen

In den ersten drei Kapiteln wird das Kinderkurwesen der Angestelltenkrankenkassen und der DAK vorgestellt und der theoretische Rahmen erläutert. Im vierten Kapitel kommen Betroffene zu Wort und wird der Alltag mit seinen Regeln in den Heimen geschildert. Diese Lektüre auf der Basis von Interviews (geführt von der Journalistin Anja Röhl) ist schwer auszuhalten. Wie man die Kinder von den Familien isolierte – Besuch war verboten, Post wurde kontrolliert – und die kleinen Kinder dachten, sie müssten für immer bleiben; wie sie sich vor Ärzten und den „Tanten“ (Personal) ausziehen mussten, auch beim Waschen keine Privatsphäre hatten; wie man ihnen ihre Teddys und Puppen abnahm, es nicht einmal einen Nachtschrank gab, sie keine persönlichen Dinge haben durften; Wutausbrüche der „Tanten“, Strafen und sogar sexualisierte Gewalt – all das klingt unvorstellbar und ist doch massenhaft passiert. Und meistens haben die Kinder ihren Eltern davon nichts erzählt, weil die kriegsgeplagten Erwachsenen doch dachten, sie hätten den Kindern etwas Gutes getan. So erzählen es auch die Geschwister T., die erst Jahre später den fassungslosen Eltern von diesen Vorkommnissen berichteten. Beate N. erzählte es sofort nach der Rückkehr. Bemerkenswert ist, dass beide Elternpaare sich nicht bei deren Krankenkasse erkundigten oder gegen diese vorgingen. Es wäre heute sicherlich unvorstellbar, dass Eltern sich an ein Kontaktverbot zu ihren Kindern während des Aufenthalts in einem Kurheim halten und später, nach Kenntnis der traumatischen Erlebnisse, stillhalten und schweigen würden.

So ist das Geschehen im Kontext der Nachkriegszeit zu betrachten, wobei einem als erstes der Gedanke an die nationalsozialistische Prägung in den Sinn kommt. Die „Tanten“ hatten dementsprechende Erziehungsmaßnahmen erlernt und waren möglicherweise sogar davon überzeugt, dass es zum Besten der Kinder war, deren Willen zu brechen und sie zu „züchtigen“. Diese Einstellung kam womöglich zusammen mit Überforderung oder auch schlichter Bosheit und Machtausübung. Und auch die Eltern hatten gelernt, lieber zu schweigen als sich mit der Obrigkeit anzulegen. Natürlich hatten die Eltern und Witwen Gefallener ihr eigenes Trauma (hierzu sei die Lektüre der Bücher von Sabine Bode über die Kriegs- und Nachkriegskinder empfohlen). Aber all das gehört zum Gesamtbild: Das Schweigen der Eltern hat einen bitteren Anteil am Leid der Kinder, auch wenn das nicht die Schuld der Täter abmildert oder gar entschuldigt.

Der Bildteil des Buches illustriert dieses Leiden einerseits durch beklemmende Szenen wie im Kreis kriechende Kinder beim Turnen oder halb nackten Kindern im Bestrahlungsraum und andererseits durch die Ablichtungen von Dokumenten, die Regeln zu Tischsitten und Ernährung zeigen. Es kommt einem vor wie in einer anderen Welt, es muss ein Horrortrip gewesen sein.

Verbrechen ohne Strafe?

Das fünfte Kapitel des Buchs setzt sich schließlich mit der rechtshistorischen Betrachtung auseinander, wie wiederum zum zeitlichen Kontext führt; womöglich wären nach damaligem Strafrecht viele Handlungen nicht als Körperverletzung verfolgt und andere als Affekthandlung verharmlost worden. Es bleibt unbefriedigend, dass man aus heutiger Sicht nicht beurteilen kann, ob die Taten im Falle von Anzeigen überhaupt geahndet worden wären.

Aus den Interviews ergibt sich, dass einige Betroffene trotz psychotherapeutischer Behandlungen auch Jahrzehnte später ihr seelisches Gleichgewicht nicht wiedergefunden haben. Die Kur hat ihr ganzes Leben verändert, nichts wurde wieder wie vorher. Dass die DAK-Führung im Vorwort schreibt: „Zu Betroffenen und der ‚Initiative Verschickungskinder‘ haben wir Kontakt aufgenommen und um Entschuldigung für die damaligen Geschehnisse gebeten“, ist als Verantwortungsübernahme sicherlich zu würdigen, steht aber kaum in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Leid. Es bleibt zu wünschen, dass dieses Buch erst der Anfang einer groß angelegten Aufklärungs- und möglichst auch Entschädigungsarbeit ist.

Beate N. und Werner T. möchten das Buch lesen. Tanja T. hingegen sagte der Verfasserin dieser Zeilen, sie möchte nichts davon hören und auch nicht mehr darüber sprechen. Nie wieder.

*alle Namen geändert

 

Buchcover

Hans-Walter Schmuhl: Kur oder Verschickung? Die Kinderkuren der DAK zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Dölling und Galitz Verlag, München und Hamburg 2023

Link zum Verlag: https://www.dugverlag.de/isbn-3-86218-163-4

 

Der Verlag Dölling und Galitz hat ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

 

“Ben Butler” by Richard Strand – The New Play at the English Theatre of Hamburg

Keep cool, my friend. Otherwise I’ll have to shoot you.

Warning: This play is an example of sheer toxic masculinity. All four actors are of male sex. Not a single woman is on the stage. Shocking, isn’t it? What’s more: The author does not stick to what we call political correctness. Believe it or not. He calls a black man a negro! And there are several “negroes” in the play. Just think twice before buying a ticket. Sarcasm out! What an excellent idea to open the theatre season 2023/2024 with Richard Strand’s brilliant play “Ben Butler.”

A General in a Moral Dilemma

The year 1861. We meet Major General Benjamin Butler in Fort Monroe/Virginia on the eve of the American Civil War. There is a bookshelf crowned by a bust of William Shakespeare in the back of the room. The general obviously is an educated man with humanistic ideals. While Butler is reading a telegram Lieutenant Kelly enters the office and informs him that three fugitive runaway slaves have just come to the Fort seeking asylum. One of them even had the cheek to ask for an audience with Butler. Butler agrees but has to tell the young slave named Shepard Mallory that the Fugitive Slave Act says that slaves must be returned to their owners, even if they fight for the other side. Sorry, but Butler cannot do anything for the young black man and his companions. But Mallory does not let go. He insists that Butler who is not only a general but also a lawyer by profession can “twist the law” in his favour. “That’s what you lawyers do”, he insists. Although Butler feels pity for Mallory he is not willing to break the law and opens Mallory another way to gain his freedom. Why does he not run away and seek asylum in one of the northern states? But Mallory remains stubborn and prefers to stay in the Fort. He even gets aggressive and slaps Butler in the face. Kelly comes in and threatens Mallory with his weapon. Only Butler remains cool.

A Visit from the Other Side of the Border: Good Cop vs. Bad Cop

Shall I really remove his handcuffs, Sir?

The following day General Cary arrives. As head of the Confederate Army in Virginia he has come to claim the three fugitive slaves in order to hand them back to their owners. Cary represents the arrogant Southern “Gentleman Farmer” for whom the three black men are rather farm animals than human beings. Butler knows that a fugitive slave will be brutally punished or even killed by his owner. Being a man of strict moral principles he is not willing to hand Mallory over to Cary. All of a sudden he realizes that a game-changing move could work in favour of Mallory and the two other slaves. A brilliant idea indeed. The notion “contraband” comes to his mind. He remembers that Mallory told him that he and his companions did not pick cotton but had to build fortifications for the Confederate Army. Bingo – that makes them “Contraband of War” – spoils of war so to speak. That means that the Union Army now “owns” the young men the same way as canons and other items taken from the opponent party during warfare. Clear enough, General Cary? But the “Hero in Gray” is furious and even refuses the glass of sherry offered to him by Butler.

Freedom for the Slaves on special conditions

I can’t believe that Virginia has left the Union.

Is Mallory now a free man? In the first place he is “contraband” and can gain freedom when he is willing to build fortifications. But this time for the other side – the Union Army. He is willing to adhere to the rules since he wants the Union to win the war against the Confederate Army. Butler insists that the word “contraband” not go viral. Too late. It has already spread like wildfire. Beside Mallory’s wife Fanny another eight slaves claim “contraband.” In Butler’s office the General, Lieutenant Kelly and Mallory have a glass of sherry. Mallory wants to propose a toast. “To contraband”, he joyfully says while Butler and Kelly are raising their glasses.

What a inspiring play! “Ben Butler” contains dramatic as well as hilarious scenes. A play full of facts and funny dialogue. Just think of cheeky Shepard Mallory when he hits General Butler in the face. How dare a slave contradict and slap a white “master?” There is no proof whether this really happened. But it shows the beginning of emancipation of the black slaves who were no longer willing to be kept like underdogs by their owners. Mallory is kind of “black power”, struggling against slave owners in America’s Deep South. Richard Strand’s play is part comedy, part drama and part historical biography. One critic of the New York Times called it “a funny and impressive mixture,” whereas Theater Mania describes the play as “simultaneously thought-provoking and side-splitting.”

Sorry, Mr. Mallory, but I’m unable to help you.

As a matter of fact, Mallory, the “educated” hero of the play, who can read and write, represents a minority within the world of slaves in the universe of the Southern “Gentleman Farmers.” They had the right to treat coloured human beings the way they pleased. They could even kill those who ignored their strict rules. No pity with slaves who did not accept illiteracy. Many farmers saw this as a crime. And those who did not respect the rules – the “guilty ones” – were brutally punished. Knowledge is power. And power cannot be granted to slaves. Remember the scars on Mallory’s back that he showed Butler when removing his shirt?

At the end of the Civil War all slaves were set free thanks to the victory of the Union Army over the Confederates. A great service to mankind and a beacon of hope for all people in chains worldwide.

Just think of scenes in “Gone with the Wind” where black servants were treated as members of the family. However, at the same time they were patronized by their owners and treated like children in custody. I do confess that I am still a fan of that wonderful movie although I was always aware of the injustice done to the black people. Ashes on my head!

As usual, director Clifford Dean chose four fabulous actors: A big hand for Jonny Magnanti (Ben Butler), Cameron Barclay (Lieutenant Kelly), Hayden Mampasi (Shepard Mallory) and Will Middleton (Major Cary).

Last but not least…

Dear reader, did you know that Ben Butler was a real historical figure?

Just have a look at his vita ( Source: Encyclopedia Britannica)

“Major General Benjamin Butler (1818 – 1893) was a prominent lawyer in the US-State Massachusetts. Here he served two terms in the state legislature and distinguished himself by vigorously supporting the cause of labour and naturalized citizens. Although he was affiliated with the Southern wing of the Democratic Party in the 1860 elections he strongly supported the Union after the American Civil War broke out. He was appointed a Union officer for political reasons, and his military career was mercurial and controversial. In May, 1861, with the rank of major general, he was placed in command of Fort Monroe, Virginia. There he refused to return fugitive slaves to the Confederacy, using the logic that they constituted “contraband of war” – an interpretation later upheld by his government.”

A brave man who deserves our deep respect.

Last performance of “Ben Butler” on November 4, 2023. Tickets under phone number 040-227 70 89 or online under www.english.theatre.de

Next premiere: “The Hound of Baskervilles” by Arthur Conan Doyle, on November 20, 2023

Photos: Stefan Kock

„Ben Butler“ von Richard Strand – die neue Premiere am English Theatre of Hamburg

Ganz ruhig, mein Freund, sonst muss ich dich erschießen.

Vorab ein Warnhinweis für alle Besucher dieses Südstaaten Dramas: Das Stück ist durchsetzt mit toxischer Männlichkeit, denn alle vier Protagonisten sind maskulinen Geschlechts. Keine einzige Frau spielt mit. Ein echtes No Go für Feministen*Innen, die diesen Namen auch verdienen. Besonders schockierend: Das Drama enthält Vokabeln, die weitab der politischen Korrektheit angesiedelt sind. Da ist dieses „N“-Wort, das kein anständiger Mensch in den Mund zu nehmen wagt. Es sei denn, er ist auf Krawall aus. Sie ahnen es bereits. Es handelt sich um den diskriminierenden Begriff „Negro“, der hier sogar im Plural benutzt wird. Denn gleich mehrere schwarze Sklaven sind in den Wirren des 1861 gerade begonnenen amerikanischen Bürgerkrieges ihren Besitzern entkommen.

Und mit diesem augenzwinkernden Einstieg befinden wir uns auch schon mitten in der Handlung von „Ben Butler.“

Ein General in Gewissensnöten

Wir treffen Major General Benjamin Butler in seinem Quartier in Fort Monroe im Bundesstaat Virginia an. Ein gestandener Mann im besten Alter, gekleidet in die goldbetresste königsblaue Uniform der Nordstaaten Armee. Eine Büste des „Schwans von Stratford“ William Shakespeare auf einem Bücherbord weist darauf hin, dass Butler kein dumpfer Haudegen, sondern ein gebildeter Mann ist. Ein Telegramm informiert ihn darüber, dass Virginia sich gerade auf die Seite der Südstaaten geschlagen hat, als sein Adjutant Lieutenant Kelly den Raum betritt. Drei schwarze Sklaven haben das Weite gesucht und begehren Asyl im Fort. Sie haben die Rechnung ohne ihre Besitzer gemacht, die jetzt ihr „Eigentum“ zurückfordern. Der liberal gesinnte Ben Butler befindet sich in einer äußerst prekären Lage. Was soll er tun. Auf der einen Seite sträubt sich sein Gewissen, die Schwarzen womöglich dem Tod auszuliefern, während andererseits das Gesetz von ihm die Rückgabe dieser Menschen an ihre Besitzer verlangt.

„Verhandlungen“ zwischen einem General und einem Sklaven

Soll ich ihm wirklich die Handschellen abnehmen, Sir?

Die ganze Angelegenheit wird dadurch erschwert, dass einer der entlaufenen Sklaven, ein gewisser Shepard Mallory, die Stirn hat, mit dem General sprechen zu wollen. Butler willigt schließlich ein, den sehr selbstbewusst auftretenden jungen Mann zu empfangen. Er lässt ihm seine Ketten abnehmen und bietet ihm sogar ein Glas Sherry an, das Mallory jedoch nicht goutiert. Butler erklärt ihm, dass er ihm aus rechtlichen Gründen kein Asyl im Fort gewähren kann. Da er von Haus aus Anwalt ist, kennt er das Gesetz. Mallory kontert, ein Jurist könne das Gesetz zu seinen Gunsten „drehen“ und ihm Asyl gewähren. „Das ist es doch, was ihr Anwälte tut,“ fügt er frech hinzu. Butler ist entsetzt. Denn ein Winkeladvokat, der das Gesetz je nach Gusto verbiegt, ist er nicht. Die Intelligenz des Sklaven, der offenbar lesen und schreiben kann, erstaunt ihn ebenfalls. Die Sklavenhalter setzten doch alles daran, ihr „Eigentum“ in Unwissenheit zu belassen. Mallory will das Argument Butlers nicht gelten lassen, sondern beginnt zu randalieren und mit der Faust auf den Schreibtisch des Generals zu schlagen. Das ruft den braven Kelly auf den Plan, der Mallory mit seiner Pistole bedroht. Butler entschärft die Situation. Er schickt Kelly hinaus, der Mallory fragt, ob alle Neger so sind wie er. Nein, er sei einzigartig, erklärt dieser, und „keiner mag mich.“ Er zieht sein Hemd aus und zeigt seinen von zahlreichen Narben entstellten Rücken. Es stellt sich heraus, dass Mallory und die zwei anderen entlaufenen Sklaven nicht etwa Baumwolle gepflanzt haben, sondern zum Bau von militärischen Anlagen herangezogen wurden. Er und seine Kameraden bieten Butler an, dieselbe Arbeit für die Unionstruppen zu verrichten, um diesen zum Sieg über die Konföderierten behilflich zu ein. Butler sitzt in der Falle. Er möchte Mallory gern helfen, ist jedoch nicht bereit, das Recht zu brechen. Ist es nicht besser, den jungen Mann in Richtung Norden entkommen zu lassen. Mallory ist gewieft und wird seinen Weg schon finden. Aber Mallory lehnt stur ab und bleibt.

Besuch von der gegnerischen Seite

Ich verstehe nicht, dass Virginia die Union verlassen hat.

Das Unheil naht in der Person des konföderierten Generals Cary, der Butler am nächsten Morgen seine Aufwartung macht Cary ist ein eitler Gockel in der grauen, mit Goldfransen und Schärpe dekorierten Uniform der Südstaatler – eine Karikatur seiner selbst. In näselndem Tonfall fordert er ohne Umschweife die Rückgabe der drei Sklaven. Das Angebot, ein Glas Sherry mit Butler zu trinken, lehnt er ab. Butler ist verärgert über Carys Arroganz und herablassende Art. Der besteht auf der Rückgabe der Sklaven, die legitimes Eigentum ihrer Besitzer sind. Doch Butler widerspricht, weil diese drei Männer für den Bau militärischer Befestigungsanlagen auf konföderiertem Gebiet eingesetzt wurden. Sie sind daher im juristischen Sinne „Contraband of War“ – also eine Art „Kriegs-Schmuggelware“ – ergo Kriegsbeute. Somit hat Butler das Recht, die Sklaven zu beschlagnahmen wie beispielsweise Kanonen oder anderes Kriegsgerät, das ihm in die Hände gefallen wäre. Ein genialer Schachzug! Weitere Verhandlungen laufen ins Leere.

Freiheit für die Sklaven mit Auflagen

Ist Mallory nun ein freier Mann? Nein, er ist „Contraband“ – Kriegsbeute – und kann sich bewähren, indem er das gleiche tut, was er bislang für die konföderierte Armee getan hat. Er soll auch weiter Befestigungswälle bauen. Diesmal allerdings für die Armee der Gegenseite. Dieses Angebot scheint akzeptabel. Obgleich Butler insistiert, das Wort „Contraband“ dürfe auf keinen Fall die Runde machen, ist es bereits in aller Munde. Neben Mallorys Frau Fanny reklamieren weitere acht entlaufene Sklaven den Status „Contraband“ für sich. Hochstimmung herrscht in Butlers Büro. Drei Gläser werden randvoll mit Sherry gefüllt. Butler, Kelly and Mallory prosten sich zu. Mallory bringt einen Toast aus. „Auf Contraband,“ ruft er ausgelassen. Und damit ist die leidige Angelegenheit vom Tisch. Prost!

Mit „Ben Butler“ liefert Richard Strand eine Tragikomödie, die trotz aller Brisanz mit vielen komischen, zuweilen skurrilen Szenen und Dialogen gewürzt ist. Besonders beeindruckend ist der verbale Schlagabtausch auf Augenhöhe zwischen Butler und Mallory. Dieses Stück, das eines der abstoßendsten Kapitel der amerikanischen Geschichte zum Inhalt hat, die Sklaverei, erweist sich als durch und durch humanes Narrativ. Narrativ insofern, als nicht gesichert ist, wieviel Wahres wirklich in der Geschichte um Ben Butler und sein humanitäres Handeln steckt. Fest steht, dass der Konflikt zwischen Yankees und Südstaatlern nicht zuletzt der Befreiung der Sklaven diente, die einst aus Afrika importiert wurden, um auf den Baumwollfeldern unter menschenunwürdigen Bedingungen zu schuften. Auch die Indigopfanzen, die den begehrten blauen Farbstoff lieferten, trugen in erheblichem Maße zum Reichtum der Plantagenbesitzer bei. Jegliche Romantik, die wir aus verschiedenen Südstaaten-Romanen kennen – u.a. „Vom Winde verweht“ und „Tiefer Süden“ – ist fehl am Platze. Wenn auch nicht wenige Pflanzer die Fürsorgepflicht zugunsten ihrer Schutzbefohlenen – sprich Sklaven – durchaus ernst nahmen, sie zugleich aber wie unmündige Kinder behandelten, so wurde das Gros von ihnen nicht nur ausgebeutet, sondern häufig auch brutal misshandelt. In „Ben Butler“ begegnen wir in Shepard Mallory einem Sklaven, der intelligent und wissbegierig ist und sich mit seinem Schicksal als Underdog nicht abfinden will. Er ist aufmüpfig, sogar dreist und respektlos Ben Butler gegenüber, der jedoch die Größe besitzt, ihm dies nicht sonderlich übel zu nehmen. Er erweist dem Schwarzen sogar die Ehre, ihn stets mit „Mr. Mallory“ anzureden statt irgendwelche diskriminierenden Begriffe zu benutzen. Mallory ist sogar alphabetisiert. Lesen und schreiben zu können war den meisten schwarzen Sklaven sogar unter Androhung drastischer Strafen strikt verboten. Denn Wissen ist Macht. Und gebildete Menschen sind in der Lage, sich mit Argumenten zu wehren. Das beweist Mallory mit seiner Renitenz gegen jedwede Art von Bevormundung und mit seiner Schlagfertigkeit, als er dem Anwalt Ben Butler entgegenhält, er sei schließlich nicht Alexander der Große.

„Ben Butler“ ist ein anrührendes Stück, in dem sich hoch dramatische und mit viel Witz gewürzte Szenen die Waage halten.

Tut mir leid, Mr. Mallory, aber ich kann Ihnen nicht helfen.

Die Auswahl der Protagonisten verdient höchstes Lob. Jonny Magnanti, der fast schon zum Inventar des English Theatre zählt, demonstriert erneut seine schauspielerische Vielseitigkeit. Dieser Mime ist in allen Sätteln gerecht. Diesmal glänzt er in der Rolle des Ben Butler, dem man trotz aller Härte eines mit allen Wassern gewaschenen Militärs seine zutiefst menschliche Seite abnimmt.

Lieutenant Kelly (Cameron Barclay) verkörpert den strammen befehlsgewohnten Adjutanten bis ins Detail, während Hayden Mampasi mit unwiderstehlichem Charme in die Rolle des aufmüpfigen Shepard Mallory schlüpft. Schließlich, doch nicht zuletzt betritt Will Middleton die Bühne. Besser als er kann man den arroganten selbstgerechten Herrenmenschen Cary nicht persiflieren. Für den „Gentleman Farmer“, im Sezessionskrieg einer der „Helden in Grau“, ist das Leben eines Schwarzen weniger wert als das eines Hofhundes. Was aus dieser Spezies wurde, zeigte der Ausgang des Bürgerkrieges 1865 in aller Deutlichkeit. Yankee Doodle!

Ein inspirierender Theaterabend. Dank an alle Mitwirkenden, besonders an Direktor Clifford Dean, der das vierblätterige Kleeblatt auf der Bühne professionell begleitete.

Über den amerikanischen Autor Richard Strand wissen wir wenig. Nur soviel: Er hat sich eines brisanten historischen Stoffs aus der Geschichte der seinerzeit noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika angenommen und diesen in ein grandioses Theaterstück umgesetzt. Übrigens, Major General Benjamin Butler ist keine fiktive Figur. Er hat wirklich existiert und offensichtlich mit seinem mutigen Handeln zur Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten mit beigetragen. Chapeau!

„Ben Butler“ läuft bis einschließlich 4. November 2023. Tickets unter der Telefon-Nummer 040-227 70 89 oder online unter www.english.theatre.de

Nächste Premiere: „The Hound of Baskervilles” von Arthur Conan Doyle, am 20. November 2023

Fotos: Stefan Kock

Überzogene Dokumentationspflicht: Ein Hindernis für die Effizienz in der Pflege und Justiz

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In jüngster Zeit ist eine wachsende Belastung für die Mitarbeiter in Pflege- und Justizwesen aufgrund steigender Dokumentationspflichten festzustellen. Der zunehmende Verwaltungsaufwand führt nicht nur zu einer Verminderung der verfügbaren Zeit für die eigentlichen Kernaufgaben, sondern gefährdet die sorgfältige Durchführung der Arbeit.

 

 

Wachsende Anforderungen in der Pflege und Justiz

Seit Jahren steigt die Anforderung an die Dokumentationspflicht in der Pflege und im Strafvollzug kontinuierlich an. Dies führt, neben den ohnehin sehr belastenden Aufgaben in diesen Berufsfeldern, zu einer zusätzlichen, ausufernden Arbeitserhebung, welche die personelle Situation weiter verschlimmert. „Es tritt ein Teufelskreis in Gang, indem Mitarbeiter ihrer eigentlichen Aufgabe nicht mehr nachkommen können, da sie mehr und mehr Zeit in die stetig wachsende Dokumentationspflicht investieren müssen“, so Frank Meier*; Justizmitarbeiter. Der Grund für die kontinuierlich steigenden Anforderungen an die Dokumentation liegt in den Ministerien und vorgesetzten Behörden selbst. „Durch die Erhöhung der Dokumentationslast ziehen sich die übergeordneten Behörden aus ihrer Verantwortung zurück“, ergänzt Meier. Hiermit wird deutlich, dass die bürokratischen Hürden selbst die Arbeit verhindern, die sie eigentlich sicherstellen sollten.

Dokumentationspflicht als Selbstzweck

Das Problem liegt nicht nur in der Anzahl der notwendigen Dokumentationen, sondern auch in ihrer Art und Weise. Es wird offensichtlich, dass sich viele Berufstätige in der Pflege und im Justizwesen in erster Linie mit der Erfüllung der Dokumentationsanforderungen, anstatt tatsächlicher Arbeit befassen müssen. „Die Dokumentationspflicht wird zum Selbstzweck, und es besteht die Gefahr, dass Arbeiten nur noch dokumentiert, aber aufgrund der fehlenden Zeit gar nicht mehr durchgeführt werden können“, warnt Meier. Es bleibt zu hoffen, dass Lösungen gefunden werden, die den Arbeitsalltag der Mitarbeiter in Pflege und Justiz wieder entlasten. Oppositionen könnten einen großen Beitrag dazu leisten, indem sie sich nicht gleich auf jeden Fehler stürzen und für ihre Zwecke ausschlachten. Die Presse ebenfalls mit einer sensibleren Berichterstattung. „Durch eine konstruktive Zusammenarbeit von politischen Entscheidungsträgern, Medien und uns als Gesellschaft könnten wir einen Weg finden, um den unnötigen Druck von unseren wichtigen sozialen Dienstleistungen abzubauen“, schließt Meier.

*Name geändert

 

Ein Drängen, das auf verstürzten Wegen Freiheit sucht

Gedenken an den Lyriker und Künstler Winfried Korf (1941-2021)

Als ich, frisch gebackene Sekretärin der Hamburger Autorenvereinigung, mit dem Korrekturlesen der Beiträge für die Anthologie „Spuk in Hamburg“ (Verlag Expeditionen, Hamburg 2014) befasst war, beeindruckten mich zwei Gedichte eines Lyrikers besonders, den ich bislang nur vom Sehen kannte. Dieser Lyriker arbeitete sehr traditionell, mit einem packend bildhaften und eloquenten Wortschatz, geschliffenem Metrum und gestochenem Versmaß. Wer war dieser Mensch, der einer offiziellen Version der Gattung Lyrik „linksbündiger Flattersatz“ mit althergebrachter Wortgewaltigkeit trotzte?

Bei unserer Lesung zur Vorstellung der Anthologie ließ ich mir auch ihm ein Autogramm auf seine Autorenseite schreiben. Seine Widmung lautete: „In Erinnerung an die glanzvolle Vorstellung unserer Anthologie“. Seine Schrift war genauso wie seine Gedichte: Barock und verschlungen.

Einige Jahre später war unser Kontakt zu einer Freundschaft gediehen, die auch das gemeinsame Arbeiten an unseren Gedichten – für eine ganze Zeit auch zu dritt mit einer weiteren HAV-Kollegin – einschloss. Wir diskutierten, manchmal hart, über Formulierungen und den Sinn von Interpunktion in Gedichten. Man konnte sich an ihm die Zähne ausbeißen! Aber gerade das machte es so spannend, denn sein Humor verließ ihn dabei nie. Unsere völlig unterschiedliche Art zu schreiben war kein Hindernis, sondern gerade eine Bereicherung. Dabei hatte Winfried die Angewohnheit, zu „schweren Fällen“ nicht nur Bearbeitungsvorschläge zu unterbreiten, sondern ein eigenes Parallelgedicht zu schreiben. Eine einzigartige Erfahrung, die eine völlig neue Perspektive auf den eigenen Text eröffnete.

Diese Parallelgedichte sind nun, gut anderthalb Jahre nach seinem Tod, neben seinen wunderbar gestalteten handschriftlichen Briefen und seinen Gedichten, ein großer Schatz für mich.

Karin Grubert und Winfried Korf, Foto: privat

Winfried Korf war Maler, Zeichner, Lyriker. Er war auch Historiker, Dozent in der Erwachsenenbildung und Dramaturg, er spielte Klavier, er war ein Tausendsassa. Und er war ein Mensch, der niemals stillzustehen schien. Wenn er nicht schrieb, zeichnete er. Wenn er nicht malte, fotografierte er. Er war ein Getriebener, manchmal kam er mir vor wie jemand, dessen Kerzen an beiden Enden brannte. In seiner letzten Lebensphase sagte er mehrmals, er könne noch nicht sterben, er habe noch zu viel vor. Und bis zu seinem letzten Tag am 14.12.2021 schrieb und malte er, unermüdlich. Die Überschrift dieses Textes, ein Zitat aus seinem Gedicht „Ewige Wanderung“ (Buchtitel s. u.) erscheint mir wie eine Beschreibung seines Wesens. Das Drängen, das ihn antrieb, blieb bis zum letzten Moment. Er hinterließ Mengen an Werken in Wort und Bild, ein Gesamtkunstwerk, das seine Frau Karin Grubert nun unermüdlich ordnet, sortiert und erfasst. Berührend dabei ist, dass er selbst vieles zusammengestellt hatte, das Ordnen seiner künstlerischen Dinge könnte man als Vermächtnis auffassen.

Uns verband die Lyrik, die Literatur, ein wenig auch die Malerei. Natürlich flossen in unsere Gespräche seine umfangreichen Kenntnisse aus den anderen Bereichen seines Wissens ein, aber nie schulmeisterlich, sondern immer dezent, zurückhaltend und bereichernd. Sein Sinn für das Schöne, der Hang, jede Box für Notizzettel, jede Schachtel, jede Mappe mit künstlerischen Elementen zu veredeln, umgab ihn wie ein Raum, in dem er lebte. Alles, was er anfasste, machte er zu Kunst.

Unsere Gespräche über unsere Gedichte, aber auch über andere Literatur, über das Leben, Gott und die Welt, den Garten, die Liebe – diese Gespräche fehlen mir unendlich. Dankbar bin ich dafür, dass wir uns begegnet sind. Dankbar auch für seine Gedichte, mit denen er seine Handschrift hinterlassen hat. Spät entdeckte er, der Reimdichter, das ungereimte und minimalistische Haiku; eine Form, der er exzessiv frönte und sie auch mit seinen Fotografien zusammenbrachte. Vielleicht hätte er heute, bei einer Feier anlässlich seines 82. Geburtstag, in fröhlicher Runde welche zitiert. Ganz bestimmt ist dieser Tag ein Anlass, in seinen Gedichtbänden zu lesen. Dies ist eins meiner Lieblingsgedichte:

Auf dem Stege
Betrachtungen im Böhmerwald

Immer anders, immer gleich: Geweb’ der Wellen,
Die hurtig über Wehr und Felsen schnellen,
Im Lichte springen, gleich gejagten Rudeln
im dunklen Grunde unter Wurzeln strudeln.

Immer gleich und immer anders: Streit der Steine.
Jeglicher am andern und für sich alleine
Werden sie flussab geschoben und im Schieben
Aneinander zu Geröll und Sand zerrieben
Und als Stoff zum späteren Gebären
Neuer Bergeswelt begraben in den Meeren. –

„Du steigst nicht zweimal in denselben Fluss“:
Er ist es und er ist es nicht.
Du bist es und du bist es nicht.
Wir alle ändern Leben, Lauf, Gesicht –
Ein jeglicher nach seinem Muss.

Und doch ist’s nur die eine Sphäre,
Darin Zerstörer durch die Zeiten kreisen,
Sich steigern, gipfeln, mindern und zerreißen,
Sich verflammend ineinander schweißen
Zu Gestalten, schmelzend in der Leere,

Daraus der Geist sich seine Körper schafft:
Die Dinge als Verdichtungen der Kraft.
Von dem Stege zwischen Hier und Dort,
Von seines Bogens aufgewölbtem Ort,
Der, keines Ufers Eigen, beide bindet
Und überschreitet und kein Ziel je findet,

Schau‘ ich hinunter auf das Schnellen,
Auf das Geweb‘ der Steine und der Wellen:
Strömen, strömen, strömen – Takt der Zeit,
Verschränkt in den Kristall der Ewigkeit.

Winfried Korf (1941-2021): Wanderung im Abend, BoD, Norderstedt 2016

Titel von Winfried Korf bei Amazon: https://www.amazon.de/s?k=winfried+korf&crid=11IILNECC0KER&sprefix=winfried+korf%2Caps%2C89&ref=nb_sb_noss

Liebe in Zeiten von Corona *)

Auszug aus Wolf-Ulrich Cropps neuem Buch „Zwischen Hamburg + der Ferne“, erschienen im Verlag Expeditionen.

Für Paul war es Liebe auf den ersten Blick. Sie begegneten sich auf dem Jungfernstieg. Blickten zufällig in dasselbe Schaufenster. Für Sekunden nur. Er sah ihre Augen: dunkelgrün, von einem feinen Lidschatten umrandet. Die geschwungenen Augenbrauen, eine hohe Stirn. Ein Haaransatz, der unter dem Hut schwarze Locken vermuten ließ.

Paul, ein junger Anwalt, der überaus eloquent und charmant sein konnte, sprach sie – einfach so – von der Seite an. Er fühlte sich, wie vom Blitz getroffen.
Und sie war nicht abgeneigt, ihm zu folgen.

Also schlenderten sie über die Straße, setzen sich gemeinsam auf eine Bank an der Alster, um etwas zu plaudern. Sie hieß Claudia, studierte Psychologie im letzten Semester.
Sie bat ihn eine Maske anzulegen. Paul Krüger entsprach ihrem Wunsch.

So unterhielten sie sich eine ganze Weile mit gedämpften Stimmen. Claudia beklagte die Zeit, in der weder Bekanntschaften, Freundschaften, oder Flirts möglich wären. Es gäbe keine Berührungen mehr, keine Umarmungen, geschweige Liebkosungen.
Man ginge sich ständig aus dem Weg.
Ja, sie war überzeugt, dass die Kontaktarmut zur Vereinsamung führe und seelische Schäden verursache. Wesensveränderungen, Umbrüche der Seele hätten sich bereits bei jüngeren Menschen fundamentiert.
Paul pflichtete ihr bei.

Claudia ergänzte: „Was mir besonders Sorgen macht, ist, dass die Psyche unter Corona extrem leidet. Im Anfangsstadium, kaum erkennbar, wird die Seele heimtückisch angegriffen, irreparabel verändert!“
„In der Tat, da stimme ich Ihnen zu“, sagte Paul.
In der Beurteilung der Situation waren sich die Diskutanten einig. Erkannten eine fast harmonische Gemeinsamkeit im Geiste. Da schwang sogar Vertrautes mit. Das fühlte Paul.
Er war dankbar, und er war sicher, auch Claudia müsste Ähnliches empfinden.

Eine so schöne Übereinstimmung durfte nach einem einzigen Gespräch nicht einfach ausklingen.
Also verabredeten sich die Beiden für den nächsten Tag auf derselben Bank.
So trafen sich Paul und Claudia immer wieder auf ihrer Bank, die man schon Liebesbank nennen konnte.
Paul war nämlich verliebt.
Insgeheim hoffte er, dass Amors Pfeil auch Claudias Herz berührt hätte.
Sie diskutierten über Psychologie, ihrem Lieblingsthema … geistig kamen sie sich Schritt für Schritt näher.

Nach dem fünften oder sechsten Treffen wuchs sein Wunsch, sie näher kennen zu lernen.
Stets erschien Claudia in einem grauen Mantel, mit Hut und Maske, die Mund und Nase vorschriftsmäßig verdeckte. Noch nie hatte Paul ihr Gesicht gesehen, bis auf die grünen Augen, die ihn von Anfang an faszinierten.
Heute nahm er sich ein Herz und fragte: „Claudia, darf ich Sie für heute Abend zu mir einladen? So gern würde ich Sie bei einem Gläschen Wein, einem kleinen Imbiss einmal etwas näher kennen lernen. Wären Sie einverstanden? – Bitte doch!“
Claudia wandte sich ab. Blickte über die Alster, wo Gänse lustig turtelten.
Dann schaute sie Paul prüfend an.
Ihre Augen leuchteten als sie antwortete: „Ja, gern.“

Pauls exklusive Vier-Zimmerwohnung lag im ersten Stockwerk in der Isestraße. Als es um 19 Uhr klingelte fühlte er sich ganz leicht, so, wie Glück sich anfühlt.
Er öffnete.
Sie stand in der Wohnungstür.
Eigentlich wie immer: grauer Mantel, Hut, Mund-Nasen-Schutz. Nur die Schuhe waren dieses Mal keine Turnschuhe, sondern hochhackige Pumps in auffallendem Rot. Sie trat in die Wohnung.

Paul vernahm das fordernde Klacken ihrer Absätze, das sich ihm zielstrebig näherte.
Er wich zurück.
Claudia tat so, als ob sie sich heute das erste Mal begegneten.
Jedoch in einer gänzlich anderen Rolle.

Paul, erst perplex, lächelte schief, spielte aber mit. Er ging davon aus, dass sie die Maske abstreift, ihm lachend entgegentritt, das Theater als charmante Einlage gleich beenden würde.
Weit gefehlt.
Claudia spielte das überraschende Stück, als wäre es eine Uraufführung.
„Nix, da!“ sagte sie bestimmt, als Paul sie für einen Begrüßungskuss an sich ziehen wollte.
„Was sucht eine so schöne Frau in meinen bescheidenen vier Wänden?“, sagte Paul und spielte den Amüsierten.
„Das fragst du noch? Du hast mich bestellt. Also – ich bin nicht umsonst hier. Und Küssen kostet extra!“
Claudia schiebt ihn vor sich her.
„Wo ist dein Schlafzimmer?“

Er stößt mit dem Rücken die Tür auf. Sie standen vor seinem Bett.
„Nun mal her mit den Scheinen. Vorkasse, wenn ich bitten darf. No money, no honey!“
Ihre ordinäre Sprechweise belustigte Paul. Er fand es wunderbar, dass sie ihn jetzt duzte.
„Ja – was bekommst du denn so?“ fragte er schnippisch.
„Den ganz normalen Nuttentarif. Für’s Kommen, das Doppelte!“

Er legte einige Scheine auf den Nachttisch. Sie zählte aus den Augenwinkeln mit. „Ich hab’s gewusst, du bist einer von der spendablen Sorte. Oder einfach nur scharf auf mich?“
„Ha, ha, beides!“, Paul lachte. Er wurde von Claudias Theater animiert. „Nun mach schon!“, bat er.
„Was denn?“, sagte sie listig. „Was soll ich machen?“
„Na – dich ausziehen! Ich kann nicht mehr an mich halten.“
Der Anwalt griff nach ihr.
„Finger weg! Anfassen erst, wenn ich es dir erlaube!“
Claudia legte den Hut ab – tatsächlich hatte sie schwarzblaue Locken… knöpfte langsam ihren grauen Mantel auf und legte ihn mit Bedacht über einen Stuhl.
Paul hielt sie fest im Blick.

Nun stand sie in einem scharlachroten Wollkleid vor ihm. Das Kleid war hauteng, brachte Po und Busen herausfordern zur Geltung. Paul glotzte auf ihren Körper. Das scharlachrote Kleid glitt an ihr herab. Jetzt war sie nackt wie Gott sie schuf – und begehrenswert.
Eine Aphrodite mit Maske.
Sein Verlagen war fast schmerzhaft. Er wollte ihr den verdammten Mund-Nasen-Schutz herunterreißen, sich auf sie stürzen.
Sie verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
Erschrocken wich er zurück.
Kam sich vor, als schlug er aus einem reinen, unendlich fernen Himmel hart auf die Erde.

Ihr Blick schweifte an Paul vorbei, – landete auf einem Wandspiegel in dem sie sich sah. Ihr verführerisches Grinsen riss ab. Ihre Augen verengten sich erschrocken zu engen Schlitzen.
„Wie sehe ich denn aus? Mein Gott, bin ich das? Wo bin ich überhaupt? Wer hat mich hierhergebracht? Was wollen Sie von mir? Was haben Sie mit mir vor? Und was ist das für ein ordinäres Kleid?“
Claudia schluchzte hilflos.

Paul, der sich wieder gefangen hatte, breitete die Arme aus, wollte sie trösten. Doch sie wich schreckhaft zurück. Geduckt klaubte sie ihre Kleidung zusammen.
„Bitte, bitte, tun Sie mir nichts. Lassen Sie mich einfach gehen!“, flehte sie, streifte sich den Mantel über, schlüpfte in die Schuhe.
Hastete zur Haustür – verwirrt, wie ein in Panik geratenes Tier.
Riss die Tür auf und rannte die Treppe hinab …

Paul stand an der Schwelle, blickte ihr verstört nach – und, wie in ein schwarzes, unbegreiflich tiefes Loch …


*) Die Geschichte ist eine von 42 aus Wolf-U. Cropps neuem Buch „Zwischen Hamburg + der Ferne“, Verlag Expeditionen

Endlich wieder Leipziger Buchmesse!

Wie schön! Nach drei Jahren coronabedingter Pause fand endlich wieder die Leipziger Buchmesse im Verbund mit der Manga-Comic-Con und dem Lesefest Leipzig statt. Mit rund 2.000 Ausstellern aus 40 Ländern, mehr als 3.000 Veranstaltungen und rund 3.200 Mitwirkenden an etwa 300 Veranstaltungsorten bot die Messe wie vor Corona eine große Bühne für Autorinnen und Autoren, für Verlage und natürlich für die Leserinnen und Leser. Oder sollte man genauer sagen Hörerinnen und Hörer?  In zahlreichen Lesungen, Talkrunden, Interviews und Mitmachaktionen wurden alle Aspekte rund um Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vorgestellt. Aber es wurden auch – so ist es gute Tradition hier – viele Fragen zu den generellen Themen Zukunft des Buches, veränderte Lesegewohnheiten des Publikums und Situation der Autorinnen und Autoren diskutiert. Eher am Rande ging es auch um politische Themen.

Ich besuchte die Leipziger Messe vor Corona etwa alle zwei Jahre. Einerseits, um jeweils meine eigenen neuen Bücher auf Lesungen vorzustellen, anderseits, um mich über den Stand der Dinge zu informieren, Anregungen zu bekommen und bekannte Autorinnen und Autoren zu erleben beziehungsweise weniger bekannte zu entdecken. Immer spannend und inspirierend!

Was würde sich verändert haben nach dieser Zwangspause?

Stand Österreichs

Mein erster Eindruck: Vor allem überall Freude, dass die Buchmesse wieder stattfindet. Allerdings hat Corona Spuren hinterlassen: Man rechnete mit ca. 40 % weniger Besuchern (es sollten dann doch fast 250.000 werden!), und auch die Hallen waren längst nicht völlig ausgebucht. Aller (Neu-) Anfang ist eben schwer. In vielen Gesprächen wurde geklagt, dass die stark gestiegenen Papier- und Produktionskosten für die Buchherstellung das Verlagswesen erheblich belastet haben und noch belasten. Aber es war auch viel Optimismus nach dem Motto „Trotz allem!“ zu spüren. Vielfach wurden die staatlichen Hilfen unter dem Titel „Neustart Kultur“ lobend erwähnt. Ja, und das spezifische „Leipziger-Buchmessen-Feeling“ stellte sich nicht nur bei mir ganz schnell wieder ein. Überall Lesungen, Gespräche und Buchvorstellungen, jede Menge junger Leute in ihren Verkleidungen und geschäftiges Treiben an den Verlagsständen und auf den diversen Foren. Allerdings fiel auf, dass selbst größere Verlage auf oft etwas kleineren Ständen als früher vertreten waren.

Wer diese Messe besucht, sollte sich Schwerpunkte setzen, denn sonst verliert man leicht den Überblick und läuft irgendwann orientierungslos durch die Gegend, was zugegebenermaßen auch seine Vorteile haben kann. Manchmal stößt man dadurch auf unentdeckte literarische Schätze, hört interessante, noch unentdeckte Autorinnen und Autoren oder gerät in spannende Diskussionsrunden.

Preisverleihung

Für mich als Autor von Belletristik sind die neuen Romane des Jahres ein naheliegender Schwerpunkt, auf den ich mich konzentriert habe. Dementsprechend habe ich den Bereich Sachbuch nur gestreift, und über Krimis, Horror, Fantasie und Jugendliteratur können andere viel kompetenter schreiben.

Preise der Leipziger Buchmesse

Der Höhepunkt des ersten Messetages war die Verleihung der Preise der Leipziger Buchmesse in den Kategorien Sachbuch, Übersetzung und Belletristik. Es war wie in besten Zeiten gerammelt voll in der zentralen Glashalle. Die fünf nominierten jeder Kategorie waren jeweils anwesend, und erst mit der Bekanntgabe der Gewinnerinnen und Gewinner löste sich die Spannung. In der Kategorie Belletristik kürte die siebenköpfige Jury den türkischstämmigen Dinçer Güçyeter für sein Familienportrait „Unser Deutschlandmärchen“. Für mich eine Überraschung, waren doch u.a. auch die viel bekannteren Clemens J. Setz und Ulrike Draesner nominiert. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in der Kategorie Sachbuch/Essayistik Regina Scheer sowie Johanna Schwering in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet wurden.

Wie vergänglich nicht nur sportlicher, sondern auch literarischer Ruhm ist, zeigte sich mir bei einem Gespräch im ARD-Forum mit dem großartigen Lyriker Jan Wagner. Der war 2015 umjubelter Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse im Bereich Belletristik gewesen, und nun berichtete er vor lichten Reihen über Idee und Produktion des Podcasts „Book of Songs“. Anschließend war ich der Einzige, der sich seinen wunderbaren Lyrik-Band „Regentonnenvariationen“ signieren ließ.

Gastland war in diesem Jahr Österreich. Dementsprechend setzte ich meinen Schwerpunkt und hörte mir Lesungen und Gespräche mit u.a. mit Michael Köhlmeier, Tonio Schachinger, Raphaela Edelbauer und Teresa Präauer an. Ständig muss man sich zwischen unendlich vielen Angeboten entscheiden, und immer beschleicht einen das Gefühl, irgendwo anders etwas zu verpassen. Man sollte gelassen bleiben, auch mal hier und dort ungeplant hineinhören, um so ganz eigene Entdeckungen zu machen. So besuchte ich auf Empfehlung von Lou A. Probsthayn, dem Betreiber des in Hamburg ansässigen Literatur Quickie Verlages, eine abendliche Lesung in einer Eisdiele am Stadtrand von Leipzig. Denn das ist eine der Besonderheit hier: Begleitend zur Messe findet das Festival „Leipzig liest“ nicht nur auf dem Messegelände, sondern überall statt: In Cafés, Bankfilialen, diversen Vereinen und vielen anderen Orten der Stadt.

Ulrike Schrimpf im Café

Schon diese Location war eine Attraktion: Im Stil der 1970er Jahre bot das Café ein lauschig-nostalgisches Ambiente, und die Lesung von Ulrike Schrimpf aus ihrem Roman Lauter Ghosts bekam dadurch einen besonderen Reiz, dass die männlichen Passagen von einem Schauspieler des Stadttheaters Halle im Wechsel mit der Autorin gelesen wurden. So konnte der Text noch mehr funkeln.

Und die Politik? Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine? Spielte kaum eine wahrnehmbare Rolle. Ich hatte mich dennoch entschlossen, der Vorstellung des Buches „Kremulator“ des belarussischen Autors Sasha Filipenko zuzuhören, der im Exil in der Schweiz leben muss. Auf ihn war ich durch seinen das russische Herrschaftssystem entlarvenden Roman „Die Jagd“ aufmerksam geworden. Und jetzt? Besuchten vielleicht 20 Zuhörerinnen und Zuhörer diese Veranstaltung.

Kein Vergleich zu einem Autor wie Sebastian Fitzek! Um sich von ihm ein Buch signieren zu lassen, standen die vor allem jugendlichen Fans in einer mindestens 100 m langen Schlange an. Überhaupt die Jugend. Ihr wird schon traditionell viel Raum gegeben. Auffallend die kostümierten Kids, die sich vor allem für Mangas, Horror, Phantasie und Lebenshilfe interessieren. Hochwertige Literatur ist das sicher nicht, und ich frage mich, zu welchem Ergebnis das führen mag, denke aber: Besser sowas lesen als gar nichts. Schließlich ist lesen bzw. lesen können eine fundamentale Fertigkeit, die nicht bei allen Jugendlichen in wünschenswertem Umfang vorhanden sind.

Und Corona? Alles schon vergangen und vorüber? Hoffentlich! Auf ein Neues: Auf zur Leipziger Buchmesse 2024, vom 21.bis 24.März. Gastland wird dann übrigens die Niederlande plus Flandern sein.

Märchen und Musik zum japanischen Tanabata-Fest

Samstag, 8. Juli 2023, 15:00 Uhr, Sülldorfer Kirchenweg 161, 22589 Hamburg

Tanabata (七夕) ist eines der wichtigsten und beliebtesten Feste des japanischen Sommers: In der siebten Nacht des siebten Monats wird das Sternenfest gefeiert und einer alten Legende über die Liebe des Rinderhirten Hikoboshi (彦星) und der Weberprinzessin Orihime (織姫) gedacht. Überall in den Straßen findet man farbenfrohe Dekorationen aus Bambus, an welchen bunte Sterne und Girlanden aus Papier sowie kleine Wunschzettel gehängt werden. Schließlich ist Tanabata auch ein Fest der Wünsche – und solange kein Regen fällt, bestehen gute Chancen, dass die auf Papier verewigten Wünsche auch in Erfüllung gehen.

Das Sternenfest wollen wir in diesem Jahr auch in Hamburg feiern, und so lädt am Samstag, dem 8. Juli 2023, um 15:00 Uhr das Deutsch-Japanische Forum Elbe e. V. (DJFE) gemeinsam mit der Kirchengemeinde Blankenese  zu einem Sommerkonzert mit kleinem Rahmenprogramm in der Friedhofskapelle Blankenese (Sülldorfer Kirchenweg 161, 22589 Hamburg) ein.

Es erwartet Sie ein wunderbares Konzert, das von verschiedenen Solistinnen und Solisten sowie dem Sakura-Chor des DJFE gestaltet wird und in welchem Sie nicht nur japanische und deutsche Lieder genießen, sondern selbstverständlich die ganze Geschichte von Hikoboshi und Orihime erfahren können. Im Anschluss an das musikalische Programm laden wir Sie ein, mit uns gemeinsam Bambus zu dekorieren und Ihre Wünsche anzubringen .

Über das DJFE e. V:

Das Deutsch-Japanische Forum Elbe e. V. ist ein im Jahr 2014 gegründeter Verein aus dem Hamburger Westen mit nunmehr über 650 Mitgliedern, der sich zur Aufgabe gemacht hat, den deutsch-japanisches Austausch mit kulturellen Veranstaltungen und sozialem Engagement zu fördern. Hierzu gehören neben einem regelmäßigen Stammtisch über das Jahr verteilt verschiedene Konzerte, Vorträge und Events sowie die aktive Unterstützung japanischer Bürger*innen in Hamburg bei unterschiedlichen Belangen.     http://www.djfe.de/      https://www.facebook.com/djfeev/

Bildnachweis:

Bild 1: https://unsplash.com/de/fotos/fUnfEz3VLv4 (Graham Holtshausen @ unsplash.com)

Bild 2: https://unsplash.com/de/fotos/8eiSgjerHQU (Yanghong Yu @ unsplash.com)

Bild 3: https://illustimage.com/?id=3522 (illustimage.com)

Unser Lesefest auf der Alster

Foto: Wolfgang Schönfeld

Auf drei Touren durch die Alsterkanäle mit Live-Lesungen haben am 1. Juni 2023 zwölf Autoren aus ihren Gedichten und Geschichten gelesen. Dabei konnten die Gäste neben der Literatur und der malerischen Natur auch das historische Dampfschiff St. Georg genießen, einen Blick in den Maschinenraum werfen und sich mit Getränken an Bord stärken.

 

Glück, Schicksale und Visionen in Prosa

Die erste Tour von 10:00 Uhr bis 11:30 Uhr unter dem Motto „Glück, Schicksale und Visionen in Prosa“ bestritten Lilo Hoffmann, Wolf-Ulrich Cropp, Joachim Frank und Christine Sterly-Paulsen:

Die Hauptfigur in Lilo Hoffmanns Roman „Das Glück ist selten pünktlich“ ist die erfolgreiche Psychotherapeutin Julia.  Nach einer großen Enttäuschung verliebt sie sich in den smarten Sachsa, der nach allen Regeln der Kunst um sie wirbt. Dumm nur, dass dieser ausgerechnet ihr Patient ist. Das sieht nach einer Menge Ärger aus, denn ein Patient, so charmant er auch sein mag, sollte für eine Therapeutin absolut tabu sein.
https://www.amazon.de/Lilo-Hoffmann/e/B07DY63SHS%3Fref=dbs_a_mng_rwt_scns_share

Vor genau 394 Jahren entsandte die V.O.C., die mächtigste Handelsgesellschaft der damaligen Welt, ihr größtes und schnellstes Flaggschiff, die BATAVIA, zur Jungfernfahrt nach Südostasien. Was der TITANIC des späten Mittelalters nach ihrer Havarie vor West-Australien passierte, ist ungeheuerlich, ja einmalig in der Seefahrt. Am 15. Mai 1629 brach im Houtman-Abrohos-Archipel eine Meuterei mit grauenhaften Folgen aus … Wolf-Ulrich Cropp las aus seinem spannenden Buch.
http://www.wolf-ulrich-cropp.de/

Oft beginnt das Geschehen in Joachim Franks Kurzgeschichten im Banalen, bevor etwas Unerwartetes das Beliebige durchbricht. In den durch Ereignisse oder innere Vorgänge veränderten Situationen entstehen neue, oft überraschende Blickwinkel, die sowohl bei den Protagonisten als auch bei den Lesern bisher Gedachtes infrage stellen und zu veränderten An- oder Einsichten führen können.
http://www.joachimfrank.info/

Eine düster-poetische Zukunftsvision hatte Christine Sterly-Paulsen mitgebracht. In Cleos Welt herrschen Sicherheit und Ordnung. Die Straßen sind verwaist und Kinder verboten. Mit ihrem Geliebten Jacques träumt sie davon, der alles umfassenden Kontrolle zu entkommen. Als Jacques verschwindet und die Wohlfahrtsbehörde Cleo mit Verhaftung droht, wird das Spiel mit der Flucht zur unheimlichen Realität.
https://www.sterly-paulsen.de/

Poesie von Mensch und Hund

Auf der zweiten Tour von 12:00 Uhr bis 13:30 Uhr erwartete die Gäste das Motto „Poesie von Mensch und Hund“:

„Ich halte mich nur an Regeln, die ich selbst gut finde.“ Das ist der Wahlspruch der selbstbewussten Terrierhündin, die in Susanne Bienwalds, pardon, Minas Buch aus ihrem Leben erzählt und dabei das merkwürdige Gebaren der Zweibeiner aufs Korn nimmt.
https://susanne-bienwald.jimdosite.com/

Für „Mehr Nordsee“ plädierte Reimer Boy Eilers. „In Reimer Boy Eilers‘neuem Gedichtband ist die Zaubermacht der deutschen Sprache weder zerstört noch verweht. Sie hält allen Stürmen stand, die auf und an der Nordsee toben. … Möge der Wortpianist noch viele klingende Worte finden, um uns laut zu sagen, was ist, an der Nordsee und anderswo.“ (Sibylle Hoffmann, Juli 2021) https://www.reimereilers.de/

Gino Leinewebers Gedichtband „Wo Zeit im Wege steht“ verknüpft mythologische und spirituelle Erinnerungen mit aktuellen Wahrnehmungen und Ideen. Die Verse entsprechen in Inhalt und Form Leinewebers Philosophie, angelehnt an die Stoa, Schopenhauer und die buddhistische Lehre. Oft sind sie in surrealistischer, manchmal auch dadaistischer Diktion geschrieben.
http://www.gino-leineweber.de/

Maren Schönfelds Lyrik- und Kurzprosaband „Töne, metallen, trägt der Fluss – eine lyrische Elbreise“ enthält Texte von Hamburg bis ans Meer. Drei Kapitel gliedern das Buch in Stadt, Fluss und Meer. Je nachdem, wo man die Reise beginnen möchte, kann man das Buch vorwärts und rückwärts lesen. Außerdem las sie noch einige Gedichte aus ihrem aktuellen Buch „Engelschatten“.
https://schoenfeld.blog/

Gestern, Heute und Morgen in Prosa

Die letzte Tour von 14:00 Uhr bis 15:30 Uhr stand unter der Überschrift „Gestern, Heute und Morgen in Prosa“:

In der Anthologie „Von Menschen und Masken“ hat Vera Rosenbusch  literarische Tagebuchnotizen aus dem Herbst 2020 veröffentlicht. Wie surreal ist ein Schreib- und Urlaubsaufenthalt in der Coronaphase? Hat man mehr Inspiration durch Zeit und Ruhe – oder gar keine mehr?
http://www.hamburgerliteraturreisen.de/

1865: Johannes Biel ist Bergmann auf der Zeche Neu-Iserlohn. Seine Ehefrau, Wilhelmine Biel, bringt acht Kinder zur Welt, die sie in armen Verhältnissen resolut aber liebevoll großzieht. Abseits der glanzvollen Geschichten bekannter Industriellenfamilien gewährte Jörg Krämer tiefe Einblicke in das Leben der einfachen Bergleute. Die Arbeit auf der Zeche ist dabei nur am Rande Thema. Der Blick ist immer in die Familie und das Gefühlsleben hinein gerichtet.
https://www.ruhrpottstory.com/

Gabriele Albers, Autorin und Politikerin las aus ihrem utopisch-dystopischen Roman „Nordland 2061 – Gleichheit“. In einem nicht allzu fernen Hamburg, in dem nur noch das Geld zählt und Frauen nichts wert sind, ist Lillith die einzige Person, die an den herrschenden Verhältnissen etwas ändern könnte. Doch Nordland ist voller Intrigen und Verrat, und sie weiß nie, wer Freund ist und wer Feind.
https://www.gabriele-albers.de/

Lásló Kovas Gedichte und Erzählungen sind dynamisch, klar, allgemein-verständlich, wahrheitssuchend, glaubhaft und humorvoll. Seine emotionsreichen und philosophischen Gedanken lagern sich in einer natürlichen Stimmung in seinen Schriften ab, die sich auf dem Papier mit feinen schriftstellerischen und künstlerischen Mitteln einfinden – zu hören war dies in den drei Erzählungen „Erinnerungen an eine Stadt, an Lübeck“, „Unser Hund Bátor“ und „Zufall? Fügung? Arno?“.
http://www.edition-kova.de/

Jede Tour hatte rund 20 begeisterte Gäste, die sich sehr über dieses außergewöhnliche Format zum zudem sehr günstigen Eintrittspreis von fünf Euro freuten.

Die Auswärtige Presse e.V. und der Verband deutscher Schriftsteller*innen bedanken sich beim Deutschen Literaturfonds Neustart Kultur für die großzügige Förderung.

 

Fotos: Wolfgang Schönfeld

Die japanische Mythologie, der Shintōismus und der Tennō

Das Deutsch-Japanische Forum Elbe e. V. (DJFE e. V.) lädt herzlich zu einer Vortragsveranstaltung zum Thema „Die japanische Mythologie, der Shintōismus und der Tennō“ mit Dr. Kenji Kamino mit anschließender Diskussion, Getränken und einem kleinen Imbiss ein.

Das japanische Kaiserhaus ist die älteste ununterbrochene Erbmonarchie der Welt und stützt sich in seiner Entstehungs- und Legimationsgeschichte eng auf die japanische Mythologie: Der Legende nach ist der erste Kaiser, Jimmu Tennō, der Japan ca. 660 vor Christus regierte, ein Nachfahre der shintōistischen Sonnengöttin Amaterasu, und erhielt von ihr die drei Reichsinsignien, welche bis heute am Kaiserhof aufbewahrt werden sollen. Und obgleich Jimmu Tennō wahrscheinlich eher eine sagenumwobene als eine historische Gestalt war, ist doch die Verbindung zwischen diesen Legenden, der japanischen Religion und dem Kaiserhaus nach wie vor eng verwoben: Während der Tennō heute politisch rein repräsentative Funktionen einnimmt, ist er zugleich oberster Priester des Shintō und somit in seiner religiösen Rolle von zentraler Bedeutung.

Zu dieser hochkomplexen und spannenden Verbindung referiert Dr. Kenji Kamino in seinem Vortrag und führt die Zuhörenden über japanische Mythologie und die ersten Gottheiten Izanagi und Izanami, die Entstehung des shintōistischen Glaubens und die Geschichte des Kaiserhauses bis in die Moderne, in welcher die Rolle des Tennō nicht nur im Rahmen der Meiji-Restauration im 19. Jahrhundert, sondern vor allem in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg neu definiert werden musste.

Über den Referenten Dr. Kenji Kamino:

Dr. Kenji Kamino, geboren 1953 in Oita, lebt seit 1974 in Deutschland. Nach dem Studium der Humanmedizin in Marburg und Düsseldorf war er als Pathologe tätig, zuletzt von 1990 bis 2005 an der Medizinischen Hochschule Hannover. Seit vielen Jahren wirkt Dr. Kamino als ehrenamtlicher Referent zu verschiedenen Themen rund um die japanische Geschichte und Kultur. Auch für das DJFE e. V. hielt er bereits mehrere Vorträge, unter anderem zu den Themen „Esskultur“, „Samurai“ und „Japanische Keramik und Töpferkunst“.

 

Samstag, 17. Juni 2023, 15 Uhr (Einlass ab 14:40 Uhr)
Clubraum des Deutsch-Japanischen Forums Elbe e.V., 1. OG, Baumweg 15, 22589 Hamburg
Der Eintritt ist frei. Spenden für den DJFE e.V. sind willkommen.

Bitte melden Sie sich wegen der räumlich begrenzten Kapazitäten per E-Mail unter office@djfe.de an.

Über das DJFE e. V:

Das Deutsch-Japanische Forum Elbe e. V. ist ein im Dezember 2014 gegründeter Verein aus dem Hamburger Westen mit nunmehr über 650 Mitgliedern, der sich zur Aufgabe gemacht hat, den deutsch-japanisches Austausch mit kulturellen Veranstaltungen und sozialem Engagement zu fördern. Hierzu gehören neben dem regelmäßigen Stammtisch „Stammtisch Elbe“ sowie Chor-Übungsabenden unseres gemischten Freundschafts-Chores „Sakura-Chor“ über das Jahr verteilt verschiedene Konzerte, Vorträge und Events sowie die aktive Unterstützung japanischer Bürger*innen in Hamburg bei unterschiedlichen Belangen.

Homepage: https://djfe.de/

Bildnachweis:
Empfangsraum im Kaiserpalast (https://www.ac-illust.com/)

„Frühlingsgruß 2023“ vom „Eidelstedter Farbpinsel“

Beatrice Funk: Schattenfrau

Die Kunstschaffenden und ihre Gäste haben am So., den 01.04.2023 einen schönen Festtag im Albertinen-Haus in Hamburg-Schnelsen erlebt. Die Vernissage der Malgruppe Eidelstedter Farbpinsel war   im Wesentlichen ein farbenfrohes Fest der bildenden Kunst, und zwar in Begleitung von Literatur und musikalischen Klängen auf dem Keyboard.

Es war wieder ein Erlebnis, diverse malerische Auffassungen in einer lukrativ gestalteten Ausstellung mit zahlreichen Gästen wahrhaft zu genießen. Das Publikum sammelte sich zunächst in den Gängen, wo die Kunstwerke zwei Monate lang zu sehen sind. Für die Kunstinteressierten ergab sich die Möglichkeit, sich schon vor der Eröffnungsrede einen Überblick über die Gemälde und die Kunstfotografie zu verschaffen. Intensive Gespräche wurden unmittelbar vor den Bildern geführt. Die Künstlerinnen und Künstler sprachen mit den Bildbetrachtern ausführlich über Bildinhalte, Maltechniken und Malprozesse, oder überhaupt wie ihre Gemälde in Aquarell, Acryl, Collagen und Mischtechniken auf Leinwänden und Büttenpapier entstanden sind. Das Publikum war rege interessiert an der großen Vielfalt der gemalten Werken und der Kunstfotografie. Die hochwertige Präsentation umfasst weit mehr als 50 Bilder.

Margrit Lunk: Elefantenmutter mit ihrem Baby

Humor und Lustigkeit leiteten die Vernissage ein, da  der Kursleiter und Laudator Dr. László Kova einen witzigen Text vorlas, bevor er seine „akademische “ Eröffnungsrede vortrug. Die Anwesenden erhielten einen weit gefassten Bogen über die bildende Kunst von der Höhlenmalerei über die diversen Stilrichtungen wie Naturalismus, Impressionismus, Expressionismus und abstrakten Malerei bis zur Gegenwart.

Vielfalt und Freude beim Eidelstedter Farbpinsel

Der Eidelstedter Farbpinsel besteht länger als 20 Jahre und ist eine lose Vereinigung von Malerinnen und Malern, die montags im modern umgebauten Kulturhaus Eidelstedt, genannt „steeedt“, ihre malerischen Ideen in diversen Kunstauffassungen „sichtbar machen“. Der Kursleiter Kova sieht das Wesentliche seiner Wirkung darin, dass er fachliche und individuelle Hilfe leistet, um jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer bis zur Leistungsgrenze zu bringen. Den Erfolg bezeugen die Werke.

Angelika Eickemeyer: Adieur, mon amour

Die Bildtitel erzählen Vieles über die Bildinhalte, wie: Frühling ist da, Spirit of  Nature;  Adieu, mon amour!, Schattenfrau 1 und 2, Pythagoras, Tanz der Vögel, Abendstunde, Frühlingsschuh sucht neuen Besitzer und aus den Kunstfotografien z.B. Mandelblüte auf Sizilien.

Es ist unbedingt zu erwähnen, dass die malerische Fertigkeit der Ausstellerinnen und Aussteller die geschickte Auswahl der Bildinhalte unterstützt, die ebenso bei den in Aquarell und Acryl gemalten Tafelbildern wie auch in den Ölgemälden zum Ausdruck kommt.

Ein Höhepunkt der Vernissage war das „Podiumsgespräch“, in dem die Kunstschaffenden vor dem Publikum über ihre eigene künstlerische Laufbahn und die persönliche Bedeutung der Beschäftigung mit dem Kunstschaffen berichteten. Mehrere fingen erst im späteren Alter mit dem Malen an, da ihnen der Beruf und/oder die Kindererziehung keine Zeit für ein Hobby ermöglichten. Diese Erwähnung soll jede und jeden unter dem Motto zur Tat ermutigen: „Es ist nie zu spät!“

Gisela: Blüten

Die Bildpräsentation spiegelt eine seltene Führungspraxis der Kursleitung wider: Unter den Ausstellerinnen sind auch mehrere vertreten,  die z.B. aus Alters- oder Krankheitsgründen schon lange keinen Kurs mehr besuchen konnten. „Niemanden lassen wir allein“, sagt Dr. László Kova. „Sie gehören auch zu uns. Der Kontakt zu den früheren Kursmitgliedern wird auch regelmäßig gepflegt.“

Die Protagonisten der Ausstellung in der Frühlingskollektion 2023 sind Ute Bantin, Ingrid Degler, Evelin Dreyer, Angelika Eickemeyer, Sigrid Garz-Othmer, Hans-Peter Ferch,  Beatrice Funck, Gisela, Brigitte Konieczny, Laki, Dieter Langlott, Lieselotte Lehmann, Joachim Lunk, Margit Lunk, Renate Mühe, Andrea Otto, und Selen Yilmaz.

 

Renate Mühe: Gestrandetes Boot

Die Ausstellung Frühlingsgruß 2023 ist im April-Mai 2023 im Albertinen-Haus (Sellhopsweg 18-22, 22459 Hamburg-Schnelsen) jeden Tag für die Öffentlichkeit geöffnet.

 

Kursinteressierte können Informationen über die laufenden Malkurse vom Kursleiter Kova erhalten. Seine Erreichbarkeiten sind Tel.: 040/57 45 77 oder edition.kova@web.de.

„Grüne Transformation“ auch Chance für die Agrarwirtschaft

Ein Bio-Diesel Traktor, der mit Pflanzenöl betrieben wird, auf der Messe „Internationale Grüne Woche Berlin“ (IGW). Foto: Immo H. Wernicke

Die „Grüne Transformation“ der Agrarwirtschaft zur Erreichung der politisch festgesetzten Klimaziele durch Senkung des CO2-Ausstoßes ist eine besondere Herausforderung für die Landwirtschaftsbetriebe. Dies war auch das Hauptthema auf dem internationalen „Global Forum for Food and Agriculture 2023 (GFFA)“ in Berlin. Einigkeit besteht über die Notwendigkeit der Reduzierung der Treibhausgase und der Einsparung von Ressourcen auch in der Landwirtschaft. Umstritten ist, inwieweit die Transformation auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen umsetzbar ist. Die Bauernverbände bemängeln die Vielzahl wenig transparenter politischer Auflagen und die zu bürokratischen staatlichen Fördermaßnahmen. Die „Grüne Transformation“ bietet aber auch Chancen für die Agrarwirtschaft, die zur Erzeugung erneuerbarer Energien durch Biomasse beitragen und technologische Innovationen wie die Wasserstofftechnologie und Digitalisierung zur Effizienzsteigerung nutzen kann.

“Global Forum for Food and Agriculture 2023” in Berlin

Das internationale „Global Forum for Food and Agriculture 2023 (GFFA)“ in Berlin diskutierte die „Grüne Transformation“ der Agrarwirtschaft und „A Worldwide Response to Multiple Crises“. Zur Sicherung der Ernährung sollen die Effizienz der Agrarproduktion erhöht und Ressourcen (Flächen, Saatgut, Düngemittel, Pfllanzenschutz, Futtermittel, Bewässerung) eingespart werden. Die Senkung des CO2-Ausstoßes dient dazu, die ambitionierten Klimaziele der Politik auch in der Landwirtschaft zu erreichen.
Auf der zeitgleich tagenden 15. Agrarministerkonferenz vereinbarten die Teilnehmer aus 70 Ländern die Transformation der Ernährungssysteme und die Umsetzung des Rechts auf Nahrung. Das Recht auf Nahrung gehört zu den Zielen der „Sustainable Development Goals 2015“ und der Agenda 2030 „Zero Hunger“ der Vereinten Nationen.

Verschlechterung der globalen Ernährungslage und Anstieg der Weltbevölkerung

Die FAO (Food and Agricultural Organization of the United Nations) verwies auf der Konferenz auf die anhaltende schwierige globale Ernährungslage, die sich infolge des Russland-Ukraine-Kriegs weiter verschlechtert hat. Betroffen sind vor allem Länder in Afrika und Asien, deren Getreideeinfuhren aus den kriegführenden Ländern gestört sind, während auf dem Weltmarkt die Rohstoff- und Energiepreise „explodierten“. Nach Schätzungen der FAO haben über 800 Millionen Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln, zu sauberem Wasser und zu medizinischer Versorgung.
Die wesentliche Ursachen für die unzureichende globale Ernährungslage, die schon vor dem Russland-Ukraine-Krieg bestanden, sind u.a. Dürren als Folge der Klimaerwärmung, die unzureichende und ineffiziente landwirtschaftliche Eigenproduktion, Infrastruktur- und Logistikprobleme in Afrika und Asien und Nahrungsmittelverschwendung in den Industrieländern. Zudem führt die „Bevölkerungsexplosion“ in Afrika und Asien zu kritischen Versorgungsengpässen, wie sie im 19. Jahrhundert vom Ökonomen Robert Malthus befürchtet wurde. Die Weltbevölkerung ist nach Angaben von Statista und Weltbank von ca. 1,5 Mrd. um 1900 auf 8 Mrd. 2022 angestiegen, vor allem in den wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern. Die Agrarwirtschaft ist daher in besonderer Weise gefordert, um die Ernährungslage und die Reduzierung der CO2-Belastung durch Effizienzsteigerungen und Nutzung innovativer Technologien, erneuerbare Energien und Wiederaufforstung zu sichern und zu verbessern.

Herausforderung durch geforderte Verringerung der CO2 Belastung im Agrarsektor

Auf nationaler und europäischer Ebene fordert die Politik von der Landwirtschaft eine schnelle Reduzierung des CO2 Ausstoßes. Der Bauernverband unter Präsident Ruckwied stellt sich nicht grundsätzlich gegen die Transformation, kritisiert aber die hohen Kosten für die Umsetzung der von der Politik geforderten ökologischen Transformation vor allem für die Familienbetriebe.
In der politischen Kontroverse bleiben die tatsächlichen Verursacher der Belastung durch Treibhausgase und damit die Verursacher der Klimaerwärmung außer Acht.
Nach Angaben der Statista und des Weltenergieberichts war China (30,9 %) wie in den Vorjahren der weltweit größte CO2-Emittent, gefolgt von den USA (13,5 %), Indien (7,3 %), Russland (4,7 %), Japan (2,9 %) und dem Iran (2,0 %), siehe Grafik 1.
Da Deutschland „nur“ zu 1,8 % beiträgt, ist der CO2-Anteil der deutschen Landwirtschaft mit nur etwa 7 % am deutschen CO2-Austoß global gesehen äußerst gering.

Herausforderung durch Inflation, Energiepreisexplosion und Kreditverteuerung

Vielfach wird übersehen, dass die wieder wachsende Diskrepanz zwischen Erzeugerpreisen und Produktionskosten sowie die Kreditverteuerungen die Landwirte in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Der aktuelle Bericht der „Allianz Trade“ stellt fest, dass die Handelsketten und die industriellen Veredler die Verbraucherpreise überproportional gegenüber den gestiegenen Energie- und Erzeugerpreisen erhöht haben. Der Agrarhandel und die Nahrungsmittelindustrie nutzen die infolge der Ukrainekrise eingetretene Verteuerung und Verknappung von Energie und Getreide zur Anhebung der Verbraucherpreise und zur Erhöhung der eigenen Profitabilität. Die Agrarbetriebe stecken in einer Erzeugerpreis-Kosten-Schere.

Digitale Transformation ermöglicht Effizienzsteigerung in der Landwirtschaft

Ein innovativer Schlüssel der Effizienzsteigerung und CO2 Senkung in der Landwirtschaft ist die Digitalisierung. Digitale Technologien bei Landwirtschaftsmaschinen, Programme der Künstlichen Intelligenz, der Einsatz von Drohnen und der Ausbau von Internettechnologien erlauben „Precision Farming“. Verringert wird der Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, Saatgut und von Bewässerung. Optimiert wird die laufende Beobachtung des Pflanzenwachstums, ein präziserer und autonomer Einsatz von Maschinen und Traktoren. Die Agrarbetriebe haben den technischen Vorteil der Digitalisierung durchaus erkannt. Sie bemängeln aber den fehlenden Ausbau der digitalen Infrastruktur im ländlichen Raum.

Chance für die Agrarwirtschaft durch Erzeugung „Grüner Energie“

Die Landwirtschaft könnte auch nach Ansicht der Bauernverbände vom Preisanstieg bei fossilen Energien und der politisch gewollten Transformation zu erneuerbaren Energien profitieren. Die Chancen bestehen in der Bereitstellung stillgelegter Flächen für Windkraft- und Fotovoltaik-Anlagen und in der Nutzung von Bio-Masse für Bio-Gas und Bio-Kraftstoffe. Vor allem Bio-Masse kann in Bio-Kraftwerken zur „grünen“ Stromversorgung und zur Erzeugung von „grüner“ Fernwärme genutzt werden. Die Ressource Bio-Masse, die mit der Taxonomie und dem „Green Deal“ der EU konform ist, kann auch einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Speicherproblems von volatilen Windkraft- und Fotovoltaik-Anlagen leisten.
Die Herausforderung der Transformation ist groß, da erneuerbare Energien für eine sichere und preisgünstige Energieversorgung aktuell noch nicht ausreichen. Nach Angaben der AG Energiebilanzen trugen erneuerbare Energien 2022 nur zu etwa 15 % zum Primärenergieverbrauch in Deutschland bei. Der Anteil von Bio-Masse beträgt nur 9 %, eine Chance für die Landwirtschaft. Die größten Beiträge zum Primärenergieverbrauch leisteten nach wie vor fossile Energieträger wie Mineralöl (32 %) und Erdgas (27 %).
Weltweit liegt der Anteil fossiler Energien sogar bei 80 %, siehe Grafik 2.

Nutzung technischer Innovationen und der Wasserstofftechnologie
Der weltweit erste „100%-Methan Powered Tractor“ auf der IGW Berlin. Foto: Immo H. Wernicke

Die Nutzung von technischen Innovationen, die mit der Taxonomie und dem „Green Deal“ der EU konform sind, ist eine weitere Chance für die Agrarwirtschaft zur Steigerung der Effizienz in der Produktion. Hierzu gehören Landwirtschaftsmaschinen (Traktoren), die mit treibhausarmen (CO2) und treibhausfreien Verbrennungsmotoren ausgestattet sind und mit Ethanol, Methan, Biodiesel oder auch mit Wasserstoff oder E-Fuels betrieben werden können. Natürliche landwirtschaftliche Ressourcen sind u.a. Raps, Rapsöl und Altfette für Bio-Diesel-Kraftstoff und Zuckerrüben für Bio-Ethanol, die nach technischer Anpassung in Otto- und Dieselmotoren verwendbar sind, siehe Fotos oben und links.

Die Wasserstofftechnologie und Digitalisierung waren die wichtigen Themen auf der weltgrößten Industriemesse in Hannover im April 2023. Diese technologischen Innovationen sind auch Zukunftschancen für die Agrarwirtschaft, die zur Wasserstoffherstellung mit Bio-Masse zur Biogasaufbereitung beitragen kann. „Grünen Wasserstoff“ kann die Landwirtschaft auch mittelbar durch Flächenbereitstellung für Windräder und Fotovoltaik erzeugen.
Mit „grünem“ Wasserstoff betriebene Verbrennungsmotoren als zukünftige Antriebsarten können in der Landwirtschaft für Nutzfahrzeuge wie Traktoren und Mähdrescher eingesetzt werden.
Diese zumindest an Treibhausgasen arme Motorentechnik ermöglicht nach Ansicht von Fachleuten die Weiterführung der traditionellen Motorentechnologie mit geringfügigen Anpassungen.

Fazit

Die „Grüne Transformation“ ist eine große Herausforderung für die Agrarwirtschaft. Vor dem Kontext der wachsenden Preis-Kosten-Schere und den geforderten Flächen- und Ressourceneinsparungen muss die Ernährung in Europa gesichert werden. Innovative Technologien wie die Wasserstofftechnologie und Digitalisierung bieten der Agrarwirtschaft Chancen zu Effizienzsteigerungen und zur profitablen Erzeugung erneuerbarer Energien durch Bio-Masse und durch Flächenbereitstellung für Windräder und Fotovoltaik.

Weitere Infos unter:
https://www.bmel.de
www.hannovermesse.de
www.siemens.com
www.bauernverband.de
www.situationsbericht.de

 

Wenn die Mutter fast Gott ist

Titel, Foto: DAP

Die italienische Erstausgabe des Romans „La Madre“ von Grazia Deledda erschien 1920. Genau 95 Jahre später erregte eine Studie aus Israel internationale Aufmerksamkeit, mit dem Begriff #regrettingmotherhood wurde ein Tabu thematisiert: Was, wenn Frauen es bereuen, Mutter geworden zu sein? Eine Entscheidung, die unumkehrbar ist. Eine Diskussion, die das überhöhte und idealisierte Mutterbild ins Wanken brachte. 2022 legte nun der Input-Verlag eine von Ulrike Lemke neu übersetzte Auflage von „Die Mutter“ vor.

 

Zwischen Liebe und Zölibat

Der junge Priester Paolo, von seiner Mutter bis zu deren Selbstaufgabe unterstützt, lebt in einem kleinen italienischen Dorf mit der Mutter unter einem Dach. Ihrer beider Leben läuft in festen Bahnen, die Dorfbewohner schätzen sie. Doch dann verliebt Paolo sich in eine junge Witwe und findet sich im Spannungsdreieck zwischen dieser Liebe, seinem Gelübde und den Ansprüchen seiner Mutter wieder. Denn sie hat ihr Leben nicht aufgegeben, damit er sich nun in Schimpf und Schande in eine Liebe stürzt und sein Priesteramt verliert. Man könnte glauben, dass Paolo hier die Hauptperson ist, aber das Buch trägt den Titel „Die Mutter“ nicht umsonst. Eine Mutter, die aus dem kleinen sardinischen Dorf einst wegzog, um als Dienstmagd ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihrem Sohn die Ausbildung zum Priester zu ermöglichen. Später, zurück in ebenjenem Dorf, nun mit dem erwachsenen Sohn als Priester, lebt sie nur aus dem Stolz auf ihn und der Anerkennung der Dorfbewohner, dem Status als Mutter des Priesters, den alle schätzen und achten. Was hätte sie wohl aus ihrem Leben gemacht, wenn sie kinderlos geblieben wäre?

Was bedeutet es, Mutter zu sein?

Ausschnitt, Foto DAP

Diese Mutter ist mir unheimlich. Natürlich geht es auch um Macht, um Kontrolle, die vermeintliche Aufopferung hat ihren Preis, nicht nur für Paolo, wie sich am Ende des Buchs zeigen wird. Dieser schmale Band aus der Reihe „Perlen der Literatur“ wirft elementare Fragen auf, die mir nachgehen. Ist die Aufopferung einer Mutter so selbstverständlich, wie sie auch in unserer Gesellschaft noch vielfach angenommen wird und die einmal pro Jahr mit dem Muttertag mit großem Medienzirkus gefeiert wird? Wie tief stecken wir noch in alten Rollenbildern? Wie ergeht es einer Mutter, die es bereut, Mutter zu sein? Und was bedeutet es für ein Kind, entweder eine aufopfernde oder eine weniger altruistische Mutter zu haben? Für Paolo ist die Mutter eine Instanz, die so mächtig ist, dass sie mit Gott verschmilzt. Er glaubt, dass die Mutter ein Werkzeug Gottes ist, um dem Sohn die göttliche Weisung zu überbringen, wie er sich in dem Dilemma der Liebe zu der Witwe einerseits und seinem Priesteramt andererseits zu entscheiden hat. Wie diese Entscheidung ausfällt, soll hier nicht vorweggenommen werden.

Dieser schmale Band ist einmal mehr ein wunderbares Beispiel dafür, wie aus einer Story mit wenigen Figuren und minimaler Handlung tiefgehende Literatur werden kann. Umso mehr, wenn auch die Erzählsprache – aus dem Italienischen übersetzt von Ulrike Lemke – in ihrer Eloquenz das Thema aufnimmt und die Leserschaft in Bann zieht. Grazia Deledda erhielt für ihr Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Es ist erfreulich, dass sie dem deutschsprachigen Lesepublikum mit der Neuauflage des Titels „Die Mutter“ wieder vorgestellt wird.

Wie alle Bände der Reihe „Perlen der Literatur“ ist auch dieser liebevoll in Leinen mit Prägung gebunden, hat ein eigenes Vorsatzpapier, eine eigene Schrifttype mit einigen kalligraphierten Absätzen und eine mit Kalligraphie versehene Banderole erhalten.

Foto: DAP

Grazia Deledda: Die Mutter (übersetzt von Ulrike Lemke)
Input Verlag, Hamburg 2022
Link zum Verlag: https://input-verlag.de/19-20-die-mutter-meister-floh/

Skurril bis tödlich

In „Dandys, Diebe, Delinquenten“ begeben wir uns mit der Autorin Bettina Müller auf eine Zeitreise durch das kriminelle Berlin der dreißiger Jahre. In einer etwas langatmigen Einleitung schlägt sie den Bogen vom beschaulichen kaiserlichen Berlin bis in die chaotischen Jahre der Weimarer Republik. Die unübersichtlichen Verhältnisse brachten es mit sich, dass ein bunter Haufen von Verbrechern ihrem kriminellen „Metier“ nachgehen konnte. Manche Sumpfblüte gedieh in dem schwülen Klima und brachte die Polizei schier zur Verzweiflung. Aus der Fülle von Vergehen hat die Autorin vierzehn besonders spektakuläre Fälle herausgepickt, die sich seinerzeit im „Chicago“ des Reiches ereigneten. Sie bewegen sich auf einer Skala von skurril bis tödlich.

Ein Mann mit dem klingenden Namen Georges Manolescu, dem man den Ehrentitel „Fürst der Diebe“ ans Revers heftete, eröffnet den Reigen. Unter dem Motto „Mehr Schein als Sein“ trieb er sein Unwesen, wechselte je nach Gusto seine Identität, „befreite“ die Reichen auf seinen Raubzügen von allem Kostbaren, das nicht niet- und nagelfest war, landete im Kittchen und fand schließlich in Menton an der Côte d’Azur seine letzte Ruhestätte. Ein weiterer „Gentleman-Verbrecher“ – sprich Hochstapler – führte jahrelang die Berliner Polizei an der Nase herum. Sein Vorbild war offensichtlich der Hauptmann von Köpenick. Er zwängte sich zwar nicht in eine preußische Uniform, trug dafür aber einen gestutzten Schnurrbart à la Wilhelm Zwo und präsentierte sich stets in feinem Zwirn. Auch einen berüchtigten Juwelendieb hatte das Berliner „Milljöh“ zu bieten, der sich während eines Raubzugs vor der Inhaftierung aus dem Fenster stürzte und sich dabei das Bein brach. Ende der Karriere.

Eine der skurrilsten Erscheinungen jener Verbrecherriege war der Fassadenkletterer Fritz Wald, ein Dandy aus dem Sächsischen, der seinem riskanten Beruf stets in Smoking und Lackschuhen nachging. Man nannte ihn das „Nachtgespenst“, das nicht nur seine Opfer bestahl, sondern auch den in tiefem Schlummer befindlichen Damen des Hauses einen zarten Kuss auf die Lippen drückte, bevor er sich abseilte. Ein gefundenes Fressen für den bekannten Schauspieler und Sänger Kurt Gerron, der – echte Berliner Schnauze – dichtete: „Ick bin dein Nachtgespenst. Ick weck dich, wennde pennst.“

Dieses spannend geschriebene Buch enthält neben völlig unblutigen Vergehen auch grauenvolle Verbrechen. Da ist der Fall eines Polizisten, der sich 1924 vor dem Schwurgericht wegen besonders brutaler Morde an zwei älteren Frauen zu verantworten hatte. Ein Gutachter bescheinigte dem Mörder eine schwere psychische Störung und sorgte dafür, dass er statt unter dem Fallbeil in einer psychiatrischen Anstalt landete. Eine humane Entscheidung. Diese Einstellung änderte sich schlagartig, als wenig später die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Für die waren alle Delinquenten „Ungeziefer“, von denen sehr viele umgehend deportiert wurden.

„Dandys, Diebe, Delinquenten“ von Bettina Müller, erschienen im Elsengold Verlag, 191 Seiten, zum Preis von €22,–, ISBN 978-3-96201-112-3

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Preußischen Allgemeinen Zeitung

 

 

„The Who & The What“ – The New Play at the English Theatre of Hamburg

How dare you write such blasphemous things about the Prophet, Zarina!

How dare a young woman, born into a traditional Muslim family, write a novel about the Prophet Muhammed examining his various marriages and the origin of the “hijab”, the veil, that women have to wear in many Islamic communities? This is the essence of Ayad Akhtar’s provocative play “The Who & The What” that premiered on April 6 on the Mundsburg stage.

Indeed, this Pulitzer Prize winning American author of Pakistani heritage (born 1970), is a critical observer of Islamic customs, traditions and prejudice against Western values which do not seem compatible with the values of any devout Muslim. He does not stop digging deeply into his own heritage as an offspring of a Muslim family living in America.

The setting: The home of the Pakistani Afzal family in Atlanta, Georgia. The family patriarch once immigrated from Pakistan to America without a cent in his pocket and built up a taxi company that made him a rich man. Afzal has every reason to be proud of himself. As a good father he saw to it that both his daughters got a good education.

Don’t worry, everything will be all right

Zarina, Afzal’s free-thinking elder daughter, is not interested in finding a husband although her younger sister Mahwish wants her to get married soon so that she herself can marry her boyfriend. It is an unwritten law in traditional Muslim families that the elder sister has to marry before the younger one can wed her fiancé. Afzal, a devout Muslim, does not agree with Zarina’s independent way of life and urges her to find a “suitable” husband. After her back he signs her up on a Muslim dating website and interviews the candidates in her name. His choice is Eli, a white American, who only recently converted to Islam since he prefers the Islamic faith to the, as he feels, superficial values of Christianity. When Zarina learns about her father’s encroachment, she is furious. However, after talking to Afzal she agrees to meet Eli. Both find out that they have a lot in common. Eli even encourages Zarina to write her novel on the Prophet Muhammed who, as she found out after studying his life, was anything but perfect. Isn’t it time, she asks to relax the rules of the Koran, the Holy Book of Islam, after more than 1,400 years and liberate Muslim women? Why do some Muslim communities insist on women’s wearing a veil and why the hell are they not allowed to determine their own lives? When Afzal reads some chapters of Zarina’s book he is out of his mind and forbids her to have it published. He cannot accept Zarina’s refusal to do so, the more so as Eli supports her in every possible way. He outs himself as a defender of women’s rights. Enough is enough, shouts Afzal and bans Zarina and Eli from his house. The message: Never ever come back.

Let’s go to another place, Zarina

Two years later we meet Afzal and Mahwish in one of Atlanta’s lush green parks. The sun is shining, birds are twittering in the trees, and everything seems to be in perfect order. When Zarina turns up out of the blue, Afzal addresses her mildly and asks her how she is. He obviously is suffering from pangs of conscience and even seems to enjoy Zarina’s presence. After all, he wants her to be happy, although the publication of her book caused him trouble. Most of his drivers quit and one even broke a window in his office. Zarina tells her father that after getting into serious trouble in the Muslim community she and Eli, her husband, will leave Atlanta and settle in Oregon. She is very glad that her book became enormously popular in the United States, encouraging many people, particularly women, to speak out their own opinions without any inhibitions. Afzal is in high spirits when Zarina confesses that she is expecting a child. Isn’t it wonderful that she will soon make him the grandfather of a boy! When he learns that Zarina will give birth to a girl, he seems depressed. Zarina smiles and enjoys her triumph over Afzal, the old macho!

“The Who & The What” reminded a critic of Shakespeare’s “The Taming of the Shrew.” However, in contrast to the play written more than 400 years ago by the “Swan of Stratford”, the disobedient woman in Ayad Akhtar’s comedy does not submit herself to male dominance but insists on her independence as a free human being.

I want you to get married soon, dear sister

While “The Who & The What” has been a great success on German and Austrian stages, played by German speaking actors, stage director Clifford Dean was given the chance to choose actors with a Pakistani background. Karen Johal is convincing in the role of Zarina who – torn between loyalty towards her father on the one hand and her fight for independence on the other – finally decides to go her own way.

Did Ayad Akhtar create the part of family patriarch Afzal for Rohit Gokani? Indeed, this role fits him like a glove. A brilliant performance!

Also a big hand for Noor Sobka as Zarina’s little sister Mahwish and Adam Collier in the part of Eli.

The American press was full of praise after the premiere of “The Who & The What.” Mike Fisher of the Sunday Journal Sentinel described the play as “funny and moving,” and the critic of the Chicago Tribune found it “gutsy and very admirable… Not a script to miss.” Charles Isherwood of The New York Times even compared the play with a “fiery flavored stew, a mixture composed of matters of faith and family, gender and culture.” Bon appétit!

About the author

Ayad Akhtar is a screenwriter, playwright, actor and novelist. His plays include “The Who & The What”, “American Dervish”, “The War Within”, and “Disgraced” which was the recipient of the 2013 Pulitzer Prize for Drama.

Last performance of “The Who & The What” on June 3, 2023. Tickets under phone number 040 – 227 70 89 or online under www.einglishtheatre,de

The ETH will be on holiday until September. We will be back here as soon as we know more about the new premiere.

Dear reader, you will also be informed about the ETH’s Summer Festival that includes “Sinatra – The Voice.”

Photos: Stefan Kock

„The Who & The What“ – das neue Stück am English Theatre of Hamburg

Wie kannst du so etwas über den Propheten schreiben, Zarina?

Dieses Stück des mit dem begehrten Pulitzerpreis ausgezeichneten pakistanisch-amerikanischen Autors Ayad Akhtar ist eine veritable Herausforderung für jeden „Theatermacher.“ Kein Wunder, dass die Mundsburger Bühne unter der bewährten Regie von Clifford Dean sich dieses Stoffs angenommen hat. Allein der Titel „The Who & The What“ – zu Deutsch “Das Wer & Das Was“- wirft Fragen auf. Worum geht es in diesem als Tragikomödie konzipierten Stück, in dem das Publikum sich einem Wechselbad widersprüchlichster Emotionen ausgesetzt sieht?

Ich möchte, dass du bald heiratest, liebe Schwester

Auf den ersten Blick scheint alles in bester Ordnung im Heim der pakistanisch-amerikanischen Familie Afzal, die seit langem in Atlanta, der Metropole im tiefen Süden der Vereinigten Staaten, lebt. Doch der Schein trügt. Der Vater der beiden Schwestern Zarina und Mahwish wünscht, dass seine ältere Tochter endlich heiratet, damit Mahwish, die Jüngere, ihrem Jugendfreund das Ja-Wort geben kann. Doch Zarina, die emanzipierte Hochschulabsolventin, weigert sich standhaft, dem Willen ihres Erzeugers nachzugeben. In einer guten muslimischen Familie ist es Tradition, dass die jüngere Schwester erst heiraten kann, wenn die ältere unter der Haube ist. So will es der Brauch. Und daran gibt es für das patriarchalische Familienoberhaupt Afzal nichts zu rütteln. Afzal hat jeden Grund, stolz auf sich und seine Leistung zu sein. Als mittelloser Einwanderer aus Pakistan hat er es dank Fleiß und Ausdauer in einem fremden Land mit völlig anderen Wertvorstellungen mit seinem Taxiunternehmen zu einem vermögenden Mann gebracht. Ergo – er allein bestimmt über das Wohl der Familie. Punkt.

Mach‘ dir keine Sorgen. Das bekommen wir hin

Hinter ihrem Rücken hat Afzal ein Profil von Zarina auf einer muslimischen Ehepartnerbörse erstellt. Er hält es für seine väterliche Pflicht, die Kandidaten auf Herz und Nieren zu überprüfen, bevor sie Zarina kennenlernen dürfen. Eli, ein zum Islam konvertierter Amerikaner, besteht den strengen väterlichen Test. Zarina ist außer sich. Dennoch willigt sie ein, den jungen Mann zu treffen. Sie stellt fest, dass sie vieles mit Eli verbindet. Genau wie sie steht er Glauben und Religion kritisch gegenüber. Er ermuntert Zarina, ihr Buch fertigzustellen, in welchem sie sich mit Leben und Wirken des Propheten Mohammed auseinandersetzt. Was für ein Mensch war er, was trieb ihn an? Müssten nicht viele der vor über 1400 Jahren erlassenen Gebote, die seither das Leben muslemischer Frauen bestimmen, revidiert und den jetzigen Verhältnissen angepasst werden? Ein Tabu für den sich zwar liberal gebenden, aber im Grunde seines Herzens erzkonservativen Afzal, für den der Koran seit eh und je ein in Stein gemeißeltes Gesetzbuch war. Als er Zarinas Manuskript in die Hände bekommt, bricht für ihn eine Welt zusammen. Ein Konflikt eskaliert, der die Familie zu zerreißen droht. Afzal weist Eli, der fest an der Seite Zarinas steht und ihr Vorhaben verteidigt, mit harschen Worten die Tür. Kritik am Propheten ist eine unverzeihliche Blasphemie. Eine Todsünde. Alles, was an die „Sünderin“ Zarina erinnert, wird aus dem Haus verbannt.

Zwei Jahre später treffen wir Afzal und die junge Mahwish in einem Park wieder. Der Patriarch lauscht dem Gesang seines Lieblingsvogels, eines Kentucky Warblers. Wie aus dem Nichts taucht die vom Vater verstoßene Zarina auf. Trotz des Zerwürfnisses ist Afzal heute milde gestimmt. Als Zarina erzählt, dass sie mit Eli, ihrem Mann, nach Oregon übersiedeln will, weil es wegen ihres inzwischen veröffentlichten Buches zu Spannungen in seinem muslimischen Umfeld gekommen ist, erfährt sie, dass auch ihr Vater ihretwegen mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Ein Großteil seiner Taxifahrer hat wegen des Buches gekündigt. Aus Protest wurde sogar ein Fenster seines Hauses eingeworfen. Doch das ist Afzals geringste Sorge. Er hat Zarina verziehen und möchte nur, dass sie glücklich wird. Ja, glücklich sei sie, gesteht Zarina, zumal ihr Buch in weiten Teilen der USA viel Anklang gefunden habe und viele Menschen sich jetzt trauten, ohne Scheu kontroverse Fragen zu stellen. Als Zarina ihrem Vater gesteht, dass sie schwanger ist, zeigt er sich hoch erfreut darüber, bald Großvater eines Jungen zu werden. Doch auf die anfängliche Freude folgt Ernüchterung. „ Es ist ein Mädchen,“ triumphiert Zarina. Dass selbstbestimmte Frauen auch immer das letzte Wort haben müssen! Der Vorhang fällt unter dem begeisterten Applaus der Zuschauer.

Wir werden von hier fortgehen, Zarina

Nach einer Reihe dramatischer Szenen setzt die Regie urkomische Akzente. Wer kommt schon auf die Idee, einer hochgebildeten Muslima wie Zarina zu verbieten, Geld in die Hand zu nehmen. Laut dem bekennenden Macho Afzal geziemt sich dies für Frauen nicht, denn – Zitat – „Geldangelegenheiten sind nun einmal Männersache.“ Und das im 21. Jahrhundert. Muslimische Lebensart in allen Ehren. Aber auch hier gibt es Grenzen. Kann es sein, dass Autor Ayad Akhtar, dem der Schalk aus den Augen blitzt, sich nur einen kleinen Scherz erlaubt hat, um das Publikum zu provozieren? In diesem Stück bleibt so manche Frage unbeantwortet…

„The Who & The What“ dürfte bei vielen in ihren Traditionen tief verwurzelten muslimischen Menschen eingeschlagen haben wie eine Bombe. Wie kann eine junge Frau wie Zarina sich nur dem allmächtigen Vater widersetzen und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen? Karen Johal, der britischen Schauspielerin mit pakistanischen Wurzeln, gelingt es meisterhaft, Zarinas innere Zerrissenheit zwischen familiärer Loyalität gegenüber ihrem Vater und selbstbestimmter Lebensplanung herauszuarbeiten.

Rohit Gokani als schlitzohriger Patriarch, ist eine ebenso tragische wie komische Figur, die seine durch Zarina angegriffene Autorität mit hilflosen Aktionen in den Griff zu bekommen sucht. 10 Punkte von 10 für diese grandiose Darstellung.

Der zum Islam konvertierte Eli ( Adam Collier) wächst im Laufe des Stückes weit über seine Rolle als etwas unglaubwürdiger Konvertit in die Rolle eines gestandenen Verteidigers individueller Freiheiten und Frauenrechte hinaus.

Auch Mahwish, die Jüngste im Bunde (Noor Sobka), zeigt eine reife schauspielerische Leistung in diesem konfliktreichen Spiel. Fazit: Ein perfekt miteinander harmonierendes Ensemble, dessen Spielfreude mit viel Beifall bedacht wurde.

Der Autor Ayad Akhtar, Jahrgang 1970, wurde als Sohn pakistanischer Eltern in den USA geboren. Er ist vielseitig begabt und wirkt als Bühnen- und Fernsehautor, Schauspieler und Romancier. Seine berühmtesten Bühnenwerke sind „The War Within“, „American Dervish“, „Disgraced“ und „The Who & The What”.

 

“The Who & The What” läuft bis einschließlich 3. Juni 2023. Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de

Nach den Theaterferien im September melden wir uns wieder und informieren über das neue Stück auf dem Spielplan.

Über das Summer Festival des English Theatre erfahren unsere Leser in Kürze mehr an dieser Stelle.

Fotos: Stefan Kock