Von Hans-Peter Kurr
Hamburger Sommertheater : Der Beitrag des „Sprechwerks“
Innerhalb des Fächers, den Hamburger Theaterleute als „Sommertheater “ aufgezeigt haben, entfaltete sich jetzt d i e künstlerische Sensation in einer stillen Ecke der Hansestadt , die im übrigen weitgehend vom Lärm der Großveranstaltungen wie blau erleuchteter Hafen oder wahnwitzige Radrennen bei 40-Grad-Temperaturen beherrscht wird:
Im „Sprechwerk“ spielt der große Joachim Bliese das Monodram „Der Bau“, ein Lebenszeit-End-Werk des genialen Franz Kafka in der Fassung von Jürg Amann, der vor Jahren als dessen Dramaturg die Buckwitz-Aera am Schauspielhaus Zürich mitgestaltete.
Als hätte der bekannte und viel beschäftigte Schauspieler Bliese noch nicht genug zu tun, realisierte er an der Klaus-Groth-Strasse -bei der B-Premiere leider nur vor sieben zahlenden Zuschauern – den lange gehegten Plan, diese Uraufführung in Hamburg zu präsentieren. Und es gelang eine seltene Kombination: Auf Empfehlung des Ohnsorg-Oberspielleiters Frank Grupe bot er das Stück der Direktion des Sprechwerks an und stieß dabei auf offene Ohren beim Direktor Andreas Lübbers und dessen Vize, der intelligenten Regisseurin Konstanze Ullmer, die denn auch, zumal als Blieses ehemalige Schülerin, begeistert die Inszenierung übernahm.
Gingest Du über eine Ebene“, schreibt Kafka in den „Zürauer Aphorismen“, „hättest den guten Willen, zu gehen und machtest doch Rückschritte, dann wäre es eine verzweifelte Sache: da Du aber einen steilen Anhang hinaufkletterst, so steil etwa, wie Du selbst von unten gesehen bist, können die Rückschritte auch nur durch die Bodenbeschaffenheit verursacht sein, und Du mußt nicht verzweifeln!“
In einer diesem Traum analogen Situation befindet sich der vom Autor offenbar weitgehend autobiographisch gemeinte Architekt des „Baus“ ,ein Zauderer par excellence und ein merkwürdiges Wesen zwischen Tier und Mensch, das sich zum Schutz gegen jedwede Feindseligkeit eine unterirdische Höhlenanlage errichtet hat , die es bei Bedarf durch eine moosbepflanzte Erdklappe verlassen kann, um aber sofort die dringende Sehnsucht zu verspüren, wieder zurückzukehren in jenen Bau, in dem es tagelang schlafen, sich von rohem ,blutigen Fleisch ernähren und alle übrigen Bedürfnisse – außer denen des Schutzes ( wovor auch immer?) – negieren kann.
Kafkas unvollendet gebliebenes Werk „Der Bau“, von dessen Freund und Testamentsverweser Max Brod posthum herausgegeben, hat der Bearbeiter Jürg Amann, aufgrund seiner reichen Kenntnis schauspielerischer Bedürfnisse und Notwendigkeiten, in eine Form gebracht, „die sich sprechen und spielen läßt“. Und Bliese tut das, im Rahmen der ihn sorgfältig unterstützenden Regie Konstanze Ullmers, mit Leidenschaft, Energie, Ausdauer und offensichtlich im Verlauf des Abends wachsender Freude daran. Sein Gestus, den er speziell für diese Figur entwickelt hat ( und der häufig an Kafkas eigene Zeichnungen seines ‚Hungerkünstlers’ erinnert!) kann nur exemplarisch genannt werden; sein scheinbar unbegrenztes – von metallisch bis lyrisch reichendes – Stimmvolumen macht das neunzigminütige Zuhören zu einem reinen ästhetischen und intellektuellen Vergnügen .
Und plötzlich geschieht das Wunder, dessen Erhellung nur einem großen Schauspieler gelingen kann: Der auf den ersten Blick oder bei der Erstlektüre absurd erscheinende Text wird transparent und überdeutlich klar. Er erleuchtet unnachsichtig Kafkas, bereits zwei Jahre vor der Entstehung dieses Werkes verfaßte Tagebuchnotiz von 1921:
„ Unentrinnbare Verpflichtung zur Selbstbeobachtung: Werde ich von jemandem andern beobachtet, muß ich mich natürlich auch beobachten, werde ich von niemandem sonst beobachtet, muß ich mich umso genauer beobachten.“
Ein küntlerisch sensationeller Abend im Sprechwerk. Mehr ist nicht hinzuzufügen.
Foto: Hamburger Sprechwerk
Die nächsten Vorstellungen ( Immer um 20.00 Uhr) werden stattfinden am 22. und 23. August, am 11., 12. und 13. September.