Traum in der Puszta

Von Dr. László Kova
Vorgeschichte: Entstehungsgeschichte eines farbenfrohen Bilderzyklus, der auf Realität beruht und poetischen Träumen entsprungen ist: Eines Abends, als ich meinen Kindern, dem dreijährigen David und der siebenjährigen Amanda, wieder einmal ein Märchen erzählen sollte, fiel mir nichts Neues ein. Nach langer Überlegung erzählt ich dann doch eines, eines, das doch keines war, sondern eine wahre Geschichte.

Jener Sommer, der war warm und trocken, so, wie es sich ein Städter wünscht. Der Motor des Autos summte leise und gleichmäßig, bloß einige Schlaglöcher der Straße gaben ab und zu einen unangenehm tiefen Ton.
Die Pußta (Hortobágy) war ruhig, für den Abendwind war es noch zu früh, den trockenen Staub der Wiesen und Felder aufzuwirbeln. Die Sonne näherte sich langsam dem Horizont, als wäre sie da oben gern noch ein bisschen länger geblieben, um die Schönheit der Pußta vorm Schlafengehen noch einmal bewundern zu können. Die Vögel flogen mit schwerem Magen am Himmel, den Tag lobend, der sie wieder satt gefüttert hatte. Durstig waren sie und suchten die Richtung zu dem schmalen Fluss, namens Hortobágy.
Die berühmte Neun-Bögen-Brücke

Übrigens, so heißt hier auch die Gegend, und auch das Dorf: Hortobágy. Trotzdem weiß jeder, was gemeint ist, die Pußta, oder der Fluss, oder das Dorf da, an der Steinbrücke mit den charakteristischen neun Bögen über dem Fluss, der nach einem Gewitter sehr-sehr breit ist, aber während der Trockenheit schmal wie der Riemen an der Hirtenpeitsche.

Die Menschen reden hier wenig, aber sie verstehen viel. Sie kennen hier alles: die karge Gegend und deren Pflanzen und Tiere, und sie wissen schon heute, wie morgen das Wetter wird. Auf Auto können die Menschen auch hier nicht verzichten. An jedem Haus, das mit dem Reet der Gegend stilvoll gedeckt ist, steht eines. Aber lieben können die Pußtamenschen trotz der Autos nur die Pferde, die sie bei Wind und Wetter, bei knochenhartem Boden oder bei matschigem Schlamm immer und sicher nach Hause bringen.

So reitet man in der Pußta

Und was sie füreinander bedeuten, kann man jeden Sommer bei den Festspielen der Hirten sehen, da zeigen sie ihre Kunst, die hohe Kunst des Reitens: Tier und Mensch scheinen zusammengewachsen, ohne einander passiert nichts. So ist es, so war es, und man wünscht sich, dass es noch lange so bleibt. Ein Pußtahirt ohne Hund, ohne seinen Kuvasz oder Puli, wäre wie ein Maler ohne Pinsel: unvorstellbar. Der Herr der Pußta aber ist der Hirt. Er ist der Herr der Pferde, der Herr der Schafe und der Rinder. Habt ihr schon die Ur-Rinder gesehen, die auch im harten, dick verschneiten Winter draußen frei herumlaufen, wie in den alten Zeiten der Landnahme der Magyaren? Diese großgewachsenen, stolzen, kraftvollen Tiere mit ihren langen, weit außeinanderstehenden Hörnern sind biologische Zeugen der Zeit, die für die Zucht das Ursprüngliche bis heute bewahrt haben.
Die Ur-Rinder: Bullenkampf

Ein herrliches Stimmungsbild ist die Abenddämmerung in der weitausgedehntesten Heide Europas, wenn die Tiere zu den sich irgendwo am Horizont befindlichen Ziehbrunnen ziehen. Sie kommen dann an den Lehmhütten der Hirten vorbei, oder an den mit Kalk geweißten Lehmhäusern der wenigen Pußtabewohner. Die Pußta lebt und wird von Zugvögeln -den Wildenten, den Wildgänsen und Kranichen- aus fernen Gebieten jährlich nach den geheimnisvollen Gesetzen der Natur aufgesucht. Hier auf den Wiesen, den Sandhügeln und Teichen rasten sie und nehmen Nahrung auf für den langen-langen Flugweg von Nord nach Süd, von Süd nach Nord. Die Uhr der Zeit tickt hier im Stillen, begleitet von den Lobliedern der Vögel. Und über den Vögeln ist der Himmel, und noch weiter oben die Sonne, und unten die Erde. Im Sommer ist der Himmel wolkenlos: blau, hellblau, azurblau, von der qualvoll brennenden Sonne. Infolge der Hitze trocknet alles aus: die Flüsse, die Teiche, die Pfützen, die Pflanzen… Im ofenheißen Staub könnte man sogar den Sonntagskuchen backen. Über der Erde in der Ferne vibriert die Luft, zaubert weitliegende Landschaften aus der Pußtagegend als malerische Täuschung her: Fata Morgana, oder Fee des Südens, délibáb – wie der Magyare sagt. An jenem Tag hatte sich die Sonne schon ausgetobt. Der Städter lag im trockenen Gras am Wegrand unter einem Baum. Sein Auto hatte er im Schatten abgestellt: Man schützt seinen Helfer. Da er durstig war, trank er aus einem tiefen Brunnen kühles Wasser und war danach vor Müdigkeit eingeschlafen. Als er wach wurde, war es fast dunkel. Träge guckte er umher und hörte nur die Tiere grasen. Zwischen den Rindern entdeckte er die Silhouette des Hirten, wie er da -auf seinen Stock gestützt- reglos stand, als hätte er von der rasenden Zeit des Lebens nie gehört.

Der Pußtahirt            und               die Graskönigin

Dieserer Anblick war so fesselnd, dass der Städter -übrigens von Beruf ein Maler- bei diesem Hirten und seiner Braut da in der Pußta blieb, ungeplant: Tage und Wochen. Eine winzige Hütte bewohnte, den Hirten, dessen Braut und seine Pußtaträume immer wieder wie besessen malte: Bild auf Bild, fast ohne Schlaf. Seine Farben waren klar und leuchtend: Das Gelb mischte er dem trockenen Gras bei, das Rot der glühenden Sonne, das Blau dem Brunnenwasser und das Schwarz der Nacht. Und so entstanden die ersten Bilder seines Zyklus „Träume in der Pußta“. Und er malt an seinem Traum noch immer, immer wieder, fast ohne Schlaf. Ja, Kinder, so war es, so ist es, echt, ihr könnt es mir glauben. Und seht, hier sind einige Bilder von ihm, dem Maler. Wenn ihr euch sattgesehen habt, sollt ihr schlafen, und ich verspreche euch, das nächste Jahr, wenn die Sonne wieder heiß glüht, werde ich mit euch dorthin fahren, damit ihr das Wunder selber seht, das den Maler für sein ganzes Leben verzauberte. No, Kinder! Es ist recht spät geworden. Gute Nacht! Und, husch zu Bett!

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