Wie kommt die Ginsengwurzel in die Lüneburger Heide?

Von Uta Buhr
Ein Scherz? Mitten in der Lüneburger Heide soll es eine Ginseng-Farm geben, wo die mystische Wurzel aus Fernost kultiviert wird! Neugierig geworden, machen wir uns nach Bockhorn auf, einem etwas verschlafenen 260-Seelen-Dorf in der Nähe von Walsrode. Unser Weg führt durch Wälder, vorbei an Wiesen und Knicks. Ein kleiner Schlenker, und vor uns liegt ein schmuckes niedersächsisisches Fachwerkhaus, Zentrum und Empfangsbereich der FloraFarm. Rechts vom Eingang ein riesiger quittegelber Plastik-Ginseng. „Das Ding sieht aus wie eine Alraune-Wurzel“, finden wir. „Die ist noch menschenähnlicher als unser Ginseng“, werden wir freundlich von einem jungen Mann in Arbeitskleidung belehrt, der uns in den hinteren Teil des Geländes führt.

Und da liegen sie, die wohl behüteten, mit perforierten Folien überdachten Beete mit den grünen Blattpflanzen, die aus der Ferne ein wenig an Tabak erinnern. Auf den ersten Blick wirklich nichts Besonderes. Bis Gesine Wischmann, die Farm-Chefin, auf den Plan tritt und einen faszinierenden Vortrag über die magische Wurzel hält. Bei diesen Gewächsen handelt es sich um korea- nischen Ginseng, den qualitativ besten seiner Art. Im Reich der Mitte einst von den chinesischen Kaisern mit Gold aufgewogen. Man sprach – und tut das in Asien auch heute noch – dem Ginseng übernatürliche Kräfte zu, allem voran die Stärkung der Manneskraft. Die Botanik betrachtet die Wurzel etwas nüchterner: Ginseng (chinesisch für Menschenwurzel) ist die Bezeichnung für zwei Araliengewächse, aus deren rübenförmigem Wurzelstock ein allgemein anre- gendes Mittel gewonnen wird – Panax ginseng (panax griechisch gleich Allheilmittel), eine bis 50 cm hohe Staude, die wild nur noch selten in der Mandschurai und in Korea vorkommt, mit gefingerten Blättern und grünweißen Blüten. „Die echte Ginsengwurzel der ersten Art ist seit etwa 2000 Jahren in Ostasien ein geschätztes Allheilmittel, dessen Anwendung mit mystischen Vorstellungen verbunden ist“, heißt es in einer wissenschaftlichen Abhandlung.

Soweit so gut. Aber wie kommt nun diese wertvolle Pflanze, auf deren Ausfuhr in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Korea noch die Todesstrafe stand, in die Lüneburger Heide, die wir eher mit der Aufzucht von Heidschnucken in Verbindung bringen? Auf Grund eines Zeitungsartikels über Ginseng fasste der Landwirt Heinrich Wischmann in den achtziger Jahren den Entschluss, einen Versuch auf seinem 560 Jahre alten Heidjerhof mit der exotischen Pflanze zu starten. Die Zeichen für Bauern standen schon damals wegen der europäischen Überproduktion denkbar schlecht. Wer Köpfchen hatte, dachte über Alternativen nach. Heinrich Wischmann buchte einen Flug nach Südkorea und hatte nach seiner Rückkehr auf den „Helkenhof“ ein paar der kostbaren Samenkörner im Gepäck. Und mit diesem Kapital begann die unaufhaltsame Erfolgsgeschichte der FloraFarm in Bockhorn, die sich inzwischen zu einem Wirtschaftsbetrieb mit eigenem Pharmaunternehmen entwickelt hat. Vor diesen Erfolg hatten die Götter allerdings den Schweiß gesetzt, betont Gesine Wischmann. Die Ginsengpflanze wächst sechs Jahre, bevor sie geerntet werden kann. Die Wurzeln können im übrigen bis zu sechzig Jahre alt werden. Arbeitsintensiv und kostspielig ist der Anbau von Ginseng. Die Wurzel benötigt trockenen, an Humus reichen Boden, der zudem nicht gedüngt werden darf, wenn die Pflanze ihre Wirkstoffe voll entfalten soll. Auch Sonne mag diese Schattenpflanze gar nicht gern. Da hat Nord- deutschland, dieses eher kühle und von der Sonne nicht gerade verwöhnte Gebiet, einen echten Standortvorteil! Bei den Wischmanns werden im Gegensatz zu Fernost keinerlei Pestizide eingesetzt, und die Pflege des Ginseng wird ausschließlich von Hand betrieben. Der Boden braucht nach der Ernte eine Erholungspause von dreißig Jahren, ehe man an eine weitere Ginseng-Aussaat denken kann.

Da stellt sich gleich die Frage nach dem Preis des Produkts. Was bei Aldi für Euro 9,95 zu haben ist, kann in der Qualität wohl kaum mit dem Erzeugnis der Wischmannschen FloraFarm verglichen werden. Hier kostet eine Packung mit 50 Kapseln Euro 40,–, die empfehlenswerte 200-Kurpackung Euro 135,–. „Zwei Kapseln täglich, am besten nach dem Frühstück mit viel Wasser“, lautet die Empfehlung am Verkaufsstand im gemütlichen Café der Farm. Und auch nicht erwarten, dass sich die Wirkung schon nach drei Tagen einstellt. Wie gut einem die Kur tut, merkt man erst nach mehreren Wochen. Also etwas Geduld, bis das Gedächtnis wieder optimal funktioniert, der Blutdruck sinkt und die Abwehrkräfte sowohl gegen mancherlei Zipperlein als auch ernsthafte Infektionen gestärkt werden. Denn die Wirksamkeit des Ginseng auf diesen Gebieten ist inzwischen medizinisch erwiesen. Die Stoffe, welche hierfür verantwortlich zeichnen, heißen Ginsenoside, Saponine, Glykoside und Phytosterine. Exotische Ingredienzien, wie sie in dieser Zusammensetzung in keiner anderen Pflanze enthalten sind. Geschichten über Wunderheilungen durch Ginseng sind Legion. Aber die nachfolgende entspricht der Wahrheit: Ein älterer Mann mit Wasser in den Beinen verlor nach ganz kurzer Zeit 12 Liter und erfreut sich jetzt wieder sportlich strammer Waden. Während wir gespannt den Worten der begabten PR-Dame Gesine Wischmann lauschen, huscht ein jugendlich wirkender Mann mit schlohweißem Haar- schopf vorbei. „Mein Vater“, sagt die Enddreißigerin lächelnd. Eine bessere Werbung für das hauseigene Produkt kann sich ein Unternehmen nicht wünschen.

Nach der Besichtigung der Anbauflächen, einem Besuch im Café und einer Runde Golf auf dem „Gowfplatz“ (so die schottische Schreibweise für Golf, der Heimat dieser feinen Sportart), sind wir um mindestens zwei Erkenntnisse reicher: Ginseng hält jung und fit, und der Mut, Außergewöhnliches zu versuchen, führt in unserem von wirtschaftlichen Krisen geschüttelten Land nach wie vor zu materiellem Erfolg. 6,5 Hektar „zweckentfremdeter“ norddeutscher Erde beweisen das.

Anschrift: FloraFarm – Der Ginsengspezialist
Bockhorn 1
29664 Walsrode
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