„Don Carlos“ kehrte -im Thalia- nach Hamburg zurück
Text: Hans-Peter Kurr Foto: Pressestelle des Thalia-Theaters
Jette Steckel ist eine “ Ver-rückte“, will sagen: Eine Regisseurin jenseits der Norm, immer non-konformistisch, zuweilen ab-norm (, um im Wortspiel zu bleiben:), Tochter eines gleichermassen ver-rückten Vaters eben, der bereits Ende der sechsziger Jahre an den Unruhen im Deutschen Schauspielhaus, sagen wir, nicht ganz unbeteiligt war und seitdem zu den „enfants terribles“ des Sprechtheaters zählt.
Jette Steckel ist aber auch eine Abenteurerin, die Theatertraditionen nicht besonders ernst nimmt, sondern lieber ungewöhnliche ( manchmal durchaus neue) Darstellungsformen erfindet. Ihr „Woyzzek“-Ensemble etwa klettert während des gesamten Aufführungsabends, getragen von Gerd Besslers wundervollen Kompositionen, in die Wanten, das heisst: Es verlässt den tradionellen (Bühnen-)Boden unter den Füssen und spielt die gesamte Büchner-Tragödie in einem riesigen Netz. Eine phantastische Idee, die restlos aufgeht. Oder: Don Carlos‘ Freund, der Marquis Posa, der sich ja , eingestandermassen ,vom höfischen Establishment König Philipps II. abgesondert hat, lässt sie , schnoddrig, mit einer Plastiktüte als Handgepäck auftreten. Das wirkt zunächst abstossend und frech, geht aber auf der Hälfte der vierstündigen Inszenierung, die Steckel zur Eröffnung der diesjähirgen Lessingwochen dem Hamburger Thalia-.Theater schenkte, ebenfalls auf wundersame Weise auf. Weniger wundersam, weil recht phantasielos, die zwei Eröffnungsreden zu dieser Veranstaltungsreihe, einmal die Danksagung des amtierenden Intendanten Joachim Lux, der schon in seiner Zeit als Chefdramaturg am Wiener Burgtheater zu den Vielrednern zählte (….und bis jetzt – offenbar aus Gründen des egomanischen Erfinderstolzes – eine, angebotene, Zusammenarbeit mit der in Hamburg , immerhin seit über zehn Jahren, existierenden „Lessing-Gesellschaft“ nicht zugelassen hat) und dem – offenbar als persönlichen Bildungsnachweis konzipierten – Beitrag des zweiten hamburgischen Bürgermeisters Wersich, der sein, angelesenes, Lessing-Wissen, ohne zu erwähnen, dass „Don Carlos“ in Hamburg ehedem seine Ur-aufführrung erlebte, so ausdauernd präsentierte, dass Pater Domingo, der ja – zumindest verbal – den Abend -nach Schillers Willen – mit den berühmten „Aranjuez“-Text eröffnet, zweimal durch die Tür des „Eisernen Vorhangs“ schauen musste, um ihn zu stoppen! (In – bei Premieren unter besonderem Druck stehenden – Schauspielerkreisen sagt man, wenn diese erste Aufführung einer Neueinstudierung verspätet beginnt: ‚Da ist gleich die Luft raus‘; das müsste auch Bürgermeister Wersich wissen, der Mitglied einer Theaterfamilie ist!).
Apropos Vorstellungseröffnung: Auch in Bezug darauf galt am Eröffnungsabend nicht Schillers, sondern Steckels Wille: Nicht Domingo spricht als erster seinen Text, sondern der – bis dahin nicht identifizierbare – Carlos-Darsteller hat in der langen Wartezeit, die er , auf der Rampe sitzend , verbringen musste, ein Schild mit dem Text versehen, die „schnöden“ Tage in Aranjuez seien nunmehr vorüber. Die Perlenkette von Steckels ungewöhnlichen Regie-Einfällen liesse sich ad libitum fortsetzen. Deshalb nur noch ein Beispiel: Die Eboli bekennt ihre Liebe zum Infanten durch einen perfekt dargebotenen Flamenco-Tanz so eng eingehüllt in ein rotes Gewand, dass – zumindest der kundige – Zuschauer die Chance hat, die vorzügliche Atemtechnik der Darstellerin zu beobachten,dessen perfider Enge sie sich aber bald entledigt, um ihre Kopulationsbereitschaft anzuzeigen.
Ein, wie gesagt, abenteuerlicher Abend, zu Beginn der Thalia-Lessing-Wochen 2011. Schauspieler-Namen, deren Träger dem – wie immer – vorzüglichen Ensemble dieses „erfolgreichsten deutschen Sprechtheaters“ angehören, werden hier absichtsvoll nicht genannt, da sie ohnehin alle sprechen wie Jette Steckel. Das hat die Regisseurin mit ihrer Generationsgenossin Olga Wildgruber(, der Tochter des verstorbenen grossen ‚Uli‘ ) gemein oder (oh Ehre!) mit dem grossen Fritz Kortner. Honi soit, qui mal y pense!