von Maren Schönfeld (Text und Fotos)
Am 23. Juli begann der 18. Meisterkurs für Liedgestaltung mit einem Eröffnungskonzert im Schloss vor Husum. Feride Büyükdenktas (Mezzosopran) und Ulf Bästlein (Bassbariton) sangen Lieder von Johannes Brahms, Gustav Jenner, Anton Bruckner und Martin Plüddemann, begleitet von den Pianisten Charles Spencer und Hedayet Djeddikar. Susanne Bienwald erzählte vom Netzwerken im 19. Jahrhundert.
Wie hieß er gleich? Plüddemann? Kennen Sie nicht? Keine Angst – die rund 80 Gäste des Konzerts hatten diesen Namen auch noch nicht gehört. Ganz im Gegensatz zu Ulf Bästlein, dem gebürtigen Husumer, in Graz lebend. Er hat sich den unbekannten, vergessenen Komponisten der Liedkunst verschrieben, und sein derzeitiges Projekt heißt Gustav Jenner. Bästlein möchte Jenners Kompositionen mit Konzerten und einer CD zu neuer Aufmerksamkeit verhelfen und teilte bereits in seiner Eröffnungsrede mit, dass er sein Preisgeld aus dem Hans-Momsen-Preis, den er dieses Jahr erhält, komplett in dieses Projekt investieren wird.
Vertonte Balladen und Gedichte
Doch zurück zum Konzertabend. Hier kamen mehrere Komponenten zusammen, aufgrund derer die Darbietung lange nachwirkt. Zunächst gab es die Ballade „Don Messias“ von Ludwig Uhland, gesungen von Ulf Bästlein und am Flügel begleitet von Hedayet Djeddikar. Wann haben Sie zuletzt eine Ballade gelesen, geschweige denn gehört? Das mit Leidenschaft vorgetragene Werk konnte, wie alle vertonten Gedichte, das Publikum im Programmheft mitlesen. Dabei waren sogar die von den Komponisten veränderten Textstellen sorgfältig markiert und ausgewiesen, einmal im Original und einmal in der vorgenommenen Bearbeitung, sodass für die Gäste nachvollziehbar wurde, warum Änderungen vorgenommen worden waren. Lyrik im eigentlichen Wortsinn bedeutet „zur Lyra gesungen“, oder, wie Ulf Bästlein sagte: „Lied ist immer Literatur und Musik.“ Diese enge Verwandtschaft brachten die Künstler den Anwesenden auf leichte und zugleich berührende Weise dar.
Geschichte einer Männerfreundschaft
Nach der Ballade erzählte die Hamburger Autorin Susanne Bienwald den ersten Teil ihrer Geschichte des „literarisch-musikalischen Quartetts“. Der junge Sylter Komponist Gustav Jenner wäre nämlich ohne die tatkräftige Netzwerkarbeit der älteren und schon arrivierten Männer Klaus Groth, Theodor Storm und Johannes Brahms vermutlich nie in den Genuss einer kostspieligen Ausbildung und zur Möglichkeit der Aufführung seiner Werke gekommen. Groth, der bereits von Storm unterstützt wurde, sammelte Geld bei der gut betuchten Gesellschaft und bewegte Brahms dazu, Gustav Jenner als Schüler anzunehmen. Susanne Bienwald versorgte das Publikum mit viel Hintergrundwissen, berührenden Details und Auszügen aus Briefen Jenners, sodass die nach dem ersten Literaturteil präsentierten acht Lieder des Komponisten, mit denen er Gedichte Klaus Groths vertont hatte, mit einem für die besondere Situation und die damalige Zeit geweckten Bewusstsein genossen werden konnten. Diesen musikalischen Teil präsentierten Ulf Bästlein und Charles Spencer, die seit 18 Jahren den Meisterkurs in Husum leiten. Dabei war die Freude über die Möglichkeit, dem Komponisten nun Gehör verschaffen zu können, deutlich spürbar. Im zweiten Teil ihrer Erzählung nahm Susanne Bienwald das Publikum mit in Jenners Wiener Zeit und auf seinen weiteren Werdegang. In der Pause war Zeit für Gedanken über die Parallelen zu heutigen Netzwerken und ihre Auswirkungen – hätte es damals Businessplattformen und soziale Netzwerke gegeben, die Herren hätten sie gewiss genutzt. Storm besprach beispielsweise eine Gedichtsammlung von Klaus Groth etwas knapper als ursprünglich geplant, weil er Groths Werk noch ins Weihnachtsgeschäft einbringen wollte, damit dieser auch tüchtig Bücher verkaufte.
Feride Büyüdentkas sang einfühlsam in Begleitung von Hedayet Djeddikar sodann Lieder von Johannes Brahms, der wiederum Gedichte von Groth, Josef Wenzig und Hans Schmidt vertont hatte. Die junge Mezzosopranistin und der Pianist sind Preisträger des Vorjahres und erfüllten die gute Tradition, dass das Eröffnungskonzert eines Kurses jeweils von den Preisträgern der Vorjahre mitbestritten wird. So wechselten die Künstler im zweiten Teil, die Preisträger schlossen mit Brahms‘ Vertonung „Von ewiger Liebe“ (August Heinrich Hoffmann von Fallersleben).
Vergessene Melodien erklingen
Was für eine Freude, diese klaren und melodischen Lieder zu hören, in denen es um Liebe, Einsamkeit und Natur geht. Was für eine Freude, das Zusammenkommen von Wort und Ton in dieser unprätentiösen und gleichzeitig so berührenden Art und Weise zu erleben. Nun darf man gespannt sein, wann mehr von Jenner zu hören sein wird. Denn bisher existiert keine einzige Aufnahme. Von Martin Plüddemann übrigens auch nicht, obwohl er ein Freund Richard Wagners war. Wie viele hervorragende Komponisten, Dichter und Künstler sind wohl in der Versenkung verschwunden? Das Lied zur Ballade „Don Massias“ von Uhland hat man seit 100 Jahren nicht mehr gehört – bis zu diesem Tag im Schloss vor Husum. Es wäre wunderbar, das Gehörte als Aufnahme erwerben und sich in Ruhe noch einmal anhören zu können. Die Liedkunst verdient Aufmerksamkeit, und es ist ein großes Verdienst von Ulf Bästlein und Charles Spencer, dass sie diese nicht nur ihr, sondern auch heute nahezu unbekannten Komponisten zuteilwerden lassen.
Vielleicht wird es, was Gustav Jenner betrifft, dank Ulf Bästleins Intervention in naher Zukunft möglich werden, eine CD nach Hause zu tragen. Die Zeit bis dahin ließe sich zum Beispiel zum Lesen von Balladen und Gedichten aus dem 19. Jahrhundert nutzen. Darauf einstimmen wird das Abschlusskonzert des Meisterkurses am Sonnabend, den 28. Juli, ab 18 Uhr im Schloss vor Husum.
Karten für das Abschlusskonzert verkaufen die Schlossbuchhandlung (Tel. 04841 89214) und die Abendkasse.