Von Hans-Peter Kurr
Karin Beiers nächste inszenatorische Großtat am Schauspielhaus mit ihrem faszinierenden Ensemble :
„Onkel Wanja“
Zu einem neuerlichen Jubelfest für Schauspiel und Regie an der Kirchenallee wurde der Premierenabend mit Tschechows, häufig genug im Schatten seiner „Möwe“ und seinem „Kirschgarten“ nachgerade verschwindenden , Meisterwerk „Onkel Wanja“ in der sensiblen und sensibilisierenden Inszenierung der Hausherrin am vergangenen Wochenende. Des schon früh – wie seine Brüder – ständig mit dem Tod konfrontierten Dichters ( Er litt an der im 19. Jahrhundert noch unweigerlich zum Lebensende führenden Tuberkulose) Denken zu diesem Thema ist trotz der Problematik jener Menschen,die wissen, daß die Gnade des „Bewusstseins seiner selbst“ (Jaspers) als teuren Kaufpreis das Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit im Gefolge hat,voll des sanften Zaubers poetischer Kraft.
Diesem Zauber nachzuspüren, ihn gar „über die Rampe zu bringen“, dazu bedarf es eines Ensembles hochkarätiger Menschendarsteller, die die Beier selbstverständlich zu Verfügung hat ( nicht zuletzt deshalb, weil sie auf dem besten Wege ist, das Haus an der Hamburger Kirchenallee wieder auf dasjenige Niveau zu heben, das es unter Gründgens und ( einigen) seiner Nachfolger innehatte, sondern im Wesentlichen, weil ihre eigene Menschenführung als Regisseurin weit entfernt ist von allegorischer Lehrhaftigkeit oder karikierender Typenzeichnung. Das beweist diese Inszenatorin seit ihrer grossen Kölner Zeit ständig und setzt dies – äusserst erfolgreich – mit jeder ihrer Inszenierungen am Deutschen Schauspielhaus fort.
Bewundernswert, denn: Die Kraft und die Präzision ihrer Arbeit ist so fordernd, daß es wohl gegenwärtig niemanden – in der bundesrepublikanischen Szene – gibt, der deutlicher in der Lage wäre, den schwebenden Symbolismus dieser grossen russisch-verwurzelten Dichtung geistreicher und straffer zu verdeutlichen vermöchte!
Im Gegensatz zu den übrigen gewichtigen Stücken des Russen wie „Möwe“ , „Kirschgarten“ ,“Drei Schwestern“ oder seinen heiteren Einaktern wie „Der Bär“ oder „Die Hochzeit“ ist der Inhalt dieser verworrenen Familiengeschichte mit ihren wirtschaftlichen und emotionalen Verzweigungen nur schwer wiederzugeben, letztlich überflüssig auch deshalb, weil es sich um allgemeingültige Metaphern menschlicher, notvoller Verhaltensweisen handelt, die in der Regel sämtlich unerfüllbar bleiben , weil sie nur zeigen, wie es dem Menschen auf diesem Schulungsplaneten Erde nicht erlaubt ist,
nach dem Buchstaben des göttlichen Gesetzes zu leben und darin Erfüllung zu finden.
Einzig Sonjas ( Von Lina Beckmann ungemein eindrucksvoll verkörpert !) Bekenntnis dazu, daß wir uns nach dem unvermeidlichen Tod „ alle ausruhen“ können und sie daran glaube, birgt einen Hoffnungsstrahl in sich.Alles andere ist – wie der grosse ehemalige Frankfurter und Züricher Theaterleiter Harry Buckwitz, nachdem er Brecht für sich entdeckt hatte, es , in den sechsziger Jahren des vorigen Jahrhunderts , formluiert hat „eine Moralie mit der Moral, wie der Konsequente am Ende doch inkonsequent werden muß, um weiterexistieren können.“
Das grossartige Ensemble, das Karin Bier kundig um sich geschart hat, besteht ( neben der bereits erwähnten Beckmann) aus Oliver Nägele,Anja Lais,Marlen Dieckhoff, Charly Hübner, Paul Herwig, Yorck Dippe, Alexej Mir und der bewundernswerten alten Dame Juliane Koren in der Rolle der liebevollen Kinderfrau.
Fazit: Bisheriger künstlerischer Höhepunkt der Spielzeit 2014 / 15 an der Kirchenallee.