“Thrill Me!” Das Musical über den ultimativen Kick feierte soeben Premiere im English Theatre of Hamburg

Von Uta Buhr

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Zwei „Übermenschen“ planen den ultimativen Kick

Mit der Umsetzung eines unfassbaren Verbrechens in ein Musical ist dem amerikanischen Autor Stephen Dolginoff ein großer Wurf gelungen. Der New York Observer bringt es mit seinem Ausruf „Ein brillantes, unvergessliches Musical. Schauerlich“, auf den Punkt. Denn die dem Stück zugrunde liegende wahre Begebenheit lässt dem Zuschauer das Blut in den Adern erstarren. Wer mag sich schon vorstellen, dass Menschen aus purer Lust am Töten einen Schuljungen ermorden, um ihn anschließend wie einen Haufen Müll an einem Bahnhang zu „entsorgen.“ Aber genau so spielte sich das sinnlose Verbrechen an dem vierzehnjährigen Schuljungen Bobby Franks im Jahre 1924 mitten in der Millionenstadt Chicago ab.

Und so begann alles. „Thrill me – Die Leopold & Loeb Story“ erzählt die Geschichte von den beiden hochbegabten neunzehnjährigen Jurastudenten Nathan Leopold und Richard Loeb – beides Söhne aus wohlhabenden jüdischen Familien – die das perfekte Verbrechen planen. Nachdem die von Nietzsches „Übermensch“ faszinierten jungen Männer keinen rechten Lustgewinn an aus ihrer Sicht harmlosen Vergehen wie Raub und Brandstiftung mehr ziehen können, denken sie über einen Mord nach, der ihnen nie nachgewiesen werden kann. Richard, der Urheber dieses perfiden Plans, macht den von Skrupeln geplagten, aber seinem Freund sexuell hörigen Nathan gefügig und lässt diesen sogar einen mit seinem Blut unterschriebenen Vertrag unterschreiben. In diesem verpflichtet Nathan sich Richard gegenüber zu bedingungslosem Gehorsam. Um dem Verbrechen mehr „Würze“ zu verleihen, beschließen beide, Bobby Franks, einen entfernten Verwandten Richards, zu entführen, umzubringen und ein hohes Lösegeld von den Eltern des Opfers zu erpressen. Gesagt wie getan. Der ahnungslose Junge wird in Richards schicke Limousine gelockt, mit einem Meißel niedergeschlagen und dann erstickt. Voilà – Richard ist stolz auf seine Tat. Allerdings klappt es mit dem Lösegeld nicht, da die Leiche Bobbys sehr schnell von der Chicagoer Polizei entdeckt wird. Zu dumm für die zwei kriminellen Teenager, dass auch eine teure Brille neben der Leiche gefunden wird, die die cleveren Beamten umgehend Nathan zuordnen. Zwei, die ein perfektes Verbrechen planten, sitzen tags darauf in Untersuchungshaft und werden hochnotpeinlichen Verhören unterworfen. Leugnen hilft nichts. Sie werden des gemeinschaftlichen Mordes überführt. Dem Todesurteil entgehen Nathan und Richard dank der geschickten Prozessführung eines ebenso gewieften wie teuren Strafverteidigers. Das Urteil lautet lebenslänglich. Laut amerikanischer Rechtssprechung 99 Jahre hinter Gittern.
Soweit die widerliche, hinterhältige Tat an einem unschuldigen Minderjährigen, die als das Verbrechen des Jahrhunderts in die Annalen Chicagos einging.

Und nun kommt Stephen Dolginoff ins Spiel, der aus diesem Stoff ein spannendes Thriller-Musical schuf. Das Multitalent aus Kansas City/Missouri verfasste nicht nur das „Drehbuch“, sondern schrieb auch die zündende Musik dazu. Dramaturgisch brillant ist die Erzählweise. Die Geschichte beginnt mit dem Gnadengesuch Nathan Leopolds im Jahre 1958, der vor dem Berufungsausschuss den Hergang des Verbrechens in allen seinen Facetten beichtet. Es stellt sich heraus, dass auch er ein Opfer des völlig gefühllosen und grausamen Richard Loeb war. Was denn geschehen wäre, wenn er, Nathan, sich Richard verweigert hätte, fragt die Stimme des Justizbeamten aus dem Off. Er hätte ihn nie wiedergesehen und das wäre unerträglich für ihn gewesen, erwidert Nathan. Sein Traum war es, auf immer und ewig mit Richard in einer Gefängniszelle zu verbringen. Unentrinnbar. Hat Nathan etwa deshalb seine Brille neben dem ermordeten Bobby liegen gelassen, um dieses Ziel zu erreichen? Doch das Schicksal machte einen Strich durch seine Rechnung. Richard wurde 1936 unter der Dusche von einem Mithäftling erstochen. Als gebrochener Mann wird Nathan Leopold nach 34 Jahren Haft aus dem Zuchthaus entlassen. „Sie sind ein freier Mann“, verkündet die Stimme aus dem Off und fordert Nathan auf, seine persönlichen Sachen bei der Gefängnisverwaltung abzuholen. „Meine goldene Uhr, mein Anzug und eine Schachtel mit Zigaretten, die inzwischen wohl total vertrocknet sind“, sinniert Nathan, bevor der Vorhang fällt.

Die beiden Darsteller – Guy Woolf als Nathan und Sebastian Hill in der Rolle des Richard Loeb – überzeugten das begeisterte Publikum nicht nur als erstklassige Mimen, sondern
bewiesen zudem, dass sie Gold in der Kehle haben und auch noch wunderbar singen können.
Pianist Gleb Pavlov agierte mit seinem temperamentvollen Klavierspiel als Begleiter und Dritter im Bunde. Großes Lob auch an Paul Glaser, seines Zeichens Choreograph und Komponist, der das Musical einfühlsam inszenierte. Für die grandiosen Beleuchtungseffekte sorgte wie immer Geoff Humphrys, der so etwas wie das Faktotum des English Theatre ist.

Das größte Verbrechen des Jahrhunderts, wie die „Leopold & Loeb Story“ im Chicago der neunzehnhundertzwanziger Jahre genannt wurde, faszinierte nicht nur Stephen Dolginoff, der es mit seinem Musical 2005 an den Off-Broadway schaffte und heute mit diesem musikalischen Thriller Welterfolge feiert. Auch Alfred Hitchcock, der ungekrönte König der Gänsehaut, schuf daraus ein cineastisches Kammerspiel, das unter dem Titel „Rope“ (deutsch „Cocktail für eine Leiche“) 1948 Filmgeschichte schrieb. Kultregisseur Michael Haneke konnte ebenfalls der Versuchung nicht widerstehen, diesen Stoff in abgewandelter Weise zu verwenden. Wer kombinieren kann, erkennt das Sujet in seinem schauerlichen Film „Funny Games“ wieder.

Der Autor: Stephen Dolginoff wurde zwar im tiefen Süden der Vereinigten Staaten geboren, etablierte sich jedoch schon früh als Stückeschreiber und Komponist in New York. Seine Theaterarbeiten brachten ihm zahlreiche Auszeichnungen ein. Außer „Thrill Me“ schrieb und komponierte er u. a. „Beauty Sleep“ „One Foot out the Door“ und „Flames“, einen weiteren viel beachteten Thriller.

„Thrill Me“ läuft bis einschließlich 27. Juni 2015 – Karten unter der Telefonnummer
040 – 227 70 89 oder online unter www.english-theatre.de
Nach den Theaterferien meldet sich das TET am 3. September ds. Js. mit dem Stück
“Fat Pig” des amerikanischen Erfolgsautors Neil Labute zurück.

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