Die dritte Halbzeit war blutig

Foto: AnnRos auf Pixabay

Fußballspiel als Vorspiel zum Krieg – Massenimmigration führte vor 51 Jahren zum sogenannten Fußball- oder 100-Stunden-Krieg

 

Der sogenannte Fußballkrieg wird auch „100-Stunden-Krieg“ genannt, da die Kampfhandlungen nur rund 100 Stunden, nämlich vom 14. bis zum 18. Juli 1969, dauerten. Im Verhältnis zur Kürze ist die Zahl der Opfer mit 2100 Toten und 6000 Verwundeten hoch. Andere Quellen sprechen sogar von 6000 Toten, 15000 Verletzten und 50000 Ausgebombten.

Ungeachtet seiner Bezeichnung liegt die Ursache für den Fußballkrieg zwischen El Salvador und Honduras nicht in der schönsten Nebensache der Welt, sondern in einer Massenwanderung von 300000 Armutsflüchtlingen von El Salvador nach Honduras, die im Zielland der Migration nicht als kulturelle Bereicherung betrachtet wurde.

Mehr noch als heute war vor fünf Jahrzehnten das mittelamerikanische El Salvador ungleich stärker besiedelt als dessen Nachbarstaat Honduras. Während in El Salvador rund 2,5 Millionen Menschen auf rund 21000 Quadratkilometern lebten, teilten sich in Honduras nur 1,9 Millionen Einwohner etwa 112000 Quadratkilometer. Zu diesem Ungleichgewicht kam eine Großgrundbesitzer-freundliche Politik des salvadorianischen Präsidenten General Fidel Sánchez Hernández. Das Ergebnis war eine Massenmigration von 300000 Armutsflüchtlingen von El Salvador nach Honduras.

Dampf aus dem Kessel

Über diese war die Regierung in San Salvador nicht unglücklich, nahm sie im eigenen Land doch Dampf aus dem Kessel. Dafür sorgte sie für sozialen Unmut in Honduras. Dort plante die Regierung eine Agrarreform, die zu einem Interessensausgleich zwischen den Großgrundbesitzern und den Kleinbauern des Landes auf Kosten der Einwanderer führen sollte. Am 30. April 1969 forderte Honduras’ Regierung die Immigranten auf, innerhalb der nächsten 30 Tage in ihre Heimat zurückzukehren. Ab Mitte des Jahres verschaffte die paramilitärische Gruppe „Macha Brava“ dieser Aufforderung der Regierung Nachdruck mit Angriffen auf die Einwanderer.

In dieser angespannten Lage kam der Fußball ins Spiel. Bei den Qualifikationsspielen zur Fußballweltmeisterschaft 1970 in Mexiko trafen vor 50 Jahren El Salvador und Honduras im Halbfinale aufeinander. Entsprechend dem Reglement gab es ein Hin- und ein Rückspiel sowie im Falle eines anschließenden Patts ein entscheidendes drittes Spiel in einem dritten Land.

Das erste Spiel fand am 8. Juni 1969 in Honduras statt. Die Gastgeber gewannen mit 1:0. Wie emotional aufgeladen das Duell war, zeigt die Tatsache, dass sich eine 18-jährige Generalstochter aus El Salvador nach der Niederlage der Mannschaft ihres Landes mit der Pistole ihres Vaters erschoss. Die Fans in Honduras hatten in der Nacht vor dem Spiel vor dem Hotel der Gäste aus El Salvador gelärmt, sodass zumindest in El Salvador sich die Interpretation breitmachte, Übermüdung der eigenen Mannschaft sei für deren Niederlage verantwortlich gewesen.

Eine Woche später kam es in El Salvador im doppelten Sinne zur Revanche. Nun ließen die Fußballanhänger aus El Salvador die Gäste aus Honduras kaum schlafen, und in der Tat gewann diesmal El Salvador, und zwar mit 3:0. Da die Tordifferenz laut Reglement keine Rolle spielte, herrschte also ein Patt und ein Spiel in einem dritten Land muss­te die Entscheidung bringen. Am 26. Juni 1969 traten die beiden Mannschaften in Mexiko-Stadt an, und zwar im Aztekenstadion, in dem im Folgejahr das berühmte, legendäre „Jahrhundertspiel“ Bundesrepublik gegen Italien stattfand. Wie beim Jahrhundertspiel herrschte auch beim Spiel El Salvador gegen Honduras nach der regulären Spielzeit Gleichstand. Der Fußballkrimi ging in die Verlängerung. Die Entscheidung brachte schließlich das 3:2 des Salvadorianers Mauricio „Pipo“ Rodríguez in der 101. Minute. El Salvador war im Finale der Qualifikation, Honduras ausgeschieden.

Wie schon nach dem zweiten kam es auch nach diesem dritten Spiel zu schweren Ausschreitungen und Auseinandersetzungen zwischen den Fans der Kontrahenten. Menschen verloren dabei ihr Leben.

Völkermord und Folter

In der Folge verschlechterte sich der ohnehin schon schwierige Stand der salvadorianischen Einwanderer in Honduras. Die Regierung in San Salvador reagierte hierauf scharf. Einerseits gehörte es zu ihren Aufgaben, auch die Interessen von Bürgern im Ausland zu vertreten. Andererseits hatte sie kein Interesse daran, dass sich durch die Rückwanderung eigener Armutsflüchtlinge im großen Stil die soziale Lage im eigenen Land verschärfte. In El Salvador wurden dem Nachbarn im Zusammenhang mit der Behandlung der emigrierten Landsleute Völkermord, Folter, Kastrationen und Vergewaltigungen vorgeworfen. Zwei Tage nach dem Spiel wurden die diplomatischen Beziehungen abgebrochen.

Am 14. Juli 1969 überfiel El Salvador Honduras. Ohne vorherige Kriegserklärung ließ Sánchez Hernández den Flughafen von Honduras’ Hauptstadt Tegucigalpa durch alte Weltkriegsmaschinen und Cessnas bombardieren. Honduras schlug zurück. Die Luftstreitkräfte der beiden Entwick­lungsländer waren von alten Weltkriegsmaschinen geprägt, und so kam es in diesem Krieg noch einmal zu Luftkämpfen zwischen Propellermaschinen, den letzten im längst angebrochenen Zeitalter des Düsenflugs.

Dem Luftschlag folgte zu Lande ein Vorrücken salvadorianischer Truppen. Diesem Vormarsch hatte Honduras kaum etwas entgegenzusetzen. Nachdem die Sal­va­do­ria­ner etwa 70 Kilometer tief ins Feindesland einmarschiert waren, forderten die Vereinten Nationen, vor allem aber die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), eine politische Lösung. Im Angesicht von Sanktionsdrohungen sah sich die salvadorianische Seite gezwungen, ihren Vormarsch abzubrechen und die Kampfhandlungen einzustellen. El Salvador wurde von der OAS als Aggressor eingestuft und aufgefordert, seine Truppen hinter die Grenze zurück­ziehen. Am 29. Juli stimmte die salvadorianische Regierung nolens volens zu. Am 4. August verließen die letzten Invasoren Honduras.

Seine Kernforderung, ein Bleiberecht seiner Migranten in Honduras, konnte San Salvador nicht durchsetzen. Honduras konnte also die Ausweisung der Einwanderer fortführen.

Handfeste wirtschaftliche Nachteile

Nicht nur, dass der militärisch erfolgreiche Aggressor sein Kriegsziel verfehlte, der Krieg brachte ihm abgesehen von den Kriegsopfern auch noch handfeste wirtschaftliche Nachteile. Honduras behinderte fortan den Export seines Nachbarn über eigenes Gebiet und zog sich aus dem Zentralamerikanischen gemeinsamen Markt (MCCA) zurück, was diesen vorläufig bedeutungslos machte. Das traf El Salvador nicht unerheblich. Zum einen ist dieser Staat relativ klein, dicht besiedelt und stark industrialisiert, was zu einer entsprechenden Abhängigkeit von grenzüberschreitendem Handel führt. Zum anderen liegt Honduras nicht nur zwischen El Salvador und dem Atlantik, sondern auch zwischen El Salvador und den MCCA-Partnerstaaten Nicaragua und Costa Rica.

Mehr noch als diese Handelshemmnisse trug jedoch die durch den Fußballkrieg nicht gestoppte Rückführung von 300000 Armutsflüchtlingen zur Verschärfung der sozialen und wirtschaftlichen Lage in El Salvador bei, die schließlich zum elfjährigen Bürgerkrieg führte. 1980 begann dieser Bürgerkrieg. Ebenfalls 1980 wurde der Fußballkrieg mit einem Friedensvertrag endlich auch formal beendet.