Erschienen am 23. Juli in der Preussischen Allgemeinen Zeitung
von Günther Falbe
Handlung der Störtebeker-Festspiele nach Schottland verlegt − Schauspiel vor faszinierender Kulisse
Irgendwo soll er liegen, der legendäre Schatz der Templer. Wo hat man ihn nicht schon vermutet, sogar in Schottland, und dass dies durchaus möglich ist, wollen die diesjährigen Störtebeker-Festspiele auf der Insel Rügen beweisen Der berühmt-berüchtigte Freibeuter der nordischen Meere, Klaus Störtebeker, ist ihm auf der Spur, samt seinen Vitalienbrüdern, und dass es dabei zum Hauen und Stechen kommt, gehört nun einmal zu dem rauen Spiel auf der Ralswieker Naturbühne am Großen Jasmunder Bodden. Und wie immer sind Sage und Historie auf solch wirksame Weise verwoben, dass man schon glauben könnte, dass Störtebecker tatsächlich das Gold der Templer gefunden hätte. Na ja, jedenfalls einen Teil davon. Und der genügt den Zuschauern auf den über 8800 blauen Sitzschalen, die allabendlich – außer sonntags – begeistert dem Spektakel folgen, das sich auf der einmalig schönen Freilichtbühne entfaltet, die sich diesmal in eine schottische Felsenküste verwandelt hat.
Aber See bleibt See, und darauf kommt es ja an. Und Störtebeker ist eben für alle Meere gut, und es wäre schon vorstellbar, dass er seine Kaperzüge bis nach Schottland ausgedehnt hat. Auf jeden Fall sind er und seine Vitalienbrüder zwischen 1395 und 1397 in der Ostsee nicht nachweisbar. Aufgrund des militärischen Drucks der Hanse spalteten sie sich auf und wichen in verschiedene Regionen aus. Eine Gruppe floh in die Nordsee und von dort weiter in den Ärmelkanal. Ihre Spuren sind in Calais nachgewiesen. Störtebeker könnte durchaus darunter gewesen sein. Diese Vermutung genügte jedenfalls den Ralswiekern, sie mit der Geschichte des schottischen Clans der Sinclairs zu verbinden. Deren Ländereien galten als Hochburg des Templer-Ordens, der nach seiner Zerschlagung in Schottland weiter bestanden haben soll. Greifbare Hinweise finden sich noch heute in der Kirche Rosslyn Chapel, die vom Enkel jenes Henry Sinclair erbaut wurde, der den Templerschatz nach Nordamerika gebracht haben soll. Fast 100 Jahre vor Kolumbus soll er anno 1398 mit zwölf Schiffen über den Nordatlantik gesegelt sein, um auf einer Insel vor der Küste Neuschottlands, Oak Island, den Templerschatz zu bunkern. Und nicht nur ihn: Nach alten Berichten soll das Archiv des Ordens, sollen die Schriften über geheime Rituale und Heiligtümer der Bruderschaft im 14. Jahrhundert nach Schottland gelangt und von den Sinclairs gehütet worden sein. Vielleicht brachte Sinclair auch dieses wertvolle Erbe nach Oak Island. Mehrere auf der Insel entdeckte Steine weisen Gravuren von Symbolen auf, die man auch in der Kirche Rosslyn Chapel findet.
Stoff genug also, um ihn mit der Störtebeker-Saga spektakulär zu verquicken, was den Ralswiekern auch wieder wie bei allen bisherigen Festspielen gelungen ist. In der diesjährigen Inszenierung, dem dritten Teil der Trilogie „Störtebekers Gold“, braucht der Freibeuter nicht nach Kanada zu segeln, sondern er findet das Gold der Templer in Schottland und hofft damit, seinen Traum von einem „Likedeeler“-Reich, in dem alle zu gleichen Teilen partizipieren, verwirklichen zu können. Dadurch gerät er in die Wirren und Intrigen des schottischen Königreiches, die auch Henry Sinclair bedrohen, der Störtebeker töten soll. Der Pirat siegt, lässt Sinclair leben und fordert von ihm die Preisgabe des Templerschatzes. Ob und wie es dazu kommt, ist schon eine spannende Geschichte, die sich als großes Spektakel, an dem 150 Akteure, vier schwimmende Koggen und 30 Pferde mitwirken, auf dieser einzigartigen Naturbühne abspielt. Natürlich spielt auch die Liebe in Gestalt der schönen Maria eine Rolle, die Störtebeker in der vorjährigen Folge der Trilogie in Spanien von einem Fluch befreit hatte und nun in ihre schottische Familie zurückbringt.
Das einzigartige Open-Air-Spektakel fordert von den Akteuren Höchstleistungen, allen voran von Sascha Gluth, der seit nunmehr zehn Jahren den Störtebeker gibt. Mit einer solchen Präsenz, dass sich viele Stammbesucher keinen anderen als ihn in dieser Rolle vorstellen können. Ebenfalls zehn Jahre ist auch Wolfgang Lippert als Balladensänger Abellin dabei, der den Festspielen im wahrsten Sinn des Wortes eine besondere Note gibt. Noch länger, nämlich 18 Jahre, wirkt Dietmar Lahaine als Goedeke Michels, dessen Spuren übrigens heute noch wie die Störtebekers in Hamburg zu finden sind, auch in Verbindung mit dem sagenhaften Piratenschatz. So soll Störtebeker kurz vor seiner Hinrichtung auf dem Grasbrook den Hamburger Ratsherren angeboten haben, eine armdicke, goldene Kette um das Rathaus zu legen, wenn sie seinen mitgefangenen Vitalienbrüdern das Leben schenkte. Die Herren lehnten das hochmütig ab – heute würde sich das der Senat angesichts leerer Kassen wohl überlegen –, jedenfalls wurden sie alle enthauptet. Wie aktuell die Geschichte sein kann, beweist der vermutliche Störtebeker-Schädel, der kürzlich aus dem Museum für Hamburgische Geschichte gestohlen wurde. Er ist inzwischen wieder an seinen musealen Platz zurückgekehrt. Und zu Goedeke Michels: Einer Überlieferung zufolge hat dieser einen Teil des Störtebeker-Schatzes am südlichen Elbufer vergraben. In den Harburger Bergen gibt es eine Stelle, die noch heute „Gödeke sin Kuhl“ heißt. Bisher haben aber heimliche Schatzsucher vergeblich gebuddelt. Das ist eben das Schöne an diesen „historischen“ Festspielen, dass sie der eigenen Fantasie Spielraum erlauben und manchen Besucher zwingen, sich mit der Geschichte zu beschäftigen.
Natürlich überwiegt bei den meisten Zuschauern, vor allem den jüngeren, das spektakuläre Geschehen mit gewagten Stunts und pyrotechnischen Effekten. Man kann erwarten, dass das Publikum in diesem Jahr erheblich jünger ist. Denn in Prora an der Ostküste der Insel wurde zu Saisonbeginn ein Teil der „längsten Jugendherberge der Welt“ eröffnet. Jener unselige Mammutbau aus den 30er Jahren, der sich 4,5 Kilometer lang zwischen Binz und Sassnitz hinzieht, wurde nun auf einem 150 Meter langen Teil so saniert, dass 100 Zimmer für 400 junge Gäste bereitstehen, die hier einen erschwinglichen Urlaub mit Meerblick verbringen können. Da kann dann ein Besuch der Störtebeker-Festspiele einen Höhepunkt bilden. Aber die Ralswieker können vor allem auf ein treues Stammpublikum bauen: Rund 75 Prozent der Besucher kommen wegen der Festspiele auf die Insel. Insgesamt konnten seit der Eröffnung 1993 fast 5,3 Millionen Zuschauer gezählt werden, auch in diesem Jahr rechnet man mit über 300000 Besuchern. Bleibt zu wünschen, dass der Wettergott als himmlischer Kulissenschieber mitspielt. Doch auf dessen Launen hatte man sich rechtzeitig eingestellt: 30000 Regenhäute wurden vorsorglich gelagert. Einige dürften inzwischen schon benutzt worden sein. Die Störtebeker Festspiele finden bis zum 8. September montags bis sonnabends um 20 Uhr statt. (Informationen: Telefon (03838) 31100, Fax (03838) 313192, E-Mail: info@stoertebeker.de, Homepage: www.stoertebeker.de)
Günther Falbe