„Reasons to be Pretty“ oder “Lieber schön” von Neil Labute

Von Uta Buhr

Das neue Stück am English Theatre of Hamburg

Dramatisch

Soviel vorweg: Das stärkste Stück von Neil Labute, einem der  erfolgreichsten zeitgenössischen Stückeschreiber Amerikas, ist „Reasons to be Pretty“ nicht.

Viele Besucher des English Theatre werden sich bestimmt noch an die fulminante Aufführung von „This is how it goes“ vor einigen Jahren erinnern,  das   die brennenden sozialen Probleme der USA im Zusammenleben von Schwarz und Weiß in den Fokus rückt. Dennoch, keiner sollte das neue Stück versäumen, in dem dramatische und komödiantische Szenen wie in einem Kaleidoskop aufgemischt werden. Auch diesmal versucht Neil Labute wieder einem Phänomen auf die Spur zu kommen, das durchaus nicht typisch amerikanisch ist: Wie wichtig ist im Leben jedes einzelnen von uns die eigene physische Anziehungskraft?

So minimalistisch die Inszenierung diesmal auch ausfällt – kahle Wände;  ein paar Stühle sind das einzige Dekor – so farbig und temperamentvoll, fast gewalttätig, gestaltet sich der Auftritt von Greg und Steph. Hatte Greg sich doch erlaubt, in Gegenwart der gemeinsamen Freundin Carly Stephs Gesicht als normal, also durchschnittlich, zu beschreiben. Wahrscheinlich wollte er damit sagen, er fände Steph ganz hübsch. Da nützen auch Gregs Beteuerungen nichts, er habe diese Bemerkung als Kompliment gemeint. Steph, eine Friseurin und schon von Berufs wegen femininer Eitelkeit verpflichtet, rastet total aus, beschimpft und beleidigt  den freundlichen und ehrlichen Greg auf  das Gröbste und rauscht schließlich vor Zorn bebend aus dem Raum.

Mittagspause…

Szenenwechsel: Der triste, durch die vergitterten Fenster an ein Gefängnis erinnernde  Aufenthaltsraum für Angestellte eines  Lagerhauses. Hier treffen der introvertierte Greg und sein machohafter Kollege Kent in der Mittagpause zusammen. Dem Duo gesellt sich Kents Frau Carly hinzu, die als Sicherheitsbeamtin im Betrieb arbeitet und ein Kind erwartet. Ab jetzt beherrschen vier Personen die Szene, eine jede mit ihren Sehnsüchten, Problemen und Heimlichtuereien. Es ist unschwer zu erraten, dass Kent sich während der Schwangerschaft seiner Frau anderen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts zuwendet und sogar versucht, Greg eine Freundin seiner neuen Freundin zu „vermitteln.“ Das veränderte Verhalten ihres Mannes bleibt Carly nicht verborgen, und sie versucht mit allen Mitteln, Greg dazu zu bringen, ihr die Wahrheit über Kents außereheliche Kontakte zu verraten. Doch der leugnet aus Loyalität dem Freund gegenüber jegliche Kenntnis.

Auf einem Baseballfeld kommt es schließlich zum Showdown zwischen Greg und Kent. Nachdem sie zuerst zusammen trainiert haben, eskaliert die Situation während einer hitzigen Debatte darüber, dass Greg nicht mehr bereit ist, die Eskapaden seines Freundes zu decken, da er sich auch der schwangeren Carly gegenüber verpflichtet fühlt. Kent flippt total aus, bezeichnet Steph in seiner Wut als hässlichen Vogel und beleidigt Greg mit unflätigen Ausdrücken bis aufs Blut. Es kommt zu einer saftigen Schlägerei, die vom Publikum mit gelegentlichen anfeuernden  Zurufen goutiert wird.

Versöhnungstreffen

Das Versöhnungstreffen zwischen der inzwischen zur Managerin avancierten Steph und  Greg findet wiederum im Aufenthaltsraum des Lagerhauses statt. Beide – besonders Steph – sind geläutert und bereit,  ihrem weiteren Leben einen tieferen Sinn zu geben. Fazit: Innere Werte zählen mehr als eine schöne Larve.

Der große Beifall nach dem Fall des Vorhanges war vielleicht weniger dem Stück als den vier großartigen und  attraktiven Schauspielern geschuldet, die ihre Rollen im wahrsten Sinne des Wortes lebten: Jed Sharlow spielte den Greg, Madeleine Hutchins, die wir schon aus zwei anderen Produktionen des English Theatre kennen, das Mädchen Steph, während wir Chris Casey als wutschnaubenden Kent und Gabrielle Douglas in der Rolle der duldenden Carly erlebten. Gabrielle Douglas beeindruckte bereits in der „Comedy of Errors“, die wir erst vor kurzem an der Mundsburg erleben durften.

Etwas befremdlich dürfte Theaterbesuchern, die sich besonders an dem eleganten und stets gut verständlichen Englisch des Hauses erfreuen, der im Stück gepflegte grobe amerikanische Slang vorkommen. „Shit and fucking“ sind allgegenwärtig und ersetzen häufig Punkt und Komma. Wer keinen Anstoß an dieser gelegentlich überbordenden Fäkalsprache nimmt, darf sich auf  einen ebenso amüsanten wie anregenden Theaterabend freuen.

„Reasons to be Pretty“ läuft bis einschließlich 10. November 2012 – Karten unter der Telefonnnumer 040 – 227 70 89 – Onlinebuchungen  unter www.englishtheatre.de

Nächste Premiere: „Touch and Go”, eine Komödie von Derek Benfeld, am 22. November 2012

Fotos: H.J. Kock