Die Hamburger Aquarellwerkstatt´ in Masuren
Von Dr. László Kova
Um die Wildheit und Sanftheit, die Urwüchsigkeit und die unveränderte Schönheit des vielgerühmten und geliebten Landes zu entdecken, brachen in diesem Sommer elf Malerinnen und Maler aus Hamburg gen Ostpreußen mit ihren schweren Utensilien (Aquarellfarben, Büttenbögen, Staffeleien, Pinseln…) auf. Ohne Zweifel ist auch unsere Elbmetropole eine Fundgrube von Menschen, die sich durch eigenen Geburtsort oder durch die Vorfahren mit Ostpreußen eng verbunden fühlen. Wenn sie das Wort Ostpreußen hören, bekommen sie glänzende Augen oder ihre Stimme stockt infolge der Gefühlsschwankungen.
Die Mitglieder der Hamburger Aquarellwerkstatt beim eifrigen Malen irgendwo in Masuren
Aus der Vergangenheit oder eben in der Gegenwart kennt man eine Reihe von deutschen Persönlichkeiten, die Ostpreußen bekannt machten. Zu diesem Kreis gehören u.a. der 1858 in Tapiau (heute Gwardeisk) geborene Maler Lovis Corinth, der einer der bedeutendesten Vertreter des deutschen Impressionismus war, der deutsche Schriftsteller Johann Gottfried von Herder (geb. 1744 in Mohrungen), der 1724 in Königsberg geborene Philosoph Immanuel Kant mit seiner Arbeit „Kritik der reiner Vernunft“, die Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (geb. Schmidt, 1867, Königsberg), der 1922 in Allenstein geborene und 2005 in Köln gestorbene Politiker Hans-Jürgen Wischnewski, der erfolgreiche Bundesligafußballtrainer und Journalist Udo Lattek (geb, 1935 in Bosemb), der berühmte Schauspieler, hervorragende Künstler, Musiker und Schriftsteller Armin Mueller-Stahl (geb. 1930 in Tilsit, heute Sowetsk) und der in Hamburg wohnende Schriftsteller Arno Surminski (geb. 1934).
Historisch gesehen tragen Ostpreußen, Westpreußen und das selbstständige Danzig eine schwere und wechselvolle Geschichte. Sie wurden politisch oft geteilt, dann neu gebildet; mal waren sie größer, mal kleiner, die „Winde“ der Vergangenheit gruben dort immer andere „Furchen“. Im südlichen Ostseeraum lebten schon in der Steinzeit unterschiedliche Völker, u.a. die germanische Goten und Gepiden, die vom 4. Jahrhundert nach Westen auswanderten.
Peter Weiß: Bauerhäuser in der Ferne
Diese Völker (Aesti gentes) wurde das erste Mal 98 nach Christus von Tacitus erwähnt und zwar ohne Unterteilung der dort lebenden Stämme (u.a. Langobarden, Burgunden, Semnonen, Vandalen, Lugier, Silinger, Goten) als ´Suebi´ (Schwaben) zusammengefasst. Interessanterweise wurde die Bezeichnung „Brus“ (Preußen) für die in Masuren lebenden Menschen um 966 n. Ch. das erste Mal erwähnt. Preußen siedelten ab dem 2. Jh. n. Ch. an der Küste östlich von Danzig; von dort südlich und westlich bevölkerten Slawen die Gebiete ab dem 5. Jahrhundert. In der Zeit der Christianisierung (1230) begann der Deutsche Ritterorden die Eroberung des Preußenlandes. Im Namen Gottes kannte man in diesem über 50 Jahre dauernden Kampf kein Pardon! Die besser organisierten und ausgerüsteten Ordensritter siegten 1283. Es entstand gleichzeitig gegen die Preußen ein Gürtel wehrhafter Ordensburgen. Die erste Wehranlage des Deutschen Ordens war die Burg Thorn (Geburtsort vom bedeutendsten Astronomen des Abendlandes Nikolaus Kopernikus, 1473), die als Muster für die weiteren Bauten diente. Für die Ordenritterburgen waren die zierlichen Ecktürme und je ein mächtiger Wachturm typisch. Klöster und Gotteshäuser dienten auch der Wehr. Diese Bauten wurden im Laufe der Jahrhunderte oft umgebaut, beschädigt, abgerissen, rekonstruiert…, drum kann man heute kaum eine der mächtigen Bauten in ihrer ursprünglichen Form erleben.
Die geschichtliche Entwicklung brachte innerhalb der Bevölkerung mancherlei Blutmischungen. Mit dem Orden kamen die Kolonisten aus Holland, Westfalen, Niedersachsen, Mark, aber ebenso aus Lübeck, Pommern und Schlesien. Diese
Uli von Bock: Einzelgehöft
unterschiedlichen Volksgruppen brachten ihre eigenen Gebräuche und Eigenschaften mit. Aus dieser Vielfalt wurde mit der Zeit eine Einheit, die treu und zuverlässig zu ihrem Vaterland stand. Der Ostpreuße, wie er in seiner heutigen Prägung entstand, ist urwüchsig und schwer wie die Erde, die er bewohnte. Der Hamburger Schriftsteller, der aus Ostpreußen stammt, fügt noch witzig hinzu: „Als der Herr noch auf Erden wandelte, kam er am späten Nachmittag, als er schon etwas müde war, ins Masurische und schuf, bevor er einschlief, mit sanfter Hand und ohne viel nachzudenken die masurische Wildnis. Seitdem ist Masuren ein Land ohne Eile.“ In dieser Gegend findet man noch ursprüngliche Natur, alte Dörfer, kleine Städte ohne Hektik. Zu dem tiefen Blau der „tausend“ Seen mischt die wundervolle Natur das dunkle Grün der Wälder und das wärmende Rot der Ziegelsteinbauten. Land, Flüsse, Seen, Städte und Dörfer erzählen auf anmutige Art in jeder Jahreszeit von der wechselhaften Historie der feinsandigen Region.
Und dieser Geschichte spürten die Künstler der ´Hamburger Aquarellwerkstatt´ eine Woche lang nach. Sie bewunderten die Farben der Wälder und Wiesen, sie rochen den Duft des Wassers an den Flüssen und Seen und genossen die Gastfreundschaft der Bewohner der Städte und Dörfer. Malblöcke hielten fest, was der Pinsel in flüssigem Aquarell diktierte. Schnell und gekonnt gediehen die Bilder auf dem Bütten. Der Lichteinfall und die Lichtstärke hatten sich mit der Bewegung der Sonne schnell geändert, das gab das Tempo des Festhaltens an. Die visuellen Erlebnisse blieben beim Aquarellmalen bloß eine Augenblicksstimmung, wie der morgendliche Dunst, die abendliche Dämmerung, der Nebel oder die aufziehenden Wolken. Zu diesen visuellen Erscheinungen gesellte sich die ruhige Ausgewogenheit der Stille in der sanft hügeligen Landschaft. Über die einzigartige und vielfältige Flora hinaus ist die Fauna zu bewundern. Sowohl für Ornithologen als auch für Künstler und Touristen ist es ein besonderes Erlebnis, die anmutigen Störche und Kraniche auf den Feldern, Weiden und Wiesen, sowie auf den Binnengewässern Europas größte Kolonien von Höckerschwänen zu beobachten.
Witka Kova: Dorflandschaft
In den kleinen Städten und Dörfern war es schon bewegter. Auf den Straßen und in den bescheiden gebauten Häusern stak das Leben, das schwermütige Leben der ostpreußischen Menschen, ein Leben „ohne Eile“, wie der Ostpreuße Surminski schrieb. Und die Künstlerinnen und Künstler wollten alles festhalten, alles, was bildhaft möglich ist. Ihre schon lange aufgehäuften Emotionen und ihre Neugier führten sie in dieses geschichtsträchtige Land, da eine aus der Gruppe das Licht der Welt dort erblickte und die Eltern von einem ihr Leben auf einem Gutshof in Masuren verbrachten. Sie weilten und malten die meisten Zeit im Raum Angerburg (Wegorzewo), in Sensburg (Mragowo), Lözen (Gizycko) und Nikolajken (Mikolajki). Es entstanden Bleistiftzeichnungen, skizzenhafte Momentaufnahmen in Farben und viele Bilder mit Pinseln. Ihre Gemälde ruhen jetzt an den Maltischen, wo sie die letzten Schliffe erhalten, bevor sie mit ihren Aquarellen in einer Ausstellung Ostpreußens heutiges Antlitz zeigen.