Von Hans-Peter Kurr
„Wohlverwahrt“ sollte – der aus politischen Gründen aus Hessen geflohene – Georg Büchner beim Untersuchungsrichter abgeliefert werden, heißt es in einem Steckbrief von 1835. Wohlverwahrt hat auch Dieter Seidel, Chef des Theaters N.N., das Geheimnis, wie es ihm in diesem Sommer 2013 wiederum gelungen ist, trotz chronischen Geldmangels und kunstfeindlicher, zum größeren Teil uneinsehbarer Restriktionen und Verbote durch das Bezirksamt Altona für die Wiederaufnahme seiner Inszenierung von Büchners „Leonce und Lena“ ein noch qualifizierteres Ensemble zusammenzustellen als vor zwei Jahren. Dazu gehört durch die Umbesetzung der männlichen Titelrolle der begabte junge Marc Laade. Star dieser Truppe aber ist nach wie vor Claudia Schermutzki in der Doppelrolle König und Gouvernante.
Leider ist die so phantasiereiche Musikerin Anne Wiemann nicht mehr mit von der Partie, die die Erstinszenierung 2011 so qualifiziert würzte und kommentierte. Auch sie fiel einem unsinnigen (Beschallungs-)Verbot der Behörde zum Opfer. Das zwang den Regisseur zum Improvisieren, was bei denjenigen Zuschauern, die keine Vergleichsmöglichkeiten hatten, bei der diesjährigen Premiere durch die Einsatzbereitschaft der „singenden und tönenden“ Schauspieler denn auch für manchen – positiv gemeinten – Lacher sorgte.
„Wer arbeitet, ist ein subtiler Selbstmörder“. Dieses Paradoxon hat Büchner durch seinen Märchenprinzen Leonce in die Welt gesetzt. Das hessische Genie machte sich ans Zersetzen, um sublimere Wahrheiten genussreich und abenteuerfreudig entlarven zu können. So ist auch die Parallele Prinz Heinz-Falstaff und Prince Leonce-Valerio, die festzustellen die Zuhörer sich stets auf’s Neue bemüßigt fühlen, alles andere als zufällig: In diesem Punkt sind Shakespeare und Büchner literarische Brüder, die gemeinsam (eher: nacheinander) der Welt verkündet haben, dass alle Fürsten und Herrscher, sobald sie zu denken beginnen, weil sie der Macht so nahe sind, zwangsläufig melancholisch werden müssen.
Die Schermutzki spielt das auf der Blankeneser Freilichtbühne ebenso eindringlich wie komisch, in einem Deutsch, dessen zugreifende Energie den Tiefsinn immer wieder auf eine fassbare Ebene lockt und ihm Konturen gibt, kräftig unterstützt von Alena Oellerich (Lena/Rosetta) und Tammo Messow (Valerio/Präsident).
Dieser Premierenabend unter aufgehendem fahlen Mond, unter dem auch Büchners „Woyzeck“ hätte siedeln können, machte Hoffnung darauf, dass weiteren Inszenierungen auf dieser kostbaren Hamburger Warburgbühne oberhalb des Falkensteiner Elbufers in den Folgejahren erstens nicht wieder unnötige Riegel durch die Behörde vorgeschoben werden und zweitens darauf, dass aus irgendeinem Topf der Kultursenatorin eine Geldspritze für neue Produktionen gefunden wird … wie einer Uraufführung, die Dieter Seidel für den Sommer 2014 bereits als Angebot vorliegt.
Fotos: Theater N.N.
siehe auch weitere Berichte: Godot, Das Hamburger Theatermagazin