Vorfahrt für Fahrräder: Lebens- und liebenswürdiges Münster
Von Uta Buhr
In Münster, so heißt es, werden vor dem Einschlafen keine Schäfchen gezählt, sondern Fahrräder. Auf die etwa 280.000 Einwohner der Stadt kommen immerhin über 500.000 Drahtesel. Hier wird von früh bis spät fröhlich in die Pedale getreten, ob auf dem Sandboden der bewaldeten Promenade oder dem holperigen Kopfsteinpflaster der Altstadt. Münster war übrigens die erste Stadt Deutschlands mit einem Fahrrad-Parkhaus. Inzwischen sind es drei, die ständig gut gefüllt sind, denn viele Touristen folgen dem Trend der Stadt und setzen sich statt hinter das Steuer auf’s Rad! Wo hat man je so disziplinierte Autofahrer gesehen! Die halten überall an, wo ein Pulk von Radlern die Straße überqueren will, und dies ohne Gehupe und böse Worte. Die Münsteraner haben Stil! Bereits die feinsinnige Lyrikerin Ricarda Huch (1864 – 1947) schrieb begeistert: „Von allen Städten Westfalens ist Münster die vornehmste. Ja, in Deutschland gibt es keine, die ihr darin gleichkommt.“ Eine Aussage, die auch heute noch gilt. Schon die Auslagen der Schaufenster künden vom guten Geschmack der Bürger. Billige Ramschläden sucht man hier vergeblich. „Münster ist eine sehr junge Stadt“, erzählt Juliane Unkelbach vom Münster Marketing. „In unseren Mauern leben 50.000 Studenten, die an verschiedenen Fachhochschulen, der Wilhelms-Universität oder der Kunstakademie eingeschrieben sind.“ Auch eine Außenstelle des Max-Planck Instituts hat sich in Münster angesiedelt, die auf Nano-Technologie spezialisiert ist.
In Münster vermischt sich viel Altes mit Ultramodernem. Zahlreiche, in jüngster Zeit
entstandene Gebäude fügen sich ganz harmonisch in die herkömmliche Renaissance-Architektur ein. Da fällt unter anderem die Diözesanbibliothek ins Auge, ein schlichter Bau, dessen schmale Fensterfronten an Buchregale erinnern. Auch eine hässliche Baulücke am Rande des alten Viertels wurde jüngst mit einem eleganten modernen Gebäude gefüllt. Und dies sind nur einige Beispiele einer gelungenen Synthese aus historischer und zeitgenössischer Bausubstanz. Münsters Museenlandschaft kann sich ebenfalls sehen lassen. Hervorzuheben sind das „Picasso-Museum“ mit wechselnden Ausstellungen sowie das einzigartige „Museum für Lackkunst“, dessen Exponate jeden Besucher in ihren Bann schlagen.
Ein Stadtrundgang beginnt stets am Prinzipalmarkt, dem „Salon“ Münsters. Prachtvolle Patrizierhäuser säumen den lang gestreckten Platz. Allein die Giebel – geschweift und treppenförmig gestaltet, spätgotische Dreiecksgiebel mit Fialen und Maßwerk – sind von atemberaubender Schönheit. Den Höhepunkt bildet die filigrane, aus hellem Sandstein ausgeführte Fassade des Rathauses, hinter dessen dicken Mauern sich der holzgetäfelte „Friedenssaal“ befindet. „Den Irrtum, dass hier im Oktober 1648 der Westfälische Frieden nach dem Dreißigjähren Krieg zwischen Kaiser Ferdinand III. und Frankreich geschlossen wurde, muss ich jeden Abend erneut ausräumen“, seufzt der als Nachtwächter mit Schlapphut und Wams verkleidete Stadtführer. Nein, es wurde in den Quartieren der verschiedenen Gesandtschaften verhandelt, und sämtliche Parteien zogen ständig kreuz und quer durch die Stadt. Dieses Procedere verdross den päpstlichen Nuntius Fabio Chigi. Täglich musste der verwöhnte Römer durch knöchelhohen Schlamm waten. Solange er zu einem Aufenthalt in Münster verurteilt gewesen war, habe es jeden Tag geregnet, klagte er noch Jahre später. Gehalten hat sich dieses Vorurteil bis auf den heutigen Tag. Selbst stolze Münsteraner zitieren das Klischee mit einem Augenzwinkern: „Entweder regnet es in Münster oder die Kirchenglocken läuten. Wenn beides zusammenfällt, ist Sonntag.“ Glockenläuten bestimmt in der Tat den Tagesablauf. Ob vom mächtigen Turm „Unserer lieben Frau über dem Wasser“ – kurz Überwasserkirche genannt – oder der gotischen Lambertikirche. Wenn am Abend Türmer Wolfram Schulze die dreihundert gewundenen Stufen bis an die Spitze erklommen hat und ab Schlag neun in sein Horn bläst, wandern die Blicke zu den drei hell angestrahlten eisernen Käfige, die eine der grausamsten Geschichten Münsters erzählen. Hierin wurden die Überreste der zuvor gefolterten Wiedertäufer, deren Anführer ein gewisser Jan van Leiden war, zur Abschreckung all jener ausgestellt, die etwa ähnlichen Frevel planen sollten.
Für viele Touristen ist Münster ein „déjà-vu“-Erlebnis. Wer gern Krimis sieht, kennt die Arkaden des Prinzipalmarktes, wo Kommissar Thiel gelegentlich seinen ausgeflippten Taxi fahrenden Vater trifft. Oder den exzentrischen Gerichtsmediziner Börne, der von Jan-Josef Liefers so glänzend dargestellt wird. Der Tatort aus Münster gehört zu den beliebtesten dieser langlebigen Serie. Und noch einem anderen TV-Helden begegnet man hier auf Schritt und Tritt. Wenn Wilsberg, seines Zeichens Antiquar und Privatschnüffler, ermittelt, begleiten ihn Abertausende von Zuschauern auf seinen Wegen durch Münster und meinen, sich hier auch ohne Stadtplan gut auszukennen. Lange Gesichter gibt es vor dem Schloss. „Wo ist denn das Café?“ fragen viele. Das wird eigens für die Wilsberg-Folge hergezaubert. Im Übrigen gehört dieser Prachtbau des Barockmeisters Johann Conrad Schlaun der Universität Münster. Auf den Spuren Wilsbergs wandelt, wer sich am Abend einer kundigen Führung zu den Originalschauplätzen der Spürnase anschließt. Sie beginnt vor dem „Antiquariat Solder“ an der Überwasserkirche und hält so manche Überraschung bereit. An krimi-, sprich drehfreien Tagen verkauft Antiquar Michael Solder, ein sympathischer Buchhändler, neben schönen alten Werken auch moderne Literatur. Schließlich ist da noch der „Kiepenkerl“, ein alt ehrwürdiges Münsteraner Gasthaus, in dem Kommissarin Anna Springer Wilsberg wegen seines ständigen Wilderns in ihrem Revier auch mal die Leviten liest.
Das Flüsschen Aa schlängelt sich in zierlichen Windungen durch einen Teil der Altstadt. „Der Name kommt vom lateinischen Aqua. Aber das kurze Aa hatte früher schon seine Berechtigung“, ulken die Einheimischen. Hier wohnten und arbeiteten Anno dazumal die Gerber. Und die Aa, angefüllt mit jeglichem Unrat und Resten von Tierkadavern, muss wahrhaftig zum Himmel gestunken haben. Doch unter den umweltbewussten Münsteranern
(LivCom-Award 2004 , eine Art internationaler Umweltpreis) hat sich der einstige Seuchenpfuhl inzwischen in ein blitzsauberes Gewässer verwandelt, an dessen Ufern es sich ebenso behaglich wie gesund leben lässt.
Münster ist eine fußgängige Stadt, in der sich der Fremde leicht an den vielen Kirchtürmen orientiert. Angesagt ist das Kuhviertel. Wo einst Kuh- und Schafställe dicht an dicht standen, reiht sich heute eine urige Kneipe an die nächste. Die letzte Altbierbrauerei der Stadt, „Pinkus Müller“, ist für viele Studenten eine Art zweites Zuhause. Und für Touristen gilt: Wer die berühmte Altbierbowle bei Pinkus nicht gekostet hat, ist eigentlich nie richtig in Münster angekommen.
Mit leichtem Gepäck waren wir per Bahn angereist. Vom Hamburger Hauptbahnhof benötigt der EC gerade einmal zwei Stunden und sechzehn Minuten. Bei Ankunft haben wir Fahrräder ausgeliehen und Münster nach allen Himmelsrichtungen erkundet. In „Masematte“, einer Art Münsteraner Rotwelsch, heißt der Drahtesel übrigens „Leeze.“ Um in dieser Sprache zu bleiben: Vor Ort wird diese Art der Fortbewegung mit dem Prädikat „jovel“ (gut) belohnt. Als „schofel“ (schlecht) gilt hingegen, wer mit seinem Auto die preisgekrönte Umwelt verschmutzt. Fazit: Das Auto zu Hause lassen und auf zwei Rädern mittenrein ins pralle Münsteraner Leben. Viel Vergnügen!
Unbedingt besuchen: Das Naherholungsgebiet Aasee mit seinen Terrassen und ausgezeichneter Gastronomie. Von hier aus mit der Barkasse in Richtung Mühlenhof-Freilichtmuseum. Da wartet der „Kiepenkerl“, ein Münsteraner Original, und führt Besucher auf Anfrage durch die sehenswerte Museumswelt
Auf keinen Fall auslassen: Eine Messe in einer der prächtigen Kirchen gehört in jedes Besuchsprogramm. Außerdem nicht vergessen, mit dem Nachtwächter die Stadt zu durchstreifen (bis Oktober an jedem Donnerstag. Beginn: 21.00 Uhr)
Termine 2010: – Tag der Internationalen Hanse am 29. Mai, Hafenfest an Münsters Kreativkai vom 4. bis 6. Juni, – Münster verwöhnt – Schmausen am Schloss vom 23. bis 25. Juli, – Münsterische Weihnachtsmärkte – Eine Stadt wie ein Wintermärchen – vom 22. Novemver bis 23. Dezember
… und hier übernachten:
Central Hotel – das Kunsthotel in Münster
Aegidistraße 1
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Telefon: 0251-510 15 0
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Fotos: Uta Buhr