Erschütternder Abend im angeschlagenen Schauspielhaus
Text: Hans-Peter Kurr / Fotos: Dramaturgie des DSH
Ein erschütternder, wenngleich nicht leicht verstehbarer, Premieren – Abend im angeschlagenen Deutschen Schauspielhaus, diese Adaption des gleichnamigen Grimm-Märchens durch den rebellischen Regisseur Volker Lösch, der bereits vor Jahresfrist mit seiner heftig sozialkritischen „Marat“-Inszenierung die Gemüter erregte, die einen, also die Abo-Geniesser aus Ihrer Plüschsessel-Seligkeit riss, die anderen, also die Betroffenen, zu Beifall-Stürmen hinriss. Ähnliches hätte auch anlässlich dieser Premiere stattfinden können, wenn nicht….,ja, wenn nicht die spezielle aktuelle Situation des häuptlinglosen Schauspielhauses a priori für Gleichklang zwischen Bühne und Auditorium gesorgt hätte….vornehmlich in der Frage der, trotz des neuen „Senators“ Stuht, führer- und kopflosen Hamburger Kulturbehörde,
die, im Konsensus mit dem ebenfalls neuen Bürgermeister Ahlhaus, das Schauspielhaus eindeutig schliessen will und ihm deshalb nicht nur die Deckung eines bereits vorhandenen Fehlbetrages von mehr als € 300.000.- verweigert (, die der zurückgetretene Intendant Schirmer noblerweise aus eigenen Mitteln zu zwei Drittel zu decken angeboten hatte!!!), sondern ihm schlicht € 1,22 Millionen von der jährlichen Subventions-Summe von € 18 Millionen entzieht, was – falls der Senatsbeschluss, der diese Intrige bereits ahnungslos sanktioniert hat, nicht rückgängig gemacht wird – unweigerlich zur Schliessung des Hauses führen wird – quod erit demonstrandum!
Dieser Aspekt und die wütende, gemeinsame Reaktion darauf von Publikum und Schauspielhaus-Mitarbeitern sowie dem gesamten Premieren-Ensemble überdeckten am Ende weitgehend den Eindruck dieses erschütternden 90-Minuten-Abends zum Thema der Chancenlosigkeit zur Zeit in Hamburgs „fiesestem“ Stadtteil Mümmelmannsberg aufwachsender Kinder, die auf den poetischen, phantasievollen Namen ihres „Kiezes“ scheissen, wenn es um ihre offenkundig unlösbare Problematik geht, die sie sehr früh erwachsen werden und begreifen lässt, dass ihren Eltern , aus der eigenen sozialen Not heraus, nichts übrigbleibt, als sie, die Kinder, in den Wald zur bösen Hexe zu schicken, um die eigene Existenzfähigkeit zu retten.-
Lösch und seine Dramaturgin, Beate Seidel, haben gemeinsam „mit Kindern der Gesamtschule Mümmelmannsberg, dem Ensemble des Schauspielhauses (, in dessen Zentrum die gewichtige Marion Breckwoldt brilliert),unter Verwendung von Texten der Gebrüder Grimm und Interviews mit Hamburger Kindern und Eltern“ eine scharfe, böse Textfassung erstellt, die denn auch von den genannten Gesprächspartnern, bedrohlich rampennah, in das Auditorium geschleudert wird.Aufklärung im 21. Jahrhundert, so muss sie aussehen. Lessing hätte seine Freude daran. Weniger allerdings an den kabarettistischen Spielszenen der professionellen Protagonisten, die sich, wenn überhaupt, nur schwer erschliessen, wiewohl die Ensemblemitglieder des Schauspielhauses mit individuellen Leistungen aufwarten, die ihresgleichen suchen!