Von Dr. Manuel Ruoff
Der ehemalige Vertriebenen- und Innerdeutsche Minister Heinrich Windelen wird 90 Jahre alt
Heinrich Windelen gehört zu den wenigen noch lebenden ehemaligen Spitzenpolitikern der Bundesrepublik, die Ostdeutschland nie aufgegeben haben. Der Schlesier feierte seinen 90. Geburtstag.
Heinrich Windelen war von beiden Elternseiten her niederrheinischer Abstammung, aber er selber kam am 25. Juni 1921 im schlesischen Bolkenhain zur Welt. „Ich bin Schlesier“, hat er stets offen bekannt und blieb Schlesien treu. Der Sohn eines Lederfabrikanten besuchte in seiner Geburtsstadt die Volks- und Mittelschule sowie anschließend in Striegau die Oberschule. Dem Abitur, Arbeitsdienst und Kriegshilfsdienst folgte die Aufnahme eines Physik- und Chemiestudiums in Schlesiens Hauptstadt Breslau.
Windelen wurde aus dem geordneten und standesgemäßen Leben eines schlesischen Fabrikantensohnes jäh durch den Einzug zum Militär im Jahre 1940 herausgerissen. Nach Militärdienst und kurzer Kriegsgefangenschaft verschlug es ihn nach Westdeutschland. Im westfälischen Telgte und Warendorf absolvierte er bis 1948 eine kaufmännische Lehre und gründete anschließend mit seinem Vater eine Versandfirma.
1946 trat Windelen in die CDU ein. Dort stieg er bis 1970 zum Vorsitzenden seines Landesverbandes Westfalen-Lippe auf. 1977 überließ er Kurt Biedenkopf das Feld. Sein Versuch, 1983 dessen Wiederwahl zu verhindern, scheiterte.
Nachdem sein Parteifreund Anton Sabel aus dem Deutschen Bundestag an die Spitze der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gewechselt hatte, erhielt Windelen 1957 die Chance, in das Nationalparlament einzuziehen. Dort vertrat er über Jahrzehnte Warendorf, dessen Junge Union er 1947 mit gegründet hatte, dessen CDU-Kreisvorsitzender er ab 1953 war und dessen Ehrenbürger er seit 1991 ist. Der Abgeordnete aus Schlesien übernahm die Leitung des Parlamentarischen Beirates des Bundes der Vertriebenen.
Als 1969 Bundesvertriebenenminister Kai-Uwe von Hassel Nachfolger von Eugen Gerstenmaier als Bundestagspräsident wurde, übernahm Windelen in der schwarz-roten Regierung des Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger Hassels Ressort. Die noch im selben Jahr durchgeführten sechsten Bundestagswahlen führten jedoch zu einer neuen, sozialliberalen Regierung ohne christdemokratische Beteiligung. Da der SPD-FDP-Koalition das Vertriebenenministerium nicht in ihre neue Ostpolitik passte und sie es daher abschaffte, ist Windelen der letzte Vertriebenenminister der Bundesrepublik Deutschland.
Der Christdemokrat hatte bereits ab 1965 dem Vorstand seiner Bundestagsfraktion angehört. Nun, nach seinem Ausscheiden aus der Regierung, wurde er einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Als 1977 Albert Leicht Präsident des neu errichteten Europäischen Rechnungshofes wurde und aus dem Bundestag ausschied, übernahm Windelen von seinem Parteifreund den Vorsitz im Haushaltsausschuss des Bundestages. 1981 wechselte er auf den repräsentativen Posten des Bundestagsvizepräsidenten, der durch den Wechsel Richard von Weizsäckers an die Spitze des Berliner Senats frei wurde.
1982 übernahm Windelens Partei nach der „Wende“ von der sozial-liberalen zur christlich-liberalen Koalition auch im Bund wieder Regierungsverantwortung. Die neue bürgerliche Regierung verzichtete darauf, die Abschaffung des Vertriebenenministeriums rückgängig zu machen. An der Spitze eines anderen Ministeriums wurde Windelen 1983 noch einmal Regierungsmitglied. Als Rainer Barzel nach der Bundestagswahl jenes Jahres aus der Regierung an die Spitze des Bundestages wechselte, übernahm Windelen dessen Innerdeutsches Ministerium. Dort hatte er nur wenig Gestaltungsraum, wurde die Deutschlandpolitik doch im Bundeskanzleramt gemacht, wo Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble die Kontakte der Bundesregierung zur SED pflegte. Allerdings erregte Windelen schon deshalb Aufsehen, weil er nicht wie das Gros seiner Parteifreunde die sozial-liberale Ostpolitik bruchlos fortführte, sondern auch als Minister Helmut Kohls die Endgültigkeit der Ostverträge öffentlich in Zweifel zu ziehen wagte.
Nach der elften Bundestagswahl wurde er 1987 ausgetauscht. Als der neue freidemokratische Hoffnungsträger Jügen Möllemann als Bundesbildungsminister in die Bundesregierung einzog, schied die als farblos geltende bisherige Amtsinhaberin, Dorothee Wilms, nicht aus der Regierung aus, sondern erhielt zum Leidwesen der Vertriebenen Windelens Ressort, so dass es bei zwei Ministerinnen im Kabinett blieb.
Windelen blieb Bundestagsabgeordneter – und sich treu. Wie 1970 gegen den Warschauer Vertrag stimmte er auch 1990 gegen die Gemeinsame Entschließung zur deutsch-polnischen Grenze und den Einigungsvertrag wegen der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsche Ostgrenze. Noch im selben Jahr schied Heinrich Windelen aus dem Deutschen Bundestag aus.