Wie man ungestraft Kleists Meisterwerk „Penthesilea“ manipulieren kann
Von Hans-Peter Kurr
Das Deutsche Schauspielhaus zu Hamburg hat, wie schon vor Monaten die Ruhrfestspiele in Recklinghausen, mit denen Intendant Friedrich Schirmer häufig und gern co-produziert, Heinrich von Kleists Meisterwerk „Penthesilea“ in seinen Spielplan aufgenommen, jene hochdramatische Liebesgeschichte um die gleichnamige Amazonenkönigin und den griechischen Heldenkrieger Achilles, die einander auf sehr ungewöhnliche Weise und gegen jede erklärte Absicht verfallen.Die einzige Liebesgeschichte darüberhinaus innerhalb der Spezies Mensch, in deren Verlauf etwas geschieht, was in der Tierwelt häufig vorkommt: Geliebte frisst Geliebten!
Der wichtigste Aspekt dieser Produktion scheint die Antwort auf die Frage zu sein, was man daraus lernen kann. Hier also der Versuch einer Zusammenfassung:
1.: Schauspiel muss nicht immer auf dekorierter Bühne beginnen, es kann auch als Hörspiel in einem optisch nachempfundenen, gut ausgerüsteten Tonstudio starten, in dem die Schauspieler – in Fräcke gekleidet (Warum?) – auf Stühlen sitzen, die als Causeusen aufgestellt sind und undefinierbare Geräusche in ihre Mikros blasen.
2.: Ein Regisseur, den seine Lehrmeister irgendwann in den Kreis der Wissenden erhoben haben, die die Bedeutung der altgriechischen Bezeichnung „Teichoskopie“ kennen (Was schlecht, aber verstehbar in die deutsche Sprache übersetzt „Mauerschau“ heisst), ist so begeistert von dieser Idee, dass er sie zur zentralen Aktion des gesamten Abends macht. Denken wir einen Augenblick zurück: Unsere ostmediterranen Vorfahren erkannten bereits in der Geburtsstunde des Theaters, dass es gewisse Ereignisse in der Menschheitsgeschichte gibt, die sich einer adäquaten oder gar kongeialen Wiedergabe auf offener Bühne entziehen. In erster Linie zählen dazu die brutalen Abläufe von kriegerischen Ereignissen. Also erfanden sie die „Teichoskopie“. Einfach gesagt: Ein Bote sitzt auf einer Mauer und berichtet den Zuschauern im Auditorium, was dahinter geschieht oder geschehen ist. Bis heute bekanntestes Beispiel in der Theaterliteratur ist Aischylos‘ Salamis-Stück „Die Perser“. Wieder zurück in unsere Gegenwart: Diese Methode durchzieht den gesamten „Penthesilea“-Abend dergestalt, dass der Regisseur seine Darsteller nahezu pausenlos auf die “ Mauer “ hetzt, um von dort Grauenvolles zu berichten. Sie sind denn auch – ausser dem Helden Achill – nach dem Training der Vorstellungen in Recklinghausen alle bemerkenswert schlank und sportlich.
3. Wer – etwa in der Mitte des 20. Jahrhunderts – Heinrich Kochs Frankfurter Inszenierung der „Penthesilea“ ( auf der „Kochplatte“ des Bühnenbildners Franz Mertz) mit d e r Müthel zu sehen das Glück hatte, vermeinte, man könne Kleists Drama gültiger nicht inszenieren. Hier, in Hamburg, ist zu lernen, dass auf auch das genaue Gegenteil stattfinden kann. Schade nur, dass es auf der Bühne des grössten und wichtigsten deutschen Sprechtheaters geschieht…..
4. Unser Lernprozess geht weiter: Wie man ( trotz unbestreitbar höchster Sprecherqualität sämtlicher Darsteller!!!) durch gleichzeitigen Einsatz von Handmikros, Mikroports, Life-Sttimmen, Playbacks und musikalischen Life-Einsätzen die Wucht der kleistischen Sprache (In der deutschen dramatischen Literatur gibt es, trotz Goethe ,Schiller und Lessing nichts Edleres!) endgültig und – wenigstens für diesen Abend -unwiederbringlich zerstören kann.
Nun denn: Ehe wir einander, lieber Leser und Theaterfreund, durch weitere Aufzählung der inszenatorischen Greueltaten dieses Abends zu langweilen beginnen ( z.B. wie man eine Drehbühne mit einigen hundert Zuschauern darauf völlig sinnlos in Bewegung setzt oder verschwitzte Schauspieler veranlasst, sich in Riechweite (Sic!) von Zuschauern im Parkett zu entkleiden oder Filmtechnik dilettantisch und überflüssig
einsetzt……) ist ein Wort der Bewunderung angebracht für die junge, aus Bielefeld stammende, Schauspielerin Jana Schulz, die sich bei der Bewältigung dieser mörderischen Titelrolle selber an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit führt. Dafür uneingeschränkte Hochachtung!!!
Notabene: Regisseur dieses bemerkenswerten Abends ist der 33-jährige Roger Vontobel, Träger des Benshheimer Nachwuchspreises für Regie