Der Tod und das Mädchen

Von Ariane de Melo

Über Gewalt, Rechte und Rache
„Der Doktor, der Schubert gespielt hat!“

...

Als ich das leere virtuelle Blatt an meinem Bildschirm anstarrte und überlegte, wie ich dieses Review zum – im monsun theater aufgeführten Stück – „Der Tod und das Mädchen“ anfangen sollte, kam mir immer wieder dieser eine Satz in den Sinn. Ich glaube, er hat sich dort eingebrannt. Ausgesprochen hat ihn Paulina Salas (Ines Nieri) in der festen Überzeugung, die Stimme des fremden Mannes im Nebenzimmer wiedererkannt zu haben. So beginnt der Albtraum im Strandhaus der Escobars.
Paulinas Ehemann, der Anwalt, Gerardo Escobar (Björn Ahrens) hat auf dem Nachhauseweg eine Reifenpanne und da sich sein Wagenheber überraschenderweise nicht im Auto befindet, rudert er wild mit seinen Armen, auf der Autobahn, in der Hoffnung, dass jemand anhält; das tut der Arzt Roberto Miranda (Ulrich Allroggen).

...

Mitten in der Nacht klingelt es bei den Escobars. Doktor Roberto Miranda kommt zu später Stunde zu Besuch weil er im Radio von der Ernennung Escobars als Leiter der Kommission zur Aufklärung der Verbrechen während der Militärdiktatur erfuhr und bietet ihm aus Bewunderung an, den Wagen am nächsten Tag reparieren zu lassen. Im Zimmer nebenan hört Paulina dem Gespräch zu und will an Mirandas Stimme die Stimme ihres früheren Peinigers aus der Zeit der Diktatur erkannt haben.
Aus Höflichkeit, Dankbarkeit und eindeutiger Sympathie, bittet Gerardo Roberto darum über Nacht zu bleiben, am nächsten Morgen gäbe ein schönes Frühstück von seiner Frau. Miranda freut sich, nimmt das Angebot an. Bleibt. In ihrem Wahn und fester Überzeugung ihren Folterer wiedergetroffen zu haben, entscheidet sich Paulina dafür, dem Mann selbst den Prozess zu machen; sie schlägt ihn bewusstlos, fesselt und befragt ihn. Sie will mit ihrer Vergangenheit abschließen und ein normales Leben führen können, daher muss Doktor Miranda zugeben, sie gefoltert und vergewaltigt zu haben, während er für sie immer wieder Schubert spielte. Er soll bereuen und ein Geständnis ablegen.

...

Paulinas „Beweise“ sind unbrauchbar, sie meint seine Stimme, sein Lachen und seine Haut wiederzuerkennen. Sie ist sich aber sicher. Es besteht für sie keinen Zweifel. Nach einer langen Diskussion, in der Gerardo versucht Paulina von den schweren Folgen zu berichten, die ihr unbedachtes Handeln nach sich ziehen würde, erklärt er sich – trotz seines Entsetzens – mit dem „Prozess“ einverstanden, in der Hoffnung, dass sie somit endlich einen Schlussstrich ziehen kann, denn auch er erträgt ihre Instabilität nicht mehr. Sie muss das Geschehene verarbeiten und Roberto ist ihr Therapie. Er schlägt vor, Mirandas „Geständnis“ im Tonband festzuhalten, aber vorher soll sie ihm nochmal ganz genau erzählen, was ihr an den schrecklichen Hafttagen passiert ist…
Ariel Dorfmans „Der Tod und das Mädchen“, nach dem gleichnamigen Quartett von Franz Schubert, ist ein, in vielerlei Hinsichten, gewalttätiges Stück. Es geht um körperliche, moralische, seelische Gewalt. Es geht unter die Haut.
In einem so kleinen Theater wie dem monsun hat man als Publikum immer das Gefühl ein Teil der Geschichte zu sein, das macht die Nähe, die Enge des Raumes. Besonders bei dieser Inszenierung fällt einem genau das auf; sie hatte Kammerspiel-Charakter, wirkte so real, wie selten eine, fast filmisch, ein Erinnerungsfetzen auf einer dreidimensionalen Leinwand. Dieser Eindruck wurde besonders durch die packende Darstellung der drei sehr starken Schauspieler (Ines Nieri, Björn Ahrens und Ulrich Allroggen), übermittelt. Verzweiflung, Zorn, Panik, Schwäche, Rachegelüste, Verletzlichkeit. Alles in den Augen abzulesen, die dem Publikum so nahe standen.
Fast hätte ich nur positives darüber zu berichten, ich muss aber an dieser Stelle leider eine Klammer aufmachen und das Verhalten des Publikums an diesem einen Abend bemängeln. Viel zu viele Handys klingelten, viel zu viele Getränkeflaschen fielen um, viel zu viel – auch wenn unbeabsichtigte – Respektlosigkeit; wiederum muss ich die Schauspieler erneut dafür loben, dass sie mit Bravour das ganze Stück spielten, als wären sie ungestört.
Alles in allem ist Julia Leeges Inszenierung von „Der Tod und das Mädchen“ ein „must-see.“

Weitere Vorstellungen im monsun theater finden am 29.09.2015, 30.09.2015 und 06.10.2015 statt.

 

Fotos: Andreas Schlieter