Von Hans-Peter Kurr
Da wird sich so mancher Pfeffersack und einige Hamburger Kulturjournalisten in Zukunft verwundert fragen: „Wen haben wir denn da eingekauft?“
Karin Beier, die erste Frau auf dem Intendantenstuhl des Deutschen Schauspielhauses – nach Peter Zadek und Michael Bogdanov endlich wieder eine Regieintendanz – schön, energisch, leidenschaftlich, vulkanisch. Blick zurück: Bogdanov, der nach unendlichen Auseinandersetzungen mit den Kulturverantwortlichen der Hansestadt das Handtuch warf; Stromberg, der schon wütend wurde, wenn ihn jemand an seine Kindertage und damit an seinen Vater erinnerte, der nur Intendant in Wilhelmshaven war; Baumbauer, der von der damals berühmtesten Schauspielagentin Westdeutschlands, seiner Mutter, auf die berufliche Schiene gesetzt und so lange gefüttert wurde, bis er am größten deutschen Schauspielhaus im Intendantenbüro gelandet war; Schirmer, leicht verletzbar, der meinte, zum Helden zu werden, als er aufgrund steigender wirtschaftlicher Schwierigkeiten und der Wortbrüche seiner städtischen Vertragspartner, sich und seine Karriere opferte. Nun: Eine kämpferische Löwin, mit der im Fall zukünftiger Divergenzen die Regierenden der Hansestadt kein leichtes Spiel haben werden.
Ihre erste Pressekonferenz an der Elbe gab sie am 19. April, trotz unleugbarer künstlerischer Erfolge, aber ebenso zahlreicher politischer Auseinandersetzungen in Köln, offensichtlich froh, im Norden angekommen zu sein. Wer sieht, wie ihre Fäuste nach vorn schießen, wenn sie das Wort „zupacken“ als ihr Stilmittel apostrophiert, wie ihre Hand während einer Atempause durch die Löwinnenmähne fährt, wie sie, bei wesentlichen Programmpunkten gleichzeitig aus zwei Gläsern und einer Riesenflasche Wasser trinkt, wie sie hurtig-einfallsreich, weil das Spielzeitheft noch nicht gedruckt ist, die Farbfotos ihrer Ensemblemitglieder an eine Wäscheleine hängt, wie sie die Mitglieder ihrer personenreichen Dramaturgie zu Beiträgen aufruft, an der Spitze ihre (bereits in Köln an ihrer Seite arbeitende) Chefdramaturgin und Stellvertreterin, die ebenfalls löwenmähnige Rita Thiele, bis zu dem erfreulicherweise in das Leitungsteam zurückberufenen Michael Propfe, der nach Schirmers plötzlichem Abschied daraus verschwunden war. Wer dies alles während der Pressekonferenz beobachten und die hochbrisante Spannung spüren konnte, die diese Frau selbst innerhalb der vier toten Betonwände des Malersaales initiieren kann, der wundert sich nicht, dass sie als Eröffnungsinszenierung für Mitte November einen neunstündigen Bühnenmarathon ankündigt, den auf die Bühne zu bringen ja nicht nur die Darsteller erheblich fordert, sondern auch sie als deren Regisseurin.
Der Eröffnungsabend trägt den Titel „Die Rasenden“. In einer Nacht werden „Iphigenie“, „Die Troerinnen“ und die „Orestie“ (Aischylos, Euripides und Hofmannsthal) zu erleben sein. Beier hat weitere spannende Pläne: Dostojewskijs „Schuld und Sühne“ (Inszenierung: Karin Henkel) erscheint ebenso wie Jean Genets „Die Neger“ (Inszenierung: Johan Simons), die Uraufführung „Ballade vom Fliegenden Holländer“(Inszenierung: Sebastian Baumgarten), ein großer Klassiker wie Shakespeares „Sturm (Inszenierung: Maja Kleczewska) steht neben der Jelinek-Uraufführung „Strahlende Verfolger“ in der Inszenierung der neuen Hausherrin.
Erfreuliche Personalie: Im äußerst spannenden Reigen der Namen derjenigen, die an Karin Beiers Seite als Menschendarsteller daran mitwirken sollen, das Haus an der Kirchenallee wieder zu Deutschlands Nr. 1 werden zu lassen, finden sich fünf, die Hamburg erhalten bleiben: Ute Hannig, Markus John, Michael Prelle, Martin Pawlowsky und Samuel Weiss.