Von Johanna R. Wöhlke
Eine unerwartete Betrachtung nach einem Museumsbesuch
Wer könnte das Wiener Naturhistorische Museum besser beschreiben als die Texter auf der Museumsseite im Internet unter http://www.nhm-wien.ac.at/museum: „Das Wiener Naturhistorische Museum ist eines der bedeutenden naturwissenschaftlichen Museen der Welt. Seine frühesten Sammlungen sind über 250 Jahre alt. Heute werden 25 Millionen Objekte wissenschaftlich betreut.
Ein prächtiger Palast der Naturwissenschaft beherbergt seit 1889 diese ständig wachsenden Sammlungen. Das Zusammenspiel von Gebäude, Figuren- und Gemäldeschmuck, von Mobiliar und kostbaren Ausstellungsstücken ist weitgehend im Originalzustand erhalten und macht so das Museum als Museum des Museums auch zu einer kulturhistorischen Kostbarkeit, wie sie heute schon Ausnahme ist.
Berühmte und unersetzbare Exponate, etwa die 25.000 Jahre alte Venus von Willendorf, die vor über 200 Jahren ausgestorbene Stellersche Seekuh, riesige Saurierskelette und vieles mehr zählen zu den Höhepunkten eines Rundganges durch 39 weiträumige Schausäle. Zeitgenössische Präsentation mittels moderner Ausstellungstechnik lässt sich auch ohne Zerstörung historischer Strukturen verwirklichen. Das Naturhistorische Museum zeigt es und wurde dadurch zu einem der 10 besten Museen der Welt gewählt.“
Hier liegen und schweben selbst die Engelchen inmitten perfekter Stuckarrangements an Wänden und Bögen in den Armen von Krokodilen und Schmetterlingen, Fröschen und urzeitlichem Getier jeder Art. Am Burgring 7 in Wien geht es lebendig zu, auch wenn das Ausgestopfte Getier nicht zu übersehen ist. Man muss es nur mit lebendigen Augen wahrnehmen.
Der prächtige Palast hielt schon vor einigen Jahren, was er versprach: Faszination, Faszination pur. Als wir damals mit zwei kleinen Kindern in diesen heiligen Hallen unterwegs waren, meinte die Zeit es nicht so gut mit mir. Kleine Kinder und Museen? Das bedeutete immer geteilte Aufmerksamkeit für das Museum. Schließlich darf nicht alles angefasst werden, auch wenn es noch so verlockend da steht und danach verlangt.
Bis heute scheinen die Meteoriten der überwältigenden Mineraliensammlung, gleich rechts die Treppe hoch, beginnend mit Saal 5, in der Phantasie ein Eigenleben zu entwickeln. Besonders wenn man den fast versteckt in einer Vitrine als Computersimulation gezeigten Film über die Wirkungen beim Einschlag eines Meteoriten auf die Erde erleben kann. Schließlich kam man mit dem Flugzeug hierher. Könnte nicht vielleicht eines von diesen Steinchen – es würde schon ein kleines ausreichen, von den größeren ganz zu schweigen…könnte also nicht ein kleines von diesen Steinchen vielleicht auch eine besondere Begegnung mit einem Flugzeug haben, in der Luft, beim Fliegen… Ich spüre: Auch die Phantasie des Menschen scheint ein naturhistorisches Phänomen zu sein. Sie bleibt, beharrlich, und lässt sich nicht verleugnen.
An diesem Tag ist Zeit und Muße, diese Gedanken irgendwann bei einem kühlen Almdudler im Restaurant des Museums zu verdrängen und zu vergessen. Die kleinen Kinder sind groß und nicht dabei. Langsam und fast genüsslich führte mich der Weg vorbei an tausenden von Mineralien in ihren kristallinen Ausprägungen, deren Glanz, Schönheit und Pracht in ihrer Farb- und Formenvielfalt überwältigend ist. Ausruhen vom Schauen – aber schon wieder ist Schauen angesagt. Die alte Pracht des Gebäudes zieht in ihren Bann.
Auf den zierlichen braunen Holzstühlen mit den gepolsterten roten Kissen sitzt es sich bequem. Ein schönes Haus, bestätigt der Kellner auf meine Ansprache hin, aber leider ändere das auch nichts daran, dass er arbeiten müsse. Ein schöner Arbeitsplatz entgegne ich. Ja, ein schöner Arbeitsplatz, ist die Antwort.
Zu bedienen sind viele. Der Almdudler schmeckt. Dann nehme ich ihn wahr, den kleinen Holzstuhl in der Ecke, zur Seite geschoben, geradezu eingepasst in die Ecke zwischen zwei riesigen Säulen. Ich erinnere mich an meine Kinder und den ersten Besuch hier vor vielen Jahren. Den Stuhl erinnere ich nicht. Ein kleiner Kinderstuhl in einem riesigen Museum voller alter, vergangener Zeugnisse des Lebens auf der Erde. Warum zieht er mich so in seinen Bann?
Ist er nicht ein Symbol und eine Metapher für das Leben? Ohne Kinder und Kinderstühle wäre das alles hier nichts. Sind diese Gedanken nicht weit hergeholt, kitschig gar? Mag sein, aber das spielt in diesem Augenblick keine Rolle. Dort steht ein kleiner Kinderstuhl, und er symbolisiert das Leben, für das all dies hier gemacht worden ist. Naturhistorisch, naturhistorisch im besten Sinne. Lebendig, lebendig im besten Sinne.
Fotos: Wöhlke