Herz schlägt Krieg: Eine Familiengeschichte aus erster Hand

Hilde Niggetiet Foto: privat

Im ersten Teil seiner zweibändigen Familiensaga führt Jörg Krämer seine Leser in die Welt des Bergbaus im Ruhrgebiet im Jahr 1865. Der Bergmann Johannes Biel und seine Frau Wilhelmine leben in sehr einfachen Verhältnissen und mit harter Arbeit. Acht Kinder ziehen sie liebevoll groß und freuen sich an den kleinen Dingen.

Jörg Krämer erzählt die Geschichte handlungsorientiert und direkt, man ist sofort in das Geschehen eingebunden. Faszinierend ist der Einblick in eine untergegangene Welt ohne Handy, Fernsehen und Multimedia, dafür mit Arbeit bis über die eigenen körperlichen und seelischen Grenzen hinweg. Da sitzt die Frau zu Hause und bangt, weil der Bergmann nicht zur gewohnten Zeit erscheint. Heute würde man eben anrufen. Kinder werden nicht zur Schule gefahren, sondern müssen weite Wege zu Fuß zurücklegen. Jüngere Geschwister tragen die Kleidung der älteren auf.

Foto: Pavlofox/Pixabay

Die Geschichte spielt in der Zeitspanne von 1865 bis 2001, auf knapp über 600 Buchseiten in zwei Bänden („Im Schatten von Schlägel und Eisen“ und „Herz schlägt Krieg“, beide im net-Verlag erschienen). Sie konzentriert sich in der Erzählweise vor allem auf den chronologischen Ablauf und die Personen. Bedingt durch die große Familie kommen viele verschiedene Personen vor, was teilweise etwas verwirrend ist. Im zweiten Teil ist am Ende ein Personenverzeichnis eingefügt, das einige Orientierung bietet.

Eigenhändige Aufzeichnungen der Großmutter

Hat Jörg Krämer den ersten Teil in Autorenperspektive als Roman geschrieben, so tritt der Autor im zweiten Teil ganz hinter der Erzählstimme Hilde Niggetiets – seiner Großmutter – zurück. Die Erzählung wechselt in die Ich-Perspektive und einen Tagebuchstil. Das bringt einige Sprünge im Erzählfluss mit sich, die nicht literarisch bearbeitet wurden; womöglich, um den authentischen Bericht der Protagonistin nicht zu verfälschen. Nun hat es durchaus etwas für sich, einen Menschen des Jahrgangs 1910 in seiner eigenen Sprache erzählen zu lassen. Die Ich-Form berührt direkt, vor allem in den schweren Phasen der Armut und des Krieges, und die aus anderen Zeitzeugenberichten bekannten Motive wie Kinderlandverschickung und Hamstertouren werden durch die eigenen Erlebnisse sehr lebendig. Durch Hilde Niggetiets eher sachlich-zurückhaltenden Stil sind einige Szenen besonders verstärkt, wenn sie beispielsweise berichtet, wie ihrer Tochter Edith nach der Zangengeburt des ersten Kindes die Beine zusammengebunden wurden, damit die Nähte nicht rissen.

Mit Blick auf das Positive
Foto: Congerdesign/Pixabay

Berührend ist auch, wie die Erzählerin sich bemüht, möglichst viel Positives zu berichten. Immer wieder kommentiert sie ihre Ausführungen selbst in dem Sinne, dass sie dem Schweren nicht zu viel Raum geben möchte. Eine Haltung, die mich an meine Großeltern (Jahrgang 1920) erinnert. Und wie konnte diese Generation auch anders überleben als durch Verdrängung? Meine Großmutter sagte in schweren Zeiten immer, man solle sich nur Schönes ansehen. Und so ist auch in der Familie des Autors Jörg Krämer der Blick eher auf das Schöne als auf das Schlimme gerichtet, und das bei Schicksalsschlägen, die mir beim Lesen manchmal den Atem verschlagen haben. Irgendwie muss es weitergehen, so ist das Motto, und es geht auch weiter, irgendwie. Männer schuften in der Zeche und leisten sich vielleicht ein bescheidenes Hobby wie die Taubenzucht, Frauen schuften zu Hause, zu Anfang von Krämers Geschichte ohne Waschmaschine und mit Wasser auf dem Kohleherd. In jeder freien Minuten scheinen die Frauen der Familie feinste Handarbeiten herzustellen, denn Schönheit war ihnen durchaus wichtig, und da sie nichts kaufen konnten, stickten, häkelten, nähten und strickten sie eben alles selbst und freuten sich daran. Der Einblick in diese Welt, auch in die Fertigkeiten der Menschen, in das Bemühen um Frieden und liebevolles Miteinander, ist sehr anrührend. Manches Wort, wie z. B. „Gabelarbeit“ (eine Häkeltechnik), musste ich nachschlagen. Nicht nur eine untergegangene Welt, auch untergegangene Worte finden sich in Jörg Krämers Familiensaga.

Gleichwohl birgt die tagebuchartige Erzählweise die Gefahr, dass man als Leser mit einigen Sprüngen zwischen Personen nicht mehr nachkommt. Auch wenn es noch schwieriger gewesen wäre, als es vermutlich ohnehin schon war, so einen langen Zeitraum in zwei Büchern unterzubringen, habe ich teilweise im ersten Teil ein Verweilen bei einzelnen Personen vermisst. Im zweiten Teil wäre es vielleicht einen Versuch wert gewesen, behutsam in den Tagebuchstil einzugreifen und ihn mit romanhaften Verbindungen zu ergänzen; allerdings ist es verständlich, wenn der Autor dies aus Gründen der Authentizität unterlassen hat.

Spannung aus vergangenen Zeiten
Foto: Uki_71/Pixabay

Wie auch immer: Eine spannend erzählte Geschichte ist es allemal, man wird als Leser etwas daraus mitnehmen, sei es die eine oder andere Information, wie man „damals“ und speziell in der Bergbau-Welt – die es wohl bald gar nicht mehr geben wird – gelebt hat; sei es ein Einblick in das Seelenleben einer Generation, die sich mit existenziellen Fragen tagtäglich buchstäblich abarbeiten musste und das Wohl der Familie über alles stellte, was mir beim Betrachten unserer heutigen Gesellschaft durchaus den einen oder anderen Denkimpuls gibt. Jörg Krämer hat ein Zeitzeugendokument geschaffen und dabei seiner Großmutter eine Stimme verliehen. Sie beschreibt an einer Stelle, dass es ihm als Oberschüler an Ehrgeiz gemangelt hätte (S. 239, „Herz schlägt Krieg“). Das muss sich später allerdings gründlich geändert haben, denn ohne Ehrgeiz ist so eine Recherche und Romanarbeit kaum zu bewerkstelligen.

 

Über den Autor:
Jörg Krämer Foto: privat

Jörg Krämer, Autor und Taekwondoin, wurde 1966 in Witten geboren, wo er gemeinsam mit seiner Familie lebt. Die Liebe zum Schreiben entdeckte er durch seinen Hund Odin, über dessen Rasse Germanischer Bärenhund er bereits ein Buch schrieb. Oft spielt in seinen Geschichten ein Germanischer Bärenhund mit.

Jörg Krämers Seite in unserem Online-Magazin

 

Die Familiensaga entstand in der Zeit von 2013 bis 2017 und basiert auf handschriftlichen Aufzeichnungen der Hauptfigur Hilde Niggetiet sowie deren Aufnahmen auf Kassette. Dabei war es Jörg Krämer wichtig, den authentischen Originaltext für die Nachwelt zu erhalten.

 

Das beste Buch für guten Stil

Coverausschnitt, (c) Knesebeck Verlag

Wie viele Kleidungsstücke hängen aus alter Tradition in Ihrem Kleiderschrank? Gehören Sie auch zu den Leuten, die zwanzig Prozent ihrer Kleidung regelmäßig tragen, während der Rest so gut wie nie ans Tageslicht kommt? Die Verfasserin dieser Zeilen pflegt zweimal jährlich – nämlich zum Saisonwechsel – sinnierend vor ihrem Klamottenuniversum zu stehen und darüber nachzudenken, welche Teile aus dem Fach ganz oben nach unten in Greifnähe wandern und umgekehrt. Und vor allem, welche rausfliegen. Denn die Umsortierung nach Saison bietet sich dafür an. Allerdings sind die Gründe, warum ein Kleidungsstück mich verlassen oder eben nicht verlassen soll, höchst subjektiv. Nach einer Greenpeace-Studie kaufen wir rein statistisch gesehen jedes Jahr 60 Kleidungsstücke. Was passiert mit den anderen 600 aus den letzten zehn Jahren? Tatsächlich ist Fast Fashion für die Umwelt, aber auch für Menschen, die die Mode produzieren, ein großes Problem. Ob wir nun 60 oder 30 oder 100 Kleidungsstücke pro Jahr kaufen, es stellt sich die Frage: Braucht man das? Was braucht man wirklich, um gut angezogen zu sein? Habe ich mich früher gern experimentierend in verschiedene Fummel gewandet, hat sich im Lauf der Zeit meine Vorliebe eher hin zu schlichteren, kombinierbaren Stücken entwickelt. Was machen dann die alten Wallawallakleider im Schrank? Ziehe ich die noch mal an?

Fashion for Women. Not Girls.
Susanne Ackstaller/(c) Martina Klein, Knesebeck Verlag

In diese Überlegungen hinein fiel mir das Buch „Die beste Zeit für guten Stil“ von Susanne Ackstaller quasi vor’s Smartphone. „Fashion for Women. Not Girls.“ steht auf dem Cover und das sprach mich sofort an. Bei der fulminanten Online-Buchpräsentation war ich fasziniert von Susanne Ackstallers Energie und guter Laune. Und auch die Gemeinschaft der Frauen, die am Buch mitgewirkt haben, fand ich sehr einladend, unprätentiös, klar und spannend. Der Einblick in die Entstehung des Buches war beeindruckend, inklusive eines Blicks hinter die Kulissen der Fotostrecken. Ich bestellte also dieses Buch und las es fasziniert.

Susanne Ackstaller hat einen Katalog aufgestellt, welche Kleidungsstücke eine gute Basisgarderobe ausmachen. Zwischen den Kapiteln für jedes Teil befinden sich elf Porträts über und Interviews mit stilsicheren Frauen, die von der Fotografin Martina Klein wunderbar in Szene gesetzt wurden. Diese Frauen geben auch ihre Empfehlungen für wichtigste Kleidungsstücke im Schrank, und das ist ebenso informativ wie lustig. Denn es geht von „Weiße Blusen in allen Varianten“ (Claudia Braunstein) über „Ein gut sitzendes schwarzes Kleid“ (Carola Niemann) bis „Keine (…)“ (Stephanie Gruppe). Manchmal stimmen die Empfehlungen der Frauen mit denen der Autorin überein, manchmal auch nicht. Etelka Kovacs-Koller bringt es auf den Punkt: „Jede Frau sollte das im Schrank haben, womit sie sich gut fühlt.“ Das kann man als Motto des Buchs begreifen, denn Susanne Ackstaller hat es geschafft, konkrete Empfehlungen mit der Ermutigung zu verbinden, alles so zu gestalten, wie man sich selbst damit am wohlsten fühlt. Dadurch ist das Buch unterhaltsam, locker und anregend statt dogmatisch. Der Anhang „Lassen Sie sich inspirieren“ stellt in sehr kurzen Texten weitere Frauen vor, auf deren Internetseiten Anregungen vielfältigster Art warten.

Lieblingsstücke und Stil-Ikonen
Annette Bopp / (c) Martina Klein, Knesebeck Verlag

Die interviewten und porträtierten Frauen erscheinen wie ein Miniquerschnitt der Frauentypen im mittleren Alter. Sie haben unterschiedlichste Berufe wie Food- und Modebloggerin, Art Directorin, Stylisting und Moderedakteurin, Malerin und Fotografin. Einige habe ich auf Instagram entdeckt. Sie sind rund und schlank, groß und klein, sie sind Frauen wie Sie und ich. Das spiegeln auch die Fotos wider, die die Frauen in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld zeigen. Annette Bopp sitzt barfuß auf der Lehne ihres Sofas vorm Bücherregal (S. 26), Christine Mortag lehnt im lässig-farbkräftigen Outfit in der Tür (S. 106). Die Interviewten verraten ihre Lieblingsmarken, Stil-Ikonen und dergleichen. So entsteht ein vielfältiges und beeindruckendes Kaleidoskop.

Illustrationen von Veronika Gruhl versprühen gute Laune und Schwung, sie hat Susanne Ackstaller sehr gut getroffen. Gemeinsam mit roten Überschriften, Textteilen und Zwischenseiten verleihen sie dem Buch eine frische Note.

Besitzen Sie einen Tüllrock?
Zeichnung: Verena Gruhl, Knesebeck Verlag

Nein? Ich auch nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, einen zu besitzen. Dass er aber in der Empfehlungsliste der Autorin auftaucht, finde ich wunderbar, denn er steht für mich symbolisch für die Ermunterung, etwas Ungewöhnliches, vielleicht sogar Verwegenes zu wagen. Wenn Sie womöglich lange Haare haben, kennen Sie sicherlich den Blick des Friseurs, der liebend gern die Haare kappen möchte, damit Sie jünger aussehen. Ich habe unzählige derartige Empfehlungen gehört. Aber ist es das Evangelium, jünger aussehen zu müssen? Warum soll ich mit Fünfzig, Sechzig oder Siebzig keine langen Haare tragen? Lange Haare sind zwar kein Thema in Susanne Ackstallers Buch, aber ich habe mich daran erinnert gefühlt, weil sie so charmant und souverän mit solchen Dingen aufräumt. Es ist nicht die Frage, ob man zu alt ist für einen Tüllrock, Glitzerschuhe oder lange Haare. Sondern es ist die Frage, ob man sich damit wohlfühlt!

Das ist schon einmal ein gutes Argument für meine Schrankbesichtigung. Obwohl Wallawalla gerade wieder in ist, fliegt das jetzt alles raus. Stattdessen prüfe ich, welche Kleidungsstücke von Susanne Ackstallers Liste bereits vorhanden sind und wie ich zu ihnen stehe. Ich hake ab: die weiße Bluse, die Jeans, die Sneakers, den Trenchcoat, das Nickituch. Wussten Sie, dass das Wort Bluse aus dem Mittelalter stammt? Der Kittel, den Kreuzritter als Schutz über ihrer Rüstung trugen, hieß „Blouse“. Wer schon mal in einer schwierigen beruflichen Situation war und eine gut sitzende weiße Bluse trug, weiß sofort, warum ich das stimmig finde.

Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen

In diesem Buch findet sich zu jedem Stück eine Erklärung zur Geschichte und ausführliche, kurzweilige Erläuterungen, was es mit dem Teil auf sich hat. Hinzu kommen Erklärungen zu Material und Schnitt („Was gibt’s zu beachten?“, Kombinierungsempfehlungen für verschiedene Anlässe („Wie wird’s gestylt?“) und letztlich sogar Bezugsquellen („Wo kriegt man’s?“). Dabei achtet die Autorin auf Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen.

Ihr Plädoyer für Qualität hat mich sofort überzeugt: „Ein Polyesterfetzen mag an 20-Jährigen noch charmant aussehen und bei einer 30-Jährigen gerade noch durchgehen. Aber bei Älteren wirkt er billig. Von möglichen Hitzewallungen unter Kunstfasern ganz abgesehen.“ (S. 23) Wobei heutzutage auch teure Teile aus Kunstfaser sein können. Doch dies ist das nächste Kriterium fürs Ausmisten. Tatsächlich fühle ich mich nicht mehr wohl in Polyester und bin jetzt so weit, alle unliebsamen Teile rauszuwerfen. Abgesehen davon hat man unlängst in Hamburg alle Altkleidercontainer eingesammelt, weil die abgegebenen Teile aus Kunstfasern nicht mehr verwertbar sind – nicht einmal als Lumpen. Die Entsorgung kostet für die Altwarenfirmen zu viel Geld, als dass sich eine Kleidersammlung noch lohnte. Ein Grund mehr, qualitativ Hochwertiges zu kaufen, das man später an Oxfam oder ähnliche Organisationen spenden kann.

Kreativ ins Umstylen

Weiter in Ackstallers Liste. Eine Jeansjacke? Besitze ich nicht. Sollte ich? Ich folge der Empfehlung der Autorin und schaue mich Second Hand um. Tatsächlich eine super Anschaffung, meine graue Jeansjacke! In meiner nächsten Online-Konferenz verpasste sie mir zu einem schlichten Shirt einen lässig-eleganten Look. „Nonchalance, Lässigkeit, Understatement“, meint die Autorin (S. 89) – sie hat recht! Hätte nicht gedacht, dass mir das steht.

Ich ergänze „die Umhängetasche“ durch „den Ledergürtel“ und finde beides in hervorragender Qualität in einem traditionellen Lederfachgeschäft einer niedersächsischen Kleinstadt, und das für sehr wenig Geld. Stattdessen verzichte ich auf „die Glitzerschuhe“, erwerbe aber umgehend „das weiße T-Shirt“. Langsam nimmt mein Stil-Experiment Form an! Ergänzend zu den Kleidungsstücken und Schuhe kommen die Kapitel „der rote Lippenstift“ und „die Augenbrauen“ mit guten Tipps daher. Welches Rot mir steht, finde ich allerdings schwer zu sagen – in einer Farbberatung habe ich gelernt, dass ich ein kühler Typ bin und deshalb eher blaustichige Töne wählen sollte, weil die gelbstichigen mich noch blasser erscheinen lassen, als ich ohnehin schon bin. Dass aber ein roter Lippenstift „Launeheber, Express-Stylist und Schönermacher par excellence“ ist (S. 43), das merke ich gleich, als ich ihn ausprobiere. Super!

Sie sehen schon, ich bin nicht unbedingt schnell durch mit dem Buch. Seit ich es habe, schaue ich jedes Teil im Schrank anders an. Es fällt mir leichter, mich zu trennen. Ich weiß die guten Teile mehr zu schätzen. Das Reduzieren ist ein erleichterndes Gefühl, weniger ist mehr. Ein gutes Teil anzuschaffen und dafür drei, die nichts mehr sind, wegzugeben, ist ein gutes Verfahren. Alles habe ich noch nicht ausprobiert, wie zum Beispiel „das Barrett“, aber das kommt noch! Mit diesem Buch werde ich noch lange Inspiration und Freude haben, und das wünsche ich Ihnen auch. Wer weiß, vielleicht findet sich ja Susanne Ackstallers Fanbase eines Tages mit Selfies, die vom Buch inspiriert sind, auf Instagram wieder?

(c) Knesebeck Verlag

Autorin und Fotografin

Susanne Ackstaller ist Kolumnistin, Bloggerin und Texterin. Seit 2009 schreibt sie auf ihrem Blog Texterella, der zu den bekanntesten Blogs Deutschlands zählt, über Mode und Lifestyle. Texterella richtet sich insbesondere an Frauen über 40, vor allem aber an Frauen, die ihren Weg voller Freude und Lebenslust gehen – unabhängig von Alter und Kleidergröße.

Martina Klein ist Fotografin und bloggt unter Still Sparkling über Stil, Reisen, Beauty und Genuss für die Generation Ü50. In ihren Bildern fängt sie mit viel Feingefühl die individuelle Persönlichkeit der Portraitierten ein und holt sich dabei besonders gerne Frauen Ü40 vor ihre Kamera.

Buchcover

Susanne Ackstaller: Die beste Zeit für guten Stil, Knesebeck, München 2021

„Germanischer Bärenhund“ –  Porträt einer außergewöhnlichen Hunderasse

Als Hof-, Hirten- und Jagdhunde setzten die Germanen robuste, ausdauernde und wachsame Hunde, sogenannte Germanische Bärenhunde, ein. Diese mussten in einer harten, lebensfeindlichen Umwelt überleben und ihre Sippe verteidigen.

Im Laufe der Zeit verlor sich die Spur dieser Hunde. In den 1980er Jahren entwickelten sich aus einem Fehlwurf zwischen Bernhardiner und weißem Hirtenhund Welpen, die dem alten Germanischen Bärenhund nahekamen. 1994 wurde der moderne Germanische Bärenhund schließlich vom Deutschen Rassehunde Club anerkannt. Jörg Krämer schildert die Geschichte der Geburt dieser Hunderasse, illustriert die historischen Details mit kleinen Geschichten und Anekdoten sowie Bildern und gibt Ratschläge zu Haltung und Erziehung der kinderlieben, gutmütigen, charakterfesten Vierbeiner, die sich gut als Familienhund eignen.

Passt der Germanische Bärenhund in die Familie?

Ob die positiven Charaktereigenschaften voll zur Entfaltung kommen, hängt jedoch entscheidend von der richtigen und artgerechten Haltung ab. So ist das Buch eine wertvolle Informationsquelle, damit die Liebhaber dieser Rasse vor der Anschaffung eines solchen Hundes hinreichend überprüfen können, ob sie dem Tier und seinen Ansprüchen überhaupt gerecht werden können. Rüden können immerhin ein Gewicht bis 85 kg und eine Widerristhöhe von 85 cm erreichen, Hündinnen bis zu 70 kg bei einer Höhe bis zu 80 cm. Im Schnitt erreichen die Tiere ein Alter von zehn bis zwölf Jahren. Neben den häuslichen Gegebenheiten geht der Autor umfassend auf verschiedene Themen ein, wie z.B. die wichtigsten Grundregeln zur Ernährung und Gesundheit, empfohlene Impfungen und Wurmkuren, die kleine Hausapotheke, die Eingewöhnung und Erziehung des Welpen, Steuer und Versicherungen, was es vor dem Kauf eines Bärenhundes alles zu beachten gibt und wie man den passenden Züchter finden kann. Ein Erfahrungsbericht zum Leben mit dem Germanischen Bärenhund, Begegnungen mit Artgenossen auf Spaziergängen, mit dem Hund auf Reisen und schließlich die Begleitung des treuen Weggefährten auf seinem letzten Weg, runden das Buch ab und geben ihm eine sehr persönliche Note. Die Tipps sind alltagstauglich und auch mögliche Probleme, die sich ergeben können, werden angesprochen. Der Text ist sehr gut geschrieben und die informativen Bilder sind sehr ansprechend. Für diejenigen, die ernsthaft mit dem Gedanken spielen sich einen Germanischen Bärenhund anzuschaffen, ist das Buch ein nützliche Entscheidungshilfe vor dem Kauf. Wer sich bereits für einen Bärenhund entschieden hat, findet hier wertvolle Informationen und Tipps zum Leben mit dem sanften Riesen.

Jörg Krämer: Germanischer Bärenhund
Herausgeber: ‎ novum pro
Taschenbuch: ‎ 124 Seiten
ISBN-10: ‎ 3990266969
ISBN-13: ‎ 978-3990266960
Abmessungen: ‎ 13.49 x 0.76 x 21.49 cm
Preis: 17, 40 Euro

 

 

Website des Autors: https://www.ruhrpottstory.com/

Eine Perlenkette fürs Bücherregal

Susanna M. Farkas, Gerrit Pohl, Charlotte Ueckert und Ralf Plenz (v.l.n.r.)

Zum Start der Reihe „Perlen der Literatur“ hat der Input Verlag aus Hamburg die ersten 13 Bände vorgelegt. Verlagsinhaber und Büchermacher Ralf Plenz führt hier seine Vorlieben für anspruchsvolle Literatur, handgemachte Bücher sowie für Kalligrafie zusammen.

Plenz hat sich für sein Vorhaben, für das er 2018 beim Schreiben seiner Romantrilogie die erste Idee hatte, ein Team aus einer Literaturwissenschaftlerin, einer Autorin und und einem Übersetzer zusammengestellt – denn der Plan ist nichts weniger als eine Neuauflage europäischer Literatur als Kontrapunkt zur amerikanischen Literatur, die den Buchmarkt derzeit dominiert.

Gekürzt, vereinfacht, neu übersetzt

Bei den „Perlen der Literatur“ geht es ausschließlich um bereits im 19. oder 20. Jahrhundert erschienene und seinerzeit erfolgreich gewesene Bücher. „Sprachgewaltig, aber vergessen“, so Ralf Plenz. Zur Auswahl der Titel werden Germanisten, Anglisten und Romanisten, Buchhändler, Bibliothekare, Psychologen und Vielleser befragt; dann wird die Auswahl von einem Beirat kuratiert und von Ralf Plenz herausgegeben. Dieser kauft nach Möglichkeit die Erstausgabe eines Titels antiquarisch, um wirklich den Originaltext und nicht eine bereits lektorierte oder übersetzte Version als Basis zu nehmen. Die Autorin und Gesangspädagogin Susanna M. Farkas, der Autor und Übersetzer Gerrit Pohl und die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Charlotte Ueckert bilden das Team um Ralf Plenz, das sich mit dem Lektorat und der Übersetzung beschäftigt. Ein interessantes Unterfangen ist es dabei, dass die Texte auch bearbeitet werden. So hat Susanna M. Farkas den Roman „Schatzinsel“ verkürzt und vereinfacht, um Passagen ohne Brüche zu verbinden. Gerrit Pohl hat in der Neuübersetzung von „1984“ sprachliche Anpassungen an die „Jetzt-Sprache“ vorgenommen und den Satzbau angepasst. Was im ersten Moment verwundert und als kühn anmutet, erweist sich im näheren Befassen mit „Bezaubernder April“, eine ebenfalls von Gerrit Pohl neu übersetzte Version des als „Verzauberter April“ bekannten Romans Elisabeth von Arnims, als behutsame, wohl überlegte und angewandte Transferierung in die heutige Zeit. Der anspruchsvolle, leicht ironische Erzählstil von Arnims bleibt erhalten, auch die Sprache ist als aus einer anderen Zeit stammend erkennbar – jedoch liest sich Pohls Übersetzung sehr flüssig und angenehm, sodass die Hoffnung des Verlegers Ralf Plenz, auch jüngere Leute für diese Bücher zu interessieren, zumindest nicht an der Erzählsprache scheitern dürfte. Auch wenn Charlotte Ueckert nach eigenem Bekunden manchmal „Bauchschmerzen dabei hat, Weltliteratur zu verändern“ und sie sich mit Ralf Plenz zuweilen „fetzt“ – was nützt die schönste Literatur, wenn sie heute nicht mehr verstanden und gelesen wird?

Mit Hingabe zur Buchgestaltung

Die Zeitspanne, in der die jeweiligen Autoren lebten, und die Hintergründe des literarischen Werks sind in jede Ausgabe der „Perlen der Literatur“ eingebettet. Da gibt es Abbildungen der Originalausgaben und die Banderole enthält Informationen und Autorenbilder. Überhaupt ist die Ausstattung der Reihe bemerkenswert. Jede Ausgabe, Hardcover mit Fadenbindung, bekommt ein individuelles Vorsatzpapier, dessen Design mit dem Inhalt zusammenhängt, und einen Leineneinband. Die Vorsatzpapiere gestaltet der Bruder des Verlegers, der Grafiker Jörn Plenz. Statt eines Lesebändchens bekommt jeder Band eine individuell gestaltete Banderole, die mehrere Funktionen erfüllt: Sie lässt, im Gegensatz zu einem Buchumschlag, die Haptik des Leineneinbands erspüren, wenn man das Buch in Händen hält; sie fungiert als Lesezeichen, enthält Informationen und ist auf der Außenseite von Ralf Plenz kalligrafisch mit Wortkunst gestaltet, die wiederum Bezüge zum Inhalt aufweist. Stellt man die Bücher in der korrekten Reihenfolge ins Regal, ergibt sich eine Gesamtgrafik aller Banderolen auf den Buchrücken – so entsteht die Perlenkette fürs Bücherregal. Jedes Jahr sind acht Titel geplant, jeder Jahrgang bekommt eine andere Farbe, sodass die Reihe für Buchsammler attraktiv ist, die einen schönen Anblick im Regal zu schätzen wissen. Dabei ist der Preis von 15 Euro pro Buch sehr günstig, denn es liegt dem Verleger am Herzen, dass viele Menschen sich die Bücher leisten können.

Neben den erwähnten, recht bekannten Buchtiteln finden sich getreu dem Motto der Reihe auch Titel, die es neu zu entdecken lohnt. Mitten im Ersten Weltkrieg schrieb beispielsweise Felix Timmermans 1916 über den pfiffigen Bauer „Pallieter“, der zu einem flämischen Nationalheld wurde, ähnlich dem deutschen Till Eulenspiegel. Der hunderttausendfach gelesene, übersetzte und sogar verfilmte Roman mit hinreißenden Naturbeschreibungen ist „heute, in einer Zeit, in der Sinnsuche in Konsum und Besitz kaum mehr Grenzen kennt und anerkennt, aktueller denn je – das perfekte Buch zur Entschleunigung“ (Verlagstext). Ein Kleinod ist auch Walter Benjamins „Einbahnstraße“ mit kurzen Texten, Impulsen und Aphorismen.

Alles in allem sind die „Perlen der Literatur“ ein gelungenes Gesamtkonzept, dem ein respektabler Platz im Buchmarkt zu wünschen ist.

Back to the roots: „Demos, Baddest“

Audiovorstellung eines Komponisten-Albums:

Goetz Egloff. Demos, Baddest. TuneCore, New York, 2021

Das bei TuneCore erschienene Musik-Album wartet mit zehn Titeln auf, gedacht  für (überwiegend weibliche) ´Recording Artists´ des R&B Pop, eines in Deutschland wenig beheimateten, aber immer wieder gern gehörten Musikstils. Denken wir an ältere (Madonna, Chaka Khan, Paula Abdul) und jüngere Popdiven (JoJo, Kesha Sebert, Katy Perry),  so kommen wir dem, was in Nordamerika als R&B Pop bezeichnet wird, recht nahe.

Die Stilrichtung, die einst zu Hip Hop und Rap führte und dann in ihren Amalgamierungen in heute hochdiversifizierte Richtungen wie Trap, Art Pop oder Neo Soul mündete, geht nicht nur allseits auf Rhythm & Blues zurück, sondern bildet nach wie vor den Grundstein heute weltweit gängiger Rock- und Popmusik. In Rückbindungen an andere Stilrichtungen wird R&B somit immer wieder neu erfunden.

„Demos, Baddest“ bietet jene Pop-Rückbindung, die insbesondere im US- amerikanischen Raum mit Songs der späten Aretha Franklin, der frühen Whitney Houston oder auch Bands wie Mint Condition verbunden wird. Als musikalische Einflüsse sind hier Komponisten wie Sturken & Rogers, Steve Bray oder St. Paul Peterson zu vernehmen.

Works in Progress

Da es sich um ein b2b-Album handelt, also um ursprünglich intern gedachte Demos, die auf Komposition und Arrangement abheben (und nicht so sehr auf Sounddesign) und nach Produktion verlangen, müssen Abstriche beim Klang in Kauf genommen werden. Bevor nämlich mittlerweile hochprofessionell an heimischen Rechnern aufzunehmen begonnen wurde, war es üblich Demos einzuspielen, also Songs in einer Vorform vorzuproduzieren – daher b2b, business-to-business. Demos waren (und sind zum Teil noch) das Vehikel, mit dem Autoren, Produzenten, Sänger und Sängerinnen den Plattenfirmen zeigen konnten, was sie musikalisch vorhaben. Unzählige dieser Song-Vorstufen sind mittlerweile bspw. auf YouTube aufzurufen; das Faszinosum für Fans besteht wohl darin, retrospektiv in den Entstehungsprozess von Titeln einzutauchen, die Teil der eigenen Lebensgeschichte wurden und mit denen man emotional viel verbindet. Von Madonna bis Michael Jackson gehen die Aufrufe vieler unfertiger ´Works in Progress´ vergangener Zeiten in fünf- bis sechsstellige Ziffern. Interessant ist dabei für Musikfreunde, dass auch Hits nicht vom Himmel fallen, sondern oft mühsam er- und bearbeitet werden müssen – künstlerisch, technisch, gestalterisch, und oft in überlangen Arbeitsstunden.

Auch wenn „Demos, Baddest“ als Komponisten-Album auf Equipment von Roland, Kawai und Yamaha aufgenommen wurde, so sind die Songs das, was in der Musikbranche ´trocken´ genannt wird. Gemixt und gemastert zwar, doch Effektboards kamen nicht zum Einsatz, und selbst die Bassdrum wurde durch keinerlei Filter geschickt. Dafür aber ist das ´feel´ der Songs, auf exakt einer Gesangsspur im Mixdown, spürbar, und Kompositions- und Arrangement-Fans sowie Freunde von Funk- und Jazz-Harmonik dürften auf ihre Kosten kommen.

Um ein paar b2b-Stimmen zum Album zu zitieren: Was von High Vibe Records aus Nevada City als ´cool, funky melody´ bezeichnet wird, nennt die Münchner Boys Deep Music ´sehr unique´ („Lovable“); von Moon Sound, Niederlande, lässt sich ein ´amazing work´ („Belle Epoque“) vernehmen.

So minimalistisch die teilweise in Co-Autorenschaft geschriebenen Songs überwiegend arrangiert sind, sie sind immer – dem R&B Pop-Modus folgend – rhythmisch, synkopiert, oft harmonisch vielschichtig. Also: trocken, aber hörbar und sogar tanzbar. HiFi-Freaks bitte weghören – ansonsten gilt: ´Volume up´!

Goetz Egloff. Demos, Baddest. TuneCore, New York, 2021, 48 min., 8.99 $

Zugänglich bzw. erhältlich über YouTube, Amazon, Deezer, Spotify, Pandora u. Ä.

Tracklist:
  1. Belle Epoque
  2. Grand Larceny
  3. Uh Oh
  4. Leave U Alone
  5. So Arousing
  6. Love Computer Book
  7. Take Your Body on a Trip
  8. Scanties in a Bag
  9. Lovable
  10. 2 Private
Links:

Link zu Belle Epoque: https://www.youtube.com/watch?v=HEiUgHO4Amw

Link zu Lovable: https://www.youtube.com/watch?v=36H8ffaKP4Y

Link zum Album auf Amazon: https://music.amazon.de/artists/B08LBGWH8J/goetz-egloff

Rucksack – A Global Poetry Patchwork

Rucksack 2020, Foto: Antje Stehn :: Die Installation ist seit September 2020 im Il Piccolo Museo della Poesia, Chiesa di San Cristoforo (Piacenza/Italien) zu sehen.

Drei unserer Mitglieder, nämlich Emina Čabaravdić-Kamber, Maren Schönfeld und Gino Leineweber, sind an dem internationalen Poesie-Projekt mit Gedichten beteiligt. Das von Antje Stehn initiierte Projekt beschreibt sie auf ihrer Seite thedreamingmachine.com:

Rucksack, bei Global Poetry Patchwork ist ein Kunstinstallationsprojekt, das am 26. September 2020 im Piccolo Museo della Poesia in Piacenza (Italien) eröffnet wird. Es besteht aus zwei Makroarbeiten: einer Installation mit einem großen Beutel, dem Rucksack, aus getrockneten Teebeuteln und einer Ausstellung mit kurzen Gedichten, die am Ende der Ausstellung in das Museumsarchiv aufgenommen werden sollen. Eine Audio-Loop-Installation bietet dem Publikum die Möglichkeit, den Stimmen von Dichtern zu lauschen, die in ihrer Muttersprache rezitieren. Das Werk vereint eine große Anzahl von Menschen, Orten, Visionen, Sprachen und unterstreicht den Wert der Nähe, der in diesem von Distanz und Enge geprägten historischen Moment, von der akuten Prekarität des menschlichen Netzwerks, so bedeutsam ist. 

Warum Tee? Warum Poesie?

Teebeutel haben eine lange Geschichte, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht, als die Chinesen anfingen, kleine quadratische Beutel zu nähen, um das Aroma der verschiedenen Tees besser zu bewahren. Die „Tee- und Pferderoute“ entstand während der Tang-Dynastie (618-907), lange vor der Seidenstraße, um die Handelsbeziehungen zwischen Tibet und China zu festigen. Und seitdem gehören Teebeutel zu den kleinsten Behältern, die wir in jedem Haushalt verwenden und finden. Tragetaschen gehörten zu den ersten Werkzeugen, die Frauen und Männer benutzten, um Gegenstände und Erinnerungen zu transportieren. Unsere Vorfahren waren Jäger und Sammler, aber in Wirklichkeit dominierten Sammler, da 80% ihrer Nahrung aus dem Sammeln von Samen, Wurzeln, Früchten in Netzen, Säcken und in jeder Art von Lichtbehälter stammten. Taschen waren gestern wie heute wichtige Transportmittel, wie wir sehen, dass Tüten in den Supermärkten als Einkaufsbehälter verwendet werden. 

seeking unity / by drawning the argument / in a cup of tea :: Haikuinstallation: Maren Schönfeld / Übersetzung: Barry Stevenson

Poeten aus aller Welt haben Gedichte eingereicht, teilweise auch künstlerisch verpackt, und kurze Filme mit der Lesung ihrer Gedichte in ihrer Muttersprache gedreht. Diese sind auf dem Youtube-Kanal Rucksack a Global Poetry Patchwork zu sehen.

Deutsch-italienischer Lyrik-Nachmittag

Gemeinsam mit der Hamburger Autorenvereinigung gestaltet Antje Stehn mit den Autorinnen und Autoren Emina Čabaravdić-Kamber, Sabrina De Canio, Uwe Friesel, Don Krieger, Gino Leineweber, Claudia Piccino, Mamta Sagar und George Wallace einen Lyrik-Nachmittag. Die Begrüßung übernimmt die Vorsitzende der Hamburger Autorenvereinigung, Sabine Witt (ebenfalls Mitglied der DAP), die Moderation erfolgt durch die Initiatorin des Projektes, Antje Stehn, sowie den Hamburger Autor und Ehrenvorsitzenden der HAV, Gino Leinweber.
Die Lesung findet am Samstag, den 10.07.2021, als Zoom-Meeting statt. Der Beginn ist um 19:00 Uhr. Anmeldung unter info@hh-av.de, den Teilnahmelink erhalten Zuhörer dann per E-Mail.
Die Teilnahmegebühr beträgt € 8, für Mitglieder der HAV frei.

Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien.

Die „Coronik“ zu Corona

Zur Ausstellung „Überall Viren?“ von Susanne Kleiber in der Bedürfnisanstalt

Während manche Kreative durch den Lockdown in eine Schaffensblockade gerutscht sind, hat Susanne Kleiber ihre eigene „Coronik“ erstellt: Auf siebzig Seiten der ZEIT, die mit Artikeln zu Corona bedruckt sind, hat sie während des ersten Lockdowns ihre markanten Figuren gezeichnet. Einen Teil der Bilder stellt sie jetzt in der Bedürfnisanstalt aus. Diese Figuren berühren und bleiben im Gedächtnis, weil sie weder irgendwelchen Moden oder Schönheitsidealen folgen noch besonders vorteilhaft posieren. Sie sind wie sie sind und fordern mich als Betrachterin selbstbewusst dazu auf, sie mit ihren Ecken und Kanten wahrzunehmen. Susanne Kleiber hat, nachdem das Aktzeichnen an der Kunstklinik in Eppendorf wegen der Pandemie-Regeln nicht mehr möglich war, in Zoom-Konferenzen Aktmodelle gemalt. Eine Serie dieser Bilder ist ebenfalls in der Bedürfnisanstalt zu sehen.

In der Ausgabe Nr. 9 der ZEIT wurde die Künstlerin porträtiert und hat die Seite mit einer Illustration bereichert, die in der Ausgabe gedruckt wurde. Das kann man durchaus als Kunstdruck betrachten – aber es gibt schon mehrere Exemplare dieser Seite, die Susanne Kleiber noch weiter gestaltet und sie damit wieder zu einem Unikat gemacht hat. Man kann, sofern man im Besitz einer dieser Seiten ist, die Künstlerin mit so einer Zeichnung beauftragen. Der Artikel ist auch online abrufbar: Artikel ZEIT online

Übermalte und freigelassene Textteile und Überschriften bilden eine Symbiose mit Susanne Kleibers Zeichnungen und bauen gleichzeitig eine Spannung zwischen Typographie und freien Strichen auf. Ein klares Konzept, das sowohl die Zeichenkunst als auch das Printmedium Zeitung in einem neuen Blickwinkel zu betrachten auffordert.

Die Ausstellung ist noch bis zum 26. März 2021 in der Bedürfnisanstalt, Bleichenallee 26 a, 22763 Hamburg, zu sehen. Da es nur ein kleiner Raum ist und man fast eine ganze Fensterfront öffnen kann, können die Kunstwerke fast im Freien betrachtet werden (mit Mund-Nasen-Schutz). Zu jeder Tages- und Nachtzeit sind die Werke darüber hinaus durchs Fenster zu sehen.

Homepage der Künstlerin

Was Körper und Geist im Inneren verbindet

Mit dem gut 200 Seiten starken Gedichtband „Silberfäden“ legt Gino Leineweber in einer Gesamtausgabe seine beiden ersten Sammlungen vor. Der Verleger und Poet Simo Eric aus dem Verlag „Das Bosnische Wort“ würdigt den international vernetzten Lyriker und Verleger in seinem Vorwort.

Dessen Lyrik wechselt zwischen – philosophischen – Blicken auf das große Ganze und situativen Betrachtungen einzelner Themen, Erlebnisse und Empfindungen. Der Autor verhandelt ehrlich und unverstellt, ohne inhaltliche oder formelle Attitüden, in knapp formulierten, prägnanten und überwiegend kurzen Poemen den jeweiligen Gegenstand seines Gedichts. Dabei lässt er angenehmen, aber nicht zu großen Raum für die Interpretation. Er bezieht Position, ohne eine Lesart zu vorzugeben. Ernste Themen, auch bedrückende wie das Leid, das Menschen an anderen begehen, wechseln mit lakonisch-humorvollen Texten ab, wenn der Autor sich selbst, aber auch das vermeintlich typisch Männliche bzw. Weibliche aufs Korn nimmt.

Der Einblick in männliches Empfinden, humorvoll zuweilen, manchmal auch größte Pein durchlassend, ist faszinierend. Das Alter(n), die Rolle in Beziehungen und in der Welt geht in die Lyrik ein und trägt zwischen den Zeilen Ungesagtes weiter, das nach der Lektüre fortwirkt. Die poetische Auseinandersetzung mit weltlichen Dingen wie Besitz und Status bleibt so angenehm zurückhaltend und verknappt, dass das Nachdenken darüber und das Herstellen eines Bezugs zur eigenen Lebenssituation fast unbemerkt beginnen. Von der allumfassenden Perspektive zurück im Detail, zeigt Gino Leineweber auf, was wir alle in den Beziehungen zu unseren Familien und Partnern erleben und versäumen. Berührend spiegelt er u.a. Bande zwischen Vater und Sohn, das als selbstverständlich Hingenommene der elterlichen Zuwendung und Versorgung, die Angst, dass es zu spät sein könnte, etwas zu äußern. Auch Prägungen der Kindheit sind eindrucksvoll Thema:

Schulzeit

Fliehen lernen
Andere Welten
Endlich lesen

Dabei schreibt er mal mit lyrischem Ich, mal in der dritten Person, was eine distanzierte, originelle Perspektive ist. Dass der Lyriker hieraus jedoch kein Dogma macht, sondern offensichtlich für jedes Gedicht entscheidet, ob es ein lyrisches Ich – oder ein Du – bekommt oder nicht, zeigt die aufmerksame Komposition. Überhaupt lassen die Gedichte den Schluss zu, dass Gino Leineweber ein reflektierter und bewusst wahrnehmender Mensch ist. Ein Gedicht aus dem ersten Kapitel empfinde ich als wegweisend:

Ich

Das Ich ist
Was Körper und Geist
Im Innern verbindet

Die Mitte der Platz
An dem
Von Augenblick zu Augenblick
Sich das Bewusstsein findet

Mich haben die Gedichte inspiriert, innezuhalten, hinzusehen, meine Innen- und Außenwelt bewusster wahrzunehmen und die Empathie für meine Mitmenschen nicht zu vergessen.

Alltägliches – schmerzlich vermisst

Buchcover

Als Joachim Frank die Kurzgeschichten und Erzählungen seines Bands „Farben in wechselndem Licht“ schrieb, dachte er ganz bestimmt nicht daran, dass wir es mit einer Corona-Pandemie zu tun bekämen. Und so erscheinen die unterhaltsamen, zum Nachdenken anregenden oder auch zum Lächeln verführenden Erzählstücke über das Lesevergnügen hinaus in einem besonderen Licht.

Da konnte man noch reisen, ohne in Quarantäne zu müssen. Man ging ganz selbstverständlich ins Café, man kam sich nah und von „Munaschu“ ist keine Rede. Damit hat Joachim Frank mit seinem Buch zunächst in den Fokus gerückt, wie unser Leben vor Corona aussah, was für uns selbstverständlich gewesen ist und was wir nun schmerzlich vermissen. Das thematische Spektrum der Erzählungen spart jedoch auch Krankheit nicht aus, sondern gibt einfühlsam Einblick in Folgen einzelner Schicksale, die Menschen wie dich und mich heimsuchen. Dabei folgt der Autor dem Motto „Weniger ist mehr“, konzentriert sich auf wenige, markant gezeichnete Charaktere und wenige Begebenheiten, die, von den Figuren unaufdringlich reflektiert, in den Lesern fortwirken dürften.

Das in fünf Kapitel unterteilte Buch (Reiseperlen/Abschiede/Blickwinkel/Take it easy/Weihnachten) deckt breite Leserinteressen ab. Das Reise-Kapitel beschränkt sich nicht auf Schilderungen von Örtlichkeiten, sondern bringt auch einige geschichtliche Hintergründe und setzt sich mit Klischees und Vorurteilen auseinander, ohne zu werten. Im Kapitel „Abschiede“ erzählt Joachim Frank einfühlsam von Wendepunkten, die bedrücken oder erleichtern. Berührend ist die Szene einer Männerfreundschaft zwischen einstmals sportlich aktiven Männern, von denen der eine nur mehr ein Schatten seiner selbst ist. Das Ungesagte nimmt hier den meisten Raum ein, die Geschichte berührt sehr. Eine originelle und interessante Perspektive nimmt der Autor in den Geschichten „Inferno“ und „Ansichten eines Gemäldes“ ein, indem er sich in der erstgenannten Erzählung in den Maler Egbert van der Poel (1629-1684) hineinversetzt, dessen Schaffen sich nach einem Feuerinferno dramatisch veränderte, und in der letztgenannten gar aus der Perspektive des Gemäldes schreibt.

Bedrängnisse und Fettnäpfchen, die im Alltag nicht immer zu umschifft werden können und vor allem denjenigen, die das Ganze von außen betrachtet, viel Heiterkeit bringen, birgt das Kapitel „Take it easy“. Augen auf beim Beschenken der Ehegattin, möchte man dem Protagonisten der Geschichte „Fit in den Frühling“ zurufen.

Schließlich kommt die Sammlung mit dem aus einer etwas längeren Geschichte bestehenden Schlusskapitel wieder in der Gegenwart an, denn es geht auch hier um ein Weihnachten, das ganz anders als geplant verläuft. So wie es in diesem Jahr 2020 unvorhergesehenerweise sehr vielen Familien gehen dürfte, hat in dieser Geschichte nicht eine Krise von außen, sondern von innen alles in der Hand. Wird die Familie das Fest noch retten?

Die Sammlung kurzer Prosastücke von Joachim Frank ist wie geschaffen für diese Zeit: Sie unterhält, regt zum Nachdenken an, erheitert und gibt gute Impulse. Wenn man täglich eines der kurzen Werke liest, hat man 14 Tage lang etwas von dem Buch. Fangen Sie doch Weihnachten damit an.

 

Joachim Frank wurde 1952 in Hamburg geboren. In Prisdorf und Schweden lebend, schreibt er Erzählungen und Kurzgeschichten, die er in mehreren Einzeltiteln sowie in Zeitschriften, Zeitungen und Anthologien veröffentlicht. Unter den Preisen, die er bekommen hat, sind der Kurzgeschichtenpreis der Hamburger Autorenvereinigung (2016) und der Preis des Erwin-Strittmatter-Vereins (2019).

Joachim Frank: Farben in wechselndem Licht, Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 2020

Joachim Frank

Die Wirrnisse des Alltags

Lilo Hoffmanns neuer Roman spielt in Eimsbüttel, Lokstedt und St. Pauli.

Erst vergisst sie ein Kind aus ihrer Gruppe auf dem Spielplatz und dann fährt ihr auch noch so ein Modepüppchen ins Auto – die Woche fängt ja gut an!
Als Leserin bin ich sofort in der Geschichte, die so temporeich beginnt. An der Seite der Erzieherin Iris geht es, zeitweilig mit einem Eierlikör gestärkt, weiter durch deren turbulente Tage, eben wie im echten Leben. Vor der Lokalkulisse Hamburgs erzählt Autorin Lilo Hoffmann die Ereignisse zweier sehr verschiedener Mitbewohner – von denen eine das Modepüppchen werden wird – und die Erlebnisse der Hauptperson Iris. Deren Freund Alex war am Anfang ganz hinreißend und ist nun eher ins Vage abgedriftet, bevor er sie mit einer nicht vorhersehbaren Lebenswendung überraschen wird. Neben Modepüppchen Dana, ihres Zeichens Radiomoderatorin und mit schrägen Typen bekannt, kommt Iris sich manchmal wenig hip vor, bis sie herausfindet, dass da auch nicht alles Gold ist, was glänzt. Die Eierlikör-Tradition ihrer Großmutter bildet eine stabilisierende Konstante für Iris und erfreut die Leserin gleichermaßen. So treibt das Leben Iris in diverse lustige und weniger lustige Situationen, es geht um Abschiede und (neue) Freundschaften, um dumme und schöne Zufälle. Iris gibt sich keine Mühe, die hippe Großstädterin zu geben, sondern schaut mit sympathischer Verwunderung und vielleicht ein wenig heimlicher Verehrung Danas Treiben zu. Sie verbiegt sich nicht, sondern bleibt sich treu und verweigert sich auch mal, wenn es ihr zu bunt wird. Ich habe dieses Buch gern gelesen, mit Iris mitgefiebert und ihr das Beste gewünscht, das sie meiner Meinung nach unbedingt verdient hat. Eine wunderbare Lektüre zur Entspannung, vielleicht mit einer Tasse Kaffee – oder einem Eierlikör.

 

Lilo Hoffmann: Wenn das Chaos perfekt ist
Verlag Tinte & Feder, 2020, 283 Seiten
Taschenbuch und E-Book

Eine nicht eben unfrohe Botschaft

Peter Rühmkorf spricht bei Künstler für den Frieden im St. Pauli-Stadion, Hamburg, 1983, Foto Helga Kneidl, DLA Marbach

Vor fast genau 21 Jahren lernte die Verfasserin dieser Zeilen – noch mitten im Studium und ersten lyrischen Versuchen zaghaft Raum gebend – den großen, ihr jedoch unbekannten Peter Rühmkorf auf einem Literaturseminar im Hause Kempowski kennen. Der  schlaksige Autor saß mit einer Zigarette und einem Glas Wein an einem kleinen, runden Tisch auf der Empore im Spiegelsaal und hob an, aus seinen Gedichten zu lesen; ein rhythmischer, musikalischer Vortrag aus einem Guss, mit Humor und Tiefe, manches Lachen blieb im Halse stecken. Der Klang seiner Verse in dem ihm eigenen Hamburger Slang und mit der leicht angerauhten Stimme zog in Bann, auch die kniffligen Reime fielen auf, noch lange vor der dann folgenden Analyse der Texte auf dem Papier. Die nahm natürlich nicht Peter Rühmkorf vor – der hatte anderes zu tun mit den ganzen Damen, die ihn in den nächsten Stunden umringten. Hausherr Walter Kempowski zog sich bald ins Schlafgemach zurück, während die Heldenverehrung in der so genannten Lotterecke bis tief in die Nacht weiterging – bis wann genau und wie sie endete, wer weiß?

Grappa in Ottensen

Jedenfalls ergab sich Gelegenheit, dem berühmten Poeten, der gar nicht so weit entfernt von der aufstrebenden Lyrikerin wohnte, einige Bücher abzukaufen und sogar ihm wiederum mit klopfendem Herzen und leicht hibbeliger Hand ein Lyrikmanuskript zu überreichen, ihm tatsächlich das Versprechen abzuringen, das Gedichtete zu lesen und zu kommentieren. Seine Widmung im Buch „Außer der Liebe nichts“ lautete: „auf einen Grappa in Ottensen“. Leider kam es nie dazu. Man reiste zurück nach Hamburg, jeder in seine Ottensener Stube, und es verging die schweigende Zeit. Doch dann, als damit kaum noch gerechnet werden konnte, kam ein mit Schreibmaschine getippter Brief mit dem Absender Övelgönne 50. Jedes kleine o war ein Loch im Papier und die großen Buchstaben hopsten nach oben aus der Reihe. Dieser Brief war frech! Es war von „klavieren hier und da“ die Rede und davon, dass es an noch der eigenen, unverkennbaren Stimme fehle. Aber: Vereinzelt anerkennende Bemerkungen, in Witzigkeit gekleidet das Ganze, und am Ende dann doch unglaublich motivierend. Das Klavieren kann man doch nicht auf sich sitzen lassen! Insgesamt war es, gleichsam im Sound seiner Gedichte, eine nicht unfrohe Botschaft. Aber Grappa trinken wollte ich mit dem nicht mehr. Jetzt musste ich erst mal schreiben, schreiben, schreiben …

Laß leuchten! – völlig neues Konzept einer Ausstellung
Foto: SHMH

Es gab keine weitere Begegnung zwischen uns. Aber die Lektüre und Analyse seiner Gedichte, das wiederholte Anhören seiner Lesung auf CD und natürlich dieser freche Brief, das alles hat mein Schreiben und mich geprägt und vorangebracht. Eine Weile nun standen die Bücher im Regal, bis im letzten Jahr die Einladung von der Stiftung Historische Museen Hamburg kam. Diese Ausstellung ist rundum ein Meisterwerk. Die Modernität, die Rühmkorfs Gedichte unter anderem ausmacht, hat das Altonaer Museum zusammen mit der Arno Schmidt Stiftung in Präsentation umgesetzt. Rühmkorf war mit seiner Poetik immer einen Schritt voraus.

Foto: SHMH

Dem Konzeptteam ist es mit digitalen Medien, Bild und Ton, eingebettet in einen wunderbar gestalteten Raum mit Teppich und Mini-Sofas, ebenfalls gelungen. So etwas gab es noch nie. Die Ausstellung beginnt mit dem Werk, dahinter steht der Mensch, also folgen nach den Gedichten und den Installationen, die Besucher zum Mitmachen animieren, erst die Räume mit Rühmkorfs Lebensdaten. Imposant der Turm aus Archivkisten, den Rühmkorf dem Deutschen Literaturarchiv Marbach vermacht hat. Sehr viele Aspekte und Stationen seines literarischen, politischen und persönlichen Lebens werden beleuchtet. Man hätte etwas mehr über Eva Rühmkorf und das gemeinsame Wirken und Leben erfahren können. Am Ende erwartet die Besucher ein in Dauerschleife laufender Film aus der „Lyrik & Jazz“-Produktion. Auch da war Rühmkorf wegweisend.

Ins Gästebuch hat jemand geschrieben, dass die Ausstellung der Werke des Fotografen Fide Struck der Rühmkorf-Ausstellung nicht ebenbürtig sei, was bedauert würde. Aber diese Ausstellung, die von der Arno Schmidt Stiftung mitfinanziert wurde, zeigt eben, was möglich wäre, wenn Museen ein anständiges Budget hätten, statt mit immer mehr Einsparmaßnahmen konfrontiert zu sein. Das sollte doch nachdenklich stimmen und mehr Menschen animieren, die Freundeskreise der Museen zu unterstützen.

Einzigartige Dichtung
Ausschnitt Buchcover „wenn – aber dann“, Rowohlt 1999

Peter Rühmkorf hat mit seiner Art zu dichten die Lyrikwelt geprägt. Die Mischung aus Eloquenz und Schnoddrigkeit, mit der er die großen Themen des Seins und Vergehens bearbeitete; das Reimen über verschiedene Sprachen hinweg, die Musikalität seiner Gedichte – all das wirkt über seine Lebenszeit weit hinaus. Für die Lyriker hat er diverse Einblicke in seine Arbeitsweise hinterlassen, die spannend und inspirierend sind. Denn er, dessen Poeme so leichtklingend daherkamen, hat an jeder Silbe strengstens gefeilt.

Leider dauert die Ausstellung nur noch bis zum 20. Juli. Es lohnt sich, sie noch anzusehen, und es lohnt sich sehr, Rühmkorf zu lesen.


Altonaer Museum Stiftung Historische Museen Hamburg
Museumstraße 23
22765 Hamburg
Tel. 040 428 131 171
www.shmh.de

Öffnungszeiten:
Montag 10 – 17 Uhr / dienstags geschlossen / Mittwoch bis Freitag 10 – 17 Uhr
Samstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr
Eintrittspreise:
8,50 Euro / ermäßigt 5 Euro / freier Eintritt für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren

Von der Stärke einer Freundschaft

Cover

35 Jahre nach dem Abitur fährt Barbara zu einem Klassentreffen in ihre Geburtsstadt Gleiwitz. Bei einem Abstecher in den Vorort ihrer Kindheit ist es wie ein Déjà vu, als sie zwei Mädchen im Garten spielen sieht. Es erinnert sie an ihre Gemeinschaft mit ihrer Freundin Hanna, deren Großmutter Anfang der 1990er Jahre hierher zurückgekehrt ist. Aber was ist aus Hanna geworden?

Die Freundinnen hatten seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr. So wird Kathrin von K., Hannas Großmutter, nicht nur die Vergangenheit wieder aufleben lassen, sondern auch die Gegenwart lebendig machen und die Kindheitsfreundinnen wieder zusammenführen. Hanna, die sich nach dem Tod ihres Sohnes in ein Kloster zurück gezogen hat, und Barbara, die selbst einen querschnittsgelähmten Sohn hat, finden zu ihrer alten Freundschaft zurück. Renate Gandor-Glodny zeichnet ein einfühlsames Porträt von Menschen verschiedener Generationen, die Widrigkeiten in ihrem Leben überstehen müssen. Barbaras Sohn Alexander hat sich in einem geistigen Kosmos aus Literatur verschanzt und sich damit, ähnlich wie Hanna, in seinem Schmerz isoliert. Barbara lebt nur noch für Alexander und meint, kein Recht mehr auf ein eigenes Leben zu haben, solange es Alexander schlecht geht. In der wiedererstandenen Gemeinschaft der Freundinnen, ergänzt durch die Großmutter und Alexander sowie durch Andreas, der behutsam in Barbaras Leben tritt, erstarken die einzelnen Persönlichkeiten und finden zu einem tiefen Zusammenhalt. Wie der Buchtitel es schon benennt, ist diese Geschichte ein Plädoyer für Mut und Zuversicht, dass auch in den vermeintlich dunkelsten Momenten von irgendwoher ein Licht kommt und dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Gerade in der heutigen Zeit baut diese Art Lektüre die Leserinnen und Leser gewiss auf und entlässt sie mit einem positiven Gefühl.

Renate Gandor-Glodny wurde 1944 in Posen geboren und lebte bis zu ihrer Ausreise 1979 nach Hamburg in Gleiwitz/Gliwice. Sie studierte am Polytechnikum in Gliwice und schloss das Studium als Dipom-Ingenieurin ab. Seit 1960 schreibt sie, zunächst Gedichte, später auch Prosatexte und journalistische Texte. Sie ist außerdem freie Übersetzerin und Journalistin.

Renate Gandor-Glodny: Steh auf und geh
Verlag Tredition, Hamburg 2012

Auf den Hund kommen?

Joachim Frank mit Birka. – Foto: Tanja Plock, Pinneberger Tageblatt

Die Frage, mit welchem Geschenk man seine langjährige Ehefrau noch überraschen könnte, soll das Leben des Autors Joachim Frank komplett auf den Kopf stellen. Eigentlich hat er es ja gar nicht mit Hunden. Hunde sind überhaupt nicht sein Ding. Und dass er eines Tages nicht nur einen Hund haben, sondern auch über ihn schreiben würde, das hätte er wohl selbst nicht gedacht. Für alle, die jetzt denken: „Nicht noch’n Hundebuch…!“ – das hier ist anders, denn es beschreibt die Wandlung eines Hundehassers zu jemandem, der dem Charme des kleinen Fellknäuels erliegt. Der Autor ist nicht für Gefühlsduseleien bekannt, und so ist auch sein neuestes Buch auf zurückhaltende Weise berührend. Es gibt informative Einblicke in ein Leben mit Hund, denn Joachim Frank thematisiert Unsicherheiten genauso wie erfreuliche Momente, Probleme in der Hundeerziehung, aber auch Kosten für den Tierarzt und dergleichen, sodass dieses Buch auch als Entscheidungshilfe für oder gegen einen Hund dienen kann. Alles das mit einer gekonnten Mischung aus Humor und Sachlichkeit kurzweilig erzählt.

Hier ein Auszug, den wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags FRED&OTTO – Der Hundeverlag, Berlin, veröffentlichen:

Auszug Kapitel 1-3:

Der Tag beginnt

Ob Birka noch schläft?
Ich blinzele aus meinem Bett zu unserer Cockerspaniel-Hündin hinüber, die eingerollt in ihrem Körbchen liegt. Schon Zeit zum Aufstehen?

Im Sommer sind die Nächte kurz in Schweden, und erste Sonnenstrahlen dringen bereits früh am Morgen in unser Schlafzimmer. Wie spät ist es? Wenn ich jetzt zum Wecker lange, ist es mit der Nachtruhe vorbei. Dann weiß Birka nämlich, dass ich wach bin, kommt sofort an mein Bett und stupst mich an. „Hey“, scheint sie mir zu sagen, „ich bin auch schon wach, das Wetter ist herrlich, komm raus aus deiner Kiste, von mir aus können wir gleich loslegen!“

Ich bin kein Langschläfer und liebe die frühen Stunden des Tages. Also schaue ich doch auf die Uhr. Ist es allerdings vor sieben, dann sage ich: „Birka, es ist noch zu früh“. Diesen Satz kennt sie und trottet folgsam in ihr Körbchen zurück. Spätestens zwanzig Minuten später steht sie jedoch erneut vor meinem Bett, um mich zum Aufstehen zu bewegen. Sanft berührt ihr Näschen meinen Ellenbogen, und wenn ich in ihre braunen Augen schaue, kann ich gar nicht anders, als meinen Arm auszustrecken und sie zu streicheln.

Birka ist nicht sehr schmusig, aber am Morgen fordert sie ihre Streicheleinheiten regelrecht von mir ein. Meine Hand gleitet über ihr schwarz-weißes Köpfchen, hinter und unter ihre Ohren, die sich wie flauschige Waschlappen anfühlen. Darunter gibt es zwei ganz besonders empfindsame Stellen, kleine Vertiefungen am Ansatz ihrer wuscheligen Ohren, und wenn meine Finger sie dort sanft massieren, schmiegt Birka ihr Köpfchen fest an meine Handfläche, um durch den Gegendruck ihren Genuss zu erhöhen. Voller Dankbarkeit leckt sie gleichzeitig mit ihrer etwas rauen, fast trockenen Zunge über meinen Unterarm. Ein Moment inniger Verbundenheit ist das zwischen uns.

Höre ich mit den Streicheleinheiten auf, weil mein ausgestreckter Arm müde wird, stupst Birka mich erneut an, damit ich weiter mache. Oder sie dreht mir ihre Rückansicht zu, sodass ich oberhalb ihres Schwanzansatzes mit dem Kraulen fortfahre. Sie hockt sich hin, rückt aber nach und nach immer ein wenig weiter von mir weg. Nie habe ich begriffen, warum. Ich recke mich und strecke mich also bis an die Grenze meiner Reichweite. Ist das ihr „Trick“, mich aus dem Bett zu lotsen und zum Aufstehen zu bewegen? Wird die Entfernung zwischen uns zu groß, beende ich die Liebkosungen und lasse mich zurück in die Kissen fallen, vielleicht kann ich ja doch noch ein halbes Stündchen rausschinden und ein wenig im Bett dösen. Doch Birka gibt nicht auf! Erneut kommt sie ganz nah heran, stupst mich an und fordert weitere Streicheleinheiten.

Immer, wenn wir unseren Sommerurlaub in Schweden verbringen, wiederholt sich dieses morgendliche Ritual so oder so ähnlich, bis Birka unruhig wird und aus dem Schlafzimmer galoppiert. Ich kapituliere und stehe auf. Und genau das ist ihr eigentliches Ziel ‒ und das Signal! Voller Begeisterung rennt unsere Hündin in Richtung Haustür, denn sie weiß, dass gleich unsere ausführliche Morgenrunde durch den Wald beginnen wird. Das Wetter ist schön, die Natur lockt, und wir beide freuen uns auf den gemeinsamen Spaziergang über Stock und Stein, Hügel rauf und Hügel runter, durch hohes Gras, über weite Wiesen und dichten Wald. Für Birka hält jeder junge Morgen tausend und einen verlockenden Geruch bereit, und ich genieße es, mit ihr zusammen zu sein, meinen Gedanken nachzuhängen, die frische Luft zu atmen und mich aufs Frühstück zu freuen, das meine Frau Elke in der Zwischenzeit für Mensch und Hund vorbereiten wird. Kann ein Tag schöner beginnen?

Ich gestehe, dass ein derartiger Tagesbeginn vor unserer Zeit mit Birka so ziemlich das Letzte gewesen wäre, was ich mir gewünscht hätte. Schon der Gedanke, mit einem Hund in einem Zimmer schlafen zu müssen, hätte mich in Angst und Schrecken versetzt. Kein Auge hätte ich zugetan! Die Vorstellung, dass ein Hund Teil meines Lebens werden könnte, lag mir so fern wie der Mond. Mit Hunden hatte ich nämlich bis dahin rein gar nichts am Hut, und daraus machte ich keinen Hehl. Im Gegenteil! Wie es zu diesem erstaunlichen, von mir selbst für unmöglich gehaltenen Wandel vom Hunde-Hasser zum Hunde-Vater kam, das ist die Geschichte, die ich erzählen möchte.

Was schenke ich bloß?

Ich saß an meinem Schreibtisch und grübelte. Wie ein Papier gewordenes Fragezeichen lag die Glückwunschkarte vor mir auf dem Schreibtisch, denn der Geburtstag meiner Frau stand vor der Tür. Doch bevor ich das Hauptgeschenk nicht hatte, war es unmöglich, die passenden Formulierungen zu finden. Und genau da lag der Hase im Pfeffer, weil mir gerade das noch fehlte!

Wenn man jahrzehntelang verheiratet ist, fällt es nicht leicht, zu jedem Geburtstag des lieben Partners eine Überraschung aus dem Hut zu zaubern. Männern soll das bekanntlich noch schwerer fallen als Frauen, und ich bin da keine Ausnahme.

Also goss ich mir noch ein Glas Rotwein ein und ging in meinem Arbeitszimmer auf und ab. Zwar hatte ich bereits ein paar kleinere Geschenke gekauft, jedoch war nichts wirklich Tolles darunter. Meine Nervosität wuchs, denn die Zeit drängte.

Ratlos tigerte ich hin und her, dachte über Karten für Konzerte oder Theater nach, über Gutscheine von Parfümerien, Einladungen in Restaurants und so weiter. Wie langweilig! Das übliche Buch und eine CD hatte ich zum Glück schon. Aber ein Knüller fehlte, eine richtige Überraschung, etwas, worüber Elke sich wirklich freuen würde. Bloß was?

Vor dem Fenster blieb ich stehen und schaute auf die Straße. Es dämmerte bereits, das fahle Licht der gegenüberliegenden Straßenlaterne fiel auf den nassglänzenden Asphalt und Wind trieb herabgefallene Blätter vor sich her. Herbststimmung. Wenn mir doch bloß dieses verdammte Geschenk einfallen würde! Verzweifelt nahm ich noch einen Schluck Rotwein, der aber leider auch nicht die zündende Idee bewirkte. Nervös trommelte ich mit den Fingern auf die Fensterbank. Ganz hinten bog jemand um die Ecke und kam die Straße entlang. Ein Spaziergänger, na ja, nichts Ungewöhnliches. Ich erkannte eine Frau, die einen Hund an der Leine führte. „Hoffentlich schei … der nicht vor unser Haus“, ärgerte ich mich schon im Voraus, denn das konnte ich nun gar nicht leiden. Überhaupt Hunde! Absolut nichts für mich. Im Gegenteil!

Gerade wollte ich mich vom Fenster abwenden, als jener Gedanke durch meinen Kopf zuckte, der unser Leben vollständig verändern sollte.

Der Entschluss

Plötzlich erinnerte ich mich an den lange gehegten Herzenswunsch meiner Frau, der allerdings unerfüllbar zu sein schien. Nicht weil dessen Verwirklichung zu teuer oder aus anderen Gründen utopisch gewesen wäre. Nein, ich war das Hindernis, das im Weg stand!

Schon oft hatte Elke mir von ihrer Kindheitsliebe erzählt, nämlich von Birka, einer schwarz-weißen Cockerspaniel-Hündin, mit der sie aufgewachsen war. Seitdem waren Jahrzehnte vergangen, in denen sie nie einen Hund besessen hatte, weil ich mich strikt weigerte, diese Möglichkeit überhaupt nur in Betracht zu ziehen.

Zurück an meinem Schreibtisch, starrte ich auf die noch immer unbeschriebene Glückwunschkarte, die wie eine stumme Mahnung vor mir lag. Ich goss mir Rotwein nach, kaute an meinem Stift. Ein Hund? Sollte ich ihr einen Hund schenken? Tausend Gedanken und Fragen schossen durch meinen Kopf. Ich wägte ab, stellte mir vor, verwarf wieder. Andererseits: Was wäre das für eine Überraschung! Dazu müsste ich allerdings meine Abneigung und vor allem meine Angst vor Hunden überwinden. Wollte ich das? Konnte ich das überhaupt? Zwei Seelen kämpften in meiner Brust. Gerade stellte ich mir noch Elkes Freude vor, dann stiegen schon wieder Erinnerungen und Bilder von ärgerlichen, peinlichen und von Furcht geprägten Erlebnissen in mir auf. Wie anders hatte Elke immer reagiert, wenn wir irgendwo Hunden begegnet waren! Wie liebevoll hatte sie beinahe jeden x-beliebigen Köter – so meine übliche Bezeichnung für diese „Kreaturen“ – mit vor Zuneigung glänzenden Augen gestreichelt, während ich am liebsten einen weiten Bogen um jeden Hund gemacht hätte.

Es gärte, brodelte, tobte in mir. Konnte ich? Wollte ich? Wie wäre wohl das Leben mit einem solchen Hausgenossen? Was würde sich ändern? Konnte ich meine Angst durch einen kleinen eigenen Hund, den wir selber erzogen, überwinden?

Vielleicht war es voreilig, unbedacht und einer momentanen Laune geschuldet, vielleicht half der Rotwein, vielleicht war es die Vorstellung von Elkes Freude, dass ich mir endlich einen Ruck gab. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, sagte ich mir, „schließlich werden wir beide nicht jünger, und wenn wir uns auf das Abenteuer eines Hundes einlassen wollen, muss das jetzt geschehen.“ Aber ein kleines Hintertürchen wollte ich mir allerdings offen halten …

Beherzt griff ich zum Stift und fügte der üblichen Gratulation und den besten Wünschen für das kommende Lebensjahr hinzu: „Ich freue mich sehr, dass Du Dein Leben so überaus aktiv und fröhlich gestaltest und genießt. Prima! Aber fehlt da nicht etwas? Ist da nicht noch ein ganz lang gehegter Wunsch zu erfüllen? Drehst Du die Karte um, weißt Du, was ich meine. Und schließlich kommen wir in ein Alter, da sollte man die erfüllbaren Wünsche auch verwirklichen. Um es kurz zu machen: Ich schenke Dir einen Hund Deiner Wahl – wenn Du ihn denn willst.“

Ich goss den Rest der Rotweinflasche in mein Glas, lehnte mich zurück und dachte: „Worauf lässt du dich damit bloß ein? Aber vielleicht hast du ja auch Glück, und sie will gar keinen Hund mehr haben.“

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Ob der Autor aus dieser Nummer wieder rauskommt? Eher nicht …

Als Lektüre empfohlen:

Buchcover

Joachim Frank: Wie ich lernte, einen Hund zu lieben
FRED&OTTO – Der Hundeverlag, Berlin 2019
Zur Website des Verlags

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Zur Website des Autors Joachim Frank

Herr Fiek und die Wutwurzel

Zum Lyrikband „Global ins Affental“ von Rüdiger Stüwe

Buchcover

Mit einem gewissen Herrn Fiek, dessen Namen auf Ansage der Mutter in die Länge zu ziehen war – die Kinder gehorchten in diesem Fall aufs Wort – (Aufs Wort, S. 11) beginnt der Gedichtband des Lyrikers Rüdiger Stüwe aus Schleswig-Holstein. Und daran, dass die Kinder in diesem Fall gehorchten, ist sogleich zu erkennen, dass sie ansonsten eher aufmüpfig waren. Die Aufmüpfigkeit hat der Schriftsteller sich bewahrt und in seine meist kurzen, immer prägnanten Verse verstrickt. Mit wachem Verstand, scharfem Blick und einer Portion Ironie – die manchmal ins Tragische geht – betrachtet Rüdiger Stüwe sein Umfeld mit den weniger oder mehr bekannten Zeitgenossen.  Er widmet sich dem (eigenen) Älterwerden oder, nennen wir es ruhig beim Namen, dem Verfall mit tragikomischer Note: „Noch immer / sehe ich mich / hoch zu Ross / Windmühlenflügel // bekämpfend doch / meine Figur / ähnelt schon lange / Sancho Pansa.“ (Gravierende Veränderung, S. 18).

Fünf Kapitel umfasst der Gedichtband, dessen Bandbreite von freien Gedichten über Lautgedichte im Stile Jandls bis zu Kinderversen – nicht nur für Kinder – reicht. Er versammelt Aphorismen, Haiku und Limericks. Diese Formen verbindet Rüdiger Stüwe auch mit Themen des aktuellen Zeitgeschehens und bezieht Position zu von ihm empfundenen Missständen regional und global. Das stumme Paar, das jeweils zum eigenen Smartphone redselig wird und damit das Kaffeegartenpublikum erfreut (Moderne Kommunikation, S. 70); das Trumpeltier, von es dem unverblümt heißt: „ (…) Mit alternativen Fakten / bringst du den all so Beknackten / sicher nicht zu Fall. (…)“(Trumpeltier, S. 72) bis hin zum Nachbarn, der mit seinem im Wind schellenden Klangspiel die Nachbarschaft in den Wahnsinn treibt (Gegenlärm, S. 68) – Rüdiger Stüwe nimmt all das wahr und lenkt die Leseraufmerksamkeit auf diese kleinen oder auch größeren Momente und Situationen, mit denen wir alle zu tun haben und die uns angehen, ob wir wollen oder nicht.

Ich würde ihn als Realpoet bezeichnen: Rüdiger Stüwe sagt, was ist, er nimmt kein Blatt vor den Mund, er verzichtet auf Schnörkel und Brimborium, seine Sprache ist eingängig und eloquent. Oftmals habe ich gegrinst, manchmal blieb mir das Grinsen auch weg. Und wann dem Lyriker die Wutwurzel schnurzel ist, das möge der geneigte Leser selbst herausfinden (Wutwurzel schnurzel, S. 84).

Rüdiger Stüwe: Global ins Affental, Donat Verlag, Bremen 2018

Biografie: Geboren in der Kalten Heimat, vor den Russen geflohen mit Mutter und Bruder; verschlagen ins idyllische Heidedörfchen Schneverdingen, wo die Häuser noch nummeriert waren und die Leute sehr fromm, jedenfalls war die Kirche immer voll; das färbte nicht sehr ab, nach krummer Schullaufbahn und anschließender Flucht ins Schülerheim (in Hermannsburg) Industriekaufmann gelernt (Hanomag Hannover); eigentliche Lehre auf dem Fußballplatz und im Jugendwohnheim der Arbeiterwohlfahrt Hannover; nach der Desertation als kaufmännischer Angestellter ins Lehrfach (Deutsch und Geschichte) ging es mit der Firma bergab, zur Zeit ist sie in japanischer Hand (Kommatsu); Lehrerlaufbahn, die letzten 18 Jahre an einer Gesamtschule, überzeugter Anhänger einer gemeinsamen Schule für alle Schüler bis zum 10. Schuljahr; heute als Schriftsteller lebend in Ellerbek, Mitglied im deutschen Schriftstellerverband (VS), im Literaturzentrum e.V. Hamburg, in der Hamburger Autorenvereinigung und im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt.

Homepage: http://ruediger-stuewe.de

 

Ein Buch mit vielen Zimmern

Zum Lyrikband „Bodenkunde“ von André Schinkel

Buchcover

Es gibt Bücher, die ich nicht mehr aus der Hand legen möchte. Denn sie zu lesen ist, als öffneten sich neue Räume, die entdeckt, betrachtet und bewohnt werden wollen; die lebendig werden durch den neuen Bewohner, der sich in ihnen bewegt. So ein Buch ist „Bodenkunde“ des Lyrikers André Schinkel aus Halle. Seine Gedichte erschließen sich nicht schnell, sie fordern Beschäftigung, auch mehrfache, sie verlangen ihren Lesern etwas ab. Und wer sich darauf einlässt, dem öffnet sich der Sprach- und Bildkosmos des Schriftstellers Schinkel in einer Weise, die einen verändert. Ja, diese Gedichte können etwas verändern im eigenen Weltbild, sie lassen einen neuen, anderen Blick zu – beispielsweise auf Sepien, jene Tintenfische, die man womöglich überhaupt noch nie betrachtet haben mag. Im gleichnamigen Zyklus verwendet, bringt mich die Lektüre der Gedichte zunächst in die Recherche nach dem Meeresgetier, und auch wenn das nicht wichtig ist, zeigt es die sorgfältige Wahl der Metapher: In der Homöopathie wird die Substanz Sepia u. a., wenn der Kranke „eine gewisse emotionale Distanziertheit und Kühle“[1] zeigt, und auch bei Frauenleiden. Es ist nicht wichtig, um diesen starken Zyklus zu verstehen, aber es zu wissen, verleiht ihm noch mehr Tiefe als er ohnehin schon mitbringt. Heute noch Liebesgedichte schreiben, über unglückliche Lieben zumal – ein Wagnis, dünnes Eis. So vieles schon tausendfach gesagt, kaum eine Metapher, die nicht bereits irgendwo verwendet wurde. Aber bei André Schinkel ist alles neu, dicht, „rastlos und atemlos“[2], düster verzaubert durch das Sepienthema und dabei so anerlebbar, nachfühlbar, verstörend schön: „(…) Das ist es, was ich von dir behalte: das Leuchten der / Sepien-Sprossen im Rausch, im bebenden Quirlen solch / Endloser Schwärme in der Brackschicht des Wassers; (…)“[3]

Lesen, immer wieder, leise und laut, nur diese sieben Gedichte des Sepien-Zyklus, und von ihnen umgeben, umschlossen sein, sich in der dichten Sprache bewegen und merken, wie sich einige Verse von selbst ins Gedächtnis einbrennen und sich allein rezitieren. Damit habe ich das Buch begonnen, nachdem ich André Schinkel im März 2018 in Leipzig daraus lesen hörte. Fast genau ein Jahr später habe ich natürlich das Buch mehrmals durchgelesen, all die thematisch unterschiedlichen und breit gefächerten Gedichte, die seinen archäologischen Hintergrund ebenso widerspiegeln wie seine weiteren Tätigkeiten, vieles verbirgt sich zwischen und hinter den Zeilen. Dieses Buch werde ich nie „durchhaben“, glücklicherweise, denn diese Gedichte bleiben ein Raum, der sich für mich geöffnet hat und den ich jederzeit wieder aufsuchen kann. Seine Opulenz, die Sperrigkeit der lyrischen Komposition, die dafür sorgt, dass man sich an manchen Gedichten durchaus ein bisschen abarbeiten muss, hier und dort ein Wort nachzuschlagen hat und überlegen darf, wie dieses und jenes Poem sich in der Beziehung zum Autor und dann zum Leser stellt – das sind für mich die Freuden der Lyrik. Zwischendurch finden sich an konkrete Poesie angelehnte sowie dem Tanka-Maß entsprechende Gedichte, die einen Kontrapunkt oder vielleicht eher einen weiteren Raum hinter dem Raum bilden, in jedem Fall aber die poetische Bandbreite abbilden.

[1] www.homöopathie-online.info
[2] SEPIA, II, S. 18
[3] SEPIA, VII, S. 23

André Schinkel wurde 1972 in Eilenburg geboren, er wuchs in Bad Düben und im Bitterfelder Raum auf. 1988 bis 1991 erlernte er den Beruf eines Rinderzüchters mit Abitur. Er studierte ein Jahr Umweltschutztechnik und danach an der halleschen Universität Germanistik und Archäologie, 2001 erwarb er den Grad eines Magister artium. Seit 2005 arbeitet Schinkel als freier Autor, Lektor, Übersetzer, Herausgeber und Redakteur – so leitet er die Redaktion der Literaturzeitschrift oda – Ort der Augen und ist Redaktionsmitglied der Marginalien. Texte von André Schinkel wurden in siebzehn Sprachen übersetzt, er nahm an Autorentreffen und Poesiefestivals in Italien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Belgien, Bulgarien, Armenien, Bergkarabach teil und wurde als Stadtschreiber in Halle, Ranis und Jena tätig. Seit vielen Jahren arbeitet André Schinkel als Autorenpate, Dozent und Workshop-Leiter an Schulen und in der Erwachsenenbildung. Seine Arbeit wurde wiederholt mit Preisen und Stipendien geehrt, so u. a. mit dem Georg-Kaiser-Förderpreis, dem Joachim-Ringelnatz-Förderpreis, dem Walter-Bauer-Preis und dem Harald-Gerlach-Stipendium des Landes Thüringen. Seit 2016 gibt er die Edition Muschelkalk im Wartburg-Verlag Weimar heraus. Schinkel ist Mitglied des PEN, der Akademie der Künste Sachsen-Anhalt und der Sächsischen Akademie der Künste. Er lebt in Halle (Saale) und ist Vater zweier Töchter.

 

Neues aus der großen weiten Welt

von Maren Schönfeld

Buchcover Schatten des Löwen

Der Weltenbummler und Autor Wolf-Ulrich Cropp hat gerade zwei neue spannende Bücher veröffentlicht, deren Lektüre wir sehr gern empfehlen möchten:

Die Bücher sind im Dumont Verlag und im Kadera Verlag erschienen.

 

War die Novemberrevolution eine Revolution?

Dieser Artikel ist in der Preußischen Allgemeinen Zeitung
Nr. 38 vom 21.09.2018 erschienen.

von Maren Schönfeld 

Sonderausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte zu den Ereignissen vor 100 Jahren

Blick in die Ausstellung Revolution Hamburg 1918_19, Foto SHMH (7)

In der betont föderalistisch strukturierten Bundesrepublik Deutschland nehmen sich diverse Landesmuseen der Novemberrevolution vor 100 Jahren an. Das gilt auch für das Museum für Hamburgische Geschichte. Das Besondere an dieser Ausstellung ist, dass die Frage aufgeworfen wird, ob die Novemberrevolution überhaupt eine Revolution war. „Revolution! Revolution? Hamburg 1918–1919“ lautet denn auch der Titel der Sonderausstellung, die noch bis zum 25. Februar im Museum am Holstenwall zu sehen ist.

Ein Flur führt zur schweren Glastür, hinter der sich die Ausstellung befindet. An den Flurwänden stimmen auf der linken Seite Repliken zeitgenössischer Plakate und auf der rechten 20 chro­nologisch geordnete Extrablätter des „Hamburger Fremdenblatts“ und der „Neuen Hamburger Zeitung“ aus den Wochen vor der Novemberrevolution auf die Thematik ein.

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„Death Knell“ by James Cawood – the New Play at the English Theatre of Hamburg

By Uta Buhr
Photos: Stefan Kock

Don’t move, or I’ll shoot you!

Dear reader, have you ever spent a few days and nights in the Scottish highlands? If so, you will certainly remember the fascinating view of high mountains and numerous lochs that form the landscape of that country in the northern part of Britain. Just buy a ticket for the latest play at the English Theatre of Hamburg for a thrilling “déjà vu” that will send chills down your spine. Are you ready for the story told by James Cawood who loves the austere charm of the highlands that inspires him to write ingenious plays of murder and intrigue. Just remember “Stone Cold Murder”, also written by James Cawood and premiered at the TET in September 2013. Here we go.

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