Ich will hier ja nicht alleine leben

Von Maren Schönfeld

Hildegard Kempowski Foto: Maren Schönfeld
Hildegard Kempowski
Foto: Maren Schönfeld

Auf dem antiken Konsolentisch steht ein Bild von Walter Kempowski mit einer Teetasse in der Hand. Neben dem Bild eine Kerze, die Hildegard Kempowski immer dann anzündet, wenn sie im Teepavillon sitzt, vor sich den Buchständer auf dem runden Tisch und mit einem Buch wie das von Lutz Hagestedt, in dem sich Texte wie „Die lakonischen Gedichte Kempowskis und die Lyriktheorie Benns“ finden. Dass sie nur noch lesen möchte, sagt sie manchmal. Und in den Garten schauen: Der Ausblick in die großen Büsche, das Vogelhaus vor dem Fenster. Die große Freude, die Vögel zu beobachten, aber dazu ist nicht viel Zeit im Haus Kreienhoop, in dem sich Literaturinteressierte und Schreibende begegnen können. Walter Kempowski hat es selbst geplant und sich „darüber genauso viele Gedanken gemacht wie über jeden meiner Romane“. Draußen am Zaun im Schaukasten wird zum spontanen Klingeln eingeladen. Continue reading „Ich will hier ja nicht alleine leben“

Der Arbeiterführer starb wie ein Aristokrat

Von Dr. Manuel Ruoff

Foto: Maren Schönfeld
Foto: Maren Schönfeld

Vor 150 Jahren erlag Ferdinand Lassalle den Folgen eines Duelles mit dem Verlobten seiner Ex-Geliebten Helene von Dönniges

Schon fast grotesk, um nicht zu sagen komisch, ist der Anachronismus, dass Ferdinand Lassalle, der als Sozialist eine nachbürgerliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wollte, einem vorbürgerlichen Ritual zum Opfer fiel und dass das Ende des begnadeten Führers des erst aus der modernen Industrialisierung hervorgegangenen Vierten Standes an eine antike Tragödie erinnert. Beide Hauptprotagonisten der Liebestragödie haben ihr Fehlen später eingesehen und bereut – aber da war es zu spät, um die Katastrophe zu verhindern.

Erschöpft vom politischen Kampf gönnte sich der 1825 in Breslau geborene Hauptinitiator und Präsident der ältesten SPD-Vorläuferorganisation ADAV ab Mitte Juli 1864 einen Kuraufenthalt in der Schweiz, im Kurort Kaltbad auf dem Rigi. Als die damals 21-jährige Helene von Dönniges hiervon Continue reading „Der Arbeiterführer starb wie ein Aristokrat“

Pen Port Hamburg im Museum der Arbeit

Pen Port Hamburg
Foto: Maren Schönfeld

Von Maren Schönfeld

Draußen auf dem Gelände findet jedes Jahr der große Flohmarkt statt, der bekannt ist – aber drinnen ist das eigentlich Spektakuläre: Die Füllhalterbörse. Um halb neun morgens komme ich an, da sind die eingefleischten Schreibgerätesammler bereits auf Tour. Kaum sind Kisten ausgepackt, Stifterollen entrollt, beugen sich auch schon fachkundige Menschen, ausgerüstet mit Lupen, darüber und taxieren in Windeseile die aufgereihten Schätze. Ich winke Tom heran und bitte ihn um Bewertung dreier Füllhalter, die aus dem Nachlass meiner Schwiegereltern stammen. Tom hat in Sekunden die Details erfasst, die er im Dieter-Thomas-Heck-Tempo verlauten lässt (dies ist ein seltenes Exemplar, der hier hat eine Stahlfeder und ist im schlechten Zustand, unddieser da, naja -), mir drei Zahlen genannt und fröhlich gewunken, Continue reading „Pen Port Hamburg im Museum der Arbeit“

Blue Port Ahoi

von Maren Schönfeld

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Foto: Maren Schönfeld

 

Christopher Street Day, Dom, Fußball und Cruise Days kommen an diesem Wochenende zusammen. Und der Künstler Michael Batz hat erneut den Hamburger Hafen mit seiner Lichtinstallation in Blau getaucht. Gestern am späten Nachmittag an den Landungsbrücken: Offenbar haben sich alle hier getroffen. Tatsächlich sollen 350.000 Menschen alle Besucherrekorde gebrochen haben. Die Treppenstufen zu den Brücken sind zu Tribünen geworden. Alle Tische der Lokale voll besetzt. Bei Nordsee gibts kein Bier vom Fass mehr. In den Toiletten lange Warteschlangen. Wir wühlen uns durch bis zur Barkasse, auf der wir vorher Plätze gebucht haben. Die Fahrt beginnt an der Rickmer Rickmers. Noch ist es hell, die blaue Beleuchtung macht nicht viel her, aber es gibt viele Schiffe zu bestaunen. Eine Stunde später ist plötzlich alles in blaues Licht getaucht. Dreimaster durchsegeln die doppelt blaue Stunde. An der Elbphilharmonie erscheint ein blaues Muster. Der Michel, die Hafenkräne, Blohm & Voss, die Fischauktionshalle, alles ist blau Continue reading „Blue Port Ahoi“

Nachrichten aus einem literarischen Universum

Zu Peter Gosses Essayband „Vom allmählichen Verfertigen von Welt im Dichten“

von Maren Schönfeld

Grafik Volker Stelzmann
Grafik von Volker Stelzmann

Das Problem mit Literatur über Literatur ist, dass man die in Bezug gesetzte, also diejenige, über die literarisch berichtet wird, möglichst gelesen haben sollte, um dem über Literatur Geschriebenen auch folgen zu können. Das ist meistens so, aber nicht immer. Manchmal ist die Literatur über Literatur so lehrreich, vergnüglich und inspirierend, dass sie fast – ein Frevel? – erbaulicher erscheint als diejenige, die sie zum Thema hat. Bestenfalls fühlt sich der Adressat dieses Essaybandes  motiviert, die Bezugstexte (erneut) zu lesen – oder er befindet den Genuss der Sekundärliteratur als in einem Maße erquicklich, dass er das – möglicherweise mühsame – Studieren der Quellen als entbehrlich erachtet.  Letztere gilt wohl in besonderem Maße für LiteraturstudentInnen,   die nach zusätzlichen Informationen zu ihren Vorlesungen suchen oder sich gezielt auf eine Prüfung vorbereiten wollen/müssen. Continue reading „Nachrichten aus einem literarischen Universum“

Ein Mops ist gar kein Hund

von Maren Schönfeld

Mops Anton
Mops Anton

„Manche glauben ja, sie schafften sich einen Hund an. Aber ein Mops ist gar kein Hund!“, sagt Frau W. und guckt missgestimmt zu ihrem Haustier. Zärtlich streichele ich Antons samtweiches Fell und kraule seinen Kopf. Er gibt kleine entzückte Grunzlaute von sich und kommt vorsichtig ein bisschen näher. Indes hat Frau W. mir einen Espresso zubereitet.
„Was ist ein Mops denn?“, frage ich höflich.
„Eigentlich ist Anton eher wie ein alter Mann, jedenfalls was die Geräusche angeht. Er rülpst, schnarcht und pupst.“
Anton tut mir leid. Er erweckt nicht den Eindruck, sich absichtlich ungebührlich zu benehmen, nein, vielmehr scheint es mir, als sei es ihm selbst eher unangenehm.
„Wie alt ist Anton denn?“, frage ich in der Hoffnung, Antons positive Seiten durch die Fortsetzung des Gesprächs seinem Frauchen zu entlocken. Continue reading „Ein Mops ist gar kein Hund“

Sicherheit mit Unbekannten: Wie gut lässt sich wirklich für Krankheit und Sterben vorsorgen?

Von Maren Schönfeld

An einem Tag im Mai passierte, was Bärbel M. (63) ihrer sterbenskranken und alten Mutter um jeden Preis ersparen wollte. Nach dem fünften Schlaganfall, Selma B. (90) hatte aufgehört zu atmen, wurde die alte Dame wiederbelebt. Gegen ihren Willen und gegen ihre ausdrückliche schriftliche Verfügung.
2009 erklärte die Bundesregierung die Patientenverfügung für verbindlich. Wer sie missachtet, macht sich der Körperverletzung strafbar. Weil Bärbel M. und ihre Mutter das wussten, beschritten sie anderthalb Jahre zuvor einen Weg, der Menschen empfohlen wird, die sich um ihre letzte Lebensphase Gedanken machen. Selma B. unterzeichnete eine Patientenverfügung, in der sie bestimmte, dass man ihr keine Magensonde legen dürfe. Das Papier enthielt auch die Anweisung, ohne Aussicht auf Genesung nicht zur Lebensverlängerung an Apparate angeschlossen zu werden. Wenn sie nicht mehr allein atmen konnte, wollte sie sterben. Sie bestimmte ihre Tochter Bärbel M. zur Vorsorgebevollmächtigten; diese sollte dafür sorgen, dass die Verfügung im Ernstfall beachtet wird. Nach Gegenzeichnung durch den Hausarzt ließ Bärbel M. die Dokumente bei der Bundesnotarkammer hinterlegen und informierte das Pflegeheim, wo Selma B. seit ihrem ersten Schlaganfall lebte. Sie reichte Kopien zur Akte, mit dem guten Gefühl, nun alles geregelt zu haben. Doch es sollte sich zeigen, dass die Theorie von der Realität weit entfernt ist. Continue reading „Sicherheit mit Unbekannten: Wie gut lässt sich wirklich für Krankheit und Sterben vorsorgen?“

Eine Welt für sich

 Von Maren Schönfeld

 Zu Elfi Witts Geschichten aus dem Pflegeheim

Späte Erkenntnis
Späte Erkenntnis

Wenn man in der Tages- oder Wochenpresse etwas über Altenheime und die dortigen Zustände liest, handelt es sich meistens um Horrorgeschichten von verwahrlosten, unterernährten hilflosen Senioren, kaltherzigen Pflegern und nur auf Kostenreduzierung ausgelegte Verwaltungspolitik. Erfreulicherweise ist die Sammlung kurzer Geschichten von Elfi Witt ganz anders ausgefallen. Der Autorin gelingt es, Defizite aufzuzeigen, ohne dass Sensationslust oder auch nur Verurteilung durchklingt. Sie zeigt unaufgeregt und mit Empathie für alle Beteiligten die Schwierigkeiten auf, wenn demente Menschen sich nicht mehr zurechtfinden und ihre Bezugspersonen, die Pflegerinnen, versuchen, ihnen die letzte Lebensphase so schön wie möglich zu machen. Das entbehrt manchmal nicht einer gewissen Komik. Da hört eine Bewohnerin Stimmen, man gibt ihr Beruhigungsmittel – aber ob sie wirklich verrückt ist?  Die junge Protagonistin Hanna und der in Pension befindliche Polizist  Werner Schulze sind zwei zentrale Continue reading „Eine Welt für sich“

Macht es Lust, ist es gut

Von  Maren Schönfeld

Zum Lyrikband „Bitterleichte Lyrik“ von Volker Maaßen

Reim ist out, weil wir Herz und Schmerz genug gehört haben, weil Reim niedlich ist und nicht in unsere Zeit passt, in der es den Dichtern obliegt, in radikalen Worten auf Missstände hinzuweisen. Da passt kein Reim.
Reim ist out, aber nicht mehr ganz so out wie vor – sagen wir – zehn Jahren. Das haben wir nicht zuletzt den Slam-Poeten zu verdanken, die keineswegs niedlich und lustig, sondern sehr radikal und rhythmisch penibel gerade die nicht niedlichen Themen zu betexten pflegen. Wenn ich es recht bedenke, fällt mir da noch Rühmkorf ein, mir fällt Gernhardt ein und es lohnt auch ein Gedanke an Jan Wagner oder Alex Dreppec. Nein, Reim ist wohl doch nicht so out. Vielleicht ist er schon fast wieder in, und warum sollte man nicht mal aufhören mit der unsäglichen Diskussion, ob man reimen darf oder nicht und wenn ja, auf welche Weise. Continue reading „Macht es Lust, ist es gut“

Trotzig zartes Grün

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Nicht nur Konfekt…

 

Zur Anthologie „Nicht nur Konfekt und Rosenstrauß“ des FDA Hamburg/Schleswig-Holstein (Hg.)

Ein Buch zum Valentinstag? Da befürchtet man kuschelige Liebesgeschichten mit Happy End, rote Rosen, Pralinenschachteln und viele Herzen. Der Buchtitel aber beginnt mit „Nicht nur …“ und das Buch hält dieses Versprechen mehr, als man sich im ersten Moment vielleicht vorstellt. Liebe geht durch den Magen, was eine pointierte Geschichte um eine besonders zubereitete Perlhuhnbrust nicht unbedingt abstreitet. Diese These findet ihren Gegenpart jedoch, wenn es ein paarGeschichten weiter um die verblüffende Zuneigung eines Blässhuhns zu einem Spaziergänger geht, auf dessen Schoß es gern mal Platz nimmt – eine sogar wahre, berührende Geschichte. Die Autorinnen und Autoren des Freien Deutschen Autorenverbands bewegen sich im miniformatigen Briefroman auf E-Mailebene und wechseln mit einer Art rotem Faden zwischen Gedichten und erzählender Continue reading „Trotzig zartes Grün“

Arno Schmidt als Landschaftsfotograf

Ausstellungen im Altonaer Museum

Arno Schmidts 100. Geburtstag am 18.01.2014 ist ein würdiger Anlass, sein Werk in Erinnerung zu rufen. Sein Werk, ja, Zettels Traum, Kaff auch Mare Crisium, Kühe in Halbtrauer … Dem Schmidt-Verehrer leuchten die Augen angesichts dieser Titel und gern holt man wieder den schon zerlesenen Band hervor und vertieft sich in die Schmidt-typische Schriftsprache. Diese im Kopf zu haben in ohrwurmartig kreisenden Zitaten und dabei durch eine Ausstellung zu spazieren, die Schmidts Landschaftsfotografien zeigt – das ist allerdings ein ganz besonderes Vergnügen. Seit den 1930er Jahren fotografierte der Schriftsteller und das Altonaer Museum stellt nun aus: „Arno Schmidt. Der Schriftsteller als Landschaftsfotograf“ Zu sehen sind auch erstmals an die Öffentlichkeit gelangte Bilder. Das Museum zeigt außerdem Manuskripte und die Kamera. Continue reading „Arno Schmidt als Landschaftsfotograf“