Alles was blieb – Vom Bewahren zum Vergehen

 Von Wolf-Ulrich Cropp

Beitrag zur Abschlusslesung im Rahmen des Lesungsformates „Welt der Wörter“ auf der Internationalen Gartenschau Hamburg 2013 am 9. Oktober 2013 mit Autoren der „Die Auswärtige Presse e.V.“ Hamburg und der Hamburger Autorenvereinigung

Alles was blieb - Vom Bewahren zum Vergehen
Alles was blieb – Vom Bewahren zum Vergehen

Unter diesem Motto verabschieden wir uns vom Literatur-Format „Welt der Wörter“, das uns mehrere Monate auf dieser Bühne beschäftigte und auch viel Freude bereitete. Was ist die „Welt der Wörter“?

Kakophonie? Geräusche in den Wind geschrien? Buchstaben aufs Papier gekritzelt? Poesie , die nachdenklich stimmt? Eine solche, die zum Handeln anregt? Wörter können Taten folgen lassen, gar die Welt verändern. Zum Guten, wie zum Bösen. Wörter können als gefährliche Waffen missbraucht werden, ja sogar töten.

Wörter kommen aus der Stille, aus dem Nichts. Wirken im Licht der Wahrnehmung, verschwinden im Nichts, in der Stille …und hallen doch nach, in den Köpfen der Zuhörer.

Worte in der Wüste

Erinnern wir uns des Themas: Bleiben.  Bewahren.  Vergehen…damit assoziiere ich ein Landschaftsbild. Die Urlandschaft der Erde: Die Wüste. Den Erg. Das sind die großen Sand- und Dünenmeere der Sahara. Aus Sand ist alles entstanden, zu Sand wird alles werden. Nur eine Frage der Zeit. In den Wüsten unserer Erde unterwegs gewesen, möchte ich sie als grenzenloses Labyrinth beschreiben. Als Irrgarten, in dem sich der unkundige Eindringling leicht verläuft. Umherirrt bis zum Wahnsinn um dann qualvoll zu verenden.

 

In der Wüste liegt eine undurchdringliche Stille. Auch Furcht,

Angst und Schrecken vor unbesiegbarer Natur lasten auf ihr.

Du hörst dein Blut durch die Adern rauschen, den Puls pochen.

Und du hörst Worte, die du zuvor nie gehört hast.

Deine Worte?

Nein, es sind die des Schöpfers, der zu dir spricht.

Ganz vertraut, als wäre er schon immer bei dir gewesen,

nur gehört hast du ihn nie.

Es ist kein Wunder, dass  große Gedanken in der Wüste entstehen.

Besondere Persönlichkeiten schöpften Kraft dort draußen in

Askese und Einsamkeit: Moses, Jesus, Mohammed, Mao Tse-tung,

Gandhi, Ben Gurion und viele , viele andere Gestalten der

Weltgeschichte waren es, die sich in die Wüste begaben und als

andere wiederkamen. Schon wahr: Niemand verlässt die Urlandschaft

so, wie er sie betreten hat. Non sum qualis exam! (Nicht mehr bin ich,

der ich war. Horaz.)

Charles de Foucauld, einst Lebemann in Paris, dann Offizier,

schließlich Mönch in der Sahara: „Das Panorama vor meiner

Steinklause ist unvorstellbar schön. Ich kann nicht hinsehen

auf dieses Meer von Sand, ohne Gott anzubeten.“

 

Der Glutball der Sonne war gerade hinter eine hohe Düne geglitten.

Das ist die dünne Nahtstelle zwischen Tag und Nacht. Zwischen

Hitze und Kälte. Eine kurze Spanne nur, in der die Natur Atem

schöpft und sich mit einem erlösenden Seufzer von grausamer

Tageshitze erholt.

 

Ich lag im Sand und bereitete mich auf die Nacht vor. Es war

damals in meiner ersten Nacht, allein in der Sahara. Ich war

vom Weg abgekommen und in Sorge um mein bisschen Leben.

Schwarzkäfer bohrten sich aus dem Grund. Skinke huschten

über den Sand. Ein Skorpion hastete meinem Lager zu…  Und

der leichte Abendwind blies sie weg, die letzten Lebensspuren.

Plötzlich drang herzzerreißendes Jammern an mein Ohr.

Ein Baby in der Wüste? Es war das Schreien eines Wüstengeckos!

 

Während ganz rasch die Dunkelheit wie ein Leichentuch herabfiel,

wölbte sich das berauschende Firmament über mir und ich fühlte

mich, so von flimmernden Sternen umgeben, wie im Mittelpunkt

des Kosmos, der die Gedanken in ungeahnte Sphären trug.

Trotz Sorge, trotz bedrückender Einsamkeit und einer unheimlichen

Maß- und Grenzenlosigkeit, fühlte ich mich auf einmal auf

sonderbare Weise geborgen, ja aufgehoben und behütet!

Es war, als befände ich mich hier draußen, im endlosen Ozean

aus Sand, in des Schöpfers Hand.

Und – wie seltsam auch – erfuhr ich, so Schrecken und Schönheit

ausgesetzt, die Wüste als Metapher. Ich erkannte sie mit

einem Mal in ihrer Zweideutigkeit. Erlebte sie als Ikone, als

eindringliches Lehrbild und treffliche Stätte einer viel tieferen

Wüste, die überall in der Welt und – vor allem – in jedem

Menschen steckt.

Wüste, das ist unser Ausgebranntsein von der Hektik des Alltags

und von der Oberflächlichkeit menschlicher Begegnungen.

Wüste – ist das Ausgesetztsein an uns selbst. Hier, in der

absoluten Einsamkeit, begegnete ich die innere Weite des

Lebens selbst!

Und abermals in dieser Nacht, kam mir Foucauld in den Sinn:

„Schweigen bedeutet ganz das Gegenteil von Vergessen und

Kälte. Im Schweigen liebt man am glücklichsten. Oft ersticken

Lärm und Worte das innere Feuer.“

Während der Wind mit dem Sand spielte, lag ich grübelnd da

und fragte mich: Was ist meine Wüste? Erfolglosigkeit?

Krankheit? Einsamkeit? Trostlose Dürre des religiösen Lebens?

Depression? Angst vor dem Morgen?

Keinem wird der Weg durch die Wüste erspart. Jeder muss

bereit sein, sich in seiner Wüste aufzuhalten.

Wer die Gunst des Schicksals sucht, seinen frischen Gnadentau,

muss auch die Tränen der Wüste ertragen!…

 

Endlich schlief ich ein, in dieser ersten Nacht. Unruhig zwar,

hatten sich doch die Worte eines alten Targis aus Mali in

mein Hirn gegraben: „Siehst du den Aasgeier da, im Sand auf

einem toten Menschen, dann rufe: Weg, du, von meiner Leiche!

 

Im noch nächtlichen Morgen weckte mich das Trällern einer

Wüstenlerche. Hoffnung heißt der Vogel, welcher singt,

wenn die Nacht noch dunkel ist. Das Lied klang nach Zuversicht,

und es sagte mir: Sei unverzagt, du wirst ihn finden, den Weg

aus deiner Wüste!

 

Foto: Wolf-Ulrich Cropp