In loser Folge stellen wir Mitglieder der Auswärtigen Presse e.V. vor, deren Vita besonders interessant ist.
Von Uta Buhr
Bei diesem Mann drängen sich automatisch Vergleiche mit der Bibel und den Mythen der alten Griechen auf. Hätten laute Trompetenstöße die wehrhaften Mauern der Stadt Jericho im Heiligen Land nicht zum Einstürzen gebracht, wäre dies der Donnerstimme eines Hans-Peter Kurr mit Sicherheit spielend gelungen. Jene, die weiland die Trompeten bliesen, sind uns namentlich nicht geläufig, doch der Name des so ungemein wandlungsfähigen Proteus ist uns bekannt. Der allwissende, weissagende Meergeist der Danaer war in der Lage, ständig – je nach Gusto – seine Gestalt zu verändern.
Und da sind wir auch schon mitten im Thema. Ob Hans-Peter Kurr der Weissagung mächtig ist, wissen wir nicht. Doch als Schauspieler erfindet er sich fast täglich neu, schlüpft von einer Rolle in die nächste wie in eine fremde Haut. Sein Répertoire ist schier unerschöpflich. Tritt er als der Narr in Shakespeares „König Lear“ auf, ist er der Narr. Dasselbe gilt für den Totengräber im „Hamlet.“ Der Mime verschmilzt mit jeder seiner Rollen. Doch er verkörpert nicht nur dramatische Rollen, sondern bewährt sich mit derselben Verve im komödiantischen Fach. Wer ihn je in Gerhard Hauptmanns Diebeskomödie „ Der Biberpelz“ erlebt hat, ist begeistert von seiner Vielseitigkeit und seinem Spielwitz.
Bringen wir es auf den Punkt: Hans-Peter Kurr ist eine echte „Rampensau“ – ein Vollblut-Schauspieler, der ohne das gleißende Licht der Scheinwerfer und ein Quäntchen Lampenfieber verkümmern würde! Wer nun meint, damit erschöpfe sich das Talent des Mimen, hat sich gewaltig geirrt. Der Mann trägt viele Hüte, will sagen, er jongliert mit einer Vielzahl von Berufen. Einer davon ist der des Regisseurs. Und der ist nach seinen eigenen Aussagen seine Leib- und Magenrolle.
Welche Stücke hat er schon inszeniert? Oder sollte man nicht besser fragen, welche Dramen und Komödien er noch nicht auf die Bühne gebracht hat. Besondere Beachtung verdient Kurrs Bearbeitung und Regieleistung von „Mirandolina“ des Italieners Carlo Goldoni. Zuschauer, die der Aufführung dieser zauberhaften Komödie im Jahre 2004 beiwohnten, sprechen heute noch in den höchsten Tönen davon. Auch die farbenfrohe Inszenierung und historischen Kostüme sollen eine veritable Augenweide gewesen sein.
Doch auch damit ist noch nicht alles über unseren Proteus gesagt. Denn neben Schauspieler und Regisseur ist der Mann auch noch Journalist, Publizist und Rezitator. Wer dem jovialen Mann mit dem Prophetenbart und der Bassstimme gegenüber sitzt und seiner Vita lauscht, kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Nach dem Abitur studierte Hans-Peter Kurr zunächst einmal Ägyptologie. Zwei Jahre ließ er sich hernach zum Redakteur und Fotografen ausbilden. Alles nützliche Fertigkeiten, wie er in Erinnerung an jene ferne Zeit bekennt. Dann folgte seine „wilde Epoche“ als Auslandsberichterstatter für verschiedene Blätter, während der er sich in den USA, Mexiko, der seinerzeitigen UdSSR, Japan, China, Indien, Australien, Syrien und Singapur sowie in fast allen europäischen Ländern herumtrieb.
Irgendwann reichte ihm das Vagabundenleben, und er begann ein Regie- und Schauspielstudium an der berühmten Folkwang-Hochschule für Musik, Theater und Tanz in Essen. Die Regieassistenz bei Legenden wie Harry Buckwitz, Arno Assmann und Hans Quest, um nur einige zu nennen, waren sicherlich keine Herrenjahre, sondern Vorbereitungen auf eigene Regiearbeiten in Hamburg, Köln, Düsseldorf, Bad Hersfeld und London. „Von 1981 bis 84 war ich Chefdramaturg am Ernst-Deutsch Theater in Hamburg“, erzählt Hans-Peter Kurr versonnen, „eine wunderbare Zeit.“ Das glaube ich ihm auf’s Wort. Wir sitzen in seinem gemütlichen Raum im Souterrain des Logenhauses in der Moorweidenstraße bei einer von ihm persönlich frisch gebrühten Tasse Kaffee, während er sein bewegtes Leben Revue passieren lässt. Ein riesiger Gold gerahmter Spiegel hängt über dem Sofa. Der wird für Rhetorikkurse benötigt, die Hans-Peter Kurr regelmäßig Menschen erteilt, die sich in der Kunst der freien Rede vervollkommnen wollen. Andere wiederum lernen von der Pike auf, ungehemmt vor Publikum zu sprechen. „Und dabei sind Mimik und Körpersprache natürlich sehr wichtige Ingredienzien“, betont der Lehrmeister.
Im Nebenraum, seinem Büro, herrscht eine Art geordnetes Chaos. Dies mag widersprüchlich klingen, beschreibt jedoch am besten das Sammelsurium unterschiedlichster Erinnerungsstücke aus einem langen leidenschaftlichen Künstlerleben. Am interessantesten sind die Fotos. Da gibt es eines mit Widmung von keinem Geringeren als Hollywood-Superstar Kirk Douglas, der neben seiner eleganten Frau aus dem Rahmen lächelt. Wenn er erst einmal anfinge, all jene Berühmtheiten zu nennen, mit denen er schon „Ellbogen gerieben“ hat, lacht Hans-Peter Kurr dröhnend, säßen wir hier noch die ganze Nacht. Dazu aber ist keine Zeit, denn seine Termine drängen. Da steht in einer Stunde eine Probe im „Sprechwerk“ an. Vonwegen Künstler nehmen es mit Zeitabsprachen nicht so genau… Merke: Auch in Schauspielerkreisen gilt Pünktlichkeit als höchste Zier!
Ich erinnere mich gern an Kurrs Regie in Gottfried Ephraim Lessings „Ernst und Falk – Gespräche für Freymäurer.“ Ein wunderbares Stück, das auch im Feuilleton des Hamburger Abendblattes gelobt wurde. Eines übrigens, das Hans-Peter Kurr als bekennendem Freimaurer und Rosenkreuzer sehr am Herzen liegt. Doch er inszeniert auch gern die Werke seiner jungen Frau Bettina Katalin, einer begabten Stückeschreiberin. „Knut und Will“ wurde gut vom Publikum aufgenommen, freut sich Hans-Peter Kurr und drückt mir zum Abschied so kräftig die Hand, dass ich fast in die Knie gehe. War der Mann mit den vielen Berufen etwa auch schon einmal Matrose? Möglich ist alles bei diesem Multitalent, das nach eigenen Worten schon mindestens einmal wieder geboren wurde. Eines aber scheint sicher: Auch im nächsten Leben wird es für ihn wieder eine Berufung vor vielen anderen geben – die des Regisseurs und Spielleiters auf den Brettern, die die Welt bedeuten.
Fotos: Joachim Hiltmann