Corona, Cofefe oder guten Morgen Bruno Gröning

Wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht
Bild: Reimer Boy Eilers

#Staywoke. Corona ist genauso wie Cofefe. Experten versuchen sich an Erklärungen, doch wir Alltagsmenschen schütteln erst einmal den Kopf und fragen uns einfach: Wie konnte das geschehen? Will man Corona verstehen, ist es durchaus hilfreich, sich Cofefe anzuschauen. Beide waren bis vor kurzem völlig unbekannt, dann erschienen sie am Horizont unserer Wahrnehmung und warteten nicht lange. Sie verbreiteten sich mit viralem Tempo über den Planeten.

Corona kam aus Wuhan zu uns, genauer, vom dortigen Wildtier-Großmarkt, Cofefe entwich dem Weißen Haus. Corona ist ein Lebewesen, Cofefe seine Parallele im Wortreich, es ist ein Wortwesen. Genauer gesagt, ist Cofefe eine Mutation des Wortes Covfefe – von Donald Trump, am 31. Mai 2017, um sechs Minuten nach Mitternacht mit einem Tweet in die Welt gesetzt. Er twitterte: „Despite the constant negative press covfefe.“ Trotz der ständig negativen Presse Covfefe.

Als ich jünger war, hörten wir den Song: „Am 30. Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang …“ Nun ja, mit dem 31. sind wir noch einmal haarscharf davongekommen, sieben Minuten trennten uns vom ominösen Vortag, aber alles ist in der Pandemie mit allem verknüpft, natürlich ist nicht nur der Tag, sondern auch die Uhrzeit für die Geburt von Covfefe von Belang, um Mitternacht, wenn der Schadenszauber seine Flügel breitet und die bösen Wünsche fliegen. Coronas Geburt liegt leider noch ein wenig im Ungefähren, doch ich würde drauf wetten, dass sie an einem der Weihnachtstage des Jahres 2019 „um Mitternacht“ geschah.

Wundern sollte sich niemand über die Parallelen im Wort- und Virenreich. Die Variante Cofefe ist eine Optimierung unter rein virologischen und pandemischen Aspekten. Die Mutation hat sich dem Menschen angepasst, sie geht glatter über die Zunge und hilft damit ihrer Verbreitung. Als Internet Meme verteilten sich beide Varianten augenblicks im digitalen Universum.

Bleiben wir noch einen Moment bei der Geburt. Sie ist etwas sehr anderes als die Verbreitung. Zuschlagen kann das Virus an jeden Ort und in den unterschiedlichsten Situationen. Wir alle sind das Zielobjekt viraler Attacken, in diesem Text künftig Ziviatt genannt. Doch die Geburt des Virus verlangt nach sehr besonderen Umständen. Nötig ist ein ungesundes wuseliges Treibhausklima voller divergentem menschlichen Verhalten, das in Endlosschleifen und auf engstem Raum um sich selber kreist und auf keine guten Ratschläge hört. Mit anderen Worten, es ist ein soziales Rührwerk, das als perfekter Brutreaktor fungiert. Ob Wildtiermarkt in Wuhan oder Weißes Haus unter Trump, aus virologischer Sicht konstatiert das aufgeschreckte Ziviatt: Passt schon! Wie rührend ist das denn? Fuck …

Fledermäuse und Schuppentiere

Apropos chinesischer Wildtiermarkt, da haben wir uns also einen großen Grabbeltisch mit Shopping zwischen Fledermäusen und Schuppentieren vorzustellen. Es heißt von berufener Seite, dass Artensterben, Umweltverschmutzung und Klimawandel das Virus begünstigen, wenn es im Begriff steht, vom Tier auf den Menschen überzuspringen. Im Weißen Haus sind das alles in den letzten Jahren Gähnthemen gewesen: entweder es gibt sie nicht oder nicht so wichtig. Vielleicht ist Cofefe also einfach ein Gruß von einem Viren-Hotspot zum anderen. Hi, Wuhan! Hau rein! Cofefe! Mir gefällt diese Erklärung.

Nun könnte ein allzu kluger Kopf oder sagen wir gleich, ein Schlaumeier, einwenden: Wie kann das angehen, wenn zwischen Cofefe und Wuhan zwei Jahre liegen? Aber das ist Old School, zu jeder Pandemie gehören alternative Fakten, und ich hege die Vorstellung, dass beide lange voneinander ahnten, Wuhan und das Weiße Haus. Manchmal brauchen Grüße so lange, um anzukommen, dann werden sie umso mehr geschätzt. Cofefe!

Natürlich wird der Betreiber eines sozialen Rührwerks, dem ein Virus entfleucht ist, das niemals zugeben. Hat man jemals von einem Beteiligten an einer Wirtshausschlägerei gehört, der gesagt hätte: Hallo, ich war’s! Ich habe angefangen. Die ganzen ausgeschlagenen Zähne nehme ich auf meine Kappe … Das wäre wohl ein Wunder. In Wuhan wurde der Arzt, der als erster auf Corona hingewiesen hatte, von den Behörden schikaniert. Als ob Shakespeare seine Hand im Spiel gehabt hätte, ist er am Ende sogar an dem Virus gestorben. Wir wollen ihn nicht vergessen, sondern ihn im Abspann nennen, Li Wenliang wurde nur 34 Jahre alt.

Den chinesischen Autoritäten hat das Leugnen wenig genützt. Wuhan wurde zur Geisterstadt. Auf den Intensivstationen brachen Ärzte vor Erschöpfung zusammen. Die ganze Welt mühte sich, ihre Grenzen vor dem Unheil aus Wuhan zu schließen.

Virenpate Donald Trump verfolgte eine andere Strategie. Er leugnete zwar nicht die Existenz von Cofefe, das wäre angesichts der massenhaften Retweets auch schlecht gegangen, aber er deutete seine Natur um und sprach von einem durchaus normalen Wort. Kein Keimling also – und basta! Ein Wort ohne Risiken und Nebenwirkungen. Mit dieser Botschaft schickte er seinen Pressesprecher ins Getümmel. Die Stimme des Weißen Hauses, Sean Spicer, sagte am Tag nach dem Tweet bei einem Journalistenbriefing: „Der Präsident und ein kleiner Personenkreis wissen ganz genau, was er gemeint hat.“

Mein Versuch, Cofefe zu deuten, ist nur einer unter vielen. Und da bin ich keineswegs traurig drum, im Gegenteil, die Welt der Viren ist bunt, wenngleich nicht immer zur Freude des menschliches Auges. Eine Unzahl von Ziviatten hat sich mittlerweile ihre eigenen Gedanken gemacht, viele haben ihren Weg ins Urban Dictionary gefunden. Für mich ist es also der Gruß rüber nach Wuhan. Beliebt im Netz sind auch folgende Auslegungen des Memes:

Der Versuch, klug rüberzukommen, wenn du nicht weißt, was Sache ist

Beispiel: Ich habe dem Robert-Koch-Institut grundlegende Fehler nachgewiesen, alles Cofefe.
Die Welt mit Tippfehlern ablenken, während man ihr gehörig eins auswischt.
Beispiel: Das Pariser Klimaabkommen ist heiße Luft. Wir bauen zehn neue Kohlekraftwerke. Cofefe!
Der Versuch, den Antichrist und seine Helfershelfer anzurufen.
Beispiel: Ich bin die Stimme der Bewegung. Fort mit der Lügenpresse! Pandemie? Bullshit. Ich kann es richten. Cofefe!

Was lernt der Ziviatt noch von Cofefe? Eine der förderlichsten Umweltbedingungen für seine Verbreitung liegt im sturen, uneinsichtigen, besserwisserischen und testosterongetränkten Verhalten seines Trägers. Insofern kann das Wortvirus seinem Geschick nicht genug danken, dass es auf den Potus Trump traf. (Potus hört sich irgendwie wie ein neuer Virus an, meint aber nur President of the United States.) Wäre Cofefe stattdessen einem Tweet von Joe Biden entfleucht, und der neue Präsident hätte gegrinst und gesagt: „Sorry, hab mich vertippt.“ – das Wortvirus wäre augenblicks wieder aus dieser Welt verschwunden. Trump dagegen, großmäulig wie ein Megaphon und unfähig, auch nur den kleinsten Fehler einzugestehen, war der ideale Superspreader.

Reisen wir mit den Viren von Wuhan übers Weiße Haus nach Deutschland. Die Corona-Pandemie, sagt die Kanzlerin, ist die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Angela Merkel ist eine kluge Frau, und deshalb tun wir gut daran, uns in diese Epoche zu begeben und zu gucken, ob sie uns etwas zur Erhellung unserer Zeiten zu sagen hat. Was hat die Verheerung der Gesellschaft nach 1945 in den Köpfen ihrer Menschen bewirkt? Es muss nicht immer Pest und Mittelalter sein, auf die wir als Mahnung panisch und pandemisch schauen.

Wenn die Realität keinen Sinn mehr macht, flüchtet man aus ihr. Auf Dauer ist das womöglich unklug, doch über kurze Frist leuchtet es durchaus ein. Die hellsichtige – Hellseherin? – Hannah Arendt beschrieb den Urlaub von der Wirklichkeit, den sich viele Deutsche nach dem verlorenen Krieg nahmen, sie hatten einfach keinen Bock mehr darauf, „zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden“. Wer wollte schon dem Schrecken, den die Deutschen angerichtet hatten, und dem Elend, das dann folgte, unverblümt ins Auge sehen? Nö, man hatte nichts gewusst, und schuld war man schon gar nicht.

Da hatte parallel zu Wirtschaftswunderzeiten eher der Wunderheiler Bruno Gröning Konjunktur. Seine Diagnose: „Jedes Wohnhaus ist ein Krankenhaus.“

Hexenverfolgung und Marienerscheinungen

Und damit hatte er vermutlich recht, jenseits der Spekulation auf einen großen Markt für seine Kunst. Oder hatte der Nationalsozialismus etwa nicht die Seelen der Deutschen zerstört? Die amerikanische Historikerin Monica Black von der University of Tennessee, die zu Bruno Gröning geforscht hat, berichtet, dass die Zahl der Hexenverfolgungen und Marienerscheinungen im Nachkriegsdeutschland rasant anstieg. Da füllte der deutsche Medicus des Supranaturalen, des Übernatürlichen, eine schmerzliche Lücke. Bruno Gröning konnte einen göttlichen „Heilfluss“, den er als Alternative zum herrschenden Elend versprach, in Richtung Seelenkur lenken. Seinen unübersehbaren Kropf verstand er selbst als „Schwellung durch ebendiese Kraft“. Der Heilfluss strömt bis heute. Immer noch besteht der Bruno-Gröning-Freundeskreis und rührt im Heilenden. Cofefe!

Wenn die Situation in einem Land allzu brenzlig wird, ist es quasi zwangsläufig, auf die Frage nach den Fakten ein übel riechendes Häuflein zu setzen und sich erfreulicheren Fantasien zuzuwenden. Ein berühmter Vorgänger und geistiger Ziehvater des Trumpschen Pressesprechers Sean Spicer war Comical Ali, wie ihn die Weltgemeinschaft taufte. Spicers Kollege befand sich seinerzeit, es war 2003, in Diensten von Saddam Hussein. Als die amerikanischen Truppen bei der Invasion des Iraks unmittelbar vor der Hauptstadt standen, erklärte der Informationsminister Mohammed Saif al-Sahaf aka Comical Ali: „Bagdad ist sicher. Die Ungläubigen begehen zu Hunderten Selbstmord vor den Toren der Stadt.“ Sehr komisch, aber oho!

Und nun von dem Ausflug in die Weltpolitik wieder zu uns nach Hause. Das Ziviatt ist durch zwei Eigenschaften gekennzeichnet: seine Verwundbarkeit und seine Angst. Beides ist natürlich miteinander verschränkt und führt über die schlechte Laune und schlechtes Benehmen in die Depression. Was kann der Mensch tun, um sich besser zu fühlen? Verdammt, dieses Virus ist so was von Cofefe! Ich respektiere das. Der Reiche hat objektive Möglichkeiten, nehmen wir als kulturelles Paradigma nur das florentinische Dekameron. Wer Ressourcen hat, kann sich isolieren, ohne groß auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Er kann sich dabei sogar gut unterhalten.

Das schlechtbemittelte Ziviatt wird in das Reich der Wünsche und der Magie ausweichen. Entweder spielen wir die Gefahr des Virus herunter oder wir erhöhen auf spirituelle Weise unsere Unverwundbarkeit, am besten wirkt eine Kombination von beidem. Und bloß keine Maske tragen! Denn damit konstatiert das Ziviatt nur in aller Öffentlichkeit das Gegenteil. Der Maskenträger symbolisiert nichts als Stress und eigene Verwundbarkeit. Man wird ihn für krank und gefährlich halten. Das macht aggressiv, das Ziviatt möchte im Angesicht der Maske spucken wie ein Lama.

#Staywoke. Was lernen wir daraus? Das Ziviatt tröstet sich mit einer gesicherten Erkenntnis. Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Comical Ali daher. Cofefe!

 

 

THE ENGLISH THEATRE SUMMER FESTIVAL

Poster (c) ETH

The English Theatre of Hamburg is finally opening again and invites its guests to its most inspiring SUMMER FESTIVAL.
Please read the message:

Dear guests,
we are finally opening again! And not only that – we are more than happy to announce the first ever THE ENGLISH THEATRE SUMMER FESTIVAL, It will be held between the 2nd of June to the 14th of August. After that our scheduled new season in September will commence.

50 Shades of Fairytales poster c) ETH

The programme for our Summer Festival is packed with exciting performances covering everything from plays to galas and special professional impro shows! Ticket sales already started on June 14. Subscribers can redeem their existing subscription vouchers for the Summer Festival. Please do so via phone, by mail, in person at the box office or online. Our box office already opened on June 14 and will be open daily from Mondays to Fridays from 10:00 to 14:00. It also opens Tuesdays and Sundays from 15:30 to 19:30. We are looking forward to seeing you again very soon.

Tickets under phone number 040 – 227 70 89, online www.englishtheatre. de

The Summer Festival programme is very rich and diversified. Just have a look and make your choice.

The Summer Festival programme
FLOY (photo by Svea Ingwersen)

While “The Barbra Streisand Songbook” starring Suzanne Dowaliby will be performed on July 17 and 18, “Me, Myself and Janis Joplin” starring Floy is scheduled for July 20 to July 25. Two one-woman-shows starring two well-known actresses will convince you of their exceptional talent in the parts of Streisand and Joplin. Also don’t miss

English Lovers” and enjoy finest high quality impro theatre at its best on August 3 to August 8. And come to see “HAP”, world premiere of BAFTA awarded playwright John Foster, from 27 July to 1 August. Here’s a brief summery of the plot: Meet Hap. Despite all attempts to be a miserablist she can’t ever be unhappy. Unhappy, at being happy, she visits Doctor Marples seeking a cure. Doctor Marples, herself desperate for joy doesn’t know how to be happy. This hilarious and quirky comedy about our modern obsession with the pursuit of happiness, shows two very different , city-slicker women on either end of the slippery therapist’s couch. Despite the ongoing monotony of Brexit, Corona and takeaways-for-one. Hap and her doctor find, to their surprise giggles and romance in the most unlikely places – the therapist’s couch.

We are sure that you will greatly enjoy this comedy, directed by Paul Glaser, and leave the theatre in high spirits.

Sorry, but we have to pester you with the compulsory safety rules.

  • As before the closure, we are only allowed to receive a limited number of people.
  • We are allowed to sell tickets in the “chessboard system”, which means that we always leave one seat free between an occupied seat.
  • Masks are still compulsory. This time also at the square.
  • Our bar is now open again. Our guests are allowed to consume their drinks on their seats.
  • An official negative coronatest is also compulsory (not older than 48 hours). You can also have it done directly next to the box office, at the official testing point. The colleagues at the pharmacy are happy to offer us this service. The test should be carried out by 19:00 at the latest. You can book an appointment under the link below or scan the QR code on the left.
    Time Travel (c) ETH

    Anyway, have a good time, enjoy the performances at the ETH and the fine weather.

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Summer-Festival im English Theatre of Hamburg

Poster (c) ETH

Endlich! Es ist soweit: Das English Theatre of Hamburg öffnet wieder seine Pforten.
In diesem Sommer wartet das ETH zum ersten Mal seit seiner Gründung mit einem Summer-Festival auf. Das ist ein absolutes Novum. In der Vergangenheit ging das English Theatre wie alle anderen Spielstätten bundesweit für drei Monate in die Theater-Ferien und eröffnete erst im September mit einem neuen Spielplan die Herbst- und Wintersaison.

 

Vorhang auf für einen ganz speziellen Mix aus Schauspiel, Shows und Performances, der am 2. Juli beginnt und am 14. August dieses Jahres endet.

Wie üblich, wird wieder eine Reihe großartiger, handverlesener Darsteller aus dem anglophonen Sprachraum das geneigte Publikum unterhalten.

Das Programm:

Gayle Tuffts mit der Comedy-Show „American Woman“: 2. – 4.7.

50 Shades of Fairytales poster c) ETH

Titilayo Adedokun in “Fifty Shades of Fairy Tales”: 6. – 11.7.

Jefferson Bond mit einem Stand-up Double Feature: 13. – 16. 7.

Suzanne Dowaliby mit einer Barbra-Streisand- Gala: 17/18. Juli

Floy mit „Janis Joplin“ (ebenfalls eine Gala): 20. – 25.7.

FLOY (photo by Svea Ingwersen)

 

Das Theaterstück „Hap“ unter der Leitung von Paul Glaser: 27. 7. – 1.8.

„English Lovers“ (professionelles Improtheater aus Wien: 3. – 8.8.

Joanne Bell mit einer exklusiven Show: 10. – 14.8.

 

 

Time Travel (c) ETH

Wir sind froh, unseren Zuschauern während dieses Summer-Festivals eine Auswahl außergewöhnlicher Vorstellungen bieten zu können. Aufgrund der aktuellen Lage sind (kurzfristige) Änderungen leider nicht auszuschließen. Natürlich werden wir alles versuchen, uns strikt an den Spielplan zu halten. Langer Rede kurzer Sinn: Wir freuen uns auf Sie. Also – demnächst in diesem Theater!

Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online www.englishtheatre.de

Liebesgrüße à la carte 

Seit es die Fotografie gibt, haben viele Künstler die Lust verloren, sich mit Motiven des Sports zu befassen.

Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt eine Postkarte von Ihrem letzten Fußball-; Handball-; Tennis- oder Golftrip an ihre Lieben daheim verschickt? Im Zeitalter der digitalen Medien und  Smartphones haben nicht nur wir, sondern auch viele Künstler die Lust verloren, sich mit Postkarten zu befassen. Maler und Zeichner um die Jahrhundertwende waren da inspirierter und kreativer. Sie machten Postkarten zu Kunstwerken. So erzielten beispielsweise Ansichtskarten mit Szenen aus der feinen Tennis- oder Golfwelt in elitären Kreisen riesige Auflagen. In der großen Zeit ihrer Herstellung (zwischen 1900 und 1914) wurde zum Teil soviel Aufwand an Drucktechnik und Handarbeit in jede einzelne Postkarte gelegt, das alles, was danach kam, „billig“ erscheint.

Postkarten im Sean Arnolds Sporting Antiques Museum

Die kostbarsten Postkarten-Raritäten als Spiegel der damaligen Zeit kann man, wenn nicht gerade in England wieder mal Lockdown ist, in Sean Arnolds Sporting Antiques Museum in London Notting Hill besichtigen und kaufen. Das Privileg, von dem deutschsprechenden Iren Arnold durch sein Golfmuseum geführt zu werden, genießt der Kunstliebhaber ehrfurchtsvoll. In einem alten viktorianischen Haus in der Artesian Road no.1 (London W25DL) wacht der 78-jährige Arnold über wahre Schätze antiker Sportkunst. Für Liebhaber sportlicher Antiquitäten aus den Gründerjahren bis hin zur Jahrhundertwende ist sein Name fast so klangvoll wie „Sotheby’s“ in der Bond Street oder „Christie’s“ in der Kings Street.

Der Deutsch-Ire sammelt seit 40 Jahren Sportantiquitäten, kauft und verkauft alles, was mit Fußball, Golf, Polo, Kricket und Tennis zu tun hat. Im Haus seines Onkels fand der ehemalige Highfidelity-Experte seine erste rund 100 Jahre alte Golfsammlung: „Nichts Hochkarätiges, aber toll.“ Der Onkel schenkte dem Neffen die kostbaren Stücke – der Beginn einer Obsession.

Ölgemälde, Stiche, Lithographien, Radierungen, Zeichnungen, Keramiken, Silber, Lederköcher, Münzen, Bälle, Spiele, Schmuck und Fotos geben einen Überblick über die Anfänge von Polo, Tennis, Golf und Fußball. Das Privileg, von Sean Arnold (nur nach telefonischer Vereinbarung (Tel.:+ 44 207 221 2267; Mob.07712 005017 ) durch dieses Golf-Museum geführt zu werden, genießt jeder Antiquitätenliebhaber ehrfurchtsvoll. Man bewundert andächtig eine mit Golfbällen aus Diamantsplittern besetzte Brosche und kniet prüfend vor einem alten Golfköcher – das gute Stück von 1925 soll 300 Pfund kosten. Es ist schon faszinierend, wie viel „Sport aus der Zeit“ man bei Sean Arnold – auch zu Schnäppchenpreisen  in seinem Shop in 23 High St. Aldershot GU11 in – findet.

Die Postkarte galt als schnellstes Kontaktmittel

In einem alten Bildband von der Hobby-Engländerin Helen Exley „Faszination Golf“ findet man die schönsten Postkarten der Jahrhundertwende zusammengefasst (ISBN ‎ 3897135809); Schläger und Arm flott in die Höhe geschwungen, das Kleid schicklich bodenlang, und unbequem figurbetont, die Beinstellung graziös dargeboten – so  (und anders) posierten die Nostalgie-Proetten mit oder ohne ihren Galan im Golfdress für die Maler. Kaum mehr vorstellbar, aber es war so: Als das Telefon noch nicht im Schwange war, galt die Postkarte als schnellstes Kontaktmittel. Zustellung häufig am Tage der Absendung. Der Postbote der Jahrhundertwende bekam oft Einblick in die Intimsphäre.

Dabei war es bis Mitte des 19.Jahrhunderts noch undenkbar, versiegelte Mitteilungen, die man Kurieren, Boten oder der Post für viel Geld anvertraute, den Blicken Unbefugter offenzulegen. Eine Änderung wurde erst möglich, als immer mehr Menschen Lesen und Schreiben gelernt hatten, der Postversand billiger und somit auch mehr Briefe geschrieben und verschickt werden konnten.

Am 1. März 1872 führte die Postverwaltung des Norddeutschen Bundes erstmals eine „Korrespondenzkarte“ für Mitteilungen ein. Format 10,8 x 16,3 cm. Bildpostkarten kamen um 1875 auf. Beliebte Motive waren „sinnbildliche“ Darstellungen, die mit der schriftlichen Nachricht  meistens übereinstimmen sollten: Verliebtes, Niedliches, Satirisches, Sportliches. Aber auch Glück, Glaube, Hoffnung und Trauer wurden von Postkartensammlern „versandfähig“ dargestellt.

Um die Jahrhundertwende kam es in Mode, auf den bunten Sportmotiv-Karten nicht nur Grüße in gestochener Schreibschrift zu versenden. In feinen Kreisen traf man seine Golf-Verabredungen postalisch kurz in Stenographie. Damit wurde Unbefugten das Lesen erschwert, der Platz optimal für noch intimere Nachrichten genutzt – zum Beispiel die Aufforderung zu einen „Flight a deux“. Oder: Die Botschaft skurril verpackt – Postkartenmotive mit schwarzem Humor waren unter Gentlemen-Golfern durchaus in Mode. Die Auflagenhöhe der „Liebesgrüße à la carte“ überschritt Anfang des 20.Jahrhunderts die Millionenhöhe. Der Absatz der gemalten Köstlichkeiten war um so besser gesichert, als diese keineswegs nur verschickt sondern auch leidenschaftlich gesammelt wurden – eine gute Wertanlage. Bereits 1897 beschäftigten sich mehr als ein Dutzend hervorragender lithografischer Anstalten ausschließlich mit der Herstellung von Bildpostkarten.

e-mail:seanarnoldantiques@hotmail.co.uk
Shop: 23 High St. Aldershot GU11; 1BH, Vereinigtes Königreich

 

 

 

Rucksack – A Global Poetry Patchwork

Rucksack 2020, Foto: Antje Stehn :: Die Installation ist seit September 2020 im Il Piccolo Museo della Poesia, Chiesa di San Cristoforo (Piacenza/Italien) zu sehen.

Drei unserer Mitglieder, nämlich Emina Čabaravdić-Kamber, Maren Schönfeld und Gino Leineweber, sind an dem internationalen Poesie-Projekt mit Gedichten beteiligt. Das von Antje Stehn initiierte Projekt beschreibt sie auf ihrer Seite thedreamingmachine.com:

Rucksack, bei Global Poetry Patchwork ist ein Kunstinstallationsprojekt, das am 26. September 2020 im Piccolo Museo della Poesia in Piacenza (Italien) eröffnet wird. Es besteht aus zwei Makroarbeiten: einer Installation mit einem großen Beutel, dem Rucksack, aus getrockneten Teebeuteln und einer Ausstellung mit kurzen Gedichten, die am Ende der Ausstellung in das Museumsarchiv aufgenommen werden sollen. Eine Audio-Loop-Installation bietet dem Publikum die Möglichkeit, den Stimmen von Dichtern zu lauschen, die in ihrer Muttersprache rezitieren. Das Werk vereint eine große Anzahl von Menschen, Orten, Visionen, Sprachen und unterstreicht den Wert der Nähe, der in diesem von Distanz und Enge geprägten historischen Moment, von der akuten Prekarität des menschlichen Netzwerks, so bedeutsam ist. 

Warum Tee? Warum Poesie?

Teebeutel haben eine lange Geschichte, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht, als die Chinesen anfingen, kleine quadratische Beutel zu nähen, um das Aroma der verschiedenen Tees besser zu bewahren. Die „Tee- und Pferderoute“ entstand während der Tang-Dynastie (618-907), lange vor der Seidenstraße, um die Handelsbeziehungen zwischen Tibet und China zu festigen. Und seitdem gehören Teebeutel zu den kleinsten Behältern, die wir in jedem Haushalt verwenden und finden. Tragetaschen gehörten zu den ersten Werkzeugen, die Frauen und Männer benutzten, um Gegenstände und Erinnerungen zu transportieren. Unsere Vorfahren waren Jäger und Sammler, aber in Wirklichkeit dominierten Sammler, da 80% ihrer Nahrung aus dem Sammeln von Samen, Wurzeln, Früchten in Netzen, Säcken und in jeder Art von Lichtbehälter stammten. Taschen waren gestern wie heute wichtige Transportmittel, wie wir sehen, dass Tüten in den Supermärkten als Einkaufsbehälter verwendet werden. 

seeking unity / by drawning the argument / in a cup of tea :: Haikuinstallation: Maren Schönfeld / Übersetzung: Barry Stevenson

Poeten aus aller Welt haben Gedichte eingereicht, teilweise auch künstlerisch verpackt, und kurze Filme mit der Lesung ihrer Gedichte in ihrer Muttersprache gedreht. Diese sind auf dem Youtube-Kanal Rucksack a Global Poetry Patchwork zu sehen.

Deutsch-italienischer Lyrik-Nachmittag

Gemeinsam mit der Hamburger Autorenvereinigung gestaltet Antje Stehn mit den Autorinnen und Autoren Emina Čabaravdić-Kamber, Sabrina De Canio, Uwe Friesel, Don Krieger, Gino Leineweber, Claudia Piccino, Mamta Sagar und George Wallace einen Lyrik-Nachmittag. Die Begrüßung übernimmt die Vorsitzende der Hamburger Autorenvereinigung, Sabine Witt (ebenfalls Mitglied der DAP), die Moderation erfolgt durch die Initiatorin des Projektes, Antje Stehn, sowie den Hamburger Autor und Ehrenvorsitzenden der HAV, Gino Leinweber.
Die Lesung findet am Samstag, den 10.07.2021, als Zoom-Meeting statt. Der Beginn ist um 19:00 Uhr. Anmeldung unter info@hh-av.de, den Teilnahmelink erhalten Zuhörer dann per E-Mail.
Die Teilnahmegebühr beträgt € 8, für Mitglieder der HAV frei.

Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien.

„Eidelstedter Farbpinsel“ – ein Raum für Kreativität

Christa Kromeier: Frühlingswache

„Die graue, herzlose Welt müsste behübscht werden. Ein menschlicher, freundlicher, heiterer Geist soll einziehen in die Wohnungen, die Häuser und in die Spitäler“, sagte einer, der in der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert etwas Besonderes geschaffen hat. Viele haben seine Größe zu Beginn nur zögernd erkannt. War er trotz seiner Genialität dennoch ein Querulant? Nein! Er zeigte, wie es in der Welt interessanter und ästhetischer zugehen kann. Er war der Künstler, der am stärksten auf das Lebensumfeld der Menschen gewirkt hat, und zwar nicht nur in den Galerien, sondern auch im tagtäglichen Leben. Er hat alle ermutigt, sich aus den Fenstern hinauszulehnen und die Außenwände um die Fenster herum mit kräftigen Farben zu bemalten, zu „behübschen“. Dieser österreichische Künstler heißt Friedensreich Hundertwasser (1928-2000).

Er lebte, wirkte und handelte eigentlich im Sinne des deutschen Aktionskünstlers Joseph Heinrich Beuys (19211986), der alle Zeitgenossen ermutigte: „Jeder ist ein Künstler“. Beide großartigen Künstler sprachen das Individuum an, sein kreatives Potenzial zu entwickeln, Hemmungen abzuschütteln und sich schöpferisch zu betätigen.

Kreatives Potenzial entwickeln und Hemmungen abschütteln

Diese Ideen versuchten und versuchen die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer im Eidelstedter Bürgerhaus seit etwa 15 Jahren zu verwirklichen bzw. sich diesen Ideen zu nähern. Mit ihren selbst angefertigten Zeichnungen und gemalten Gemälden „behübschen“ sie ihre Wohnungen, aber auch ihre Arbeitsbereiche, also Räume überall dort, wo sie leben, lieben oder arbeiten. Sie treffen sich wöchentlich einmal im „Kreativraum“ des Bürgerhauses.

Britta Nürnberger: Frauen

Den Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmern sind die Sitzungen kreative Anlässe, in denen sie im Team Bildideen entwickeln, sich austauschen und sich im Bereich Kunst weiterentwickeln. Hier können sie sich ihrer Leidenschaft hingeben. Sie sind Hausfreuen, Mütter, Väter, Büroangestellte etc.: Es sind Bürger wie du und ich.

Vom Bleistift bis zum Spektrum der Farben

Während der ersten Stunden lernt man den Umgang mit dem Bleistift kennen, dabei ist das ständige Greifen nach dem Radiergummi verpönt. Danach geht die Einführung in der Bildgestaltung mit Pinsel und Farben weiter. Ein wichtiger Bestandteil der Schulung ist auch die Perspektiv-, Kompositions- und Farbenlehre. Die Entwicklung der Fertigkeiten kommt nicht selten überraschend schnell voran. Einige ergriffen Bleistift und Pinsel erst vor Kurzem und gestalten bereits von Woche zu Woche ihre Bilder in Acryl, Aquarell oder Öl auf Bütten-Papier oder Leinen. Es macht ihnen Riesenspaß, ihre Gedanken und Emotionen in diversen Gemälden in zwei Dimensionen eigenhändig zu visualisieren.

Eva-Maria Lorenz: Tulpengruß

„Ich habe gar nicht gewusst, dass ich das kann“, äußern sich einige überrascht nach der Malstunde und freuen sich über ihr eigenes Gemälde. Durch die maltechnische Schulung und langjährige Praxis kann die Malgruppe ein ansehnliches Niveau bereits aufweisen.

Welche Themenkreise werden auf Malblock oder Leinen gebracht? Ihre beliebten Motive sind Stillleben, abstrakte Gemälde und Landschaftsbilder, wie z. B. die Alster, Elbe, der Hafen, die Speicherstadt, diverse Gebäude der Hansestadt Hamburg und/oder frequentierte Plätze, Straßen, Kirchen der direkten Umgebung in Eidelstedt. Am häufigsten werden dazu Vorlagen verwendet, wie z. B. Fotos sowie Bilder aus Zeitungen und Magazinen. Im Sommer malt man „en plein air“, direkt vor Ort in der Natur, wo die Herausforderung bei ‚Wind und Wetter‘ erheblich größer als in einem Atelier ist.

Die Kenntniserweiterung wird auch durch Projektaufgaben gefördert, in denen die wichtigsten Perioden der Kunstgeschichte besprochen werden. Der Lehrgang beschäftigt sich mit Maltechniken, Form- und Farbenwelten weltbekannter Künstler wie dem niederländischen Maler Vincent van Gogh, dem norwegischen Künstler Edvard Munch oder dem deutschen Expressionisten Emil Nolde usw.

Die Ausstellungen sind das Salz in der Suppe

Diese Bildpräsentationen finden in öffentlichen Gebäuden statt, wie in Kirchen, Altenheimen, Rat- und Bürgerhäusern, Bücherhallen etc. Die Vernissagen sind für die breite Öffentlichkeit gedacht, wo die örtliche Presse unser ständiger Begleiter ist. Diese Feierlichkeiten werden professionell mit Laudatio, literarischen Beiträgen und Musikspektakeln gestaltet. Die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer haben sich in den letzteren Jahren als ‚Eidelstedter Farbpinsel‘ einen gewissen Bekanntheitsgrad erarbeitet.

Beatrice Funck: Schattenraum

Besonders erwähnenswert sind außerdem die sozialen Kontakte innerhalb der Gruppe, die durch Telefon, E-Mail, Facebook, Handy und persönliche Treffen außerhalb der Sitzungen fortlaufend gepflegt werden. Bei alleinstehenden Malerinnen und Malern gewannen diese sozialen Ereignisse eine bedeutende Relevanz. Wir lassen niemanden einsam sein. Eben diesen seit Jahren funktionierenden Verbindungen ist es zu verdanken, dass eine Ausstellung während der Corona-Epidemie (Mai-Juni 2021) im Albertinen-Haus Hamburg vor ein paar Tagen schnell zu organisieren war, obwohl die Sitzungen fürs Malen ca. seit einem Jahr vollständig pausieren. Somit hat die Gruppe dazu beigetragen, den Bewohnern des Alten- und Pflegeheimes die Monotonie des Alltags während der Corona-Pandemie durch die Ausstellung „Form- und Farbenvielfalt“ erträglicher zu gestalten. So leisten die mit viel Enthusiasmus gemalten Bilder einen intellektuellen, emotionalen, psychologischen und kulturellen Dienst nicht nur für die Malerinnen selbst, sondern darüber hinaus für andere Menschen. Die Gemälde sind dort bis 31. Juni 2021 zu sehen. Die Ausstellerinnen sind Ute Bantin, Hanne Bey, Siegrit Herz, Monica Ehrig, Beatrice Funck, Christa Kromeier, Eva-Maria Lorenz, Britta Nürnberger und Elfi Riemenschneider.

Das Zuhause des ‚Eidelstedter Farbpinsels‘ befindet sich im Bürgerhaus in der Alten Elbgaustraße 12 in Eidelstedt. Dieses geschichtsträchtige Gebäude hat eine lange Geschichte und steht vor einer neuen Zukunft. Es wurde 1887 als Schule gebaut, die Alliierten zerstörten es durch Bombenangriffe 1943, dann diente es bis 1951 wieder als Schule und schließlich wurde es 1980 zum Bürgerhaus und Kulturzentrum. Dieser traditionsträchtige Bau erlebt eine umfassende Modernisierung und eine Erweiterung durch einen Anbau in zeitgemäßer Architektur, der voraussichtlich im Juli 2022 mit großen Feierlichkeiten eingeweiht wird. Das alte, aber runderneuerte Schulgebäude zeigt sich dann bald in frischem Design mit einem Café, der Elternschule, der Bücherhalle, einem Gastraum, einer Terrasse und dem neuen Veranstaltungssaal als stolzes Kultur-, Bildungs- und Veranstaltungshaus. Es wird sicherlich ein erhabenes Gefühl sein, in den lichtdurchfluteten Räumen die Pinsel über Malblock und Leinwände schweben zu lassen.

Aus dem Archiv Dezember 2015_AustellerInnen und Kursleiter Dr. László Kova im ForumVitalis Hamburg

Notabene: Dr. László Kova ist der Kursleiter und Gründer des ‚Eidelstedter Malpinsels‘.

 

 

 

 

Siegrit Herz: Rennende Pferde

Kaffeeklatsch à la carte

Foto: Antje von Hein

Es gibt Träume, aus denen man gar nicht mehr erwachen möchte. Um es mit Goethen zu sagen: „Verweile doch, du bist so schön.“ Am Muttertag hatte ich Blumen auf das Familiengrab gestellt und eine stille Zwiesprache mit meinem geliebten, bereits vor über fünfzehn Jahren verschiedenen Mütterchen gehalten. Müde geworden, ließ ich mich auf der Bank neben dem Grab nieder und fiel alsbald in einen süßen Traum. Ich saß bei hellem Sonnenschein auf der Terrasse eines Cafés am Strand der Ostsee, einen dampfenden Capuccino und ein großes Stück Nusstorte vor mir. Als ich gerade lustvoll die Kuchengabel zum Munde führen wollte, wurde ich durch einen erregten Wortwechsel brutal aus meinem Traum gerissen. Eine alte Frau in Seemannskluft, den Südwester keck auf dem schlohweißen Haarschopf, unterhielt sich lautstark am Handy mit einem unsichtbaren Partner, der sich partout nicht ihrer Meinung über Grabschmuck und Blumenerde anschließen wollte. Obgleich einige Friedhofsbesucher der Frau Handzeichen machten, ihre Stimme um einige Dezibel zu senken, fuhr diese unbeirrt in ihren Tiraden fort. Als ich sie später an der Bushaltestelle wieder traf, schenkte sie mir ein breites Lächeln und sagte: „Tut mir echt leid, dass ich ein bisschen laut war. Aber mein Mann ist fast taub. Und ich habe den größten Teil meines Lebens auf einem Markt gearbeitet. Und wer da Erfolg haben will, muss schon mal die Stimme heben.“ Das erklärte natürlich alles. Ich stellte mir die Frau im Geiste auf dem Fischmarkt vor, wo sie mit Stentorstimme Aale oder Bananen unter das Volk brachte. „Na dann man tschüüüs,“ rief sie mir zu, sprang behände aus dem Bus und zündete sich eine Zigarette an, deren Rauch sie genüsslich inhalierte. „Ich geh’ jetzt zu meinem Ede, der hat schon den Tisch gedeckt und Kaffee gekocht,“ ergänzte sie ihren Monolog, „und holen Sie sich man auch irgendwo nen Becher. Tut doch echt gut nach all den ollen Gräbern.“

„Tempora mutantur et nos mutamur in illis”, sagt der Lateiner. In der Tat, die Zeiten haben sich geändert, und wir haben uns ihnen wohl oder übel anpassen müssen. Statt eines gepflegten „Konditerns“ an Marmortischen, wie meine Eltern weiland Besuche in Cafés nannten, stehen wir heute auf der Straße, den Plastikbecher mit dem heißen Kaffee in der rechten und einem Stück Gebäck in der linken Hand. „Da musst du schon ganz schön balancieren, damit du dir das Gesöff nicht über den Pelz kippst“, scherzte unlängst eine Freundin und verbrannte sich prompt die Hand. Dabei fällt mir der verballhornte Text eines Schlagers aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein, den meine Mutter mit ihren Freundinnen in fröhlicher Runde zu singen pflegte: „In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei und fraßen für drei.“ Tja, mit Sitzen ist es ja zurzeit auch nichts. Stehen auch nur unter Vorbehalt. Stand ich mit zwei Freundinnen doch unlängst in der äußersten Ecke des Europa Centers. Kein Mensch weit und breit. Nichts Böses ahnend nippten wir an unserem Kaffee, als zwei sich martialisch gebärdende Männer in Uniform mit großen Schritten auf uns zukamen und uns aufforderten, sofort das Center zu verlassen. Unser Argument, es sei doch niemand hier außer uns wurde mit einem schroffen „Vorschrift ist Vorschrift“ abgeblockt. Wir fanden uns also bei strömendem Regen auf der Straße wieder. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch. Hatte nicht Birgit ihren schicken BMW in einer Nebenstraße ganz in der Nähe geparkt. Eilig schritten wir zur Tat und genossen einen außerordentlich unterhaltsamen Kaffeeklatsch in wohliger Wärme bei dezenter Musik im Auto. In bester Laune machten wir uns später auf den Heimweg. „Es geht auch anders, doch so geht es auch“, heißt es in Bert Brechts Dreigroschenoper. So ist es. Die Erfahrung während der Coronakrise hat uns gelehrt, die gewohnten Pfade zu verlassen und andere Wege zu beschreiten. Zugegeben, unser Kaffeeklatsch im Auto war lustig und originell. Dennoch wiegt er in keiner Weise den Besuch eines Cafés auf. Denn da sitzen wir entspannt an einem Tisch, lassen uns bedienen und kommunizieren mit anderen Menschen. Dies ist die Freiheit, nach der wir uns sehnen und die wir so schnell wie möglich zurück haben wollen. Amen.

Good News from The English Theatre of Hamburg

Sharon Facinelli

Rejoice, rejoice! The English Theatre is planning its comeback on May 2. As you all will remember, the premiere of “Shirley Valentine” was originally planned for November 20 last year. However, owing to the Corona pandemic disease the start of the play was postponed several times.

Meanwhile Helen Sheals who was originally engaged for this one-woman-show had to leave Hamburg for good. Helen is a well-known star in Britain. Besides her performances on stage, she appears frequently on television. She also plays a part in the popular TV series “Downton Abbey.”

The TET takes pleasure in announcing that Sharon Facinelli, another well-known British star (photo), will take over the part of Shirley Valentine in Willy Russel’s hilarious comedy. Sharon works in film, theatre and musical productions. She regularly performs in theatres as part of the Director’s Cut Theatre Company and is delighted to be making her Hamburg debut.

Last but not least a few words about the plot: Shirley, a frustrated housewife living in Liverpool is fed up with her marriage to a loveless husband. Therefore she is delighted when a friend asks her to spend a holiday with her in Greece. A couple of days in this sun-bathed country work wonders on Shirley and change her whole life.

We do hope that the premiere of this new play will take place on May 2, as scheduled. All of us are keeping our fingers crossed. We say good-bye for the time being and look forward to seeing you on May 2.

Uta Buhr

Gute Nachrichten vom English Theatre of Hamburg

Sharon Facinelli, Foto: Gemma Turnbull

Die Besucher des TET warten sehnsüchtig auf die Wiedereröffnung der Bühne an der Mundsburg. Am 2. Mai erlebt das Ein-Personen-Stück „Shirley Valentine“ von Willy Russel seine Hamburger Uraufführung. Diese hinreißende Komödie feiert seit langem Erfolge im Londoner Westend. Leider musste wegen des Lockdowns die Premiere am 20. November letzten Jahres abgesagt werden.

Der für die Erstaufführung vorgesehene Star der britischen Theaterszene Helen Sheals ist inzwischen nach England zurückgekehrt und steht für den Neustart nicht mehr zur Verfügung. Schade, denn Helen ist auch dem deutschen Publikum durch ihren Auftritt in der TV-Kultserie „Downton Abbey“ bestens bekannt.

Die Rolle der Shirley Valentine wird die in Großbritannien nicht minder bekannte Schauspielerin Sharon Facinelli (Foto) übernehmen. Sie ist seit Jahren eine bekannte Größe im Film- und Musicalgeschäft und präsentiert sich ihrem Publikum ebenfalls mit Leidenschaft auf den Brettern, die die Welt bedeuten.

Freuen wir uns also auf Sharon Facinelli als Shirley Valentine in diesem Stück über eine zutiefst frustrierte Liverpooler Hausfrau, die ihre Lebensfreude auf einer Reise ins von der Sonne verwöhnte Griechenland wiederfindet. Wir dürfen auf einen höchst amüsanten Theaterabend gespannt sein, In Zeiten wie diesen tut uns allen ein solches Trostpflaster besonders gut.

Wir melden uns zu gegebener Zeit an dieser Stelle wieder. Drücken wir also die Daumen, dass wir uns demnächst in unserem schmerzlich vermissten Theater wieder treffen.

Das wünscht uns allen

Ihre Uta Buhr

 

Die Frau, die König Ludwig I. die Krone kostete

Joseph Karl Stieler_-Lola Montez (gemeinfrei)

Vor 200 Jahren kam die „bayerische Pompadour“ zur Welt, die nicht aus Spanien kam, sondern aus Irland und eigentlich Elizabeth Rosanna Gilbert hieß

Lola Montez wird als „bayerische Pompadour“ bezeichnet. Dabei hat die Tänzerin auch gewisse Ähnlichkeit mit Mata Hari. Bei beiden war die Herkunft nicht so exotisch, wie sie behaupteten, sondern eher verwirrend. Bei beiden war der Tanz eher erotisch als künstlerisch. Beide hatten in ihren besten Jahren den Körper und die Ausstrahlung, die Männer um den Finger zu wickeln. Und beiden war ein Altern in Würde missgönnt.

Lola Montez kam ebenso wenig aus Spanien wie Mata Hari aus Indonesien. Vielmehr kam auch sie aus der nördlichen Hälfte Europas. Wie „Mata Hari“ war auch „Lola Montez“ ein Künstlername. Als Elizabeth Rosanna Gilbert kam die Tochter eines schottischen Offiziers und einer irischen Landadeligen vor 200 Jahren, am 17. Februar 1821, im nordwestirischen Grange zur Welt. Früh wurde sie Halbwaise. Nachdem die Familie 1822 nach Kalkutta umgezogen war, starb ihr Vater an der Cholera. Unterschiedliche Ersatzväter taten sich schwer mit ihr und schließlich landete sie in einem Internat. Nach der Schulausbildung sollte sie mit 16 Jahren eine Vernunftehe mit einem Richter eingehen. Um dem zu entgehen, brannte sie mit dem englischen Offizier Thomas James nach Irland durch. Dort heirateten die beiden und gingen dann nach Indien. Nach drei Jahren trennte sich das Paar allerdings wieder. Montez kehrte nach Europa zurück und nahm in London Schauspiel- und Tanzunterricht.

Nun gab sich die gebürtige Irin ihr spanisches Image. Sie ließ sich von einem spanischen Tanzlehrer unterrichten, lernte die spanische Sprache und spanische Tänze und beendete ihre Ausbildung mit einem Spanienaufenthalt. 1843 kam sie als die vorgebliche spanische Tänzerin aus Sevilla Maria de los Dolores Porrys y Montez oder kurz Lola Montez nach London zurück. Dabei kam ihr schließlich das Spanienfai­ble entgegen, das die 1847 erschienene Novelle „Carmen“ des französischen Schriftstellers Prosper Mérimée auslöste.

Das Debüt in London verlief zwar erfolgreich, aber ihre wahre Identität wurde entdeckt und sie sah sich gezwungen zu fliehen. Es begann eine Flucht durch Europa voller Skandale. In Thüringen hatte sie eine Affäre mit dem Fürsten Reuß zu Lobenstein und Ebersdorf. In Berlin tanzte sie vor dem preußischen König und dem russischen Zaren. In Warschau löste sie Tumulte aus, indem sie sich mit den polnischen Separatisten solidarisierte. Franz Liszt begleitete sie nach Paris. Auch in der Seine-Metropole erregte sie Aufsehen. Dort kostete sie den Redakteur der dortigen Zeitung „Le Press“ Alexandre Dujarier das Leben, der in einem Duell erschossen wurde, das er um ihretwillen gefordert hatte.

Umtriebige Tänzerin

Nach dieser Affäre verließ Lola Montez 1845 Paris und landete schließlich 1846 in München. Da der Intendant der dortigen Hofbühne sie hatte abblitzen lassen, versuchte sie es am 7. Oktober direkt beim König. Angesichts ihres prallen Mieders soll dieser gefragt haben: „Natur oder Kunst?“ Statt zu antworten, soll sie mit einem Brieföffner ihr Mieder aufgeschnitten und damit dem dreieinhalb Jahrzehnte Älteren die Möglichkeit geboten haben, sich selbst ein Bild zu machen.

Das mag ein Gerücht sein. Fakt ist, dass Ludwig I. auf Lola Montez ähnlich begeistert reagierte wie sein Enkel und späterer Nachfolger Ludwig II. auf Richard Wagner, nur etwas weniger platonisch. Er ließ sie nicht nur in München auftreten, sondern beschenkte sie großzügig. Dazu gehörte ein Palais in München ebenso wie 158.084 Gulden. Das war mehr Geld als der Bau der Feldherrenhalle kostete.

Doch nicht nur mit materiellen Gütern, auch mit einem erblichen Adelstitel wollte Ludwig seine Geliebte versehen. Dafür bemühte er sich um die bayerische Staatsangehörigkeit für sie, das sogenannte Indigenat. Obwohl sie durch das von ihm erhaltene Palais Grundeigentümerin in München geworden war, verweigerte die Gemeinde jedoch die Gewährung des Heimatrechtes. Nun wollte Ludwig Lola Montez dieses Recht per Dekret verleihen. Dafür brauchte er aber die Zustimmung des Staatsrates, die dieser verweigerte. Das Ergebnis war eine Regierungskrise. An die Stelle des Ministeriums des ultramontanen, sprich erzkatholischen Staatsministers Karl von Abel, den Ludwig in besseren Tagen seinen „ersten Staatsmann“ genannt hatte, trat ein liberales sogenanntes Kabinett der Morgenröte, das sich weder der Einbürgerung noch der Erhebung von Lola Montez zur Gräfin von Landsfeld am 25. August 1847 in den Weg stellte.

Sicherlich spielten bei der Ablehnung Lola Montez’ Neid und Standesdünkel eine Rolle. Allerdings wusste sie auch zu provozieren. Bewusst verstieß sie gegen Konventionen. In Hosen zog sie Zigarren rauchend mit einer Reitpeitsche bewaffnet in Begleitung einer Dogge und einer Leibgarde durch die Haupt- und Residenzstadt. Die Leibgarde stellten Studenten des Corps Alemannia. Dabei handelte es sich um eine Abspaltung des Corps Palatia München. Die Spaltung der Münchner Studentenschaft zwischen den sogenannten Lolamannen vom Corps Alemannia und den anderen Corps führte schließlich zu Handgreiflichkeiten. Ludwig reagierte darauf, indem er am 9. Februar 1848 die Universität schloss und die Studenten Münchens verwies. Das Ergebnis waren bereits am folgenden Tag Proteste der Studenten, denen sich andere anschlossen, und Unruhen in der Stadt. Ludwig hatte den Bogen überspannt – und gab nun nach. Er öffnete die Universität wieder und ließ Lola Montez fallen – zumindest offiziell.

Per Kutsche trat Lola Montez am 11. Februar 1848 die Flucht Richtung Schweiz an. Sie blieb jedoch in Verbindung mit Ludwig. Im Folgemonat kam sie heimlich mit seinem Wissen nach München zurück. Das wurde jedoch publik, und unter dem Druck von Unruhen sah sich der König gezwungen, seine Liebe durch die Polizei verfolgen zu lassen. „Da war’s mir unausstehlich, länger auf dem Thron zu sein“, erklärte Ludwig am 20. März 1848 und dankte zugunsten seines Ältesten ab.

München blieb eine Episode

Nach ihrer rund eineinhalbjährigen Episode in München setzte Lola Montez ihre Wanderschaft als Tänzerin fort. Anfänglich konnte sie sich weiterhin der finanziellen Unterstützung Ludwigs erfreuen. Das änderte sich allerdings, als das Verhältnis abkühlte, weil Ludwig von Lola Montez’ Verhältnis mit dem Hochstapler Auguste Papon erfuhr. Gänzlich brach ihr bayerischer Gönner die Beziehung zu ihr ab, nachdem er davon erfahren hatte, dass sie nach ihrer Rückkehr nach London im Jahre 1849 den jungen britischen Offizier George Trafford Heald geheiratet hatte. Die Ehe kostete sie nicht nur die noch verbliebene Unterstützung Ludwigs, sondern brachte ihr auch den Vorwurf der Bigamie ein, da Thomas James noch lebte. Sie begab sich auf die Flucht. George Trafford Heald nahm sie mit.

Nach dem Scheitern ihrer Beziehung mit George Trafford Heald wechselte Lola Montez 1852 den Kontinent. In den USA spielte sie sich selbst in der Theaterrevue „Lola Montez in Bavaria“. Bis zum Frühjahr 1853 tourte sie an der Ostküste einschließlich Auftritten am Broadway. Im Mai des Jahres wechselte sie an die Westküste nach San Francisco. Im Juli 1853 heiratete sie den irischstämmigen amerikanischen Journalisten Patrick Hull, der allerdings noch im selben Jahr verstarb. Im August ließ sie sich in der kalifornischen Goldgräberstadt Grass Valley nieder.

1855/56 tourte sie durch Australien. In Victoria trat sie ebenso auf wie in der Goldgräberstadt Castlemaine, wo sie mit einer Vorstellung das Theatre Royal eröffnete. 1856 machte sie eine wenig beachtete Europatournee, von der sie im Folgejahr nach New York zurückkehrte. Das Tanzen fiel ihr zunehmend schwerer, und so verlegte sie sich auf das Vortragen und Verfassen von Texten. Ihre Bücher „The Arts of Beauty“ und „Anecdotes of Love“ entstanden.

Unter dem Einfluss des protestantischen Journalisten Charles Chauncey Burr entwickelte sich Lola Montez zur bekennenden Methodistin und engagierte sich für sogenannte gefallene Mädchen. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, hatte Ludwig sie doch zur Gräfin gemacht „wegen der vielen, den Armen Bayerns erzeigten Wohltaten“.

1860 erlitt sie einen Schlaganfall. Möglicherweise kam Syphilis hinzu. Nach einem Leben auf der Überholspur war die einst betörende Blüte früh gewelkt. Mit nicht einmal 40 Jahren starb Lola Montez am 17. Januar 1861 in New York an einer Lungenentzündung.

 

Dieser Artikel erschien bereits in der Preußischen Allgemeinen Zeitung.

Die „Coronik“ zu Corona

Zur Ausstellung „Überall Viren?“ von Susanne Kleiber in der Bedürfnisanstalt

Während manche Kreative durch den Lockdown in eine Schaffensblockade gerutscht sind, hat Susanne Kleiber ihre eigene „Coronik“ erstellt: Auf siebzig Seiten der ZEIT, die mit Artikeln zu Corona bedruckt sind, hat sie während des ersten Lockdowns ihre markanten Figuren gezeichnet. Einen Teil der Bilder stellt sie jetzt in der Bedürfnisanstalt aus. Diese Figuren berühren und bleiben im Gedächtnis, weil sie weder irgendwelchen Moden oder Schönheitsidealen folgen noch besonders vorteilhaft posieren. Sie sind wie sie sind und fordern mich als Betrachterin selbstbewusst dazu auf, sie mit ihren Ecken und Kanten wahrzunehmen. Susanne Kleiber hat, nachdem das Aktzeichnen an der Kunstklinik in Eppendorf wegen der Pandemie-Regeln nicht mehr möglich war, in Zoom-Konferenzen Aktmodelle gemalt. Eine Serie dieser Bilder ist ebenfalls in der Bedürfnisanstalt zu sehen.

In der Ausgabe Nr. 9 der ZEIT wurde die Künstlerin porträtiert und hat die Seite mit einer Illustration bereichert, die in der Ausgabe gedruckt wurde. Das kann man durchaus als Kunstdruck betrachten – aber es gibt schon mehrere Exemplare dieser Seite, die Susanne Kleiber noch weiter gestaltet und sie damit wieder zu einem Unikat gemacht hat. Man kann, sofern man im Besitz einer dieser Seiten ist, die Künstlerin mit so einer Zeichnung beauftragen. Der Artikel ist auch online abrufbar: Artikel ZEIT online

Übermalte und freigelassene Textteile und Überschriften bilden eine Symbiose mit Susanne Kleibers Zeichnungen und bauen gleichzeitig eine Spannung zwischen Typographie und freien Strichen auf. Ein klares Konzept, das sowohl die Zeichenkunst als auch das Printmedium Zeitung in einem neuen Blickwinkel zu betrachten auffordert.

Die Ausstellung ist noch bis zum 26. März 2021 in der Bedürfnisanstalt, Bleichenallee 26 a, 22763 Hamburg, zu sehen. Da es nur ein kleiner Raum ist und man fast eine ganze Fensterfront öffnen kann, können die Kunstwerke fast im Freien betrachtet werden (mit Mund-Nasen-Schutz). Zu jeder Tages- und Nachtzeit sind die Werke darüber hinaus durchs Fenster zu sehen.

Homepage der Künstlerin

Nostalgisch – Paternoster in der Hansestadt

In Hamburg gibt es noch zwölf Paternoster, die öffentlich zugänglich sind. Fotomontage: L. Hoffmann

„Zu zweit dürfen Sie den aber nicht benutzen“, sagt der zuständige Wachmann, als ein Paar in den Paternoster einsteigt. „Ich bin mit den Dingern aufgewachsen“, ruft ihm der Mann zu und schwebt mit seiner Begleitung nach oben.
`Benutzung nur für Eingewiesene´ steht auf dem Schild neben dem Paternoster im Hamburger Bezirksamt Eimsbüttel. Und dies ist durchaus ernst gemeint. Eine offizielle Anordnung von ganz oben, die es unter der Rubrik „Der reale Irrsinn“ sogar in die Fernsehsendung Extra3 schaffte.
Der erste Umlaufaufzug der Welt wurde 1876 in England entwickelt und im General Post Office in London zum Transport von Paketen eingesetzt. Später diente er auch der Personenbeförderung.
In Hamburg wurde der erste Paternoster 1886 im neu errichteten Dovenhof eingeweiht. Er blieb nicht der einzige. In den hafennahen Gebieten der Hansestadt entstanden in den Jahren darauf zahlreiche Geschäfts- und Kontorhäuser, die mit Umlaufaufzügen ausgestattet wurden.
Von den rund 30 noch erhaltenen Paternosteraufzügen in Hamburg sind heute nur zwölf öffentlich zugänglich. Zu finden sind diese unter anderem im Paulsenhaus am Neuen Wall, in der Finanzbehörde am Gänsemarkt und – wie bereits erwähnt – im Bezirksamt Eimsbüttel.
Mit dem historischen Umlaufaufzug können Sie endlos rauf und runter fahren. Aber denken Sie daran: Niemals zu zweit in eine Kabine steigen und Ihr Fahrrad bitte vor der Tür stehen lassen. Und wenn dann ein Wachmann auf Sie zukommt, seien Sie freundlich: Er möchte Sie lediglich vor der waghalsigen Fahrt mit dem Paternoster ordnungsgemäß einweisen. Ganz so, wie es der Vorschrift entspricht.

 

Was Körper und Geist im Inneren verbindet

Mit dem gut 200 Seiten starken Gedichtband „Silberfäden“ legt Gino Leineweber in einer Gesamtausgabe seine beiden ersten Sammlungen vor. Der Verleger und Poet Simo Eric aus dem Verlag „Das Bosnische Wort“ würdigt den international vernetzten Lyriker und Verleger in seinem Vorwort.

Dessen Lyrik wechselt zwischen – philosophischen – Blicken auf das große Ganze und situativen Betrachtungen einzelner Themen, Erlebnisse und Empfindungen. Der Autor verhandelt ehrlich und unverstellt, ohne inhaltliche oder formelle Attitüden, in knapp formulierten, prägnanten und überwiegend kurzen Poemen den jeweiligen Gegenstand seines Gedichts. Dabei lässt er angenehmen, aber nicht zu großen Raum für die Interpretation. Er bezieht Position, ohne eine Lesart zu vorzugeben. Ernste Themen, auch bedrückende wie das Leid, das Menschen an anderen begehen, wechseln mit lakonisch-humorvollen Texten ab, wenn der Autor sich selbst, aber auch das vermeintlich typisch Männliche bzw. Weibliche aufs Korn nimmt.

Der Einblick in männliches Empfinden, humorvoll zuweilen, manchmal auch größte Pein durchlassend, ist faszinierend. Das Alter(n), die Rolle in Beziehungen und in der Welt geht in die Lyrik ein und trägt zwischen den Zeilen Ungesagtes weiter, das nach der Lektüre fortwirkt. Die poetische Auseinandersetzung mit weltlichen Dingen wie Besitz und Status bleibt so angenehm zurückhaltend und verknappt, dass das Nachdenken darüber und das Herstellen eines Bezugs zur eigenen Lebenssituation fast unbemerkt beginnen. Von der allumfassenden Perspektive zurück im Detail, zeigt Gino Leineweber auf, was wir alle in den Beziehungen zu unseren Familien und Partnern erleben und versäumen. Berührend spiegelt er u.a. Bande zwischen Vater und Sohn, das als selbstverständlich Hingenommene der elterlichen Zuwendung und Versorgung, die Angst, dass es zu spät sein könnte, etwas zu äußern. Auch Prägungen der Kindheit sind eindrucksvoll Thema:

Schulzeit

Fliehen lernen
Andere Welten
Endlich lesen

Dabei schreibt er mal mit lyrischem Ich, mal in der dritten Person, was eine distanzierte, originelle Perspektive ist. Dass der Lyriker hieraus jedoch kein Dogma macht, sondern offensichtlich für jedes Gedicht entscheidet, ob es ein lyrisches Ich – oder ein Du – bekommt oder nicht, zeigt die aufmerksame Komposition. Überhaupt lassen die Gedichte den Schluss zu, dass Gino Leineweber ein reflektierter und bewusst wahrnehmender Mensch ist. Ein Gedicht aus dem ersten Kapitel empfinde ich als wegweisend:

Ich

Das Ich ist
Was Körper und Geist
Im Innern verbindet

Die Mitte der Platz
An dem
Von Augenblick zu Augenblick
Sich das Bewusstsein findet

Mich haben die Gedichte inspiriert, innezuhalten, hinzusehen, meine Innen- und Außenwelt bewusster wahrzunehmen und die Empathie für meine Mitmenschen nicht zu vergessen.

Immer schön cool bleiben

„O tempora, o mores”, ruft die Lehrerin in gespieltem Entsetzen aus, während ihre Klasse sich trotz ihrer Bitte um Ruhe und Ordnung schreiend und schubsend in den S-Bahn Waggon ergießt. Im Nu liegen Ranzen und Rucksäcke wild verstreut am Boden und ein zäher Kampf entbrennt um die Fensterplätze. Als zwei halbwüchsige Rowdys mit den Fäusten aufeinander losgehen, greift die Lehrkraft entschlossen ein: „Also, Daniel, Jörg, immer schön cool bleiben“, mahnt sie mit beschwörender Stimme und erinnert dabei lebhaft an eine Dompteurin im Raubtierkäfig.

Auf der Rolltreppe begegne ich den beiden Kampfhähnen wieder. Ihre Streitigkeiten haben sie inzwischen beigelegt. Dafür belästigen sie jetzt voller Inbrunst andere Leute, indem sie sich mit verschränkten Armen vor ihnen aufbauen und sie am Verlassen der Treppe hindern. Eine elegante ältere Dame, die offenbar den Anschlusszug noch erreichen will, versucht sich mit aller Macht an ihnen vorbei zu winden.
„Hey, du alte Gruftspinne, mal’n bisschen mehr Benehmen“, sagt der eine der beiden Flegel. Da entfleucht der Frau, die vor Wut putterot angelaufen ist, ein Wort, das zivilisierte Menschen üblicherweise mit „Armleuchter“ zu umschreiben pflegen. Wie von einem Zauberstab berührt, treten die Jungen zur Seite und sehen der eben noch Geschmähten mit unverhohlener Ehrfurcht nach. „Echt geil“, sagt der eine, „was die Mutter für Ausdrücke drauf hat.“

Nachwort: Das oben Geschilderte widerfuhr mir wenige Wochen vor dem ersten Lockdown, als unser Dasein in geregelten Bahnen verlief und wir alle noch unmaskiert die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen durften. Da tobte das pralle Leben, wozu auch gelegentliche verbale Entgleisungen von frechen Buben wie Daniel und Jörg gehörten. Ich gestehe, dass diese mir jetzt viel weniger ausmachen würden als die gegenwärtige depressive Stimmung, die wie Blei auf uns allen lastet.

 

Blume des Jahres 2021

In Norddeutschlang ist der Große Wiesenknopf vor allem entlang der Elbe und Weser zu finden.. Foto: Julian Denstorf
Der Große Wiesenknopf wächst in Norddeutschland vor allem entlang der Elbe und Weser in den Flussauen. Foto: Julian Denstorf

Der Schutz gefährdeter heimischer Pflanzen liegt der Hamburger Loki Schmidt Stiftung sehr am Herzen. Aus diesem Grund wählt sie unter anderem bereits seit 1980 jährlich die Blume des Jahres. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 gab die Botanikerin Loki Schmidt die Wahl immer selbst bekannt. Seitdem erfolgt nun die Bekanntgabe stets am 21. Oktober, dem Todestag der Kanzlergattin.
Die Stiftung entschied sich im vergangenen Jahr dafür, den Großen Wiesenknopf zur Blume des Jahres 2021 zu küren und sich damit für den Erhalt seines Lebensraumes, den schonend genutzten Grünflächen, einzusetzen, die in den letzten 50 Jahren stark zurückgegangen sind. Diese Flächen sind heutzutage häufig unwirtschaftlich und werden vielerorts trockengelegt oder zu Äckern umgewandelt.
Die Blume des Jahres 2021 wächst vom Hügelland bis in beinahe alpine Höhen auf sonnigen oder halbschattigen wechselfeuchten Wiesen. In Norddeutschland ist die Art nur selten vertreten. Hier findet man den Großen Wiesenknopf vor allem entlang der Flüsse Weser und Elbe in den Flussauen und auf frischem Grünland.
Einst galt der Große Wiesenknopf, der zur Familie der Rosengewächse gehört, als wichtige Heilpflanze. Im Mittelalter glaubte man, dass er vor Pest und Tuberkulose schützen könne. Auch in der heutigen Zeit sagt man ihm noch gewisse Heilkräfte nach. So soll er unter anderem blutstillend und entgiftend wirken sowie gegen Verdauungsbeschwerden helfen. Darüber hinaus gilt der Wiesenknopf als wichtige Nahrungsquelle für Schmetterlinge, Bienen und Ameisen.
Wer mehr über den Großen Wiesenknopf erfahren möchte, kann sich an die Loki Schmidt Stiftung in Hamburg wenden. Dort kann außerdem der traditionelle Kalender bestellt werden, der neben Fotos der Blume des Jahres auch Abbildungen anderer Pflanzen enthält.
info@loki-schmidt-stiftung.de
Telefon: 040-2840998-0