Von Johanna R. Wöhlke
„Nun benimm dich mal ordentlich!“ Mit dieser Aufforderung, nein, dieser tadelnden Kritik, sind wir alle aufgewachsen. Regeln wie: „Wenn du denkst, du bis allene, mach dir deine Nägel rene“ , kennen wir wohl alle. Ja, das Benehmen – vielfach gefordert und doch offensichtlich so schwer richtig zu praktizieren, dass meterweise Bücher darüber geschrieben worden sind. Wir kennen sie alle und jeder hat schon mal was vom Knigge gehört. Ja, wir wollen natürlich alles richtig machen und einen guten Eindruck hinterlassen – wenn es darauf ankommt! Ansonsten neigen wir schon mal dazu, uns gehen zu lassen.
Kennen Sie die Regel: Eine Dame raucht auf der Straße nicht? oder: Der Ehrenplatz in einem viertürigen Auto ist hinten rechts? oder: Kaugummikauen in der Öffentlichkeit ist unschicklich? oder: Im Theater sollte man an sitzenden Zuschauern so vorbei gehen, dass man ihnen dabei seine Vorderseite zukehrt? oder: Niesen wird heute nicht mehr mit „Gesundheit“ beantwortet – körperliche Äußerungen werden generell nicht beachtet? Die letzte Aussage kannte ich nicht – und ich muss zugeben, sie hat mich verwirrt! Warum? So weit sollten die Anforderungen an das gute Benehmen nicht gehen, dass sie dazu führen, uns gegenseitig nicht mehr wahrzunehmen! Schließlich beruhen doch alle Benimmregeln darauf, dass ich mein Gegenüber wahrnehmen muss, soll und kann. Ich bin also gebührend verwirrt.
Wie war das noch neulich, als ein mir gegenüber sitzender junger Mann herzhaft gerülpst hat, mit einem charmeoffensiven Lächeln? In welche Kategorie fällt das jetzt? Wie hätte ich ihn richtig wahrnehmen sollen? Was an ihm hätte ich richtig wahrnehmen sollen – das Rülpsen oder das Lächeln? Beim Schreiben merke ich jetzt immer mehr, auf welch schwieriges Gebiet ich mich begeben habe. Ich balanciere auf schwammigem Untergrund, womöglich rutsche ich darauf aus und falle unschön auf die Nase. Aber da hilft mir ja eine Regel: Körperliche Äußerungen werden generell nicht beachtet. Also bitte wegschauen und ignorieren, alles andere wäre extrem unhöflich!