Frühe Begegnungen mit Rüdiger Nehberg
Damals, als ich ihn kennenlernte, war er noch praktizierender Konditor, Abenteurer, Buchautor und auf dem Weg zum Überlebenskünstler. Ich brauchte Infos für einen Omo-Fluss-Trip in Äthiopien, den Rüdiger längst hinter sich hatte. Aus einem Besuch in seinem Haus in Wandsbek wurden mehrere. So kam man sich näher und entdeckte die gemeinsame Lust an Abenteuern in kaum erschlossenen Gebieten der Erde. Anfang 1983 planten wir einen Marsch entlang der Skelettküste. Wir wollten der Länge nach durch die Namib-Wüste marschieren. Rüdiger sollte am Kunene starten. Ich in Swakopmund, jeweils ohne Wasser. Trinkwasser wollten wir uns mit einem Gerät der Firma Autoflug aus dem Atlantik destillieren und damit beweisen, wie in einer Küstenwüste überlebt werden könnte.
Lebkuchen und Knusperhäuschen
Aus dem Vorhaben wurde nichts. Rüdiger schlug sich allein durch den Urwald Venezuelas zu den Yanomami-Indios. Ich machte mich zu den Huarani (Auca) im Urwald Ecuadors auf. Doch das nur nebenbei. In lebhafter Erinnerung bleibt meiner Familie das Lebkuchenbacken und Basteln von Knusperhäuschen in seiner Backstube, jeweils am 6. Dezember. Das war vielleicht ´ne Gaudi! Nach getaner „Arbeit“ ließ er plötzlich eine Wäscheleine von der Decke herab und demonstrierte, wie er mit einer Liane von Baum zu Baum schwingt. Tarzan hätte es nicht besser vormachen können. Hernach wurde meiner Frau Christiane eine Python, oder war es eine Anakonda? um den Hals gehängt. Die Last der Riesen-Würgeschlange drückte sie fast zu Boden. Rüdiger hielt sich einige dieser Exemplare in einem separaten Kellerraum und schlief bei ihnen bisweilen nachts. So zur Entspannung. Oder für in Hamburg fehlendes Regenwaldfeeling.
Für die Kinder wurde es im schummerigen Nebenraum der Backstube nun richtig abenteuerlich: Rüdiger erzählte von seinen unglaublichen und doch wahren Erlebnissen auf reißenden Flüssen, in brennend heißen Wüsten oder in dampfenden Urwäldern … unsere Kinder, Marc (10) und Leif (7), klebten förmlich an seinen Lippen. Es ging auf Mitternacht zu, die Kids konnten ihre Augen nur noch mit Mühe aufhalten. Doch sie wollten ihn hören, den genialen Erzähler, den großartigen Kommunikator, den bewundernswerten Abenteurer, der sich schon damals besonders für das Leben indigener Völker eingesetzte.
Für Marc war klar: Das Schulpraktikum mache ich beim Konditormeister Nehberg in der Backstube. Und so kam es auch. Noch heute denkt er mit Vergnügen an die Wochen des Formens mit Marzipan zurück. Für die Firma Carl W. Kopperschmidt GmbH, deren Geschäftsführer ich seinerzeit war, formte er ein fast einen Meter großes Feuerwehrauto aus Marzipan fürs Firmenjubiläum eines Angestellten, der war nämlich bei der freiwilligen Feuerwehr.
Rüdiger plante eine Atlantiküberquerung. Wir besprachen den Aufbau des Floßes. Klar war, dass ich ihm über Kopperschmidt eine Plexiglaskuppel als Ausguck formen ließ und für den Törn spendete.
Regenwürmer und Käfer schmackhaft machen
In bleibender Erinnerung sind mir die frühen Besuche in seinem Refugium „Rausdorf“. Das war, als er die 500 Jahre alte Mühle gerade übernommen hatte. Er war schon „Sir Vival“ und ließ an Überlebenstrainings teilhaben. So machte er Regenwürmer und Käfer schmackhaft, schwamm im Eiswasser des Rausdorfer Mühlenteichs, oder setzte sich ´ne Vogelspinne aufs Haupt. Doch all diese spektakulären Aktionen waren für Rüdiger Mittel zum Zweck. Klar, er war auch ein verdammt guter Darsteller. Um etwas zu bewegen, ist das eben erforderlich. Tatsächlich jedoch war er durch und durch Philanthrop und als solcher wollte er Menschen helfen. Und zwar dort, wo er sie leiden sah. Menschen helfen mit ganzem Einsatz, das war sein Credo als Menschenrechtsaktivist. Bis zum Schluss. Bis zum letzten Atemzug. Ab der Gründung des gemeinnützigen Vereins TARGET e. V. schuf er mit seiner ebenfalls sehr engagierten Frau Annette Weber und mit Spendengeldern zwei Hospitäler. Eines in Brasilien und eines in Äthiopien. Ewig in Erinnerung bleiben wird sein nimmermüder und erfolgreicher Einsatz im Kampf gegen die Genitalverstümmelung und so vieles mehr. Doch darüber mögen andere Weggefährten berichten.
Jetzt bist du nicht mehr da und wir sind sehr traurig. Dein Werk aber lebt weiter! Mir bleibt nur ein: Bye, bye – Rüdiger, alter Freund und Kamerad! Auch mir läuft die Zeit davon. Vielleicht begegnen wir uns einmal wieder, im Himmel über der Wüste? Wir werden uns Geschichten erzählen, von damals an prasselnden Lagerfeuern. Das wäre doch prima! Und ich rufe dir zu, was du uns ins Gästebuch geschrieben hast: „Der Fetzer war schon wieder hier!“ Wer weiß?