Besteht wirklich eine Gefahr für die Kulturwelt, nur weil es weniger Kaufgelegenheiten gibt und das Angebot der verbleibenden Buchhandlungen immer ähnlicher wird? Nach einem Streifzug durch die Geschichte und Entwicklung der Buchhandlungslandschaft kommt der Autor im zweiten Teil seines Artikels zu einem persönlichen Ausblick.
Mein Ansatz beruht auf mehr als 40 Jahren Erfahrung in der Verlagsbranche, genauem Beobachten, vielen Gesprächen innerhalb des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels sowie regelmäßiger Analyse dessen, was in der Presse, im Hörfunk und gelegentlich im Fernsehen zu diesen Themen publiziert wurde. Meine Hintergrundinformationen sind durchaus subjektiv gefärbt. Ich habe keine bahnbrechenden Lösungsansätze für die Buchbranche, sondern beschreibe, was geschehen ist, und gebe einen Ausblick darauf, wie sich die Branche wieder erholen könnte.
Die Mediennutzung der meisten Deutschen hat sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten sehr stark verändert. Wir können nur aktiv daran arbeiten, eine lebendige Lesekultur zu pflegen und aufrechtzuerhalten – auch mit weniger Buchhandlungen vor Ort. Die Analyse hat ergeben, dass wir über mehrere Jahrzehnte ein sehr positives Überangebot an Buchhandlungen hatten, das sich jetzt auf ein Normalmaß reduziert. Dass sich die Buchhandelslandschaft nicht nur zum Positiven verändert, lässt sich vielleicht noch korrigieren.
Nachfolgersuche
Mit diesem großen Thema kämpfen Jahr für Jahr hundert und mehr Buchhandlungen. Ideal ist es, wenn ein Team aus mehreren Mitarbeitern unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen Interessen in einer Buchhandlung sich den Zeitläuften anpasst. Inhaber sollten immer darauf achten, mögliche Nachfolger aus den eigenen Reihen zu fördern. Am Ende des Arbeitslebens sollte es nicht vorkommen, dass eine Übernahme durch sehr fähige Angestellte daran scheitert, dass der Buchhändler eine Abstandszahlung von 50.000 oder 300.000 Euro für einen Lagerbestand haben möchte, der überwiegend aus unverkäuflichem, wertlosem Altpapier besteht. Ein erfahrener Buchhändler sollte so viel Weitblick haben und in den Jahren seines aktiven Berufslebens genügend für die Altersvorsorge zurückgelegt haben, um nicht auf eine unrealistisch hohe Abstandszahlung zu bestehen. Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus: Inhaber planen diese mögliche Abstandszahlung oder eine monatliche Umsatzbeteiligung leider fest für ihre Verrentung ein.
Versucht man, mit Anzeigen in der Fachpresse oder mit Beratern, jüngere Nachfolger zu finden, ist dieser Prozess langwierig. Der vom Besitzer geforderte finanzielle Ausgleich für die Übergabe lässt manche Verkaufsabsicht nach ein bis zwei Jahren scheitern. Jährlich werden einige hundert Buchhändler neu ausgebildet. Sie bewähren sich und haben aufgrund ihrer Persönlichkeit (und eines möglichen finanziellen Backgrounds aus der Familie) durchaus die Möglichkeit, eine gut geführte Buchhandlung zu einem geringen Kaufpreis zu übernehmen.
Und wieder ist die Wirklichkeit anders als gewünscht: Die meisten Inhaber sehen sich aus finanziellen Gründen dazu genötigt, das Angebot einer Großbuchhandlung (Thalia, Mayersche, Hugendubel etc.) anzunehmen, anstatt das Ladenlokal samt Inhalt und Personal einem/einer engagierten, jüngeren Buchhändler/in zu übergeben. Dies verarmt die Vielfalt und wird mit dem positiv klingenden Namen „Filialisierung“ umschrieben. Es gibt mittlerweile rund 500 Filialen, also mehr als 20 Prozent aller Buchhandlungen, die schätzungsweise die Hälfte des Umsatzes der Branche erwirtschaften.
Die Großen werden noch größer und die Kleinen verschwinden. In vielen Städten gibt es drei bis fünf Buchhandlungen, die zu den Konzernen Thalia oder Hugendubel gehören. Einfalt statt Vielfalt. Bedenkt man, dass diese Großbuchhändler bis zu 40 Prozent ihrer Verkaufsfläche für Nonbook-Artikel reservieren, womit sich eine wesentlich höhere Gewinnspanne erzielen lässt, hat das mit kultureller Vielfalt und engagiertem Buchhändlertum nur wenig zu tun. Dieser Prozess wird seit rund 30 Jahren als „Strukturwandel“ bezeichnet.
Er findet nicht nur im Vertrieb des Buchhandels (des Sortiments) statt, sondern auch bei den Verlagen. Deren Konzentration führt beispielsweise dazu, dass zu Random House in München (hervorgegangen aus der Bertelsmann-Gruppe in Gütersloh) allein in Deutschland weit mehr als 50 Imprint-Verlage gehören. Etliche der großen Verlage sind europaweit oder international agierende Konzerne bzw. wurden von diesen gekauft. Auf Verlagsseite gibt es eine ähnliche Konzentrationsbewegung: Die Großen werden noch größer und die Kleinen verschwinden.

Verlage passen sich den Kundenwünschen an. Im Schnitt machen sie rund 23 Prozent ihres Umsatzes direkt mit Endkunden, sei es auf Veranstaltungen, bei Kongressen, auf Messen oder über bestehende Großkundenkontakte mit Beziehungen zu Verbänden und Institutionen. Ähnlich wie Buchhandlungen haben sie Webshops und differenzieren diese mit verschiedenen Labels für verschiedene Kundengruppen.
Die Vielfalt geht sowohl bei Buchhandlungen als auch bei Verlagen zurück. Ausführlich wurde bereits analysiert, dass die Großhändler-Dominanz zunimmt. Diese unterstützt zwar aktiv Buchhandlungen, jedoch geht dies auf Kosten der sinkenden Einkaufskonditionen, sodass die ohnehin schmale Rendite eines Buchhändlers nahezu aufgezehrt wird. Je nachdem, in welcher wirtschaftlichen Situation sich eine Stadt, eine Region oder ein Stadtteil befindet, geben Buchhändler mehr aus, als sie einnehmen.
Die Hoffnung ruht natürlich auf jungen Buchhändlern: Sie haben eine sehr gute wirtschaftliche Vorbildung und bei der Frage, welche Buchhandlung sie kaufen oder übernehmen wollen, picken sie sich eindeutig die Rosinen heraus – zumindest, wenn sie örtlich einigermaßen flexibel sind. Diese jungen Sortimenter wissen, wie man Veranstaltungen managt, wie man Kunden bindet und dass die Einnahmequellen zumindest teilweise nicht aus dem Buchverkauf bestehen.
Preisbindung im Buchhandel
Die seit Jahrzehnten in Deutschland gesetzlich festgeschriebene Preisbindung rettet die Buchvielfalt. Abgesehen von älteren Titeln, die nicht mehr der Preisbindung unterliegen, und Titeln, die verramscht werden, haben nahezu alle Bücher in Deutschland den gleichen Preis. Das verhindert eine Rabattschlacht. In den letzten Jahren hat Amazon wiederholt versucht, Rabattaktionen auf Bücher auszudehnen, und wurde dabei regelmäßig durch deutsche Gerichte ausgebremst. Ein gutes Fachbuch kostet beispielsweise 48 Euro, egal, ob man es in der Innenstadt, in einer Kleinstadt oder am Stadtrand in einer sehr kleinen Buchhandlung bestellt und bezahlt. Das garantiert eine gewisse Stabilität und Vielfalt für alle Seiten.
Werden Bücher verbilligt in Stapeln angeboten, handelt es sich entweder um Titel, bei denen der Verlag die Preisbindung aufgehoben hat, oder um Restauflagen, die dringend verkauft werden müssen. Eine Besonderheit sind englischsprachige Titel, die nicht preisgebunden sind. Hier gibt es regelmäßig Rabattschlachten von 30 bis 50 Prozent.
Was kann man tun, wenn eine Buchhandlung nicht genügend Rendite abwirft? Gespräche mit dem Immobilieninhaber sind oft hilfreich. Nicht nur während der Corona-Pandemie gab es immer wieder Beispiele von subventionierten oder gesenkten Mieten. Buchhändler sollten bezüglich des Standorts flexibel sein, möglicherweise setzen zwei Straßen weiter oder in einem benachbarten Stadtteil Immobilienbesitzer nicht nur auf hohen Mieterlös, sondern wollen kulturelle Vielfalt an diesem Standort umsetzen. Es gibt Beispiele, bei denen der Besitzer lediglich fünf Euro je Quadratmeter verlangt. Ist der Immobilienbesitzer die kommunale oder öffentliche Hand, kann die Miete je Quadratmeter durchaus bei einem Euro liegen. Solche sehr großen Unterstützungsangebote retten jedoch nicht in jedem Fall jeden Standort. Manch ein Buchhändler muss dennoch die Segel streichen, weil die Kundenfrequenz zu niedrig ist oder die Kaufbereitschaft nicht ausreicht, um die Ladenmitarbeiter und die sonstigen Overhead-Kosten zu decken. Ich kenne einen ähnlichen Fall, bei dem die kommunale Hand zwar die Mieten sehr stark subventioniert hat, um kulturelle Vielfalt zu fördern, jedoch die Auflage gemacht hat, dass mindestens sechs Veranstaltungen jeden Monat durchgeführt werden. Dass solche Veranstaltungen hohe Nebenkosten und Honorare für angereiste Autoren und Fachleute beinhalten, die niemals durch den Buchverkauf gedeckt werden können, konnte der Immobilienbesitzer nicht voraussehen.
Weitere Maßnahmen sind der Umzug in eine kleinere Lokalität wenige Straßen weiter, Personalabbau, deutliche Veränderung des Sortiments, frühzeitige Übergabe an jüngere Hände unter Verzicht auf angestammte Machtstrukturen oder inhaltliche Schwerpunkte, Offenheit für neue Trends und permanentes Anpassen an die Bedürfnisse der Zielgruppe. Auch ein Umzug in eine andere Stadt kann hilfreich sein, wenn die Ladenmieten oder das Lohnniveau deutlich geringer sind. All das ist möglich und keine Wunschvorstellung.
Und die Zukunft?
Glücklicherweise gibt es weitere Best-Practice-Beispiele, wie etwa Kooperationen von Buchhändlern mit Bibliotheken, Kulturvereinen und Institutionen, die Zusammenarbeit mit örtlichen Größen, Theatern sowie vieles mehr. Letztlich ist das „Kommen und Gehen“ ein normaler Prozess.

Was können Sie als Leser tun? Das Stichwort „buy local“ ist sicher die erste Wahl. Gibt es an Ihrem Ort keine akzeptable Buchhandlung, planen Sie bei der nächsten Fahrt zum Nachbarort einen Besuch im dortigen Buchhandel ein. Suchen Sie bestimmte Titel, sollten Sie diese telefonisch oder online vorbestellen. Meine Empfehlung: Kaufen Sie nicht oder möglichst wenig bei Filialisten, sondern beim inhabergeführten, unabhängigen Buchhandel – auch wenn dieser weiter entfernt liegt. Es ist lediglich eine Frage der Organisation Ihrer Zeit und der Lese-, Einkaufs- und Verschenk-Routinen.
Beim Online-Kauf, der mittlerweile rund 23 Prozent aller Buchkäufe ausmacht, können Sie grundsätzlich den Buchhändler auswählen, den Sie unter dem Aspekt „buy local“ unterstützen wollen. Das gilt unabhängig davon, ob Sie die Bücher vor Ort abholen oder sich diese zuschicken lassen. Das machen selbstverständlich alle Buchhändler portofrei.
Das ist eine der wichtigsten Lektionen, die alle deutschen Verlage und Buchhändler in den letzten 20 Jahren von Amazon gelernt haben: Der Kunde wünscht eine portofreie, schnelle Lieferung. Das schmälert zwar die Rendite, ist jedoch nur eine Frage des günstigen Einkaufs und der Logistik. Ich bin kein Buchhandelsberater, sondern war früher Verlagsberater. Das Thema Kundenbindung und Kundenzufriedenheit hat jedoch die gesamte Branche durchdrungen. Wenn sich ein Buchhändler diesen Gewohnheiten nicht anpassen will oder kann, muss er seinen Laden wegen mangelnder Kundenzufriedenheit und veränderter Käuferströme ohne Nachfolger schließen. Das wäre die bitterste Lektion nach Jahren des Jammerns und des Nicht-Ändern-Wollens.
Ein persönliches Fazit
Mit diesen Hintergrundinformationen und Analysen will ich zeigen, dass es zwar ein Verschwinden der Buchhandlungen gibt, Buchhändler jedoch auf vielfältige Unterstützung setzen können, wenn sie offen für Neues sind. Idealerweise besitzt eine Buchhändlerfamilie eine oder mehrere Immobilien, in denen sie eine aufstrebende Buchhandlung nahezu mietfrei betreiben kann und nicht unter enormem Kostendruck steht. Dies ist ein weites Feld für Immobilienbesitzer, die sich kulturell betätigen wollen: Reden Sie mit künftigen Buchhändlern und engagieren Sie sich für kulturelle Vielfalt. Knüpfen Sie wirtschaftliche und politische Kontakte, die ein Kulturzentrum ermöglichen. Denn neben Bibliotheken (auch „dritter Ort“ genannt) sind unsere Buchhandlungen in Deutschland ein wichtiger kultureller Ort.
Einige dieser sowie weiterführende Gedanken finden Sie in dem Buch „Bücher retten die Welt“, Edition Konturen, 2019, von Ralf Plenz und Gerhard Hauptfeld
Auch als Podcast
Sie können beide Teile dieses Artikels als Podcast hören:




Als ich, frisch gebackene Sekretärin der Hamburger Autorenvereinigung, mit dem Korrekturlesen der Beiträge für die Anthologie „Spuk in Hamburg“ (Verlag Expeditionen, Hamburg 2014) befasst war, beeindruckten mich zwei Gedichte eines Lyrikers besonders, den ich bislang nur vom Sehen kannte. Dieser Lyriker arbeitete sehr traditionell, mit einem packend bildhaften und eloquenten Wortschatz, geschliffenem Metrum und gestochenem Versmaß. Wer war dieser Mensch, der einer offiziellen Version der Gattung Lyrik „linksbündiger Flattersatz“ mit althergebrachter Wortgewaltigkeit trotzte?
Wie schön! Nach drei Jahren coronabedingter Pause fand endlich wieder die Leipziger Buchmesse im Verbund mit der Manga-Comic-Con und dem Lesefest Leipzig statt. Mit rund 2.000 Ausstellern aus 40 Ländern, mehr als 3.000 Veranstaltungen und rund 3.200 Mitwirkenden an etwa 300 Veranstaltungsorten bot die Messe wie vor Corona eine große Bühne für Autorinnen und Autoren, für Verlage und natürlich für die Leserinnen und Leser. Oder sollte man genauer sagen Hörerinnen und Hörer? In zahlreichen Lesungen, Talkrunden, Interviews und Mitmachaktionen wurden alle Aspekte rund um Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vorgestellt. Aber es wurden auch – so ist es gute Tradition hier – viele Fragen zu den generellen Themen Zukunft des Buches, veränderte Lesegewohnheiten des Publikums und Situation der Autorinnen und Autoren diskutiert. Eher am Rande ging es auch um politische Themen.

Wie vergänglich nicht nur sportlicher, sondern auch literarischer Ruhm ist, zeigte sich mir bei einem Gespräch im ARD-Forum mit dem großartigen Lyriker Jan Wagner. Der war 2015 umjubelter Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse im Bereich Belletristik gewesen, und nun berichtete er vor lichten Reihen über Idee und Produktion des Podcasts „Book of Songs“. Anschließend war ich der Einzige, der sich seinen wunderbaren Lyrik-Band „Regentonnenvariationen“ signieren ließ.

Oft beginnt das Geschehen in Joachim Franks Kurzgeschichten im Banalen, bevor etwas Unerwartetes das Beliebige durchbricht. In den durch Ereignisse oder innere Vorgänge veränderten Situationen entstehen neue, oft überraschende Blickwinkel, die sowohl bei den Protagonisten als auch bei den Lesern bisher Gedachtes infrage stellen und zu veränderten An- oder Einsichten führen können.
Für „Mehr Nordsee“ plädierte Reimer Boy Eilers. „In Reimer Boy Eilers‘neuem Gedichtband ist die Zaubermacht der deutschen Sprache weder zerstört noch verweht. Sie hält allen Stürmen stand, die auf und an der Nordsee toben. … Möge der Wortpianist noch viele klingende Worte finden, um uns laut zu sagen, was ist, an der Nordsee und anderswo.“ (Sibylle Hoffmann, Juli 2021)
Gabriele Albers, Autorin und Politikerin las aus ihrem utopisch-dystopischen Roman „Nordland 2061 – Gleichheit“. In einem nicht allzu fernen Hamburg, in dem nur noch das Geld zählt und Frauen nichts wert sind, ist Lillith die einzige Person, die an den herrschenden Verhältnissen etwas ändern könnte. Doch Nordland ist voller Intrigen und Verrat, und sie weiß nie, wer Freund ist und wer Feind.













Gemeinsam mit dem Verband Deutscher Schriftsteller*innen Hamburg und gefördert von Neustart Kultur laden wir sehr herzlich zu unserem Lese-Fest ein. Seien Sie herzlich willkommen! Unternehmen Sie mit uns einen literarischen Spaziergang durch blühende Landschaften in „Planten un Blomen“.
Als Hof-, Hirten- und Jagdhunde setzten die Germanen robuste, ausdauernde und wachsame Hunde, sogenannte Germanische Bärenhunde, ein. Diese mussten in einer harten, lebensfeindlichen Umwelt überleben und ihre Sippe verteidigen.
Jörg Krämer: Germanischer Bärenhund
Bei den „Perlen der Literatur“ geht es ausschließlich um bereits im 19. oder 20. Jahrhundert erschienene und seinerzeit erfolgreich gewesene Bücher. „Sprachgewaltig, aber vergessen“, so Ralf Plenz. Zur Auswahl der Titel werden Germanisten, Anglisten und Romanisten, Buchhändler, Bibliothekare, Psychologen und Vielleser befragt; dann wird die Auswahl von einem Beirat kuratiert und von Ralf Plenz herausgegeben. Dieser kauft nach Möglichkeit die Erstausgabe eines Titels antiquarisch, um wirklich den Originaltext und nicht eine bereits lektorierte oder übersetzte Version als Basis zu nehmen. Die Autorin und Gesangspädagogin Susanna M. Farkas, der Autor und Übersetzer Gerrit Pohl und die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Charlotte Ueckert bilden das Team um Ralf Plenz, das sich mit dem Lektorat und der Übersetzung beschäftigt. Ein interessantes Unterfangen ist es dabei, dass die Texte auch bearbeitet werden. So hat Susanna M. Farkas den Roman „Schatzinsel“ verkürzt und vereinfacht, um Passagen ohne Brüche zu verbinden. Gerrit Pohl hat in der Neuübersetzung von „1984“ sprachliche Anpassungen an die „Jetzt-Sprache“ vorgenommen und den Satzbau angepasst. Was im ersten Moment verwundert und als kühn anmutet, erweist sich im näheren Befassen mit „Bezaubernder April“, eine ebenfalls von Gerrit Pohl neu übersetzte Version des als „Verzauberter April“ bekannten Romans Elisabeth von Arnims, als behutsame, wohl überlegte und angewandte Transferierung in die heutige Zeit. Der anspruchsvolle, leicht ironische Erzählstil von Arnims bleibt erhalten, auch die Sprache ist als aus einer anderen Zeit stammend erkennbar – jedoch liest sich Pohls Übersetzung sehr flüssig und angenehm, sodass die Hoffnung des Verlegers Ralf Plenz, auch jüngere Leute für diese Bücher zu interessieren, zumindest nicht an der Erzählsprache scheitern dürfte. Auch wenn Charlotte Ueckert nach eigenem Bekunden manchmal „Bauchschmerzen dabei hat, Weltliteratur zu verändern“ und sie sich mit Ralf Plenz zuweilen „fetzt“ – was nützt die schönste Literatur, wenn sie heute nicht mehr verstanden und gelesen wird?
Die Zeitspanne, in der die jeweiligen Autoren lebten, und die Hintergründe des literarischen Werks sind in jede Ausgabe der „Perlen der Literatur“ eingebettet. Da gibt es Abbildungen der Originalausgaben und die Banderole enthält Informationen und Autorenbilder. Überhaupt ist die Ausstattung der Reihe bemerkenswert. Jede Ausgabe, Hardcover mit Fadenbindung, bekommt ein individuelles Vorsatzpapier, dessen Design mit dem Inhalt zusammenhängt, und einen Leineneinband. Die Vorsatzpapiere gestaltet der Bruder des Verlegers, der Grafiker Jörn Plenz. Statt eines Lesebändchens bekommt jeder Band eine individuell gestaltete Banderole, die mehrere Funktionen erfüllt: Sie lässt, im Gegensatz zu einem Buchumschlag, die Haptik des Leineneinbands erspüren, wenn man das Buch in Händen hält; sie fungiert als Lesezeichen, enthält Informationen und ist auf der Außenseite von Ralf Plenz kalligrafisch mit Wortkunst gestaltet, die wiederum Bezüge zum Inhalt aufweist. Stellt man die Bücher in der korrekten Reihenfolge ins Regal, ergibt sich eine Gesamtgrafik aller Banderolen auf den Buchrücken – so entsteht die Perlenkette fürs Bücherregal. Jedes Jahr sind acht Titel geplant, jeder Jahrgang bekommt eine andere Farbe, sodass die Reihe für Buchsammler attraktiv ist, die einen schönen Anblick im Regal zu schätzen wissen. Dabei ist der Preis von 15 Euro pro Buch sehr günstig, denn es liegt dem Verleger am Herzen, dass viele Menschen sich die Bücher leisten können.
Alles in allem sind die „Perlen der Literatur“ ein gelungenes Gesamtkonzept, dem ein respektabler Platz im Buchmarkt zu wünschen ist.
Das Buch von Reimer Boy Eilers: eigenwillig, ungewöhnlich, auf jeden Fall interessant. Ausgerechnet im Ramadan segelt der Held von Sansibars Nordwestküste aus zur sechs Kilometer vorgelagerten Insel Tumbatu. Tumbatu ist ein von Saumriffen umgebenes Eiland, verwunschen, dünn besiedelt, geheimnisvoll. Kein Wunder, dass dort, Erzählungen nach, irgendwo am Ufer ein heiliger Baum wachsen soll, vor dem einst eine Dhau, beladen mit Sklaven, wahrscheinlich aus dem Kongo, havarierte. Die Überfahrt mit einer einheimischen Crew und einem mysteriösen Geistheiler an Bord, ist zwar nur von kurzer Dauer, dennoch strapaziös. Der Held, ein weißer Tourist, leidet an diesem mörderisch heißen Tag an Wahnvorstellungen infolge quälenden Durstes. Wie Trugbilder erscheinen ihm Szenen von Sklaven, die auf eine Dhau gepfercht, eigentlich auf dem größten Sklavenmarkt Afrikas verkauft werden sollen. Das Riff macht sie zu Schiffbrüchigen, die verzweifelt um ihr Leben kämpfen. Der Sklavenmarkt befindet sich auf Sansibar. Dort regiert der Sultan von Oman und Sansibar, ein unermesslich reicher Araber, der durch Sklaven, Sklavenhandel und Gewürznelken seinen Reichtum erwarb. Lieferant der Menschenfracht ist Tippu Tip, ein mächtiger Sklaven- und Elfenbeinhändler. Selbst mit dunkler Hautfarbe geboren, signalisiert er Vertrauen unter den Einheimischen Zentralafrikas. Lächelnd wickelt er seine Mitmenschen ein. Tritt der wahre, der grausame Händler hinter seiner Maske hervor, ist es zu spät. Er lässt Menschen aus dem Kongo jagen, treibt sie an die Küste, wo sie auf Schiffe verfrachtet, über den Sansibar-Kanal nach Stone Town auf den Sklavenmarkt geschleppt und verkauft werden. Sklavenschiffe kreuzten in jener Zeit überall auf den Weltmeeren. Geortet wurden sie an ihren Gestanksfahnen, die sie meilenweit hinter sich herzogen. Was es nun mit der Sklaven-Dhau, die da am Riff vor Tumbatu, in der Nähe des heiligen Baums zerschellte, auf sich hat, soll nicht verraten werden. Nur so viel: Der Autor führt uns auf eindringliche Weise die Schrecken der Sklaverei vor Augen. Nicht in Form aufrüttelnder Prosa, nein, mit einem epischen Gedicht, durch das man sich von wachsender Neugierde und Anteilnahme getrieben, durcharbeitet.




