Das Verschwinden von Buchhandlungen, Teil 2

Besteht wirklich eine Gefahr für die Kulturwelt, nur weil es weniger Kaufgelegenheiten gibt und das Angebot der verbleibenden Buchhandlungen immer ähnlicher wird? Nach einem Streifzug durch die Geschichte und Entwicklung der Buchhandlungslandschaft kommt der Autor im zweiten Teil seines Artikels zu einem persönlichen Ausblick.

Mein Ansatz beruht auf mehr als 40 Jahren Erfahrung in der Verlagsbranche, genauem Beobachten, vielen Gesprächen innerhalb des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels sowie regelmäßiger Analyse dessen, was in der Presse, im Hörfunk und gelegentlich im Fernsehen zu diesen Themen publiziert wurde. Meine Hintergrundinformationen sind durchaus subjektiv gefärbt. Ich habe keine bahnbrechenden Lösungsansätze für die Buchbranche, sondern beschreibe, was geschehen ist, und gebe einen Ausblick darauf, wie sich die Branche wieder erholen könnte.

Die Mediennutzung der meisten Deutschen hat sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten sehr stark verändert. Wir können nur aktiv daran arbeiten, eine lebendige Lesekultur zu pflegen und aufrechtzuerhalten – auch mit weniger Buchhandlungen vor Ort. Die Analyse hat ergeben, dass wir über mehrere Jahrzehnte ein sehr positives Überangebot an Buchhandlungen hatten, das sich jetzt auf ein Normalmaß reduziert. Dass sich die Buchhandelslandschaft nicht nur zum Positiven verändert, lässt sich vielleicht noch korrigieren.

Nachfolgersuche

Mit diesem großen Thema kämpfen Jahr für Jahr hundert und mehr Buchhandlungen. Ideal ist es, wenn ein Team aus mehreren Mitarbeitern unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen Interessen in einer Buchhandlung sich den Zeitläuften anpasst. Inhaber sollten immer darauf achten, mögliche Nachfolger aus den eigenen Reihen zu fördern. Am Ende des Arbeitslebens sollte es nicht vorkommen, dass eine Übernahme durch sehr fähige Angestellte daran scheitert, dass der Buchhändler eine Abstandszahlung von 50.000 oder 300.000 Euro für einen Lagerbestand haben möchte, der überwiegend aus unverkäuflichem, wertlosem Altpapier besteht. Ein erfahrener Buchhändler sollte so viel Weitblick haben und in den Jahren seines aktiven Berufslebens genügend für die Altersvorsorge zurückgelegt haben, um nicht auf eine unrealistisch hohe Abstandszahlung zu bestehen. Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus: Inhaber planen diese mögliche Abstandszahlung oder eine monatliche Umsatzbeteiligung leider fest für ihre Verrentung ein.

Versucht man, mit Anzeigen in der Fachpresse oder mit Beratern, jüngere Nachfolger zu finden, ist dieser Prozess langwierig. Der vom Besitzer geforderte finanzielle Ausgleich für die Übergabe lässt manche Verkaufsabsicht nach ein bis zwei Jahren scheitern. Jährlich werden einige hundert Buchhändler neu ausgebildet. Sie bewähren sich und haben aufgrund ihrer Persönlichkeit (und eines möglichen finanziellen Backgrounds aus der Familie) durchaus die Möglichkeit, eine gut geführte Buchhandlung zu einem geringen Kaufpreis zu übernehmen.

Und wieder ist die Wirklichkeit anders als gewünscht: Die meisten Inhaber sehen sich aus finanziellen Gründen dazu genötigt, das Angebot einer Großbuchhandlung (Thalia, Mayersche, Hugendubel etc.) anzunehmen, anstatt das Ladenlokal samt Inhalt und Personal einem/einer engagierten, jüngeren Buchhändler/in zu übergeben. Dies verarmt die Vielfalt und wird mit dem positiv klingenden Namen „Filialisierung“ umschrieben. Es gibt mittlerweile rund 500 Filialen, also mehr als 20 Prozent aller Buchhandlungen, die schätzungsweise die Hälfte des Umsatzes der Branche erwirtschaften.

Die Großen werden noch größer und die Kleinen verschwinden. In vielen Städten gibt es drei bis fünf Buchhandlungen, die zu den Konzernen Thalia oder Hugendubel gehören. Einfalt statt Vielfalt. Bedenkt man, dass diese Großbuchhändler bis zu 40 Prozent ihrer Verkaufsfläche für Nonbook-Artikel reservieren, womit sich eine wesentlich höhere Gewinnspanne erzielen lässt, hat das mit kultureller Vielfalt und engagiertem Buchhändlertum nur wenig zu tun. Dieser Prozess wird seit rund 30 Jahren als „Strukturwandel“ bezeichnet.

Er findet nicht nur im Vertrieb des Buchhandels (des Sortiments) statt, sondern auch bei den Verlagen. Deren Konzentration führt beispielsweise dazu, dass zu Random House in München (hervorgegangen aus der Bertelsmann-Gruppe in Gütersloh) allein in Deutschland weit mehr als 50 Imprint-Verlage gehören. Etliche der großen Verlage sind europaweit oder international agierende Konzerne bzw. wurden von diesen gekauft. Auf Verlagsseite gibt es eine ähnliche Konzentrationsbewegung: Die Großen werden noch größer und die Kleinen verschwinden.

Lesungen in Buchhandlungen bringen Autoren und Leser zusammen

Verlage passen sich den Kundenwünschen an. Im Schnitt machen sie rund 23 Prozent ihres Umsatzes direkt mit Endkunden, sei es auf Veranstaltungen, bei Kongressen, auf Messen oder über bestehende Großkundenkontakte mit Beziehungen zu Verbänden und Institutionen. Ähnlich wie Buchhandlungen haben sie Webshops und differenzieren diese mit verschiedenen Labels für verschiedene Kundengruppen.

Die Vielfalt geht sowohl bei Buchhandlungen als auch bei Verlagen zurück. Ausführlich wurde bereits analysiert, dass die Großhändler-Dominanz zunimmt. Diese unterstützt zwar aktiv Buchhandlungen, jedoch geht dies auf Kosten der sinkenden Einkaufskonditionen, sodass die ohnehin schmale Rendite eines Buchhändlers nahezu aufgezehrt wird. Je nachdem, in welcher wirtschaftlichen Situation sich eine Stadt, eine Region oder ein Stadtteil befindet, geben Buchhändler mehr aus, als sie einnehmen.

Die Hoffnung ruht natürlich auf jungen Buchhändlern: Sie haben eine sehr gute wirtschaftliche Vorbildung und bei der Frage, welche Buchhandlung sie kaufen oder übernehmen wollen, picken sie sich eindeutig die Rosinen heraus – zumindest, wenn sie örtlich einigermaßen flexibel sind. Diese jungen Sortimenter wissen, wie man Veranstaltungen managt, wie man Kunden bindet und dass die Einnahmequellen zumindest teilweise nicht aus dem Buchverkauf bestehen.

Preisbindung im Buchhandel

Die seit Jahrzehnten in Deutschland gesetzlich festgeschriebene Preisbindung rettet die Buchvielfalt. Abgesehen von älteren Titeln, die nicht mehr der Preisbindung unterliegen, und Titeln, die verramscht werden, haben nahezu alle Bücher in Deutschland den gleichen Preis. Das verhindert eine Rabattschlacht. In den letzten Jahren hat Amazon wiederholt versucht, Rabattaktionen auf Bücher auszudehnen, und wurde dabei regelmäßig durch deutsche Gerichte ausgebremst. Ein gutes Fachbuch kostet beispielsweise 48 Euro, egal, ob man es in der Innenstadt, in einer Kleinstadt oder am Stadtrand in einer sehr kleinen Buchhandlung bestellt und bezahlt. Das garantiert eine gewisse Stabilität und Vielfalt für alle Seiten.

Werden Bücher verbilligt in Stapeln angeboten, handelt es sich entweder um Titel, bei denen der Verlag die Preisbindung aufgehoben hat, oder um Restauflagen, die dringend verkauft werden müssen. Eine Besonderheit sind englischsprachige Titel, die nicht preisgebunden sind. Hier gibt es regelmäßig Rabattschlachten von 30 bis 50 Prozent.

Was kann man tun, wenn eine Buchhandlung nicht genügend Rendite abwirft? Gespräche mit dem Immobilieninhaber sind oft hilfreich. Nicht nur während der Corona-Pandemie gab es immer wieder Beispiele von subventionierten oder gesenkten Mieten. Buchhändler sollten bezüglich des Standorts flexibel sein, möglicherweise setzen zwei Straßen weiter oder in einem benachbarten Stadtteil Immobilienbesitzer nicht nur auf hohen Mieterlös, sondern wollen kulturelle Vielfalt an diesem Standort umsetzen. Es gibt Beispiele, bei denen der Besitzer lediglich fünf Euro je Quadratmeter verlangt. Ist der Immobilienbesitzer die kommunale oder öffentliche Hand, kann die Miete je Quadratmeter durchaus bei einem Euro liegen. Solche sehr großen Unterstützungsangebote retten jedoch nicht in jedem Fall jeden Standort. Manch ein Buchhändler muss dennoch die Segel streichen, weil die Kundenfrequenz zu niedrig ist oder die Kaufbereitschaft nicht ausreicht, um die Ladenmitarbeiter und die sonstigen Overhead-Kosten zu decken. Ich kenne einen ähnlichen Fall, bei dem die kommunale Hand zwar die Mieten sehr stark subventioniert hat, um kulturelle Vielfalt zu fördern, jedoch die Auflage gemacht hat, dass mindestens sechs Veranstaltungen jeden Monat durchgeführt werden. Dass solche Veranstaltungen hohe Nebenkosten und Honorare für angereiste Autoren und Fachleute beinhalten, die niemals durch den Buchverkauf gedeckt werden können, konnte der Immobilienbesitzer nicht voraussehen.

Weitere Maßnahmen sind der Umzug in eine kleinere Lokalität wenige Straßen weiter, Personalabbau, deutliche Veränderung des Sortiments, frühzeitige Übergabe an jüngere Hände unter Verzicht auf angestammte Machtstrukturen oder inhaltliche Schwerpunkte, Offenheit für neue Trends und permanentes Anpassen an die Bedürfnisse der Zielgruppe. Auch ein Umzug in eine andere Stadt kann hilfreich sein, wenn die Ladenmieten oder das Lohnniveau deutlich geringer sind. All das ist möglich und keine Wunschvorstellung.

Und die Zukunft?

Glücklicherweise gibt es weitere Best-Practice-Beispiele, wie etwa Kooperationen von Buchhändlern mit Bibliotheken, Kulturvereinen und Institutionen, die Zusammenarbeit mit örtlichen Größen, Theatern sowie vieles mehr. Letztlich ist das „Kommen und Gehen“ ein normaler Prozess.

Bestellt gern Bücher für Kunden: der lokale Buchhändler

Was können Sie als Leser tun? Das Stichwort „buy local“ ist sicher die erste Wahl. Gibt es an Ihrem Ort keine akzeptable Buchhandlung, planen Sie bei der nächsten Fahrt zum Nachbarort einen Besuch im dortigen Buchhandel ein. Suchen Sie bestimmte Titel, sollten Sie diese telefonisch oder online vorbestellen. Meine Empfehlung: Kaufen Sie nicht oder möglichst wenig bei Filialisten, sondern beim inhabergeführten, unabhängigen Buchhandel – auch wenn dieser  weiter entfernt liegt. Es ist lediglich eine Frage der Organisation Ihrer Zeit und der Lese-, Einkaufs- und Verschenk-Routinen.

Beim Online-Kauf, der mittlerweile rund 23 Prozent aller Buchkäufe ausmacht, können Sie grundsätzlich den Buchhändler auswählen, den Sie unter dem Aspekt „buy local“ unterstützen wollen. Das gilt unabhängig davon, ob Sie die Bücher vor Ort abholen oder sich diese zuschicken lassen. Das machen selbstverständlich alle Buchhändler portofrei.

Das ist eine der wichtigsten Lektionen, die alle deutschen Verlage und Buchhändler in den letzten 20 Jahren von Amazon gelernt haben: Der Kunde wünscht eine portofreie, schnelle Lieferung. Das schmälert zwar die Rendite, ist jedoch nur eine Frage des günstigen Einkaufs und der Logistik. Ich bin kein Buchhandelsberater, sondern war früher Verlagsberater. Das Thema Kundenbindung und Kundenzufriedenheit hat jedoch die gesamte Branche durchdrungen. Wenn sich ein Buchhändler diesen Gewohnheiten nicht anpassen will oder kann, muss er seinen Laden wegen mangelnder Kundenzufriedenheit und veränderter Käuferströme ohne Nachfolger schließen. Das wäre die bitterste Lektion nach Jahren des Jammerns und des Nicht-Ändern-Wollens.

Ein persönliches Fazit

Mit diesen Hintergrundinformationen und Analysen will ich zeigen, dass es zwar ein Verschwinden der Buchhandlungen gibt, Buchhändler jedoch auf vielfältige Unterstützung setzen können, wenn sie offen für Neues sind. Idealerweise besitzt eine Buchhändlerfamilie eine oder mehrere Immobilien, in denen sie eine aufstrebende Buchhandlung nahezu mietfrei betreiben kann und nicht unter enormem Kostendruck steht. Dies ist ein weites Feld für Immobilienbesitzer, die sich kulturell betätigen wollen: Reden Sie mit künftigen Buchhändlern und engagieren Sie sich für kulturelle Vielfalt. Knüpfen Sie wirtschaftliche und politische Kontakte, die ein Kulturzentrum ermöglichen. Denn neben Bibliotheken (auch „dritter Ort“ genannt) sind unsere Buchhandlungen in Deutschland ein wichtiger kultureller Ort.

 

Einige dieser sowie weiterführende Gedanken finden Sie in dem Buch „Bücher retten die Welt“, Edition Konturen, 2019, von Ralf Plenz und Gerhard Hauptfeld

Auch als Podcast

Sie können beide Teile dieses Artikels als Podcast hören:

Folge_1, Folge_2, Folge 3, Folge 4

Das Verschwinden von Buchhandlungen, Teil 1

Dass die Buchhandlungsvielfalt seit vielen Jahren weniger wird, fällt Lesern und Autoren gleichermaßen auf. Immer wieder wird der Untergang der Lesekultur in den Medien verhandelt. Besteht wirklich eine Gefahr für die Kulturwelt, nur weil es weniger Kaufgelegenheiten gibt und das Angebot der verbleibenden Buchhandlungen immer ähnlicher wird?

Wie in jedem Wirtschaftsbereich geht es um Angebot und Nachfrage. Egal, ob Restaurant, Bäckerei oder Dienstleistungsbetrieb: Es gibt immer ein Kommen und Gehen. Es blieb in der Bevölkerung nicht unbemerkt, dass in den letzten 20 Jahren Buchhandlungen verschwanden und kaum neue dazukamen. Eigentlich ein ganz normaler Prozess, den die Marktwirtschaft regelt – so tragisch jede Einstellung eines Wirtschaftsbetriebs ist, vor allem, wenn dieser sich um geistige Inhalte kümmert, wie das Buchhändler tun.

Der Inhaber einer Buchhandlung investiert Geld für Einrichtung, Büro und ersten Warenbestand, zahlt Löhne und Mieten. Und er hofft, seine Investitionen durch Umsatzsteigerungen zurückzubekommen und ab dem fünften Jahr Gewinn zu erwirtschaften.

Je nach Größe des Betriebs kann der Inhaber monatlich einen geringeren oder höheren Betrag aus der Kasse nehmen. Das zu versteuernde Einkommen ist in der Regel relativ niedrig und auch die Löhne der Angestellten sind nicht sehr hoch. Übernimmt der Buchhändler einen bestehenden Betrieb, ist eine Abstandszahlung für Einrichtung und Warenbestand zu leisten. Das geschieht meist über einen Kredit, der im Laufe von mehreren Jahren getilgt werden muss.

Immer weniger Leser?

Früher gab es in einer mittleren oder kleinen Stadt pro 15.000 Einwohner eine Buchhandlung, heute gilt das für etwa 30.000 Einwohner. In größeren Städten ist das Verhältnis etwas anders. Diese Zahlen sind nur ein Orientierungswert und beziehen sich auf den Zeitraum der vergangenen 60 Jahre in Deutschland. Dass es in einigen Städten und insbesondere in der Region der ehemaligen DDR andere Zahlen gab, ist bekannt, wird in dieser Analyse jedoch zunächst vernachlässigt.

Tatsache ist: Die Zahl der Leser sinkt. Während vor wenigen Jahrzehnten noch rund 40 Millionen Deutsche regelmäßig ein Buch in die Hand nahmen, sind es jetzt weniger als 30 Millionen. Gibt es weniger Leser, können weniger Buchhandlungen überleben. Doch Buchhandlungen verschwinden nicht, sondern ändern teilweise nur ihr Erscheinungsbild. Manche Fachbuchhandlung mit vielen Firmenkunden und einem sogenannten Rechnungsgeschäft hat kein Schaufenster und kein Verkaufspersonal mehr, sondern einen Webshop und ein Lager bzw. einen Bürobetrieb. Ähnlich verhält es sich bei Antiquaren: Etliche haben ein gutes Online-Geschäft und treue Kunden, aber kein Ladenlokal. Das liegt an den relativ hohen Mieten in den Innenstädten.

Warum wird überhaupt gelesen? Die Motive sind einfach zusammengefasst: Bildungshunger und Wunsch nach Unterhaltung. Früher wurde viel nachgeschlagen. Man hatte Adressverzeichnisse und Lexika, die im digitalen Wandel nahezu verschwunden sind. Es gibt kaum noch Gründe, diese Inhalte in Buchform zu kaufen.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass es in der Zeit des Wirtschaftswunders ebenso wie heute um eine Geldfrage ging. Gemessen am jährlich steigenden Einkommen, waren Mieten und Lebenshaltungskosten von den 1960er bis in die 1980er Jahre jedoch vergleichsweise niedrig.  Das verfügbare Medienbudget und die Mediennutzungszeit verteilten sich großzügig auf Zeitungen, Zeitschriften und Bücher.

Betrachtet man den gleichen Zeitraum auf der Seite des Buchhandels, so mussten für Mieten je Quadratmeter  vielleicht umgerechnet fünf Euro bezahlt werden, heute oft mehr als 35 Euro. Weitere Faktoren sind die besonders gestiegenen Versandkosten, die früher von der  Bundespost als Kulturauftrag subventioniert wurden, sowie die deutlich höheren Energiekosten, Lohn- und Lohnnebenkosten und vieles mehr. All dies schmälert das Einkommen, das sich mit Büchern generieren lässt. Somit entsteht ein wirtschaftlicher Nachteil für jeden Buchhändler – egal in welchem Jahrzehnt und in welcher Stadt. Die Differenz zwischen Umsatz und Wareneinkauf beträgt in der Regel etwa 30 bis 40 Prozent. Je mehr Kosten davon abgezogen werden, desto geringer ist der verbleibende Nettolohn des vom Inhaber geführten Geschäfts. Kommen noch hohe Kreditzinsen von drei bis acht Prozent oder Überziehungszinsen beim Girokonto hinzu, wird die sogenannte Marge für den Buchhändler immer geringer.

Anders als vom Laien vermutet, sind Buchhändler nicht in erster Linie Leser, sondern arbeiten in einem Wirtschaftsbetrieb und sind Händler. Zwar lesen sie in ihrer Freizeit vergleichsweise viel, über die Bücher, die sie anbieten, haben sie jedoch nur wenige Hintergrundinformationen. Dafür können sie Autor und Verlag viel besser einschätzen als die meisten Leser. Obwohl ein Buchhändler pro Jahr wohl kaum mehr als 30 bis 50 Bücher liest, kann er zu vielleicht 300 Büchern profunde Aussagen treffen. Denn während der Ladenöffnungszeiten kommt er in der Regel nicht zum Lesen.

Betrachtet man die Kosten und die Frage, wie Buchhandlungen trotz des schwierigen Umfelds gewinnorientiert geführt werden können, hängt das möglicherweise damit zusammen, dass Kulturvermittlung eine kommunale Aufgabe ist. Ein Teil dieser Kosten sollte nicht bei den Buchhandlungen verbleiben, sondern von öffentlicher Seite gefördert werden. Beispiele sind subventionierte Mieten und die Verpflichtung öffentlicher Institutionen wie Schulen, Bibliotheken und Behörden, ausschließlich beim lokalen Buchhandel einzukaufen.

Einige Themen verdienen eine tiefergehende Betrachtung, denn sie beinhalten kommunikativen, kulturpolitischen und wirtschaftspolitischen Sprengstoff. Soll literarische Vielfalt erhalten werden, kann dies nur zum Teil mit finanzieller Unterstützung von dritter Seite funktionieren.

So viel ist klar: Wird die Schere zwischen Kosten und Einnahmen immer enger, muss ein Buchhändler spätestens dann seinen Betrieb einstellen, wenn die Kosten die geplanten Gewinne auffressen oder er seine Kredite nicht mehr bedienen kann. Da helfen auch bestes Buchangebot, ansprechendes Ladenlokal und vielfältiges Sortiment nicht. Gefährden wirtschaftliche Zwänge eine sehr lobenswerte Buchhandlung, sollte die Weiterführung nicht davon abhängen, dass der Inhaber sein Privatvermögen verbraucht. Denkbar wäre, dass Erlöse aus Immobilien (Untervermietung oder Ferienhäuser) in Form einer Quersubventionierung eine Sortimentsbuchhandlung finanziell unterstützen.

Der Boom der 1960er bis 1980er Jahre

Die Jahre des deutschen Wirtschaftswunders: Aufgrund niedriger externer Kosten und fehlender Konkurrenz durch Online-Medien blieben sowohl viel Zeit als auch viel Geld, um Bildungshunger und Unterhaltungsbedürfnis durch Lesen zu stillen. Eine sehr breite Bevölkerungsschicht entschied sich für längere Ausbildungen, Zusatzqualifikationen oder ein Studium, was damals nur mit vielen Büchern möglich war. In einem durchschnittlichen, bildungsnahen Haushalt befanden sich eher tausend als hundert Bücher.

Event in der Buchhandlung

Nachdem viele Haushalte zunehmend gut ausgestattet waren, wurden – was sich sehr positiv anhört – überflüssige Bücher geschenkt und die Lesesucht begann. Wohlgemerkt, bevor sich der Fernsehkonsum breitmachte und es digitale Medien gab.

Einige Jahrzehnte später werden diese gut ausgestatteten Haushalte aufgelöst. Viele Bücher werden an jüngere Verwandte und Bekannte  verschenkt, andere vererbt. Kirchenbasare und Flohmärkte profitieren von aufgelösten Haushalten des Wirtschaftswunders. In der Marktwirtschaft nennt man das Überflutung oder Überangebot. Es gibt viel mehr Angebot als Nachfrage, sodass die Ware Buch an Wert verliert – es sei denn, es handelt sich um Neuerscheinungen oder besondere Ausgaben. Egal, ob es sich um Klassiker, Bildbände oder wertvolle Sammlungen handelt, die man erbt oder für wenig Geld erwirbt – schnell hat man einige Regalmeter Bücher, die man noch nicht gelesen hat. Ein seltenerer Besuch in der Buchhandlung ist nahezu vorprogrammiert. Es gibt wenig oder gar keinen Platz für neue Bücher und vor allem auch keine zusätzliche Lesezeit für Neuerscheinungen.

Mediennutzungszeit und Medienarten

Seit 1980 wird zunehmend visuelles Bewegtbild konsumiert und seit 2000 nahezu alles digital statt analog konsumiert:  von Musik über Nachrichten bis zu Unterhaltungsmedien.

Wurde in Deutschland früher durchschnittlich zwei Stunden pro Tag ferngesehen, waren es im Jahr 2024 weit über vier Stunden. Je nach Altersgruppe und Interesse betrug die durchschnittliche Online-Zeit (Smartphone, Tablet, PC) zwischen einer und acht Stunden pro Person täglich. Wo bleibt da noch Zeit zum Bücherlesen?

Heutiges Leseverhalten

Als Büchermacher erfreut es mich, dass digitales Lesen nach nahezu 20 Jahren E-Books seit zehn Jahren sehr konstant bei etwa 6 Prozent des jährlichen Verlagsumsatzes verharrt. Erfreulich ist auch, dass der Online-Buchumsatz des Versandhändlers Amazon, der seit 1994 existiert, nur 11 Prozent des gesamten deutschen Buchumsatzes ausmacht, weil nahezu alle Buchhandlungen (mithilfe der Grossisten) relativ schnell eigene Webshops eröffnet haben und es sich herumgesprochen hat, dass es Alternativen zum Amazon-Buchversand gibt. Dem Wachstum dieses Anbieters sind nach den Erfolgsjahren des Anfangs von den Verbrauchern und Buchhändlern Grenzen gesetzt worden.

Zwar werden viel mehr Bücher in Onlineshops gekauft als vor zehn oder zwanzig Jahren, aber viele Buchhändler haben inzwischen selbst einen Webshop und die drei größten Buchhandelsketten machen online mehr Umsatz mit Büchern als Amazon. Das sind zwei beruhigende Tendenzen: Digital wächst nicht mehr und der größte Konkurrent im Buchhandel ist keine wirkliche Bedrohung. Beide Trends gelten seit nahezu zehn Jahren und werden sich auch nicht mehr verschieben. Die Buchhändler haben sich darauf eingestellt. Selbstverständlich bieten sie auch Hörbücher und digitale Produkte an. Sie haben einen Webshop eingerichtet, sodass die Kunden zwar online bestellen, die Bücher aber im Geschäft abholen oder zusenden lassen.

Werfen wir noch einen Blick auf die Motive zum Lesen: Warum kaufen oder verschenken wir Bücher? Neben Bildungshunger, Wunsch nach Verständnis, Einordnung und vertiefendem Wissen gibt es die Unterhaltung. Es geht auch darum, dem nichtdigitalen Produkt eine Haptik zu geben, also Greifbarkeit und Verleihbarkeit. Das ist nur mit physischen Büchern möglich.

Durch Internet und unzählige Apps hat sich sehr viel verändert. Die Verfügbarkeit von Informationen innerhalb weniger Sekunden oder Minuten ist massiv gestiegen. Die Frage der Seriosität bleibt offen: Hier geht es um Meinung, Werbedurchdringung und Fake-News. Dennoch schaden all diese Möglichkeiten des Suchens und Findens dem Sachbuch und Fachbuch. Die Vermutung, dass das ohne Bücher genauso gut geht, ist ein Irrglaube. Am meisten haben Zeitschriften und Tageszeitungen unter den veränderten Gewohnheiten und Tendenzen der Mediennutzung gelitten. Sie haben 50 bis 80 Prozent ihrer bisherigen Auflage sowie der finanzierenden Anzeigen und Kunden verloren.

Aufgrund des geringeren Umfangs, weniger Titel und sinkender Leserzahl sind in diesen Printmedien kaum Rezensionen zu finden. Das schadet der Sichtbarkeit und dem Verkauf von Büchern. Heute dreht sich viel mehr um Videos, Beiträge in soziale Medien, Klatsch und Tratsch, weniger um das profunde Wissen aus Büchern.

Ein Fest für Leser: gefüllte Bücherregale

All diese Aspekte wirken sich massiv auf lokale Buchhandlungen aus. Wenn Käufer ausbleiben, preiswertere Produkte kaufen, sich an anderer Stelle informieren, zu wenig Lesezeit haben und keine Lesungen oder andere Veranstaltungen in der Buchhandlung besuchen,  steht das mit dem sehr stark geänderten Mediennutzungsverhalten aller Lesenden in Verbindung.

Die Formulierung „Buchhandlungsverschwinden“ trifft den Kern der Sache, auch wenn das Wort sehr lang und ungewöhnlich ist. Hätte ich stattdessen „Buchhandelsverschwinden“ gesagt, dann wäre der komplette Handel mit Büchern verschwunden, was natürlich nicht stimmt. Genauer gesagt, gehen noch rund 42 Prozent des Umsatzes über das stationäre Sortiment (die Buchhandlungen) und 24 Prozent über Webshops. Davon entfällt weniger als die Hälfte auf Amazon; der Rest geht über Webshops des stationären Buchhandels. Weitere 23 Prozent werden von Verlagen direkt an Endkunden ausgeliefert – eine beachtliche Änderung gegenüber der Jahrtausendwende. Zwar beteuert jeder Verlag, dass der Buchhändler – der Sortimenter – sein wichtigster Partner ist, doch das hat Jahr für Jahr weniger Bedeutung.

Der Buchgroßhandel

Fast alle Webshops von Buchhandlungen werden von den großen Barsortimenten (Libri, Zeitfracht, Umbreit) gehostet und physisch bedient. Buchhandlungen bestellen zwar nach wie vor direkt bei Verlagen, doch der Bezug über das Barsortiment wird immer wichtiger. Ein Grund dafür ist, dass der Buchhändler dadurch weniger Verwaltungsaufwand durch Kleinstrechnungen hat und die Ware schon am nächsten Tag zur Verfügung steht.

Jedes lieferbare Buch innerhalb von 24 Stunden in der Buchhandlung abholen zu können, wird Besorgungsgeschäft genannt und ist – abgesehen von Apotheken – einmalig in Deutschland. Der lokale Buchhändler, der über das Barsortiment einkauft, hat verglichen mit hunderten anderen Geschäften eine absolute Sonderstellung. Er erhält meist einen geringeren Rabatt als beim direkten Einkauf beim Verlag.

Vom Gründungsboom zum Verschwinden

Von 1970 bis 1990 gab es einen regelrechten Gründungsboom. Es waren sehr bewegte Zeiten und die Gründer hatten häufig einen politischen oder besonderen literarischen Anspruch. Es ging um Frauenemanzipation, Esoterik und viele Ratgeber, die dem wachsenden Publikum angeboten wurden. Diese Buchhändler zeichneten sich durch besonderen Enthusiasmus und hohe inhaltliche Ansprüche aus. Sie trafen auf ein Publikum, das über genügend Geld verfügte, sich persönlich weiterentwickeln wollte und noch nicht von Fernsehen und Online-Medien in Beschlag genommen war. Auch Jugendthemen wie Rock- und Popmusik wurden beispielsweise durch die neu gegründete Buchhandelskette „Monatus aktuell“ mit rund 50 Filialen hervorragend abgedeckt. Diese Buchhandlung der Douglas-Holding mit Zentrale in Hagen/Westfalen gibt es nicht mehr, da sie mit den damals aufstrebenden Thalia-Buchhandlungen in einer neuen Holding fusionierten.

All diese Gründer konnten kaum Nachfolger finden, denn die Themen und die Nachfrage haben sich sehr verändert. Seit etwa 2010 sind diese Buchhändler zunehmend im Rentenalter und müssen ihren Laden schließen, wenn es keinen Nachfolger gibt. Hinzu kommt – betriebswirtschaftlich betrachtet – die fehlende Rentabilität seit zehn oder 15 Jahren. Die Kostenschere klafft immer weiter auseinander: Buchhändler geben mehr aus, als sie einnehmen. Außerdem haben viele lokale Buchhändler Regale voller Bücher (15.000 bis 40.000 sind keine Seltenheit), die vor längerer Zeit eingekauft wurden und sich nur sehr langsam oder gar nicht mehr verkaufen lassen: bedrucktes Altpapier.

In der Bilanz steht nominell der Einkaufspreis von vielleicht 200.000 oder 300.000 €. Das hilft dem Buchhändler jedoch nicht, wenn er kaum etwas verkaufen kann. Es dient auch nicht als Absicherung von Krediten, denn die Titel sind überwiegend unverkäuflich. Böse Zungen bezeichnen die gefüllten Regale als „Tapete“. Eigentlich müsste der Buchhändler fast alles remittieren – was nicht möglich ist, wenn die Titel seit mehr als zwei Jahren dort stehen. Überwiegend lebt er von den Novitäten und den Titeln, die auf Tischen oder in Augenhöhe als „Stapelware“ angeboten werden.

Buchhändler, die sehr kaufmännisch denken, sollten mindestens zweimal im Jahr überprüfen, ob die Bücher im Regal älter als ein oder zwei Jahre sind, und sie eventuell an den Verlag oder das Barsortiment zurückschicken. Ausnahmen sind Titel wie die Bibel oder der Duden, die permanent nachbestellt werden, weil es Nachfrage gibt, und die im Regal leicht auffindbar sind. Es gibt durchaus Titel, die bis zu zehn Jahre und mehr „Longseller“ sind und nicht bei der Stapelware liegen.

Das Verschwinden der Vielfalt

Statt der einstigen Vielfalt an Buchhandlungen und inhaltlichen Angeboten herrschen jetzt Einfalt und Massenware. Das Ergebnis: Buchhandlungen – vor allem, wenn sie von Filialisten wie Thalia und Hugendubel betrieben werden – unterscheiden sich in Angebot und Präsentation wenig. Ob die Beratung darunter leidet, möchte der Autor dieser Zeilen nicht beurteilen.

Tatsache ist: Die Dominanz der Bestseller ist groß. Die bekannten Namen ziehen bei Lesungen wie auch bei Stapelverkäufen viel Publikum an. Alles andere ist zunehmend Nische oder findet nur in kleinem Rahmen statt. Das ist stark vereinfacht formuliert, aber ein Trend, der nicht aufhaltbar scheint. Die veränderte Mediennutzung begünstigt das Sterben der „Boomer-Buchhandlung“. Die Großen werden immer größer, die Kleinen immer kleiner oder verschwinden.

Was ist mit jüngeren Lesern? Zu behaupten, sie würden von lokalen Buchhandlungen vernachlässigt,  stimmt nicht. Alle Sortimenter bemühen sich, Schulkinder zu reiferen Lesern zu machen, und sie haben stets ein sehr gutes Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene. Allerdings bevorzugen jüngere Leute andere Beschaffungswege (Messen, Events, digitale Kanäle, Gebrauchtbuchhandel usw.).

Cosplayer auf der Buchmesse Himmelpforten 2024, Foto: Maren Schönfeld

Seit rund zehn Jahren zeigt sich, dass Manga- und Cosplay-Szenen massenhaft Leser haben, die sich in Communities organisieren und bei Events und Messen treffen. Der neuere Trend der „Young Romance“, „Dark Fantasy“ und „Farbschnitt-Liebhaber“ zeigt, dass es eine Generation „TikTok“ gibt, die massenhaft spezielle Bücher liest, sofern sie eine besondere Ausstattung haben und sich als Sammelobjekte eignen. Ob sie diese Bücher bei Events, einem Zwischenhändler wie der „Bücherbüchse“ oder in einer spezialisierten Buchhandlung in größeren Städten kaufen, ist noch offen. Pfiffige Buchhändler lassen ihre zwei bis drei Regale mit „Young-Adult-Titeln“ von jungem Personal bestücken oder sich von jungen Kundinnen beraten. Sie sind so organisiert, dass  die Auswahl mindestens monatlich erneuert wird – eine Voraussetzung, um mit diesem jungen Publikum erhebliche Umsatzsprünge zu machen. Das lässt hoffen.

(Fortsetzung in Teil 2 am 15.09.2025; Fotos: Ralf Plenz)

Einige dieser sowie weiterführende Gedanken finden Sie in dem Buch „Bücher retten die Welt“, Edition Konturen, 2019, von Ralf Plenz und Gerhard Hauptfeld

Berührt von schönen Büchern

Am 25. Februar 2024 veranstaltete der Büchermacher Ralf Plenz in Kooperation mit der Hamburger Autorenvereinigung ein Treffen der Pirckheimer Gesellschaft in Hamburg-Altona. In der Alfred-Schnittke-Akademie konnten Interessierte sich über die Institutionen informieren, bibliophile Buchausgaben bewundern und erstehen. Dabei ging es auch um die Frage, was der Begriff „bibliophil“ denn eigentlich umfasst.

Den ersten Programmpunkt der Tagung bildete jedoch ein Vortrag von Ralf Plenz über die Umwälzung der Druckbranche, verknüpft mit seinem Werdegang in dieser Branche. In den 1960er und 70er Jahren fand der Wechsel vom Bleisatz zum Offsetdruck statt. Als Gründungsmitglied der Druckwerkstatt Ottensen bot Plenz gemeinsam mit seinen Mitstreitern eine Spezialität an: Zum Gestalten der Druckvorlagen für die Kunden verwendeten sie altes Werkzeug wie zum Beispiel Federn und stellten die Vorlagen handschriftlich her. So hatten sie viele Autoren und Künstler unter ihrer Kundschaft, u.a. den Lyriker Peter Rühmkorf und den Künstler Albert „Ali“ Schindehütte, der durch die Rixdorfer Drucke berühmt wurde. Die Druckwerkstatt, die heute noch existiert, war ein Erfolgskonzept aus hochwertigen Druckerzeugnissen in Zusammenarbeit mit Kleinstverlagen, dem Verkauf einer kleinen Auswahl an besonderen Büchern sowie Umweltschutzpapiererzeugnissen und einem Copyshop.

Palma Kunkel als Raubdruck

Ralf Plenz (Foto: DAP)

Plenz berichtete über Details des Druckwesens, zu denen Laien kaum Zugang haben. So erfuhr manch erstaunter Gast, dass digital gedruckte Bücher für Bibliothekare nicht archivfest seien, weil diese keine 100 Jahre hielten. Denn Digitaldruck ist technisch fast immer eine Fotokopie – sie blättert ab, wenn sie beispielsweise geknickt wird. Zudem sind die Buchrücken nicht gerade für die Ewigkeit gemacht und brechen meist, wenn man das Buch weit aufzuklappen versucht. Aus diesem Grund ist die Reihe „Perlen der Literatur“ von Ralf Plenz (Input-Verlag) im Offsetverfahren gedruckt und hochwertig ausgestattet.

Für den Nachdruck der historischen Titel fahndet Plenz in Antiquariaten nach sehr alten Ausgaben und stößt manches Mal auf Kuriositäten. Eine ganz besondere ist ein Gedichtband von Christian Morgenstern, datiert auf den Zeitraum 1915-1920, mit gerissenem statt geschnittenem Papier. Die Nachforschungen des Büchermachers ergaben, dass es sich um einen Raubdruck handeln muss, denn in keinem autorisierten Buch gibt es diese Zusammenstellung aus drei Bänden Morgensterns, zudem noch in einer Ausgabe.

Paradiesische Bücher made in Hamburg

Rudolf Angeli vom Angeli & Engel-Verlag bestritt den zweiten Vortrag im Programm. Der Verlag „widmet sich Publikationen zur Kunst mit bibliophilem Anspruch“ (Verlagswebsite). Angelis Leidenschaft für das Schachspiel und für Stefan Zweigs „Schachnovelle“ motivierte ihn schließlich, ins Verlagswesen einzusteigen. Eigentlich aus dem Management kommend, gründete er gemeinsam mit dem Autor Peter Engel den „Verlag für paradiesische Bücher“ (Verlagswebsite) in Hamburg und eignete sich autodidaktisch das entsprechende Wissen an. Neben den o.g. Publikationen betreibt er ein Antiquariat. Er ist von Worten fasziniert und bezeichnet seine verlegerische Berufung als „Serendipity“, also eine „zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist“. (Wikipedia)

Rudolf Angeli (Foto: DAP)

Ein Blick auf den liebevoll präsentierten Büchertisch beglaubigt seine Leidenschaft und man möchte die hochwertigen, großformatigen Bücher gern berühren und aufschlagen. Aktuell erschien die 4. Edition, das Balladenbuch „Liebe, Leid & Untergang“ von Klaus Waschk, das als Buchhandelsausgabe und als Vorzugsausgabe mit einer Original-Grafik des Künstlers erhältlich ist.

Bei so vielen spannenden Vortragsthemen konnte man fast das Anschauen ebenjener Büchertische vergessen. Dabei gab es unter den ausgelegten Leseschätzen viel Schönes zu bewundern, so zum Beispiel der Nachdruck der sehr kurzen Erzählung „Die Insel“ von Stefan Zweig, hochwertig gebunden als schmales Heft mit einer nachgedruckten Grafik von Markus Behmer sowie ergänzt durch das Faksimile des handschriftlichen Manuskripts als Beigabe.

Als weitere Besonderheit hat der Verlag Angeli & Engel 2020 den „Hamburger Bothen“ herausgebracht, einen Rundbrief, der sechsmal im Jahr erscheint, um über einschlägige Veranstaltungen zu informieren und die Kontakte innerhalb der Regionalgruppe Nord der Pirckheimer Gesellschaft zu unterstützen.

Antiquarisches und Bibliophiles

In der Alfred-Schnittke-Akademie ging es nach der Mittagspause mit einem Podiumsgespräch weiter. Zunächst sprachen Ralf Plenz und die Verfasserin dieses Artikels über die in Hamburg-Ottensen spielende Trilogie „Großstadt-Oasen“, zu denen auch zwei Podcastfolgen kostenlos zu hören sind. Im weiteren Gespräch zu dritt mit Rudolf Angeli ging es zunächst um die Situation der Antiquariate in Deutschland und die Vor- und Nachteile der Online-Portale, mithilfe derer sich Bücherfreunde zwar einfach sowohl seltene Ausgaben beschaffen als auch durch Verkauf gebrauchter Exemplare ihr Bücherregal aufräumen können, die jedoch für die stationären Antiquare eine Existenzbedrohung darstellen. Denn wegen sofortigen Vergleichbarkeit aller Anbieter des gleichen Produkts fallen die Preise. Ehemals kostspielige Raritäten sind heutzutage für wenige Euro erhältlich. Zudem wird die Anzahl der Leser insgesamt drastisch weniger und teilt sich überdies auf in solche, die noch Papierbücher lesen und andere, die digitale Medien wie E-Books bevorzugen. Das sind immerhin konstant sechs Prozent.

Aus diesem Thema folgte die Frage, was denn eigentlich bibliophil sei? Wikipedia offenbart dazu: Als Bibliophilie bezeichnet man allgemein das Sammeln von schönen, seltenen oder historisch wertvollen Büchern, meist durch Privatpersonen zum Aufbau einer Privatbibliothek nach bestimmten Sammelkriterien. Die drei Diskutanten einigten sich zusätzlich auf die Ausstattung (Haptik, Papierqualität, Bindung, Veredelung, Beigaben wie z. B. Künstlergrafiken und natürlich die besondere Typografie etc.), den Geruch und die persönliche Bedeutung von Büchern für die Leser. Rudolf Angeli empfindet Bücher wie Freunde, was eine berührende Umschreibung und sehr nachvollziehbar für Menschen ist, die sich einmal mit dem Lesen infiziert haben.

Pirckheimer „unterwegs im Büchermeer“ im April

Die Pirckheimer Gesellschaft, die nach eigenem Bekunden „Sammler und andere Verrückte“ beheimatet, betreibt auf ihrer Website auch einen umfangreichen und vielfältigen Blog. Außerdem wird sie am 5. bis 7. April 2024 im Museum der Arbeit (Hamburg-Barmbek) bei der Buchdruckkunstmesse „Unterwegs im Büchermeer“ vertreten sein. Vielleicht kann man dort auch die weiteren Aussteller, die krankheitsbedingt nicht in Altona sein konnten, antreffen und ihre Schätze bewundern.