Am 15. August 2022 wurde der Kunstmaler Rudi Kargus 70 Jahre alt. Er hatte zuvor einige Jahre als Torwart u. a. beim HSV in der Bundesliga gespielt. Zu der Zeit hat Gino Leineweber ihn kennengelernt und ist seither eng mit ihm befreundet. Hier erinnert er sich an die Anfänge des heute bedeutenden Malers.
Erst war ich ein Fan vom HSV, dann von Rudi Kargus. Vom HSV bin ich das nicht mehr, weil ich mich insgesamt vom Fußball abgewendet habe, von Rudi allerdings auch nicht mehr.
Aber von ihm habe ich mich nicht abgewendet. Im Gegenteil. Mit ihm verbindet mich jetzt eine mehr als 40 Jahre währende Freundschaft. Was uns auch verbindet, und das ist sicherlich Teil davon, ist, dass wir beide unsere Berufe gewechselt haben oder besser ausgedrückt, unseren Berufungen nachgegangen sind. In diesem Bereich haben wir intensiv unsere jeweiligen ersten Schritten als Maler bzw. Schriftsteller begleitet. Ich kenne jedes seiner ersten Bilder, er jedes von mir am Anfang geschriebene Wort. Seine Bilder waren in den Anfängen ziemlich gegenständlich und wirkten großartig. Im Laufe der Zeit änderte sich aber sein Malstil, um es einmal umfassend auszudrücken, doch die Bilder blieben und sind bis auf den heutigen Tag immer noch großartig. Selbstverständlich gefällt mir nicht jedes seiner Bilder gleich gut. Aber das erwartet ein Künstler auch nicht. Er weiß, dass das, was er kreiert, sein Ausdruck für die Inspiration zu seinem künstlerischen Werk ist. Ob diese Vorstellung und Darbietung den Betrachter genauso erreicht oder teils eigene Eindrücke hervorruft, kann man nicht wissen. ‚Lyrics‘ entstehen im Ohr des Betrachters, soll Freddie Mercury gesagt haben, wobei er die Texte seiner Songs meinte. Bei Bildern ist es offensichtlich das Auge.
Rudi Kargus‘ Bilder waren aber schon am Anfang für mich beeindruckend, was auch und besonders für sein erstes gilt. Wir waren mit einem weiteren Freund auf Fuerteventura. Eines Tages kam Rudi mit der Ankündigung, er habe sich zu einem Malkurs angemeldet. Ich war verblüfft und fragte: „Warum hast du das denn gemacht?“
Seine Antwort hatte ich nicht erwartet: „Das wollte ich immer schon mal machen – malen!“
Der andere Freund begleitete ihn in die Malschule. Ich nicht. Ich wollte Schriftsteller werden. Als er mir sein erstes Bild zeigte, war ich, wie ich bereits erwähnte, beeindruckt. Es war, wenn ich richtig erinnere, das Aquarell einer Agave in einem Garten. Was aber war es, das mich so beeindruckt hat?
Dem Bild wird man wohl handwerklichen Dilettantismus angemerkt haben, was ich als Ungeschulter allerdings nicht sah. Für mich war es etwas, das mir, salopp gesagt, das Gefühl vermittelte: das hat was. Aber was das war, wurde mir erst sehr viel später klar. Es waren die Farben. Welche Farben man nimmt, wie man sie mischt und mit anderen zusammenführt ist sicherlich nur bedingt handwerklich. Das ist etwas, was darüber hinausgeht, etwas, was man als Künstler braucht und nicht erlernen kann. Das ist Talent.
Vor einigen Jahren ging ich allein zu einer Gemeinschaftsausstellung, in der auch Rudi ausgestellt hatte. Als ich einen der Räume betrat, wusste ich von weitem: Da sind seine Bilder. Er hat sich, nach seinen Anfängen auf Fuerteventura, umfangreich ausbilden lassen. Und er hat seinen Stil gefunden. Er malt heute teilweise auf „riesigen“ Leinwänden und alles in Öl. Wenn man ihn beim Malen beobachtet, ist das eher ein Hantieren und Herumfuhrwerken auf der Leinwand als das, was man sich gemeinhin als Malen vorstellt. Im Ergebnis immer noch beeindruckend sind die Farbzusammenstellungen seiner Bilder.
Vincent van Gogh wusste nicht, dass er es sein würde, den er in einem Brief mit den Worten ankündigte, die Welt warte auf einen großen Koloristen.
Rudi Kargus ist auch ein großer Kolorist. Die Welt hat womöglich nicht auf ihn gewartet, aber ich schon.
(Dieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung des Kunsthauses Stade aus der dortigen Ausstellung von Rudi Kargus bebildert.)