Die Zeiten, in denen Gäste ehrfürchtig und still einer Literaturlesung folgen und anschließend schüchtern eine Frage an die Schriftstellerin richten, scheinen vorbei zu sein. Während die Besucherzahlen bei klassischen Lesungen immer mehr zurückgehen, können andere Arten der Buchvorstellung wachsende Publikumszahlen verzeichnen. Beim Konzept „Das lyrische Foyer“ sind Schriftsteller und Gäste gleichermaßen gestaltende Elemente, denn die Reflexion der Texte durch die Leserschaft, in diesem Fall Zuhörerschaft, hilft nicht nur beim Erschließen der Inhalte, sondern ermöglicht einen für beide Seiten bereichernden Austausch. Für die schreibende Zunft ist es eine wertvolle Gelegenheit, die Wirkung ihrer Lyrik kennenzulernen.
Das Konzept hat der Autor Fritz Sebastian Konka, eine „prägende Person der Hamburger Literaturszene“ („Die Zeit“ v. 30.03.23), entwickelt. Wir haben ihn zum Interview eingeladen.
DAP: Fritz, wie bist du darauf gekommen, „Das lyrische Foyer“ zu veranstalten?
Fritz Sebastian Konka: Im Frühjahr 2022, anlässlich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, war die Anthologie „Antikriegslyrik“ des Trabanten Verlags erschienen. Ich bin dort auch mit einem Gedicht vertreten. Durch Lesungen mit dem Buch wollte ich Spendengelder für die Ukraine sammeln. Ich fragte bei der Kunstklinik an, ob sie eine solche Spendenlesung veranstalten wolle. Leider hatte das Team um die Geschäftsführerin Rika Tjakea keine Kapazitäten. Rika schlug mir aber vor, die Lesung in Eigenregie in der Kunstklinik durchzuführen. Das tat ich und holte mir den Schlüssel, baute alles auf, inklusive Ton und Beleuchtung, moderierte und las selbst. Mein Tatendrang beeindruckte Rika. Kurze Zeit später fragte sie mich, ob ich nicht regelmäßig Lesungen in der Kunstklinik veranstalten wolle. Wollte ich und entwickelte das Konzept für das lyrische Foyer. Wir erhielten Förderungen für das Konzept und seitdem, September 2022, gibt es diese Reihe.
DAP: Bei der Programmgestaltung gehst du nach einem besonderes Verfahren vor, indem sich Tandempartner zu einem Thema bilden, bitte erläutere das doch einmal näher.
FSK: Ich mag den Austausch, das Miteinander-in-Kontakt-Gehen. Daher stehen die Abende des lyrischen Foyers jeweils unter einem Thema. Dieses wählen regelmäßig die beiden Lyriker:innen, die auf dem Sofa der Kunstklinik Platz nehmen, zusammen aus. Zu diesem Thema kann jede:r, der/die mag, Gedichte auf Instagram beisteuern. Drei Autor:innen dieser Gedichte werden eingeladen, ihr eigenes Gedicht und das einer anderen Autor:in, die/der ebenfalls auf der Bühne steht, vorzutragen. Dies erleichtert und fördert den Austausch untereinander und schafft unterschiedlichste Blicke auf ein- und dasselbe Thema. Mir gefällt das.
Neben der regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungsreihe an einem Freitagabend gibt es nun auch die Wochenendveranstaltung „Das lyrische Foyer Festival“. Mit einer Mischung aus Workshops von Yoga über Schreibwerkstätten bis zu PR-Maßnahmen für Autoren, Lesungen und Konzerten werden auch Menschen angesprochen, die mit dem Schreiben gerade beginnen oder noch gar nicht angefangen haben, sich aber einen Einstieg wünschen. Das Festival vom 5. bis 7. Juli bot beispielsweise einen Workshop namens „Schreiben im Schwarm“ unter der Leitung von Marta Marx an. Die Verfasserin dieser Zeilen hat an dem Workshop teilgenommen. Marta Marx beeindruckte durch eine sehr einfühlsame Herangehensweise und das Eingehen auf die individuelle Situation und Schreiberfahrung der Teilnehmerinnen. Nach einer kurzen Einführung ging die Gruppe in den Eppendorfer Park und verfasste, jede für sich, ein Minutenprotokoll über einen Zeitraum von 20 Minuten. Alle Sinneseindrücke waren gefragt, Geräusche, Gerüche, Gefühle und natürlich alles, was sich im Blickfeld tat. Die Teilnehmerinnen saßen dicht nebeneinander, tauschten sich während des Schreibens jedoch nicht aus. Das anschließende reihenweise Vorlesen, strukturiert nach den jeweiligen Minuten, in denen geschrieben wurde, offenbarte ein Kaleidoskop aus Beobachtungen desselben Schauplatzes. Abgesehen davon, dass dies eine großartige Übung zum Thema Beschreiben in der Literatur ist, hatten die Teilnehmerinnen auch die Möglichkeit, am Projekt „Parallelprotokolle“ der Kunsthalle Below in Mecklenburg-Vorpommern teilzunehmen, die aus den Minutenprotokollen thematisch sortierte Hefte erstellt und herausgibt.
Beeindruckend ist auch, dass die Mitwirkenden anlässlich des Festival-Wochenendes nicht nur aus dem Hamburger Raum, sondern aus der gesamten Bundesrepublik angereist waren.
Nach jedem Tandem-Lesepaar antwortete der Singer-Songwriter Max Prosa mit einem eigenen Gedicht auf die Texte des Lesepaars und sang einige seiner berührenden Lieder, setzte sich dazu ans Klavier oder spielte Gitarre. Diese Präsentationen sorgten für eine nahezu magische Verbindung der ganz unterschiedlichen Beiträge über den ganzen Abend hinweg.
DAP: Fritz, du verfügst offensichtlich über ein sehr großes Netzwerk. Wie hast du es aufgebaut?
FSK: Über Instagram. Es ging los in der Corona-Zeit mit dem Projekt „Lockdownlyrik“, das Fabian Leonhard, der Gründer des Trabanten Verlags, ins Leben gerufen hatte. Ich lernte nach und nach, mehr und mehr lyrikaffine Menschen kennen und lud sie nach Hamburg zu einem persönlichen Austausch beim sogenannten „Instalyrik-Treff“ ein. Kurze Zeit später entstand das lyrische Foyer und das Netzwerk wuchs weiter.
Das Festival ist nicht nur zur Präsentation eigener Werke gedacht, sondern hat gleichzeitig den Charakter einer Fachtagung und Fortbildungsveranstaltung. Interessierte werden an das kreative Schreiben herangeführt und bekommen neue Impulse. Zeit zum Austausch untereinander ist gegeben und es werden vielleicht neue Literaturfreundschaften geschlossen. So ist das Festival nicht nur ein Anlass der Begegnung der Autorinnen mit dem Publikum, sondern auch eine Zusammenkunft Kreativer, was für die Schriftsteller eine bereichernde Unterbrechung der ansonsten recht einsamen Tätigkeit bedeutet.
DAP: Du bist von Haus aus Jurist. Wann hast Du begonnen zu schreiben? Schreibst Du ausschließlich Lyrik?
FSK: Meine ersten Gedichte, natürlich Liebesgedichte, habe ich mit 18 geschrieben. Ich habe auch Prosa und Kurzgeschichten sowie zwei Romane verfasst. Alles aber unveröffentlicht und schon ein Weilchen her. Momentan schreibe ich, wenn überhaupt, Gedichte. Für längere Texte fehlt mir momentan die Zeit, vor allem aber die Muße. Denn würde ich wirklich wollen, würde ich die Zeit finden. Da muss ich mir nichts vormachen.
Beim Festival Das lyrische Foyer sind viel mehr Altersgruppen vertreten als bei Lesungen in der klassischen Form. Es scheint, dass diese Form der Veranstaltung, die nicht nur einen Frontalvortrag darstellt, sondern die Zuschauer einbezieht, viel mehr Menschen interessiert als das pure Zuhören. Besonders beeindruckt hat mich das sehr junge Tandempaar, das sich literarisch mit der Generationenproblematik zwischen Großeltern und Enkelkindern befasst.
DAP: Fritz, glaubst Du, dass die klassische Art und Weise der Autorenlesung sich als Veranstaltungsform überlebt hat?
FSK: Nein, bestimmt nicht. Sie scheint mir nach wie vor das dominierende Format zu sein und ein schönes dazu.
DAP: Möchte das Publikum stärker auch in die Rolle der Akteure gehen und sich als Teil der Performance begreifen?
FSK: Das eine Publikum gibt es nicht. Manche hören gerne (nur) zu, andere beteiligen sich (auch) gerne. Bei uns sind alle willkommen.
Bewerbt euch für Das lyrische Foyer:
Das lyrische Foyer findet wieder am 4. Oktober 2024 statt. Es ist auf Instagram unter @das_lyrische_foyer sowie auf der Homepage von Fritz Sebastian Konka zu finden, man kann sich noch für die Teilnahme bewerben.