Von Uta Buhr
Thrill as Thrill can: “Stone Cold Murder” von James Cawood – das neue Stück am English Theatre of Hamburg
Dieser Thriller beginnt gleich mit einem Paukenschlag. Während das Hoteliersehepaar Chappell nach einer lebhaften Saison in Englands romantischem Lake District vor den knisternden Holzscheiten des Kamins im Salon kuschelt, fliegt mit einem lauten Knall die Terrassentür auf. Ein heftiger Sturm fegt um das alte Haus. Und bevor das Publikum sich von dem Schreck des lautstarken Einstiegs in diesen temporeichen Krimi erholen kann, schleicht eine schemenhafte Gestalt am Fenster vorbei. Oder entsprang diese Erscheinung nur unserer Phantasie?
Mit „Stone Cold Murder“ hat der Schauspieler James Cawood ein Début hingelegt, das sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen kann. Auch wenn die Handlung nicht immer ganz schlüssig ist, so reißt die Spannung in keiner Sekunde ab und hält das Publikum über zwei Stunden lang in Atem. In diesem Stück ist nichts, wie es scheint. Und auch die vier Protagonisten geben immer neue Rätsel auf. Bis zum überraschenden Schluss. Ist das nicht mehr, als der Thriller-erfahrene Zuschauer von den meisten Plots dieser Art sagen kann?
Doch eines nach dem anderen. Das gemütliche, leicht verstaubte Ambiente des Gästehauses mit seinen alten Möbeln und dem abgewetzten roten Teppich auf der in die oberen Räume führenden Treppe suggeriert zunächst eine heile, völlig intakte Welt in einer der schönsten und beliebtesten Ferienregionen Großbritanniens. Die Botschaft: Wer hier Urlaub macht, kehrt gesundet an Leib und Seele wieder in sein gewohntes Leben in der Großstadt zurück.
Das erst seit Kurzem verheiratete, offenbar sehr verliebte Paar Robert und Olivia Chappell erscheint als der Inbegriff von Biederkeit und Integrität. Dieses Bild bekommt sehr schnell einen Riss, als ein junger sportlicher Mann namens Ramsey das ländliche Idyll stört und um ein Zimmer in dem bereits für den Winter geschlossenen Hotel bittet. Warum überkommen Olivia auf einmal diese furchtbaren Ängste, wieso wittert sie Unheil angesichts des freundlichen Fremden? Hat Ramsey vielleicht etwas mit Olivias dunkler Vergangenheit zu tun? Als der erste Mord geschieht, überschlagen sich die Ereignisse. Ein weiterer Besucher, unkenntlich unter seiner schwarzen Skimaske, betritt das Haus und bedroht Robert und Olivia mit einer Pistole. Der Mann erweist sich nach der Demaskierung als Olivias ehemaliger Liebhaber Sam Stone, mit dem sie einst ein wertvolles Collier stahl, aus dem sie einen großen Diamanten entfernte und sich damit absetzte. Die Frage stellt sich nun, wo im Haus das wertvolle Stück versteckt ist. Ohne den hochkarätigen Brilli ist das Collier aus der Schatztruhe der russischen Zarenfamilie, der Romanows, bestenfalls die Hälfte wert. Voller überraschender Wendungen nimmt dieser mit einer guten Prise britischen Humors gewürzte Thriller seinen Lauf. Und – oh Wunder – auf einmal taucht der längst tot und begraben gewähnte Ramsey wieder auf, entpuppt sich als der 10. Earl of Warwick und behauptet, der rechtmäßige Besitzer des kostbaren Schmucks zu sein. Dieser wurde nach seinen Worten seinem Vater auf dem Krankenbett entwendet, nachdem Sam Stone den alten Mann erstickt hatte. Als Rächer seines Erzeugers fühlt sich der Adelsspross auch berufen, Sam umzubringen. Blutrache wie in grauer Vorzeit! „Um sicher zu gehen, dass einer auch richtig tot ist, muss man ihm das Genick brechen“, lächelt er noch, bevor das Geräusch brechender Knochen das Publikum erneut erstarren lässt. Seine Identität beweist der Mann der erschrockenen Olivia mit einer Visitenkarte. Aber irgendetwas stimmt doch mit dem Wappen der Warwicks nicht – oder? Über den weiteren Fortgang dieser spannungsreichen Story schweigt sich die Chronistin an dieser Stelle aus. Nur soviel: Olivia fördert den genial versteckten Diamanten zutage, ergänzt das Collier und präsentiert sich dem Publikum mit einem in allen Farben des Regenbogens glitzernden Halsschmuck. Dass am Schluss des Stücks nach einer weiteren Volte nur einer aus dem Quartett übrig bleibt, versteht sich eigentlich von selbst. Agatha Christie lässt schön grüßen. Jene, die wissen wollen, wer der lachende Dritte und – ergo – der Sieger ist, müssen sich das Stück schon selbst ansehen. Beste Unterhaltung und Spannung von der ersten bis zur letzten Sekunde garantiert!
Vier ebenso attraktive wie großartige Schauspieler stehen wie üblich auf der Bühne des English Theatre: Madeleine Hutchins, die mit ihrer wunderbaren Oxford Sprachdisziplin glänzt, als Olivia zusammen mit „Ehemann“ Robert, der von Warren Adams verkörpert wird. Den zwielichtigen Ramsey gibt Nicholas Kendrick, während Rob Pomfret als „Revolverheld“ Sam Stone überzeugt.
Der Autor soll zum Schluss nicht unerwähnt bleiben. James Cawood, geboren in Newcastle upon Tyne, wuchs in Schottland auf und begann seine viel versprechende Karriere als Schauspieler. Er verdiente sich seine Sporen auf Tourneen kreuz und quer durch das
Vereinigte Königreich in Stücken von J.B. Priestley, Dennis Potter und P.G. Wodehouse. Sein erstes Theaterstück „Stone Cold Murder“ machte ihn über Nacht berühmt. Besonders die Wiener waren von seiner „Halsbandaffäre mit vielen Leichen“ sehr angetan. Man muss kein Prophet sein, um James Cawood einen ähnlichen Erfolg in Hamburg vorauszusagen. Robert Rumpf, der Direktor des English Theatre of Hamburg, hat mit der Wahl von „Stone Cold Murder“ erneut sein Händchen für gute Stücke unter Beweis gestellt.
„Stone Cold Murder“ läuft bis einschließlich 9. November 2013. Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 und online unter www.englishtheatre.de
Wir dürfen uns bereits auf einen neuen „Blockbuster“ aus der Feder des bekannten britischen Autors Alan Ayckbourn freuen. Am 21. November 2013 findet die Premiere seiner Komödie „Relatively Speaking“ im TET statt.