Eine Glosse aus Hamburg
von Johanna Renate Wöhlke
Es ist gerade Schienenersatzverkehr mit Bussen zwischen Wilhelmsburg und Berliner Tor – und es ist heiß zwischen Wilhelmsburg und Berliner Tor. Die Leute reden nicht. Sie sitzen und schwitzen und freuen sich, endlich wieder im Freien zu sein. Aber da wird es ja auch nicht wesentlich kühler werden. Also – Augen auf und raus aus dem Bus und in die wartende S-Bahn. Auch da sitzen die Leute und schwitzen und schweigen.
Die Dame mir gegenüber allerdings nicht. Sie ist die Ausnahme. Ich vermute nach einigen Minuten, sie fährt wahrscheinlich deshalb so gerne S-Bahn in vollen Zügen, damit sie reden kann und keiner ihr entwischt. Im Viererblock sitzen wir also, neben der redeseligen Dame ein Herr etwas hilflos am Fenster eingeklemmt. Es ist nicht klar, ob er zu der Redseligen neben sich gehört oder nicht.
Sie erzählt. Zwischen Wilhelmsburg und Neugraben kenne ich fast ihr ganzes Leben, ihre Haltung zum Leben, zu den Nachbarn und dass sie mit 64 immer noch gerne Minirock trägt – bei ihrer Figur! Da sollen die Nachbarn nur reden. Ich lächele sie an. Was auch sonst. Wer nicht zu stoppen ist, ist nicht zu stoppen.
Die Rolle des schweigenden und ab und zu höflich lächelnden Herrn neben ihr ist noch immer nicht ganz klar. Da hält die Bahn – und er steigt aus, allein! Alle rutschen ein wenig zur Seite. Wir lächeln uns an – und er redet doch tatsächlich und sagt: „Manchmal ist es besser zu schweigen!“
Was soll man dazu sagen? Am besten man schweigt und lächelt in sich hinein.
Johanna Renate Wöhlke