erschienen im Hamburger Abendblatt am 11. August 2010
von Johanna R. Wöhlke
„Heute ist ein blöder Tag!“ Was ist denn das für eine Aussage? Könnte ich meine Gesprächspartnerin am anderen Ende der Telefonleitung sehen, wahrscheinlich nähme ich ihr ärgerliches Gesicht wahr – einer dieser Augenblicke, froh darüber zu sein, dass nicht alle Telefone der Welt serienmäßig mit Kameras ausgestattet sind, denen man sich nicht entziehen kann.
Ich stelle mir das vor – wie schrecklich, wie grausam das wäre: Morgens klingelt das Telefon. Ich habe noch die Zahnpasta im Mund und auch die Haare nur notdürftig gerichtet und wanke zum Hörer. Schließlich kann der Mensch sich einem fordernden Telefonklingeln nie entziehen. Es könnte ja die Queen anrufen, und man hat nicht abgenommen!
Ich nehme also dieses Telefongespräch an und am anderen Ende der Leitung biete ich einfach nur diesen Morgenmuffelanblick. Das wäre ein blöder Tag! Ich denke, falls wirklich Ingenieure auf die Idee kommen sollten, Telefone serienmäßig mit Kameras auszustatten, wäre das ein ungeheurer Ansporn, sie elegant auszuhebeln.
Ich würde eine Kunstinitiative ins Leben rufen, die sich damit beschäftigt, dem Menschen wieder seine Anonymität beim Telefonieren zurückzugeben. Interessante Telefonmodelle mit Hut, Hütchen, Kappen und Mützen wären denkbar, allerlei technischer Schnickschnack, um unsere „optische“ Privatsphäre zu schützen. Neue Geschäftsideen tun sich auf. Die Kreativität könnte sprießen.
Meine Freundin würde am Bildtelefon zu mir sagen: „Heute ist ein blöder Tag!“, und ich würde ihr nicht antworten, sondern natürlich nur denken: „Mit dieser Frisur würde ich mich auch blöd fühlen.“ Dann könnte ich dem Telefon die Sichtverhinderungsmütze aufsetzen und hätte das großartige Gefühl, etwas Fortschrittliches getan zu haben…