erschienen im Hamburger Abendblatt am 12. August 2010
Von Johanna R. Wöhlke
Mein Gegenüber ist kaum zu bremsen: „Der hat doch die akute chronisch rezidivierende Beklopptitis!“, so macht er seinem Ärger Luft. Was ist geschehen? Ich will an dieser Stelle natürlich keine neue Krankheit verlautbaren, aber nun ist sie ja in der Welt, die „ akute chronisch rezidivierende Beklopptitis“.
Da hat sich jemand offensichtlich so über einen Mitmenschen geärgert, dass es ihm das Blut zum Kochen gebracht hat. Auf der anderen Seite hat er seine ganze Bildung und seine ganze Selbstbeherrschung aufgebracht. Er hat seine Kenntnis der Fremdwörter bemüht und sich darauf besonnen, was rezidivierend bedeutet, nämlich in Zeitabständen wiederkommend.
Damit hat er etwas getan, was wir von vielen Medizinern gewöhnt sind und was uns die Kommunikation mit ihnen manchmal sehr erschwert: Sie beherrschen meistens das Lateinische, wenn nicht perfekt, so doch immerhin in einem so hohen Maße, dass wir als Otto Normalmenschen da nicht mithalten können.
Mein Gegenüber hat also seinen Ärger in eine sprachliche Form gekleidet, die den Ärger etwas entschärfend darzustellen scheint, andererseits ihm aber gleichzeitig eine besondere Note verliehen. Nicht schlecht.
Mir kommt dabei der Gedanke, dass ich mich gerne einmal auf diese Weise mit Krankheitsbegriffen beschäftigen würde. Was käme dabei alles heraus? Vielleicht ließe sich ja auf diese Weise der Ärger mit und um die Mitmenschen in erträgliche Bahnen lenken.
Sie jedenfalls haben nun schon einen neuen Begriff parat: die akute chronisch rezidivierende Beklopptitis! Sie und ich sind ja Gott sei Dank nie davon betroffen! Allerdings, wenn ich es recht bedenke – ob nun akute chronisch rezidivierende Beklopptitis, galoppierende Schwindsucht oder geistige Inkontinenz…wichtig ist doch stets: Mensch bleiben muss der Mensch!