von Uta Buhr
Dieses kleine Buch – es umfasst knapp 80 Seiten – hebt sich wohltuend von so manchem Werk ab, das sich wortreich mit den Befindlichkeiten Hamburgs beschäftigt und allzu oft dieselben Sujets in den Mittelpunkt stellt. Mit „Töne, metallen, trägt der Fluss“ hat Maren Schönfeld einen Band vorgelegt, der Lyrik und Prosa rund um Geschichten und Geschicke der Hansestadt elegant mit einander verbindet.
Postkartenromantik ist nicht die Sache der Autorin. Sie richtet ihr Augenmerk nicht auf die allseits bekannten Sehenswürdigkeiten der Stadt, sondern leuchtet völlig andere Aspekte aus. Und dies in der ihr eigenen klaren Sprache. Das Gedicht „Heute Nacht“ ist ein besonders schönes Beispiel ihres schnörkellosen Stils: „Durch die Zahnlücken / der Stadt pfeift / Sturm heute Nacht // das Lied der verlorenen / Gedanken, die wir suchen“ Dem Stadtteil Ottensen – im Volksmund „Mottenburg“, in welchem Maren Schönfeld seit Langem wohnt, widmet sie vier Strophen, in welchen sie den Wandel eines ehemaligen Industriestandortes mit rauchenden Schornsteinen und rußigen Häuserfassaden in einen sogenannten „In“-Stadtteil beschreibt. Hier im ehemaligen Quartier der armen Glasbläser, deren Lungen durch ihr aufreibendes Metier irreparable Schäden erlitten, die der Volksmund sarkastisch „Motten“ nannte, leben heute vornehmlich Künstler und arrivierte junge Leute, die gern ihren Latte Macchiato in einem der vielen Cafés und Bistros genießen. Sie wissen nichts von dem Elend, in welchem die Altvorderen dieses Quartiers einst ihr Leben fristeten.
Maren Schönfeld beschreibt in ihrem lesenswerten Buch alles zutiefst Hanseatische.
Im Kapitel „Elbufer literarisch“ führt sie den Leser kreuz und quer durch Parks und blühende Gärten, lädt ihn ein, vom höchsten Punkt aus das silberne Band des Elbstroms zu seinen Füßen zu betrachten und landet schließlich mit ihm unterhalb der Elbchaussee, wo sich die barocke Christianskirche befindet. Als Kontrastprogramm widmet sie den Kränen und Containerschiffen im Hamburger Hafen eine Geschichte, sieht den über den Hafenbecken kreisenden Möwen bei ihren Sturzflügen zu und ruht sich schließlich bei einem Kakao beim „Engel“ in Teufelsbrück aus. In diesem Tempo hat noch kein Autor vor ihr die verschiedenen Standorte aufgesucht und beschrieben.
Besonders eindrucksvoll sind jene Passagen des Buches geraten, in denen Maren Schönfeld Hamburgs dunkle Zeiten während des Zweiten Weltkriegs und die Zeit danach behandelt. Aufgrund ihres Alters stammen diese Erfahrungen aus zweiter Hand. Ihre Großmutter hat sie ihr offenbar so authentisch geschildert, dass die Geschichte „Jene Nacht“ sich liest, als habe die Autorin die Bombennächte in den 1940er Jahren selbst erlebt. Hier erstehen die erschütternden Bilder jener Jahre vor dem inneren Auge mit bombardierten Häusern, Großbränden, heulenden Sirenen und flüchtenden Menschen. Wie viele ältere Hanseaten hat auch die Rezensentin diese Schreckensnächste selbst erlebt, in denen der Himmel blutrot leuchtete und die Flugzeuge der Alliierten die Stadt immer häufiger unter Beschuss nahmen. Wir Kinder wurden mitten in der Nacht aus unseren Betten gerissen und in den nächsten Keller oder Bunker getragen. Die Autorin schreibt dazu: „ (…) warum rüttelt Bertha mich, packt mich, reißt mich herum – Komm endlich! – warum ist die Wand weg, wo ist die Wand;“ Noch drastischer kann selbst einer, der dabei war, diesen Horror nicht beschreiben.
„Kinder, genießt den Krieg, der Frieden wird furchtbar“, wurde während der letzten Kriegsjahre geunkt. Völlig zu Recht, denn da fehlte es an allem, und die Stadtbevölkerung versetzte und verkaufte alles an die Bauern in den Randgebieten, die gegen Schmuck, Artefakte, wertvolle Bücher und andere Wertsachen Butter, Milch, Fleisch, Brot und Gemüse eintauschten. Zu jener Zeit sagte man, die Bauern würden ihre Kuhställe mit Perserteppichen auslegen. Was sogar stimmte. Die in Maren Schönfelds „Rosa Hut“ beschriebene Kopfbedeckung besaß sicherlich nicht einmal ansatzweise den Gegenwert eines Perlencolliers oder eines Kerman Diba, bedeutete seiner Besitzerin mit Namen Rosa aber sehr viel. Das zarte Gebilde aus crèmefarbener Seide und einer roséfarbenen Stoffrose weckt die Begehrlichkeit einer Bäuerin, die den Hut sogar einer alten Brosche vorzieht. Schweren Herzens tauscht Rosa das gute Stück gegen ein paar Kartoffeln und einen Kohlkopf. Ja, so war’s damals. Tempi passati, Gott sei Dank. Eine glänzend geschriebene Kurzgeschichte, die zu Herzen geht. Kompliment an die Autorin!
Maren Schönfelds zauberhaftes Hamburg-Buch beinhaltet insgesamt vierzig Geschichten und Gedichte, die „Nachts in der Stadt“ beginnen und „Mitten im Meer“ aufhören. Reizvoll sind die vielen sepiafarbenen Fotos, die – man staune – mit einem Handy aufgenommen und nur teilweise bearbeitet wurden. Thematisch zugeordnet, verschmelzen die Sujets mit den Texten.
Das Cover von Wolfgang Schönfeld – die in explodierenden Farben gemalte Köhlbrandbrücke – verleiht dem Werk einen besonderen Reiz und macht Lust auf den Inhalt des Buches. Ein Tipp: Es ist ein ideales Geschenk für all jene, die Hamburg lieben oder die Stadt noch besser kennenlernen möchten.
„Töne, metallen, trägt der Fluss – eine lyrische Elbreise“ ist im Wiesenburg Verlag erschienen und kostet Euro 14,90
ISBN 978-3-95632-623-3