[Dieser Artikel erschien am 7. Mai 2016 im Deutschen Ärzteblatt.]
von Uta Buhr
Fotos: Michael Pasdzior
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Im Wonnemonat Mai, wenn alles grünt und blüht, feiert Hamburg seinen Hafengeburtstag. Da befindet sich die Stadt im Ausnahmezustand. „Na, na, wir wollen ja nicht gleich übertreiben“, meint der alte Fahrensmann mit der blauen Schiffermütze, der gerade seine Barkasse für die nächste Hafenrundfahrt flott macht. „Aber wir sonst so besonnenen Hanseaten kommen da mal so richtig aus uns heraus. Aber mit Stil.“ Tja, Stil haben die „Fischköppe“, wie manche Besucher aus anderen Bundesländern die Hamburger liebevoll respektlos nennen. Hingerissen sind sie alle von den schmucken Schiffen auf der Elbe, dem Tuten der Nebelhörner, wenn es nicht so schön ist und es – echt hanseatisch – ein wenig zu nieseln beginnt. Was heißt hier Regen? Das ist flüssiger Sonnenschein. Und schlechtes Wetter gibt es schon gar nicht. Nur falsche Kleidung. Da kommt der Friesennerz – die gelbe Öljacke – ins Spiel, den auch Touristen gern anlegen, wenn sie sich an den Landungsbrücken den Wind um die Nase blasen lassen oder sich gar an Bord eines Schiffes begeben.
Auch in diesem Jahr heißt es vom 6. bis 8. Mai „Leinen los und ahoi!“ Denn das Angebot reicht von der traditionellen Hafenrundfahrt über Besichtigungen von Großseglern und Fahrten mit dem Katamaran die Elbe aufwärts mitten hinein in die Nordsee über Cuxhaven an der Elbmündung bis zur einzigen deutschen Hochseeinsel Helgoland. Wer jedoch lieber festen Boden unter den Füßen hat, begnügt sich mit Schiffgucken auf dem Stintfang hoch über dem Strom oder am Elbstrand in Blankenese.
„Was ist denn nun eigentlich der Hintergrund dieses Megaereignisses, eures Hafengeburtstags“, möchte eine Mitarbeiterin eines der vielen Konsulate in der Stadt wissen, die erst kürzlich an die Elbe versetzt wurde. Zur Beantwortung dieser Frage muss man ganz tief in die Geschichte Hamburgs eintauchen:
Die Besiedelung der sogenannten „Neustadt“ durch die Grafen von Schauenburg geht auf das Jahr 1188 zurück. Nach der Gründung Lübecks suchten sie einen Ort, der ihnen einen bequemen Zugang zur Nordsee gewährte. Der bot sich ihnen dort an, wo die Alster in die Elbe mündet. Hier betrieben bereits Schiffer und Kaufleute ihr Handwerk und nutzten den Platz als Lager- und Umschlagplatz von Waren. Graf Adolf III. von Schauenburg indes setzte sich für viele Vergünstigungen ein, von denen Hamburger und Siedler gleichermaßen profitierten. Der Graf stand zudem auf gutem Fuße mit Kaiser Friedrich Barbarossa, den er vor dessen Kreuzzug ins Heilige Land bat, den Hamburgern einen Freibrief auszustellen. Dies geschah am 7. Mai im Jahre des Heils 1189 und beinhaltete folgendes Privileg: „Zollfreiheit für ihre Schiffe auf der Elbe von der Stadt bis an die Nordsee.“ Voilà.
Bis auf den heutigen Tag bestehen erhebliche Zweifel daran, ob dieses kaiserliche Privileg tatsächlich erteilt wurde. Hinter vorgehaltener Hand wird sogar von einer genialen Fälschung gesprochen. Friedrich Barbarossa in seinem Kyffhäuser wird wahrscheinlich das greise Haupt schütteln über soviel hanseatische Schlitzohrigkeit. Doch auch er hätte heute sicherlich seine Freude an den „tollen Tagen“ in der Hansestadt, die keinen Wunsch offen lassen.
In diesem Jahr geht es wieder hoch her. Schon in den frühen Morgenstunden ist alles auf den Beinen. Da wird noch letzte Hand angelegt. Cafés und Restaurants glänzen mit frisch gestrichenen Möbeln auf den Gehwegen und kleinen Gärten.
Da wandert manch besorgter Blick gen Himmel. Wird das Wetter halten oder muss man Tische und Stühle wieder hereinholen. Aber auch drinnen schmecken typisch hanseatische Gerichte wie Labskaus und Aalsuppe den Touristen. „Ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist euer Essen schon“, findet ein Gast aus Baden-Württemberg, der gerade nach einem längeren Besuch der historischen Speicherstadt an Brücke 4 „festgemacht“ hat, wie es hier heißt. Von seinem Tisch aus kann er die großen „Pötte“ Revue passieren sehen, die majestätisch den Fluss heruntergleiten.
Wer die Wahl hat, hat die Qual. An den drei Tagen findet eine solche Fülle von Veranstaltungen – auf Neudeutsch Events – statt, dass einem der Kopf schwirrt. Wie wäre es zur Einstimmung mit einer Hafenrundfahrt, die dem „Quiddje“ (Nicht-Hamburger) alles offenbart, was diesen Hafen so einzigartig macht. An Bord der leicht auf den Wellen tanzenden Barkassen waltet Fiete seines Amtes. Da werden Döntjes (Witze) und Anekdoten am laufenden Band erzählt. Manchem Passagier geht der Hut hoch – und das nicht nur vom Fahrtwind. „Kiekt mal da rüber zum Schuppen 8“, sagt der alte Seebär und weist auf einen Lagerraum am Pier. „Da werden die Bananen krumm gebogen. Haha.“ Einem Mitfahrer, dem das Schwanken des Bootes offenbar nicht bekommt, rät er: „Wenn dir schlecht wird, immer raus damit. Die Fische freu’n sich über jede Fütterung.“ Tja, die Hanseaten sind so ein Völkchen für sich – raue Schale, weicher Kern.
Und hier eine kleine Übersicht über Highlights des 827. Hafengeburtstages, die keiner versäumen sollte: Am Samstag, dem 7. Mai von 15 bis 15.45 Uhr, zieht das traditionelle „Schlepperballett“ wieder zigtausend Besucher an die Landungsbrücken. Zu einem Walzer von Johann Strauß drehen, stampfen und rollen die schweren Schiffe durch das Elbwasser. Eine weitere Attraktion ist das „Open Ship.“ Hier dürfen sich die Besucher an Bord der prachtvollen Windjammer umsehen. Auch Hafentouren unter kundiger Führung kreuz und quer über das Hafengelände bis heran an die Terminals, wo die stolzen Kreuzfahrtschiffe ankern, erfreuen sich großer Beliebtheit. Und für viel Musik – Shanties, Pop und Jazz – an verschiedenen Standorten ist natürlich auch gesorgt:
(www.hamburg.de/hafengeburtstag-programm/ )
Zum größten Hafenfest der Welt kommen alljährlich über 300 Schiffe – Windjammer, Traditionssegler sowie Museumsschiffe, Marine- und Cruiseliner, Motor- und Segelyachten usw. Mehr geht wirklich nicht. Oder doch? Das Nonplusultra ist das Große AIDA-Feuerwerk am Samstag, dem 7. Mai. Es beginnt um 22.30 Uhr an der Hafenmeile. Es wird den Besuchern wie üblich begeisterte Ahs und Ohs entlocken. Nicht vergessen: Rechtzeitiges Kommen sichert gute Plätze! Übrigens, vorher sollten Sie noch einen ausgiebigen Spaziergang durch die Hafencity einplanen. Der Mix aus alter Backsteinarchitektur und eleganten gläsernen Büro- und Wohnhäusern ist beeindruckend. Und dann ist da noch die Elbphilharmonie, diese berühmt-berüchtigte Dauerbaustelle, die ja nun – so Gott will – irgendwann in nächster Zeit fertig gestellt sein soll. Wie aber reagiert der Hamburger auf die Häme aus allen Teilen der Republik? „Immer sutje (Hochdeutsch: immer mit der Ruhe), Leute, gut Ding braucht Weile.“ Cooler geht’s nicht.
Und dies noch zum Schluss: Wussten Sie, dass die Elbe noch Anfang des letzten Jahrhunderts bis zum Rand voll war mit Lachsen erster Qualität? Da wurde der edle Fisch in allen Haushalten konsumiert. Es gab sogar eine Dienstbotenverordnung, in der die Herrschaft sich verpflichtete, dem Personal nicht öfter als dreimal wöchentlich ein Lachsessen zuzumuten. Das waren noch Zeiten!