Von Dr. Manuel Ruoff
Dass einem auch als Nichtprotestanten im sogenannten Bismarckreich oder Preußen-Deutschland höchste Staatsämter offenstanden, zeigt die Biographie des katholischen Reichstagspräsidenten Franz Karl Wolfgang Ludwig Alexander Graf von Ballestrem.
Bereits vor seiner Geburt hatte seine ursprünglich aus Savoyen stammende Familie durch Einheirat den Besitz der Familie von Stechow erworben und im oberschlesischen Kohlenbergbau große Bedeutung gewonnen. Als erstgeborener Spross eines solchen Geschlechts stand dem am 5. September 1834 auf Schloss Plawniowitz im Landkreis Gleiwitz Geborenen eine akademische Ausbildung gleichsam doppelt offen. Nach dem Besuch des Katholischen Gymnasiums in Glogau und der Philosophischen Lehranstalt der Jesuiten in Namur besuchte er die Bergakademie in Lüttich.
Dieser auf den Familienbesitz bezogenen Ausbildung folgte 1855 der Dienst in der Armee. Als Kavallerieoffizier nahm er sowohl am Deutsch-Dänischen als auch am Deutschen Krieg teil. Beim Vormarsch auf Paris stürzte der Adjutant der 2. Kavallerie-Division allerdings so unglücklich vom Pferd, dass er den Dienst quittieren musste.
Mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse sowie dem Roten Adlerorden ausgezeichnet, stürzte sich der überzeugte Katholik nun in die Politik. Er sammelte in seiner schlesischen Heimat die Zentrumsanhänger in einem Wahlverein und wurde 1872 erstmals in den Reichstag gewählt, dessen Mitglied er mit einer Unterbrechung bis 1907 blieb.
Ballestrem behielt seinen Reichstagssitz auch, als 1879 sein Vater starb. Trotz seines bergwissenschaftlichen Studiums übernahm er nicht die Geschäftsführung, überließ diese vielmehr einem Generaldirektor. 1890 übernahm er von seinem Parteifreund Georg Arbogast von und zu Franckenstein den Fraktionsvorsitz des Zentrums und dessen Sitz im Präsidium des Reichstages.
Wenn Ballestrem auch im Kulturkampf 1874 hart mit Reichskanzler Otto von Bismarck zusammengestoßen war, so bemühte er sich doch seit dessen Ende 1878 um eine regierungsnahe Politik seiner Partei – was seiner Parteikarriere schadete. Als er für die Heeresvorlage von Bismarcks Nachfolger Graf Leo von Caprivi eintrat, die eine Erhöhung der Heeresstärke vorsah, verlor er nicht nur den nach Ludwig Windhorsts Tod im Jahre 1891 entbrannten Kampf mit Ernst Lieber um dessen Nachfolge als Parteiführer. Seine Isolation ging so weit, dass er bei der Reichstagswahl von 1893 auf eine Wiederwahl verzichtete.
Bereits bei den nächsten Wahlen 1898 gelang ihm allerdings der Wiedereinzug in den Reichstag, zu dessen Präsident er noch im selben Jahr gewählt wurde. Ballestrem behielt dieses ehrenvolle Amt bis 1906.
Wenn Ballestrem seine regierungsnahe Haltung auch in der eigenen Partei Probleme bereitet hatte, so wurde sie ihm doch vom Staat gedankt. Bereits seit 1873 Geheimer Kämmerer des Papstes, wurde der deutsche Katholik 1900 von Wilhelm II. zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Titel „Exzellenz“ ernannt. Drei Jahre später wurde Ballestrem, der seit dem Tode Windhorsts neben dem Reichstags- auch noch einen Sitz im preußischen Abgeordnetenhaus besaß, erbliches Mitglied des preußischen Herrenhauses.
Am 23. Dezember 1910 starb der Ehrenritter des Malteserordens und Komtur der Ballei Schlesien auf Schloss Plawniowitz, wo er über 76 Jahre zuvor zur Welt gekommen war.