Erschienen in der Preußischen Allgemeinen Zeitung
Von Dr. Manuel Ruoff
Vor 130 Jahren schloss das Königreich den Dreibundvertrag mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn
Zehn Jahre vor dem Deutschen Reich war 1861 das Königreich Italien gegründet worden. Die italienische Einigung war gegen den militärischen Widerstand Österreichs erfolgt, das aus dem Wiener Kongress von 1814/15 als Vormacht (Nord-)Italiens hervorgegangen war. Und sie war unterstützt worden vom Kaiserreich Napoleons III., der in klassischer französischer Außenpolitik dadurch die damalige Führungsmacht Deutschlands schwächen wollte. Allerdings hatten im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 auch die Beziehungen des jungen italienischen Nationalstaates zumfranzösischen Nachbarn gelitten, hatte er doch Frankreichs kriegsbedingte Phase der Schwäche ausgenutzt, um den unter Napoleons Schutz stehenden Kirchenstaat des Papstes zu annektieren.
Vor diesem Hintergrund schien der ebenfalls noch junge deutsche Nationalstaat Italiens idealer Verbündeter zu sein. Es gab keine Grenzkonflikte, das Herrscherhaus des Reiches war protestantisch, also nicht unbedingt papstfreundlich, und wie die italienische war auch die deutsche Einigung gegen österreichischen Widerstand gelungen. Das junge Königreich schlug deshalb dem jungen Kaiserreich vor, das Habsburgerreich wie weiland im Deutschen Krieg von 1866 erneut in die Zange zu nehmen. Dann sollte das Deutsche Reich die deutschen Teile Österreichs übernehmen und Italien wollte die vermeintlich italienischen sogenannten unerlösten Gebiete (terre irredente) annektieren.
Die Zeiten hatten sich jedoch geändert. Der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck hielt das Reich für saturiert und an einer weiteren Schwächung Österreichs war er aus Gründen der Austarierung Russlands nicht interessiert, zumal das Habsburgerreich sich mit der preußisch-kleindeutschen Lösung der deutschen Frage arrangiert zu haben schien. 1879 schlossen das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn den Zweibund. Das Deutsche Reich war für Italien nur im Doppelpack mit Österreich als Verbündeter zu haben. Noch aber glaubte Italien, notfalls auch ohne Verbündete auskommen zu können.
Das änderte sich 1881. Unter dem Vorwand, Nomadeneinfälle bekämpfen zu müssen, marschierten französische Truppen im Frühjahr von Algerien aus in Tunesien ein, und Frankreich machte das Land zu seinem Protektorat. Dieses wurde in Italien als „tunesische Ohrfeige“ (schiaffo di tunisi) empfunden, hatte doch Tunis eine beachtliche italienische Kolonie und der verspätete Nationalstaat selber Interesse an der ihm gegenüberliegenden Mittelmeerküste.
Wenige Monate später erlitt Italien einen schweren Imageschaden. Der Leichenzug Papst Pius IX. wurde auf seinem Weg vom Vatikan nach San Lorenzo im Zentrum der italienischen Hauptstadt Rom von Demonstranten überfallen. Die italienische Polizei zeigte sich überfordert, und der päpstlichen Partei gelang es, international den Eindruck zu erwecken, die Staatsmacht habe klammheimlich mit den Demonstranten sympathisiert und der italienische Nationalstaat würde dem Papst noch nicht einmal im Tode seine Ruhe gönnen.
International isoliert und mit dem französischen Imperialismus konfrontiert, suchte Italien nun das Bündnis mit dem Zweibund. Von diesem wünschte es Beistand gegen Frankreich und eine Garantie seiner Grenzen.
Beiden Wünschen standen die Zweibundstaaten skeptisch gegenüber. Bismarck wollte nicht durch Italien in Händel mit Frankreich hineingezogen werden, zumal er seit der Krieg-in-Sicht-Krise von 1875 wusste, dass die Staatengemeinschaft nach dem Deutsch-Französischen Krieg eine weitere Schwächung Frankreichs zum Nutzen Deutschlands nicht widerstandslos hinnehmen würde. Die katholischen Habsburger wiederum hatten Probleme, Italien seine Grenzen zu garantieren, bedeutete das doch, dass Österreich den italienischen Nationalstaat auch gegen Versuche des Papstes oder anderer katholischer Mächte, die Annexion des Kirchenstaates zu revidieren, hätte unterstützen müssen.
Überhaupt war der Zweibund im Allgemeinen und Bismarck im Besonderen ungleich weniger an einem Bündnis interessiert als Italien. Er hielt das politische System in dem französisch geprägten Königreich für labil, das Land deshalb als Bündnispartner für unzuverlässig und dessen Streitkräfte für ziemlich unbedeutend. Aus diesen Gründen wünschte er eine Mischung aus Heiliger Allianz und Neutralitätspakt. Durch Eingriffe in die inneren Angelegenheiten der Vertragsstaaten sollte die Monarchie gegenüber republikanischen Tendenzen nach französischem Vorbild gestützt werden. Und da der militärische Wert Italiens gering eingeschätzt wurde, wurde auf dessen Unterstützung kein gesteigerter Wert gelegt. Es genügte, wenn Italien sich im Kriegsfall nur neutral verhielt und sich nicht auf die Seite der Feinde des Zweibundes schlug, um die „unerlösten Gebiete“ zu erhalten (was es im Ersten Weltkrieg dann ja tatsächlich tun sollte).
Eine mögliche Einmischung Österreichs in seine inneren Angelegenheiten versuchte der souveräne und konstitutionelle italienische Nationalstaat auf jeden Fall zu verhindern. Und ein Neutralitätspakt wurde als mit der nationalen Ehre (dignità nazionale) unvereinbar abgelehnt. Denn dadurch würde der Eindruck entstehen, so die Italiener, sie würden sich weigern, „irgendein Kriegsrisiko zu laufen; und das wäre ein schwerer, irreparabler moralischer Schaden für eine Nation, die noch nicht von der Aura militärischen Ruhms umgeben ist, der die nationale Würde unantastbar macht“.
Der am 20. Mai 1892 in Wien abgeschlossene italienisch-deutsch-österreichische Dreibundvertrag, in dem sich die vertragschließenden Parteien Frieden und Freundschaft versprechen, war ein Kompromiss.
Der vom Zweibund gewünschte innen- und außenpolitisch konservative Charakter des Geheimbundes prägt die Präambel. Dort bekennen sich die drei Staaten zu dem Ziel, „das monarchische Prinzip zu befestigen“ sowie den inner- und außerstaatlichen Status quo zu verteidigen. Ganz im Sinne des Zweibundes sind auch die Artikel I und IV, in denen sich die Partner Frieden und Freundschaft sowie zumindest wohlwollende Neutralität im Falle eines Krieges mit einer anderen Großmacht versprechen.
Hingegen nicht nur auf wohlwollende Neutralität, sondern auf Deutschlands und Österreichs „Hilfe und Beistand“ „mit allen ihren Kräften“ durften die Italiener im Kriege mit Frankreich hoffen, sofern denn – und das war wieder ein Zugeständnis an das friedliebende Reich – „Italien ohne unmittelbare Herausforderung“ angegriffen wurde. Eine analoge Verpflichtung ging Italien gegenüber dem Deutschen Reich ein.
Österreich gegenüber ging Italien jedoch keine analoge Verpflichtung ein. Nun könnte man sagen, Österreich hatte ja keine Grenze mit Frankreich. Aber Italien hätte sich ja beispielsweise verpflichten können, Österreich im Falle eines unprovozierten russischen Angriffs zu unterstützen. Aber das war unnötig. Wurde Österreich ohne Schuld mit Russland alleine in einen Krieg verwickelt, genügte die italienische Neutralität gemäß Artikel IV, denn in dem Fall würde die Unterstützung des Zweibundpartners ausreichen. Sollte Russland jedoch von Frankreich unterstützt werden, griff der Artikel III, demzufolge bei einem unprovozierten Angriff von mehr als einer Großmacht der Bündnisfall gegeben und damit Italien zur Unterstützung des Zweibundes verpflichtet war.
Dem Dreibundvertrag wurde die sogenannte Mancini-Deklaration angehängt. Diese Erklärung, dass sich der Vertrag „in keinem Falle gegen England richte“, geschah auf Wunsch Italiens, das wegen seiner langen Küste die Feindschaft der englischen Seemacht fürchtete, und stieß auf keinen Widerstand bei den Zweibundmächten, die mit Großbritannien das Interesse am Fortbestand des Gleichgewichts verband. Der Dreibund wurde für fünf Jahre abgeschlossen und immer wieder verlängert – bis er bei seiner ersten Bewährungsprobe, dem Ersten Weltkrieg, zerbrach.